Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, beim Treffen mit Studenten und Lehrkräften der Universität MGIMO und der Diplomatischen Akademie am 1. September 2017 in Moskau
Sehr geehrter Herr Torkunow,
Sehr geehrter Herr Baschanow,
Liebe Freunde,
Ich möchte erneut aufrichtig bei diesem traditionellen Treffen die Studienanfänger, Dozenten, die Führung der Universität MGIMO und der Diplomatischen Akademie begrüßen. Doch in erster Linie die Studenten des ersten Studienjahres, die heute eine neue Etappe des selbstständigen Lebens beginnen und in die Reihe jener kommen, die ihr Leben dem Beruf der internationalen Angelegenheiten widmen wollen, unabhängig davon, in welchen internationalen Bereich – ob Diplomatie, Geschäft, Journalistik bzw. internationale Beziehungen. Jetzt gibt es sehr viele Berufe, die ohne den internationalen Faktor nicht vollwertig sein können.
Ich wohnte gerade der feierlichen Versammlung am ersten Schultag des Jewgeni-Primakow-Gymnasiums im Gebiet Moskau bei, wo über die Bedeutung gesprochen wurde, die in unserem Land der jungen Generation beigemessen wird. Anscheinend ist dieses Thema in diesem Saal angemessen, weil in einiger Zeit gerade sie die Verantwortung für die Gewährleistung der Entwicklung unseres Landes, den Schutz seiner Interessen in der internationalen Arena übernehmen sollen. Eine unbedingte Bedingung dafür, dass sich das Land effektiv entwickelt, ist die Gewährleistung der maximal günstigen äußeren Bedingungen mithilfe einer verantwortungsvollen, selbstständigen, auf nationale Interessen ausgerichteten Außenpolitik. Wir folgen kontinuierlich diesem Kurs.
Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, hob mehrmals hervor, dass was wir jetzt in Form der Konfrontation sehen, die Versuche, sich zu isolieren, das ist nicht unsere Wahl. Wir sind offen für die Kooperation mit allen, die dazu bereit sind, doch natürlich auf Grundlage des gegenseitigen Respekts, Gleichberechtigung, Berücksichtigung der Interessen voneinander, Einhaltung des Völkerrechts im ganzen Umfang und nicht nur im Teil, der heute den konjunkturbedingten Bestrebungen eines jeweiligen Partners entspricht.
Russland verfügt über eine einmalige geostrategische Lage, ein bedeutendes militärtechnisches und wirtschaftliches Potential, den Status eines ständigen Mitglieds des UN-Sicherheitsrats und ist dank all diesen Faktoren eines der wichtigsten Zentren der menschlichen Zivilisation. Wir bewiesen mehrmals in unserer Geschichte, dass wir imstande sind, die Aufgaben der inneren Entwicklung zu lösen, eigene Souveränität effektiv zu verteidigen und bei Bedarf die Rechte unserer Mitbürger im Ausland zu verteidigen, die Stütze für Verbündeten zu sein. Die Geschichte zeigte mehrmals, dass es nicht geschafft wird, uns einem fremden Einfluss zu unterordnen. Doch diese Lehren werden nicht von allen gezogen.
Es ist kein Geheimnis, dass unsere selbstständige Politik einem bedeutenden Teil der politischen Elite im Westen, wie man sie nennt, nicht gefällt. Dort will man mit einem gehorsamen Russland zu tun haben, das zu Zugeständnissen zum Nachteil für sich selbst bereit ist. Daraus ergibt sich das Streben, uns dafür zu bestrafen, dass wir unseren legitimen Platz in internationalen Angelegenheiten und in der Welt verteidigen. Sie wissen wohl, wie solche Versuche erfolgen. Es werden verschiedene Instrumente des Abschreckens, Sanktionen, Informationskriege genutzt, die darauf gezielt sind, unsere prinzipielle Herangehensweisen zu verschiedenen internationalen Problemen zu verzerren und den Kurs bei internationalen Angelegenheiten anzuschwärzen.
