Stenogramm der Antworten Außenministers Russlands Sergej Lawrow auf Fragen im Carnegie Fund, Washington, 7. Mai 2009
FRAGE: David Kramer, German Marshall Fund. Herr Minister, meine Frage bezieht sich auf den Iran. Glauben Sie, dass Obamas Administration die Entwicklung der Raketenabwehr in Polen und der Tschechischen Republik fortsetzen wird, da sich Irans Haltung nicht geändert hat und die iranische Bedrohung erhalten bleibt? Und was gibt es Neues hinsichtlich der Lieferung von S-300-Raketen durch Russland an den Iran? Der iranische Vize-Außenminister hat im April gesagt, dass diese Vereinbarung immer noch aktuell ist. Danke.
SERGEJ LAWROW: Können Sie Ihre Frage präzisieren? Gehr es um den Iran oder um die Raketenabwehr?
FRAGE: Beides. Denn diese Themen hängen zusammen.
SERGEJ LAWROW: Das sind zwei verschiedene Fragen.
FRAGE: Präsident Obama hat gesagt, dass der Aufbau der Raketenabwehr von der Zunahme bzw. Abnahme der iranischen Bedrohung abhängt.
SERGEJ LAWROW: Ich kann nur von der Russischen Föderation sprechen, nicht von den USA. Wir haben unseren amerikanischen Kollegen geometrische, ballistische und sonstige verschiedene Berechnungen vorgelegt, als die Idee des Aufbaus der Stützpunkte der Raketenabwehr in Polen und in der Tschechischen Republik zum ersten Mal auftauchte. Wir haben ihnen erklärt, dass all das mit der iranischen eventuellen Bedrohung nichts zu tun hat, aber Veränderung der russischen strategischen Arsenale im europäischen Teil der Russischen Föderation herbeiführen wird. Wir halten es also für falsch, zu verkünden: „Wir werden das iranische nukleare Problem lösen, und dann wird es in Europa kein Raketenabwehrsystem geben". Wir wissen, dass diese Stützpunkte der Raketenabwehr die Sicherheit Russlands unmittelbar betreffen. Was das iranische Nuklearproblem angeht, so betrachten wir es nach wie vor im Kontext der Gruppe 5+1 bzw. 3+3, die vor kurzem die Entwicklung ihrer eigenen Vorschläge an den Iran fortgesetzt hat. Javier Solanas Leute haben diese Vorschläge in den Iran gebracht, und Iran hat versprochen, sie zu untersuchen. Wenn er die annimmt, werden wir uns den Verhandlungen mit dem Iran tatsächlich nähern.
Wir haben keine Beweise dafür, dass das iranische Nuklearprogramm militärisch ausgerichtet ist, wollen aber hundertprozentig sicher sein, dass es so ist, also dass es um ein friedliches Programm geht. Deshalb unterstützen wir ständige IAEA-Aktivitäten im Iran. Wir rufen den Iran zusammen mit anderen Ländern auf, mit der IAEA umfassend zusammenzuarbeiten und weitere Schritte zu tun, um möglichst schnell alle Fragen zu klären, die die IAEA klären will.
Zur eventuellen Raketenbedrohung aus der südlichen Richtung. 2007 hat Präsident Putin auf dem Treffen mit Präsident Bush in Kennebunkport ein kollektives Projekt vorgeschlagen - ich habe es in meiner Ansprache schon erwähnt. Es geht zunächst um die kollektive Analyse der Bedrohungen. Kollektiv heißt, dass Russland, die USA und die Europäer zusammen arbeiten werden und dass sie die heute funktionierenden Radaranlagen in Russland und Aserbaidschan zur Kontrolle über die Lage in dieser Region verwenden könnten. Im Falle der gefährlichen Entwicklung gibt es immer die Möglichkeit, gemeinsamen Maßnahmen zu treffen, um diese Gefahr zu verhindern.
Erst vor ein paar Wochen haben wir diesen Vorschlag gründlicher erarbeitet, durch einige technische Details ergänzt und unseren amerikanischen Kollegen zur Beurteilung übergeben. Ich hoffe, dass sie ihn konstruktiv behandeln werden. Wir haben heute darüber mit der Staatssekretärin Clinton gesprochen, und sie bestätigte, dass die strategische Beurteilung des Projekts der Luftabwehr fortgesetzt wird und dass dabei auch der von Russland vorgelegte Vorschlag beachtet wird. Nachdem die Beurteilung beendet wird, sind wir bereit unseren Dialog mit den USA in dieser Frage wiederaufzunehmen.
Was S-300-Raketen betrifft, so haben wir heute diese Frage in unserem Gespräch erörtert. Das, was wir an den Iran oder auch andere Land verkaufen, unterliegt keinen internationalen und nationalen Verboten nach der Gesetzgebung der Russischen Föderation. Unsere Gesetzgebung ist eine der strengsten, was die Kontrolle über den Export betrifft. Und was wir auch dem Iran verkaufen, wird nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt.
Trotzdem achten wir immer auf die Befürchtungen hinsichtlich diverser Militäraspekte der militärtechnischen Zusammenarbeit mit verschiedenen Ländern. Aber ich habe schon gesagt, und will es noch einmal betonen: Das, was wir im Zuge der militärtechnischen Zusammenarbeit mit dem Iran tun, ist absolut legitim, und was auch wichtig ist, die Waffen, die wir an den Iran verkaufen, wurden nie gegen andere Länder eingesetzt.
Wenn wir schon über den Waffenhandel reden, so wurden die Waffen, die an Georgien verkauft wurden, zur Ermordung von Russen, zur Ermordung der zivilen Bevölkerung, der russischen Friedenstruppen eingesetzt. Dabei erfüllten die russischen Friedenswächter ihren Dienst laut dem internationalen Vertrag, der von Georgien unterzeichnet wurde. Diese Waffen wurden Georgien verkauft, obwohl wir in zwei-drei letzten Jahren vor der realen Gefahr der Ausrüstung dieses Regimes gewarnt haben.
FRAGE: Vielen Dank, Herr Minister, Paul Sonders, das Nixon-Zentrum. Premierminister Putin in Davos und später Präsident Medvedev auf der Insel Sachalin haben über die Notwendigkeit eines breiteren Dialogs über energetische Probleme gesprochen. Könnten Sie darüber Näheres sagen. Und Ihre Beurteilung der Perspektiven des Abkommens, das die Energiecharta aufheben soll, welches, wie Sie wissen, die USA nicht unterzeichnen wollen und welches möglicherweise nicht arbeiten wird. Wie sind Ihrer Meinung nach die Perspektiven dieses Abkommens über die Rechte und Pflichten der Lieferanten, Verbraucher und Transitländer, sowie eventuell eines Mechanismus zur Regelung von Streitfragen? Danke.
SERGEJ LAWROW: Wir, also nicht nur Premierminister Putin in Davos und Präsident Medvedev auf Sachalin, haben diese Fragen gestellt. Wir stellen sie auf höchster Ebene seit einigen Jahren, wahrscheinlich schon seit der sogenannten ersten Gaskrise von 2006.
Wir haben erklärt, warum die Energiecharta nicht arbeiten wird und warum wir nicht wollen, an sie angeknüpft zu werden - wir haben es vor kurzem offiziell erklärt. Russland würde die Energiecharta unter der Bedingung unterzeichnen, dass es eine Vereinbarung über zusätzliche Protokolle zu dieser Charta gibt, u.a. das Transitprotokoll, die behandelt werden sollen. Wenn wir in deren Kontext Probleme lösen könnten, über die Sie jetzt sprechen.
Das war nicht der Fall. Auch einige andere Vereinbarungen, die sich auf die Unterzeichnung der Energiecharta durch Russland beziehen, vor allem die Vereinbarung mit der Europäischen Union, wurden nicht erfüllt. Ich meine das Versprechen der Europäischen Union, das Problem der Sperren gegen die Gewährung von Dienstleistungen an Russland in der nuklearen Energiewirtschaft. Das alles wird noch behandelt.
Als Anfang 2006 die Krise ausgebrochen war, hat die EU vorgeschlagen, einen Frühwarnmechanismus zwischen Russland und der Europäischen Union zu schaffen. Wir haben gesagt, dass wir bereit sind und haben angenommen, dass dieser Mechanismus auch Transitländer umfassen soll. Die EU hat unseren Vorschlag kühl aufgenommen, warum, weiß ich nicht.
Die Ereignisse im Januar dieses Jahres haben uns überzeugt, dass wir etwas unbedingt brauchen, was zum Unterschied von der Energiecharta und vom Energiecharta-Vertrag arbeitet. Deshalb hat Präsident Medvedev, als er im vorigen Monat in Helsinki auftrat, unsere neue Initiative angekündigt, die sofort an alle G20-Staaten geschickt wurde, natürlich auch an allen G8-Staaten, an die Mitglieder der EU, GUS, also an alle Länder, die an der energetischen Situation im ganzen euroatlantischen/euroasiatischen Raum direkt beteiligt sind.
Wir werden es mit unseren Partnern am 22. Mai auf dem Russland-EU-Gipfel in Chabarowsk besprechen. Wir haben es auch vorige Woche mit der EU-Troika auf der Außenministerebene in Luxemburg kurz besprochen.
Ich weiß nicht, wie alle unsere Partner reagieren werden. Sie erkennen, wie wichtig es ist einen Ausweg aus der Situation zu finden, in die wir Ende Januar geraten sind, aber wir sehen keine Initiative ihrerseits. Wir hören jedes Jahr, dass wir - Russland - den Energiecharta-Vertrag ratifizieren sollen, das ist aber ein unvernünftiges Herangehen. Wir haben öfters erklärt, warum wir es nicht tun werden und warum gerade dieses Regime, das im Energiecharta-Vertrag verankert ist, nicht perfekt ist.
Unser Vorschlag bleibt also in Kraft: Wir wollen die Fragen der Energiesicherheit der Produzenten, Verbraucher und Transitländer nicht nur im Erdöl- und Gasbereich betrachten, sondern auch im Bereich anderer Energiequellen, u.a. der Nuklearenergie.