Es ist gut bekannt, wer in der Tat in den letzten Jahren die grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts verletzte – die souveräne Gleichheit der Staaten, Verpflichtungen, sich in ihre inneren Angelegenheiten nicht einzumischen und alle Streitigkeiten auf dem friedlichen Wege zu lösen. Das alles gehört zur UN-Charta. Wir wissen, wer die Verpflichtungen in der OSZE, Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verletzte, Jugoslawien, den Irak und Libyen bombardierte, den Chaos in der Region des Nahen Ostens und Nordafrikas verbreitete, die Möglichkeit den terroristischen internationalen Gruppen zu entwickeln, wonach sich Al-Qaida, ISIL und Dschebhat an-Nusra bildeten, die jetzt die Hauptfeinden der ganzen Menschheit sind.
Russland tritt immer gegen Willkür in der internationalen Arena ein. Vor kurzem haben wir zusammen mit der Volksrepublik China eine Erklärung über die Erhöhung der Rolle des Völkerrechts in den zwischenstaatlichen Beziehungen unterzeichnet und sie als offizielles Dokument der UNO verbreitet. Wir luden zu Diskussionen ein, doch es ist kein Enthusiasmus seitens unserer westlichen Partner zu erkennen, obwohl wir weiter im Interesse der Stabilisierung der Weltordnung arbeiten werden.
Dabei ist wichtig zu verstehen, dass wir weder die Wiederbelebung des Reichs, noch eine geopolitische bzw. noch irgendwelche Expansion anstreben. Alles, was wir wollen, ist unser Leben selbst ohne fremde Anweisungen und unverlangte Ratschläge zu bauen, ohne Versuche, gegen uns befreundete und verwandte Völker aufzuhetzen, mit denen uns mehrere Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte, Kultur, Traditionen und Familienverbindungen verbinden. Dabei drängen wir niemandem Ansichten auf. Wie ich bereits sagte, akzeptieren wir nicht die Logik irgendwelcher Ausschließlichkeit nach dem Prinzip - „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“.
Wir sehen, dass viele im Westen eine offensichtliche Sache nicht akzeptieren können – die postbipolare Etappe ist zu Ende. Die Pläne, sie mit der Machtübernahme durch Hegemon zu ersetzen, sind gescheitert. Heute läuft der Prozess der Entstehung einer neuen, gerechteren und demokratischeren polyzentrischen Weltordnung. Ihr Wesen besteht in der Entstehung und Festigung neuer Zentren der Wirtschaftsstärke und des damit verbundenen politischen Einflusses. Indem man sich nach eigenen nationalen Interessen richtet, wollen die Länder und wiederbelebende Machtzentren an der Bildung der internationalen Tagesordnung teilnehmen, damit sie ihre Interessen widerspiegelt, und seinen Teil der Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Stabilität auf verschiedenen Ebenen übernimmt. Die Multipolarität ist de facto die Verkörperung der kulturell-zivilisatorischen Vielfalt der modernen Welt, Wunsches der Völker, selbst ihr Schicksal zu bestimmen, das natürliche Streben nach Gerechtigkeit, so wie dies jene sahen, die die UN-Charta schrieben. Indem man sie wieder liest, versteht man, dass jene, die mehr Gerechtigkeit in globalen Angelegenheiten wollen, nichts Außergewöhnliches bitten.
Das Streben einer kleinen Gruppe westlicher Staaten, die Hoffnungen der Völker zu ruinieren, indem man zum Diktat und Gewaltanwendung unter Umgehung des UN-Sicherheitsrats greift, bremst natürlich die Entstehung einer multipolaren Weltordnung, doch dieser objektiver Prozess kann nicht gestoppt werden.