Wir glauben, dass wir trotz den negativen Erfahrungen der letzten Jahre, ich meine auch Verpflichtungen unserer Partner in Bezug auf die Unterzeichnung des Energiecharta-Vertrags, nicht riskieren dürfen. Wir sollen die Energiesicherheit in allen ihren Aspekten betrachten. Das wurde auf dem G8-Gipfel in Sankt Petersburg 2006 vereinbart. In der auf diesem Gipfel verabschiedeten Deklaration wurden gerade die Prinzipien festgelegt, die wir jetzt systematisieren wollen.
FRAGE: Arial Cohen, Heritage Foundation. Herr Minister, Sie haben von der Revision des Wirtschaftssystems nach Bretton-Woods erwähnt. Welchen Standpunkt vertritt Russland bzw. welchen Plan hat Russlands hinsichtlich solcher Revision: warum ist dieses System unbefriedigend? Und wenn Sie eine regionale Reservewährung erwähnen, stellen Sie sich den Rubel als diese Reservewährung vor, oder Sie meinen etwas zusammen mit China, beispielsweise die einheitliche Währung Rubel-Juan? Denn wenn es ohne China ist, so wird der Umfang der Wirtschaft, selbst der gesamten regionalen Wirtschaft, also zusammen mit den GUS-Ländern, bzw. der Umfang der Devisenmasse, mit dem kanadischen Dollar oder Schweizer Frank vergleichbar.
SERGEJ LAWROW: In der Reihenfolge, in der Sie Ihre Frage oder genauer gesagt die Kurzfassung vorgestellt haben. Was wir unter der Reform des internationalen Devisensystems verstehen? Die Antwort ist sehr einfach. Man soll das Schlussdokument des Londoner Gipfels nehmen, es bis in Details erarbeiten und es ins Leben umsetzen. Warum ist das heutige System unbefriedigend? Ich glaube, dass die Antwort klar ist: weil wir solche Krise nicht mehr erleben wollen.
Ob wir den Rubel meinen, wenn wir über die regionale Reservewährung sprechen? Die Antwort ist: ja. Sie können den kanadischen Dollar und Juan vergleichen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Einführung von Innovationsschemen. Zum Beispiel ein kleines Land wie Weißrussland und ein großes Land wie China vereinbaren, einen bestimmten Umfang der Währung für den bilateralen Handel zu wechseln. Das ist schon Stabilisierung.
Die Türken haben uns vorgeschlagen, dasselbe zwischen ihrer Währung und dem Rubel zu tun. Im Kontext der Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan, im Kontext der Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland sprechen wir immer mehr über die Nutzung unserer Währungen bzw. des Rubels als Reservewährung und unternehmen auch entsprechende praktische Schritte.
Ich glaube also, dass ohne eine ernste regionale Stütze für das internationale Währungssystem, welches der IWF und die Weltbank immer noch leiten werden, es nicht einfach sein wird, solche Krisen in Zukunft zu vermeiden. Zum Beispiel die Erfahrungen bei der Einführung des Euro, die wachsende Rolle Juans, Jens und die von des ASEAN-Ländern in Südostasien behandelnden Projekte einer gemeinsamen Wechselwährung, ähnliche Projekte, die schon auf der praktischen Ebene in Lateinamerika und in den Ländern des Persischen Golfs behandelt werden. So ist der Trend. Wir müssen diesem Trend folgen und ihn nutzen, um den Internationalen Währungsfonds niemandem gegenüberzustellen, sondern die Rolle des Internationalen Währungsfonds und den unvermeidlichen Prozess der Multipolarität im Finanz- und Wirtschaftsbereich zu harmonisieren.
FRAGE: John Daily, Institut für Zentralasien und Kanada. Sie haben gesagt, dass von allen unseren gemeinsamen Problemen Afghanistan am wichtigsten wird. Offenbar wird die Bedeutung des Nordkorridors für die Lieferungen über Russland und die angrenzenden Staaten infolge der geänderten Priorität der Administration von Obama steigen. Ich meine die Verstärkung des Militärkontingents in diesem Land. Erklären Sie bitte, welches Niveau der Zusammenarbeit die Russische Föderation im Betracht zieht? Geht es beispielsweise um die Lieferungen, die zurzeit auf Transitwegen über Pakistan erfolgen, einschließlich der Ausrüstung, oder Sie werden sich nur auf nicht todbringende Güter beschränken?
SERGEJ LAWROW: Transit über Russland für die Internationale Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) in Afghanistan hat längst begonnen. Erst vor einem Jahr haben wir das Abkommen mit der NATO als Organisation über den Transit von nichttodbringenden Gütern unterzeichnet, aber seit vielen Jahren erfolgt Transit von nichttodbringenden Gütern über Russland auf Grund von unseren bilateralen Abkommen mit Frankreich und Deutschland. Vor kurzem wurde ein ähnliches Abkommen mit Spanien unterzeichnet. Sie können Ausrüstungen, Truppen befördern. Wenn sie Truppen nur mit Einzelbewaffnung befördern, brauchen sie es nicht, in Russland zu landen. Wenn es um todbringende Ausrüstungen geht, müssen sie zur Prüfung landen. Dieser Mechanismus hat sich bewährt. Solche Abkommen sichern den Transit – deutschen, französischen und spanischen – und zwar nicht nur für ihre nationalen Kontingente, sondern auch für die Kontingent aller Länder, die an ISAF nach dem Mandat des Sicherheitsrates teilnehmen.
Kurz und gut, jedes Land, das an ISAF teilnimmt, kann von diesen Transitmitteln laut dem russisch-deutschen und russisch-französischen Abkommen Gebrauch machen, und wir sind bereit, die Transitmöglichkeiten zu erweitern und somit mehr zu tun. Wir haben es mit unseren amerikanischen Kollegen besprochen, wir können weitere Optionen erwägen.
Man muss aber nicht nur das Einverständnis Russlands bzw. anderer Länder bekommen, die überquert werden sollen, um nach Afghanistan zu kommen, sondern auch sich überzeugen, dass wenn es beispielsweise um den Eisenbahntransit geht, es die Infrastruktur gibt, die je nach der Zunahme der Bedürfnisse der ISAF und der Koalition mehr Güter befördern kann.
Das ist eine komplizierte Frage, und da ist ein komplexes Herangehen notwendig, u.a. die Zustimmung der unmittelbaren Nachbarn Afghanistans, weil es möglich ist, dass Sie Russland überqueren und dann steckenbleiben. Es erfordert auch einige Verbesserungen der Infrastruktur der Umgebung.
FRAGE: Marvin Calb. Ich bin vom Shorenstein Center in der Kennedy-Schule. Ich möchte noch eine Frage über Afghanistan stellen, möglicherweise ist sie im Geiste der Konvergenz, über die Sie gesprochen haben.
Können Sie auf die russischen Afghanistan-Erfahrungen zurück schauen? Es könnte nützlich sein. Und wenn Sie zurückschauen, dann gab es Lehren, die Russland aus diesen Erfahrungen gezogen hat, die jetzt für die neue amerikanische Regierung sehr nützlich wären?
SERGEJ LAWROW: Eigentlich wird diese Frage von uns, Amerikanern und anderen Ländern seit vielen Jahren inoffiziell erörtert. Ich werde mich ganz kurz fassen. Es ist unmöglich, Afghanistans Probleme mit Gewaltmethoden zu lösen, obwohl gegen Terroristen Gewalt angewendet werden muss. Deshalb hat der Weltsicherheitsrat nach 11. September die Gegenmaßnahmen eindeutig unterstützt.
Die zweite Schlussfolgerung besteht darin, dass es unmöglich ist, Probleme, die sich auf das politische System Afghanistans beziehen, durch kluge Schemata von außen zu lösen. Sie können kein reales Schema entwickeln, das nur auf einer ethnischen Gruppe beruhen würde, selbst wenn diese ethnische Gruppe die größte ist. Sie können andere ethnische Gruppen nicht ignorieren: außer Paschtunen gibt es dort auch Tadschiken, Usbeken, Hazara, und jede dieser regionalen Gruppen hat sehr enge ethnische, historische und kulturelle Beziehungen zu konkreten Nachbarn Afghanistans. Sie sollen auch den Faktor der Nachbarschaft berücksichtigen. Wie ich in der Ansprache schon gesagt habe, begrüßen wir die Tatsache, dass der regionale Faktor im modernen amerikanischen Herangehen in den Vordergrund rückt. Man muss die Nachbarn einsetzen.
Ein interessantes Beispiel. Er hat zwar nicht ganz mit Afghanistan zu tun, zeigt aber, wie die Nachbarn helfen können. Anfang 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts brach der blutige Krieg in Tadschikistan – der Bürgerkrieg - aus. Unter direkter Vermittlung Russlands und Irans, die mit unterschiedlichen Gruppierungen arbeiteten, ist es letztendlich gelungen, den Friedensvertrag unter der UN-ägide zu unterzeichnen.
Es ist sehr wichtig, dass neben einer neuen Afghanistan-Strategie Präsident Obama ein deutliches Signal schickt, dass er einen direkten umfassenden Dialog über Iran will. Es ist das einzig mögliche Vorgehen in dieser Region. Die Bush-Administration hat Iran einige Male einbezogen, aber unter der Bedingung, dass sie nur den Irak besprechen werden und dass sich die Iraner in die Angelegenheiten einiger irakischen Gruppierungen nicht einmischen werden. Die Iraner nahmen an diesen Diskussionen teil, aber es ist ein ungenügendes Herangehen. Wenn wir den Nahen Osten nehmen und diese Region erweitern – Bush-Administration hat über den Großen Nahen Osten gesprochen, aber dieses Projekt wurde nicht in die strategische Idee mit dem komplexen Herangehen umgesetzt. Und was den Iran betrifft, ja, Iran hat Einfluss in dieser Region. Iran hat Einfluss, und er hatte immer Einfluss in Afghanistan, und jetzt hat er auch im Gazastreifen Einfluss. Er hat gute Positionen im Libanon. Im Gazastreifen hat der iranische Einfluss zugenommen, da der Westen sich geweigert hat, die Ergebnisse der demokratischen Wahlen vor drei Jahren anzuerkennen, als Hamas gesiegt hat. Wir, die Vereinten Nationen, bemühten uns sehr, einen Ausweg zu finden, um diese Ergebnisse anzuerkennen, denn es waren freie und ehrliche Wahlen, aber die USA und die Europäische Union sagten damals, dass es zwar demokratische Wahlen waren, aber sie erkennen die Regierung nicht an. Eben deshalb sehen wir jetzt die Palästinenser gespaltet.