Wir sind von der Alternativlosigkeit der Wiederbelebung der Kultur des Dialogs, Kompromisssuche, Rückkehr zur schöpferischen Diplomatie als Instrument der Abstimmung der allgemein akzeptablen Lösungen überzeugt – in der Politik, in der Wirtschaft, Finanzen, Umwelt. Nur mit der Vereinigung der Anstrengungen mit der ganzen Welt auf Grundlage des Gleichgewichts der Interessen können effektive Lösungen erreicht werden, und das soll nocht nicht verschoben werden.
Die Spannung der letzten Jahre kommt der internationalen Stabilität teuer zu stehen. Besondere Besorgnisse werden durch beharrliche Anstrengungen der Nato zur Änderung der militärpolitischen Situation im euroatlantischen Raum ausgelöst, darunter der Ausbau der Militärpräsenz und der Infrastruktur in den an Russland grenzenden Regionen und natürlich die Schaffung der europäischen Raketenabwehr der USA. Anscheinend ist es jenen verständlich, die solche destruktive Handlungen initiieren, dass wir unter jeder Entwicklung die Souveränität und Sicherheit des Landes gewährleisten können. Doch als verantwortungsvolles Land sind wir den Erklärungen treu, die in den letzten 20 Jahren in der OSZE, Russland-Nato-Rat verabschiedet wurden. Wir alle wollen den Raum einer gleichen Sicherheit im euroatlantischen Raum und Eurasien bilden, niemand von uns wird seine Sicherheit auf Kosten der Einschränkung der Sicherheit der Anderen stärken. Leider blieben diese Erklärungen auf Papier in Form der politischen Versprechen. Unsere Versuche, sie juridisch verpflichtend zu machen, wurden von westlichen Ländern abgelehnt. Ich bin davon überzeugt, hätte es dies nicht gegeben und wäre die untrennbare Sicherheit tatsächlich juridisch verbindlich gewesen, hätte es viele Konflikte in Europa seit langem nicht mehr gegeben. Ich denke, das betrifft Transnistrien-, Bergkarabach und Kosovo-Konflikte. Beim Vorhandensein der juridisch verpflichtenden Normen der gleichen Sicherheit konnte man seit langem die Nichtanwendung der Gewalt in Transkaukasien vereinbaren, was wir seit langem anstreben. Es hätte wohl nicht die Ukraine-Krise gegeben, wenn wir alle die Verpflichtungen respektiert hätten, die in der OSZE übernommen wurden – der gleichen und unteilbaren Sicherheit.
Allerdings werden wir weiterhin die Vereinigung der Anstrengungen aller Länder im euroatlantischen Raum und in der ganzen Welt zur Abwehr der allgemeinen schrecklichen Bedrohungen anstreben, vor allem der Bedrohung des internationalen Terrorismus. Wir helfen der legitimen Regierung, Terroristen zu beseitigen, und fördern den allgemeinsyrischen politischen Prozess, arbeiten mit allen Seiten und fördern nicht die äußere Einmischung, ausgehend davon, dass das Schicksal des Landes von Syrern selbst bestimmt werden soll. Auf Grundlage dieser Prinzipien arbeiten wir auch mit allen Teilnehmern der Krisen in Libyen, Irak, Jemen zur Lösung der vor diesen Ländern stehenden Probleme. Wir bieten Hilfe bei der Wiederaufnahme der palästinensisch-israelischen Verhandlungen an, fördern Initiativen über nationale Versöhnung in Afghanistan, bei der friedlichen Regelung des Atomproblems der Koreanischen Halbinsel.
Einen langfristigen Charakter hat die Umsetzung der Initiative des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, zur Bildung der Großen Eurasischen Partnerschaft, die die Aufnahme einer offenen handelswirtschaftlichen Kooperation der Teilnehmerländer der EAWU, SOZ, ASEAN und in der Zukunft auch anderer Staaten Asiens und Europas, im Interesse der Bildung eines einheitlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifischen Ozeans vorsieht. Das ist eine alte Idee, doch jetzt unter Berücksichtigung des Interesses in den internationalen Integrationsgruppen, kann sie sich in konkrete Taten verwandeln.