Meine Antwort lautet also: Man soll sich nicht nur auf die Kraft stützen; man soll viel Wert auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung legen – und das ist auch ein Teil der Strategie von Obama; man soll die Nachbarn zur Gestaltung von Bedingungen heranziehen, wenn sich alle ethnischen Gruppen in Afghanistan in die Gestaltung des Landes einbezogen fühlen; man soll Traditionen achten, und die Traditionen sind so, dass Afghanistan nie ein sehr zentralisierter Staat war. Ich hoffe, dass sich heute der Konsens bildet, dass wir den Konsens finden werden.
FRAGE: Herr Lawrow, ich heiße Sar Hassan. Ich bin ein Experte aus Aserbaidschan. Sie wissen, dass heute in Prag die Vorsitzenden der Minsker Gruppe erklärt haben, dass die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens die grundlegenden Prinzipien der Bergkarabach-Regelung vereinbart haben. Ist es aus Ihrer Sicht ein Durchbruch, den zu erreichen sie versprochen haben und ob Sie erwarten, dass er den Frieden und die Stabilität in die Region bringen wird? Vielen Dank.
SERGEJ LAWROW: Wenn es zwei Präsidenten vereinbart haben, soll es natürlich den Frieden und die Stabilität in die Region bringen. Die Vorsitzenden haben eine äußerst schwere Arbeit geleistet. Es ist ein Konflikt, von der keine geopolitischen Vorteile bringt: die USA, Russland und Europa vertreten durch Frankreich, die drei Vorsitzenden haben einstimmig gearbeitet. Eigentlich wurden die grundlegenden Prinzipien der Regelung Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2007 auf dem Treffen in Madrid übergeben, und diese grundlegenden Prinzipien blieben auf dem Tisch. Sie wurden von beiden Ländern unter bestimmten Vorbehalten in drei oder vier Fragen akzeptiert. Diese Fragen sollen endgültig abgestimmt werden, und das ist gerade das Ziel dieses Stadiums des Verhandlungsprozesses. Ich habe den Bericht darüber, was genau erreicht wurde, nicht gesehen, aber ich hoffe, dass die Dynamik, die nach dem Treffen im vorigen November in Moskau erreicht wurde, jetzt in Prag fortgesetzt wird. Die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans haben die Einladung angenommen, zum St.-Petersburger Wirtschaftsforum zu kommen, hinter dessen Kulissen sie die Möglichkeit haben werden, sich wieder zu treffen. Ich glaube, dass diese Dynamik ermutigend ist, und wir halten den Daumen dafür, aber das ist ein latenter Prozess. Man kann nicht über die Details dessen sprechen, was die zwei Präsidenten besprochen haben, aber im Großen und Ganzen sind wir hinsichtlich des Fortschritts auf den Verhandlungen und der schnellen übereinstimmung optimistisch gestimmt.
FRAGE: Caroline McGregor, US-Ministerium für Energiewirtschaft. Herr Minister, Sie haben über die besondere Verantwortung der USA und Russlands in den nuklearen Fragen gesprochen. Das gleiche könnte man über die Klimaveränderung sagen. Denn die USA und Russland haben riesige Wirtschaften, sind also auch sehr große Verschmutzungsquellen.
Ich weiß auch, dass die Regierung vor kurzem eine neue Klimadoktrin besprochen hat. Können Sie uns bitte etwas über Russlands Prioritäten erzählen, und was erwarten Sie von der Kopenhagener Konferenz, die Ende dieses Jahr stattfinden wird? Vielen Dank.
SERGEJ LAWROW: Ich glaube, wir haben dieselben Prioritäten, wie die meisten Länder der Welt: das Klima zu erhalten, unseren Planeten zu erhalten, und dabei niemanden zu beeinträchtigen. Auch den Beitrag zu berücksichtigen, den diverse Länder schon geleistet haben, vielleicht ist es auf die Geschichte und Geografie zurückzuführen, aber die Wälder sind eine wichtige Komponente in dieser Gleichung.
Das Kyoto-Regime soll universell sein. Wir müssen die Bedürfnisse der Länder berücksichtigen, die in ihrer Entwicklung von der „goldenen Milliarde" zurückbleiben. Auch Russland will sich schnell entwickeln. Man muss also diese Bedürfnisse berücksichtigen, aber niemand darf von seinen Verpflichtungen in Bezug auf die Reduzierung von Emissionen abweichen. Natürlich ist es leichter gesagt, als getan. Aber gerade diese Prinzipien, sind auch der Einstellung der USA identisch. Uns stehen konkrete, schwierige Verhandlungen bevor.
Es werden verschiedene konkrete Pläne behandelt, u.a. die freiwillige Selbstbeschränkung in den Ländern, die wie sie meinen, noch Zeit für die industrielle Entwicklung brauchen. Aber ein Kompromiss ist möglich, und sie hoffen, dass die Kopenhagener Konferenz bis 2012 einen für alle akzeptablen Aktionsplan vorbereiten wird. Und das ist eine wichtige Richtung der Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA.
Ich will auf die Arktische Region eingehen. Russland und die USA sind zwei der fünf Anrainerstaaten. Sie sind auch Mitglieder des Arktischen Rates, dem 8 Länder angehören, und dessen Ministersitzung neulich in Norwegen stattgefunden hat. Es ist erfreulich, dass im Arktischen Rat solche Fragen wie die Klimaveränderung, die Erhaltung der Natur, die dort sehr fragil ist; die Erhaltung der Umwelt, in der die Stammvölker leben, und zugleich die Möglichkeiten zur Erschließung von Kohlenwasserstoffen und anderen Naturschätzen konstruktiv besprochen werden. Ich glaube, dass wir alle – auch die USA und Russland – den Geist und die Praxis des Zusammenwirkens des Arktischen Rates stärken wollen. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit im Naturschutzbereich.
FRAGE: Тоby Gati, juristische Firma „Akin Gump". Ich freue mich, Sie zu sehen, Sergej. Ihre Vision der Geschichte sehen ist für unsere Fortbewegung sehr wichtig. Aber ich war überrascht, wie Sie den Zeitraum 1989-2009 charakterisiert haben. Vielleicht wollten Sie es gar nicht, doch es scheint mir, dass Sie das außenpolitische Verhalten der USA und das der Sowjetunion verglichen haben. Ich glaube, dass die meisten Amerikaner diesen Vergleich zurückweisen werden. Auf jeden Fall haben Sie über die russische Außenpolitik in diesen 20 Jahren noch nicht gesprochen. Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Welche Lehre hat die russische Außenpolitik in diesen 20 Jahren gezogen und was sollen Sie neustarten?
SERGEJ LAWROW: Toby, ich glaube, Sie haben sich verhört. Ich habe es gesagt, nicht um die USA mit der Sowjetunion zu vergleichen. Ich habe nur gesagt, dass die Sowjetunion als Wirtschaftsmodell ein Extrem – den Sozialismus - genommen hat, den wir einige Zeit sogar Kommunismus nannten, und dass die USA, besonders nach dem Kalten Krieg, ein anderes Extrem der wirtschaftlichen Entwicklung genommen haben – den liberalen Kapitalismus - und dass die beiden extremen Modelle gescheitert sind. Sie können für das mit Ihnen Geschehene einen weicheren Begriff verwenden, aber in Russland ist das sozialistische System gescheitert. Das ist klar. Was mit dem liberalen Kapitalismus im vorigen Herbst geschehen ist, das sollen Sie definieren. Und welche Lehre wir daraus ziehen können, darüber habe ich ehrlich gesagt nie nachgedacht. Ich habe keine Zeit, Lehren zu ziehen. Wenn ich das tun werde, dann erst im Ruhestand (Gelächter im Saal).
FRAGE: Herr Minister, ich begrüße Sie. Ritch Herald, das Unternehmen „Britisch Petroleum". Es wird wohl richtig zu sagen, dass alle Geschäftsleute auf die Gesundung der bilateralen Beziehungen zwischen Russland und den USA hoffen. Und das aus diversen Gründen, auch aus ihrem persönlichen Interesse. Denn für diejenigen von uns, wer in Russland arbeitet, sollen dadurch die Arbeitsbedingungen gesünder werden.
Zu den Komponenten, die für die Gesundung der Beziehungen von Bedeutung sind, gehört aktiver Dialog auf verschiedenen Ebenen zwischen den Regierungen und anderen Strukturen beider Länder. Und wir haben gehört, dass zwischen Russland und den USA Verhandlungen über die Aufnahme dieses Dialogs geführt werden.
Können Sie auf dieser Stufe Ihren Standpunkt erläutern, wie und auf welcher Ebene die russische Regierung diesen Dialog führen und wie sie ihn strukturieren sollte? Danke.
SERGEJ LAWROW: Also, das werden die Präsidenten bei ihrem Treffen Anfang Juli in Moskau besprechen. Wie Sie wissen, gab es verschiedene Formate. Es gab zum Beispiel den Tschernomyrdin-Gore-Ausschuss. In drei letzten Jahren, wenn George Bush Administration an der Macht war, war es die Ebene der ersten Vize-Außenminister. Sie haben sich getroffen und fruchtbar zusammengearbeitet. Wie das neue Format aussehen wird, darüber werden die Präsidenten entscheiden. Ich will ihre Vereinbarung nicht vorwegnehmen, kann Ihnen jedoch versichern, dass die beiden Seiten engere Zusammenarbeit zwischen den Geschäftskreisen zweier Länder anstreben. Meiner Meinung nach verfügen die russische und amerikanische Geschäftsgemeinschaften über mehr als drei Strukturen, die in dieser Hinsicht ziemlich aktiv arbeiten. Außerdem soll ein Regierungsmechanismus geschaffen werden, um das Zusammenwirken zwischen dem Business unserer Länder zu erhalten und operative Lösung von Problemen zu fördern, die in der Partnerschaft zwischen unseren Unternehmern entstehen.