Wir hoffen, dass der gesunde Verstand und die politische Weisheit ermöglichen werden, unsere Beziehungen mit der EU und ihren Mitgliedern auf Grundlage der wahren guten Nachbarschaft, Voraussagbarkeit und Offenheit wiederherzustellen.
Was einen weiteren unseren Nachbarn betrifft – die USA, wie der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin sagte, suchen wir nicht nach Streitigkeiten mit diesem Land und waren immer freundschaftlich gestimmt zum US-Volk. Jetzt sind wir offen zu einem konstruktiven Zusammenwirken – dort, wo es den russischen Interessen entspricht. Wir wollen aufrichtig, dass die bilaterale politische Atmosphäre normal wird. Doch bekannt ist, dass für einen Tango zwei Personen vonnöten sind. Bislang zeigen unsere US-Partner wieder immer individuellen Breakdance.
Wir werden im Ganzen weiterhin eine positive Tagesordnung, gegenseitig respektvolle Herangehensweisen fördern, nach Kompromissen suchen und sie finden. Gerade so entwickeln wir unser Zusammenwirken in der EAWU, OVKS, GUS, SOZ, BRICS und auf bilateraler Grundlage mit den Ländern aller Kontinente.
Danke. Ich bin bereit, ihre Fragen zu beantworten.
Frage: Im Juli haben sich Russland, die USA und Jordanien auf die Errichtung einer Deeskalationszone im Südwesten Syriens geeinigt, waren aber auf harte Kritik seitens Israels gestoßen. Worauf ist Ihrer Meinung nach die Reaktion dieses Landes zurückzuführen?
Sergej Lawrow: Ich würde nicht sagen, dass dieser Beschluss zu einem gewissen Schritt in Richtung Ignoranz von Sicherheitsinteressen Israels wurde. Als sich dieser Beschluss in der Vorbereitungsphase befand, so wurden neben den trilateralen russisch-jordanisch-US-amerikanischen Kontakten die israelischen Partner darüber informiert, in welcher Richtung sich diese Arbeit bewegt. Nach dem Abschluss des ersten Teils dieser Arbeit (der Modalität des konkreten Funktionierens und der Beobachtung von dieser Zone. Die Beobachtungen von der Einhaltung des Waffenstillstands und der Zustellung der Hilfsgüter müssen noch vereinbart werden, aber die Zone funktioniert bereits) haben wir gehört, darunter während des Treffens des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit dem Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, in Sotschi, dass Israel nach wie vor über seine Sicherheit besorgt ist, und wir verstehen das sehr gut. Immer gehen wir in allen unseren Diskussionen über das Nahostproblem - syrisches, libanesisches oder palästinensisch-israelisches - davon aus, dass in jeder Vereinbarung (leider gibt es sie nicht viele) die Sicherheitsinteressen Israels, wie auch aller anderen Länder gewährleistet werden müssen. Wir haben unsere israelischen Kollegen versichert, dass wenn sie irgendwelche Befürchtungen um ihre Sicherheit haben, so müssen diese Befürchtungen jeder Grundlage entbehren, weil wir fest daran glauben und alles darauf setzen, dass nichts passieren wird. Als Bestätigung, dass es so ist, gibt es den Kommentar von Benjamin Netanjahu als Antwort auf das Ammenmärchen einer israelischen Zeitung darüber, dass sein Treffen mit Wladimir Putin schlecht endete. Er bezeichnete es als absolute Unwahrheit. Das ist wahrscheinlich die beste Antwort auf Ihre Frage.