FRAGE: Guten Tag, Herr Minister. Miles Pomper aus dem Forschungszentrum für Probleme der Nichtverbreitung. Sie haben mehrmals aufgerufen, Kernwaffen außerhalb des Territoriums der Kernwaffenstaaten nicht zu stationieren. Offensichtlich wurden dabei amerikanische taktische Kernwaffen in Europa und deren Rückzug aus Europa gemeint. Was wäre Russland bereit zu tun, wenn die USA entsprechende Schritte gemäß Ihrem Vorschlag über taktische Kernwaffen unternommen hätten? Wäre Russland transparenter geworden, zum Beispiel bei der Konsolidierung seiner taktischen Waffen oder Erfüllung seiner Verpflichtungen aus der nuklearen Initiative des Präsidenten von 1991?
SERGEJ LAWROW: Versuchen Sie es, Sie werden nicht enttäuscht werden! (Gelächter im Saal). Ich kann nur bemerken, dass amerikanische taktische Waffen in Europa praktisch ein Teil des amerikanischen strategischen Arsenals sind.
FRAGE: Vielen Dank. Graham Allison. Ich freue mich, Sie zu sehen, Herr Minister. Präsident Medvedev hat mehrmals vorgeschlagen, eine neue europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen. Dabei sagt er, dass sie nicht als Ersatz für die NATO und EU gedacht ist. Sie sei für die USA und Kanada offen und nicht auf den Abbau der OSZE gerichtet. Erzählen Sie bitte ausführlicher, was sie in Wirklichkeit beinhalten soll?
SERGEJ LAWROW: Ich habe es vorher schon erwähnt. Das Problem besteht darin, dass es viele Prinzipien gibt, die im Kontext der europäischen Zusammenarbeit in der OSZE, im Russland-NATO-Rat und in anderen Formaten gebilligt wurden. Aber sie können die Sicherheit in dieser Region nicht gewährleisten. Sie konnten 1999 die Bombardierung Jugoslawiens, u.a. der Nachrichtenagenturen und Fernsehsender nicht verhindern; es wurde sogar eine Botschaft getroffen. Die Prinzipien und Mechanismen, die in Europa im Sicherheitsbereich existieren, konnten auch nicht verhindern, was im August des vergangenen Jahres im Kaukasus geschehen ist, obwohl wir einige Jahre vor der Krise mehrmals zur Unterzeichnung des Vertrags über den Verzicht auf Gewaltanwendung aufgerufen haben. Unsere Aufrufe wurden kalt aufgenommen. Unsere amerikanischen Kollegen erwiderten nur, dass Saakaschwili nie Gewalt anwenden wird. Wenn er die Gewalt anwenden wird, kann er die NATO vergessen; so hat mir Dr. Rice in einem Gespräch gesagt. Als es trotzdem geschehen ist, habe ich sie daran erinnert und gesagt: „Er hat doch die Gewalt angewendet. Wie ist es mit dem Vergessen der NATO?" Ich habe keine Antwort erhalten.
Das gegenwärtige System beruht auf dem Prinzip der kollektiven Sicherheit in der NATO. Die Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrags ist auch eine Organisation, die juristisch auf dem Prinzip der kollektiven Sicherheit beruht. Was den euroatlantischen Raum betrifft, so gibt es keine andere juristisch verbindliche Organisation, die einen universellen Charakter hätte.
Das Hauptprinzip, für dessen wirkliche Universalität wir eintreten, ist das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit: in den grundlegenden Dokumenten des Russland-NATO-Rates ist verankert, dass kein Land seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer gewährleisten darf. Wir sollten dieses Prinzip beispielsweise auch auf die NATO-Erweiterung beziehen. Und nach dem Zerfall der UdSSR, wenn wir aus Osteuropa weggingen, hat sich die NATO verpflichtet und versprochen es nicht zu tun. Vor kurzem haben wir die Aufzeichnungen dieser Gespräche freigegeben, es waren auch Gespräche mit einigen damaligen Staatssekretären und Präsidenten, die es uns sagten. Also, wenn wir sagen, dass wir uns in unserer Sicherheit unsicher fühlen, wenn Sie die NATO erweitern und Militärstützpunkte an unseren Grenzen stationieren, obwohl sich die NATO verpflichtet hat, bedeutende Militärkräfte auf den Territorien neuer NATO-Mitglieder nicht zu stationieren, wird uns kühles Verhalten entgegengebracht. Uns wird gesagt: „Nein, es ist nicht gegen Sie gerichtet". Wir erwidern, dass Sie dadurch eigene Verpflichtung verletzen, und da hören wir wiederum, dass es nicht gegen Sie gerichtet sei. Nehmen wir die Pläne der Raketenabwehr. Wir haben Ergebnisse unserer Berechnungen vorgelegt, die beweisen, dass es das strategische Gleichgewicht verletzen würde. Das sind wissenschaftliche und praktische Berechnungen. Uns wird wieder erwidert: Es ist nicht gegen Sie gerichtet.