Frage: Noch Kaiser Nikolaus I. sprach im Gespräch mit dem Botschafter Frankreichs, dass sein Bruder ihm die äußerst wichtigen Akte, darunter die Ost-Akte, vermacht hatte. Henry Kissinger hebt auch hervor, dass die Ereignisse im Osten, insbesondere in Syrien, eine schreckliche Tendenz zum Zerfall der Staatlichkeit und zu den ständigen Streiten und Kriegen zeigen. In dieser Region spielen die Nahostmächte, unter anderem Katar, eine Schlüsselrolle. Wie wirkt sich Ihrer Meinung die syrische Frage auf die Entwicklung der bilateralen russisch-katarischen Beziehungen aus?
Sergej Lawrow: Man muss sich nicht wundern, dass diese explosiven Regionen, wie der Nahe Osten, der Balkan, die verschiedene externe Akteure anlocken (es geht sowohl um die Nachbarländer, als auch um die entfernten Länder) viele Jahrhunderte im Fokus der Weltpolitik bleiben. Wir haben sehr gute Beziehungen mit allen Ländern der Region, darunter mit den Staaten des Persischen Golfs, wie arabische und dem Iran, mit denen wir vertrauensvolle Beziehungen aufbauen. Dabei stützen wir auf den Wunsch, konkrete Interessen zu verstehen, die unsere Partner in dieser oder jener Situation fördern. Wir sind nicht mit denjenigen einverstanden, die sagen, dass die Grenzen dieses oder jenes Landes in dieser Region geschlossen werden müssen, damit es keinerlei Einfluss auf jemand ausüben kann. Das ist unrealistisch. Ein beliebiges Land – großes oder kleines – hat in der modernen Welt seine eigenen Interessen, die durch seine Grenzen nicht beschränkt werden können. Es wird immer das Interesse geben, mit Landsleuten, den Stammesgenossen derselben Konfession, der du angehörst, zu arbeiten.
Vor kurzem fand unsere Reise nach Kuwait, Katar und in die VAE statt. In ein paar Tagen reisen wir nach Saudi-Arabien und Jordanien. Mit diesen Ländern pflegen wir gute Beziehungen.
Spricht man von der Syrienkrise und ihrem Einfluss auf unsere Beziehungen mit Katar, so haben wir seit dem Zeitpunkt, als die Administration von Barack Obama mit der Umsetzung der im September 2016 mit John Kerry erreichten Vereinbarung nicht vorankommen konnte (das ist darauf zurückzuführen, dass sie ihr Versprechen, Banditen aus "Dschabhat al-Nusra" von der normalen Opposition zu trennen, nicht halten konnte), verstanden, dass wir nach vertragsfähigen Partnern suchen müssen. Als diese erwiesen sich die Türkei und der Iran. Wir haben mit ihnen den Beginn des Astana-Prozesses vereinbart, dem sich Jordanier und die USA, schon bei der Administration von Donald Trump, als Beobachter angeschlossen haben. Dieser Prozess funktioniert aktiv. In seinem Rahmen wurde die Konzeption der Errichtung von Deeskalationszonen gebilligt. Sie wird derzeit umgesetzt.
Über die südwestliche Deeskalationszone haben wir bereits eben gesprochen. Es wurden zudem die Zonen in Ost-Ghouta und in der Region um Homs errichtet, in denen derzeit alles in geregelte Bahnen gebracht wird – dort werden die Fragen zum Patrouillieren, zur Beobachtung und Zustellung von Hilfsgütern gelöst. Das Außenministerium und das Verteidigungsministerium Russlands bitten die internationalen humanitären Organisationen mit Nachdruck, nicht mit der Hilfssendung unter dem Deckmantel der erfundenen Probleme mit der Regierung von Baschar al-Assad zu zögern. Es gibt keine Probleme – die Sicherheit wird gewährleistet. Das Problem besteht darin, Hilfsgüter unmittelbar in diese Zonen durch die Strecken zu senden, die am effektivsten sind. Unsere Partner versuchen jedoch, die „grenzüberschreitenden" Strecken zu behalten, die von den Territorien der Türkei und Jordaniens bei der fehlenden Kontrolle seitens der UN-Mitglieder genutzt wurden. Dort ist es physikalisch schwierig, das zu gewährleisten, und es ist wichtig, zu verstehen, was für Güter befördert werden. Ich bin überzeugt, dass die meisten Güter humanitär sind. Im Hinblick darauf, dass in den Ländern der Region verschiedene unter keiner Kontrolle stehende Gruppen agieren, kann es auch Missbräuche geben. Wir wollen es vermeiden.