Der Vorschlag des Präsidenten Medvedev besteht darin, dass wir keine neuen Prinzipien fordern. Wir wollen alle geltenden Prinzipien, vor allem das Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit, verbindlich machen, und zwar sowohl für alle Euroatlantischen Staaten, als auch für alle regionalen Sicherheitsorganisationen - NATO, EU, GUS, OVKS. Wir treten auch gegen Doppelstandards bei der Konfliktregelung auf. Wir wollen, dass bei der Konfliktregelung alle von den wohlbekannten Prinzipien ausgehen. Ich meine die Prinzipien der UN-Charta, u.a. die territoriale Integrität, die Achtung der Abkommen, die Konfliktparteien abgeschlossen haben, und dass die Seiten alles selbst vereinbaren sollen, wie dies im Verhandlungsprozess über die Regelung des Bergkarabach-Konflikts war, also ohne Lösungen aufzudrängen. Die Seiten sollen selbst eine für sie akzeptable Vereinbarung erreichen: über humanitäre Bedürfnisse in den Konfliktzonen usw. Ich glaube, dass auf dem euroatlantischen Sicherheitsgipfel, den Präsident Medvedev einzuberufen vorgeschlagen hat, um die Wege der Arbeit am neuen Vertrag abzustimmen, auch das Problem der konventionellen Waffen behandelt werden soll, das seit der Weigerung der NATO, den angepassten KSE-Vertrag zu ratifizieren, ignoriert wird. Es geht also keinesfalls um den Ersatz, sondern um die Gestaltung eines einheitlichen Rechtsfelds, wo sich alle im Bereich der harten Sicherheit im Euroatlantischen Raum gemütlich fühlen würde.
FRAGE: Danke, Herr Minister. Gill Doherty von CNN. Russland behauptet oft, besonders in der letzten Zeit, dass der postsowjetische Raum in dessen Interessenbereich ist, aber sie präzisiert es nicht immer genau. Könnten Sie es für uns präzisieren, und ob es zur offiziellen sowjetischen – Entschuldigung - russischen außenpolitischen Doktrin gehört? Und haben Sie es offiziell der Verwaltung Obamas erklärt?
SERGEJ LAWROW: Nein, die Präsidenten Medvedev und Obama haben vieles besprochen und sind zur übereinstimmung gekommen, wie Präsident Obama selbst gesagt hat, dass es so etwas, wie den Interessenbereich, nicht mehr gibt. Er sprach auch über die Beziehungen der USA zu Lateinamerika. Es ist absolut das gleiche Herangehen, wie unser an unsere Nachbarn. 2004 hat der damalige Präsident Putin auf der Versammlung der russischen Botschafter, die wir alle zwei Jahre durchführen, direkt verkündet, dass unsere Nachbarn für uns sehr wichtig seien, dass aber Sie verstehen sollen, dass wir kein Monopol auf diesen Raum haben. Dass es Konkurrenz gibt, dass es legitime Interessen der außerregionalen Länder im Energiebereich sowie in Bezug auf Transitwege, Terrorismus und Bedrohung durch Drogen gibt, die wir anerkennen. Das heißt, dass viele Länder, u.a. Europa, die USA, China und andere, Interessen in dieser Region haben.
Es ist jetzt nicht die Zeit der Monopole, sondern der fairen Konkurrenz, und das einzige, was wir wollen, ist, dass diese Konkurrenz wirklich fair ist. Die Mittel zur Durchsetzung dieses legitimen Interesses sollen auch legitim sein. Und wir sollen die heutige Praxis ausrotten, wenn geheime Vertreter unseren Nachbarn sagen: Entscheidet, was ihr wollt: Moskauer Kolonie zu sein, oder ihr wollt mit der freien Welt sein. Heute kann es keine Geheimnisse geben. Alle erfahren alles, was über eine konkrete Person oder ein konkretes Land geredet wird.
Was die russische Doktrin betrifft, so sagen wir eindeutig, dass die GUS-Staaten unsere privilegierten Partner sind. Aber auch Russland ist für sie ein privilegierter Partner. Warum? Weil Familien an beiden Seiten der Grenze leben, weil die Infrastruktur und der Verkehr, der soziale und wirtschaftliche Bereich und viel anderes uns miteinander verbinden, dass wir uns nicht einfach absperren und unsere Nachbarn vergessen können. In kultureller, historischer, familiärer Hinsicht haben wir jahrhundertelang zusammen gelebt, und es ist nur natürlich, dass sie unsere privilegierten Partner sind. Es ist auch natürlich, dass wir ihr privilegierter Partner sind, geschweige denn neue Aspekte der Partnerschaft, zum Beispiel, Arbeitsmigranten.
Als Präsident Medvedev den Begriff privilegierte Partnerschaft zum ersten Mal gebrauchte, wurde ich wegen des Lärms darum überrascht. Eigentlich wurde dieser Begriff zum ersten Mal etwa vor fünfunddreißig Jahren gebraucht. Damit wurden die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Frankreich charakterisiert, aber damals hat niemand deshalb Lärm gemacht.