Als wir angefangen haben, mit dem Iran und der Türkei im Astana-Format zusammen zu arbeiten, so haben wir unsere arabischen Kollegen in der Region gefragt, ob ihnen dieses Format passt. Katar und Saudi-Arabien haben uns gesagt, dass ihre Herangehensweise zur syrischen Regelung durch die Türkei repräsentiert wird, aber parallel führten wir einen bilateralen Dialog mit Er-Riad und Doha. Mein derzeitiger Besuch hat bestätigt, dass wir mit Katar einige Nuancen bei der Herangehensweise haben – wir stehen den regierungsfreundlichen Kräften nahe und sie den Oppositionskräften. Aber den Wunsch, den Krieg zu beenden, das Verständnis für die Wichtigkeit der Nutzung von Deeskalationszonen zu diesen Zielen und für den Aufbau eines direkten Dialogs zwischen allen nicht terroristischen bewaffneten Einheiten und der Regierung haben wir beide. Die katarischen Kollegen bestätigten uns die Notwendigkeit, den säkularen Charakter des syrischen Staates zu gewährleisten, in dem alle ethnokonfessionelle Gruppen gleichen Rechte haben und identisch geschützt werden.
Ich werde wiederholen, die leichten Partner sind wohl nirgendwo zu finden, aber, wenn du deinem Gesprächspartner zuhörst und dich darum bemühst, ihn zu erhören, so erwidert er. Dann findet ihr zusammen Lösungen, mit denen man vorwärts kommt. Es ist viel schwerer, aber dafür millionenfach produktiver, als von allen zu fordern, sich deiner Meinung zu unterwerfen. Und für diejenigen, die sich nicht unterwerfen, ohne diplomatische Diskussionen führt man dann Sanktionen ein.
Frage: Welche Eindrücke haben Sie von Ihrer ersten ausländischen Dienstreise?
Sergej Lawrow: Nachdem ich meine Universität abgeschlossen hatte, fuhr ich als Verwaltungsassistent in Dienstreise nach Sri Lanka zur Botschaft von Colombo. Als das Flugzeug gelandet war (zur Botschaft flogen mehrere Menschen, darunter die diensthabenden Kommandanten), wurden wir von den Mitarbeitern der Botschaft und einem Fahrer empfangen. Wir fuhren bei der Dunkelheit. Die Frösche quakten, die Zikaden sangen. Nach 20 Minuten haben wir gefragt, ob es bis zur Stadt noch lange ist. Als Antwort bekamen wir: wir sind schon in der Stadt.
Ich habe vier Jahre in diesem schönen Land verbracht, kurz nach dem Ende des dortigen Bürgerkriegs. Die Natur in Sri Lanka ist wunderschön. Es gibt prächtige Stränden, Bergregionen. In diesem Land gibt es auch natürlich interessante historische Denkmäler: die alte Stadt Kandy, Nuwara Eliya, der Berg Adam’s Peak. Im Land war gerade der Bürgerkrieg beendet worden, und vieles war dort noch nicht in Ordnung.
Zum zweiten Mal kam ich nach Sri Lanka vor etwa vier Jahren. Mir kamen die Erinnerungen hoch. Mir hat es gefallen, dass sich das Land gut entwickelt und schöner wird. Für uns war es wichtig, dass die neue Botschaft Russlands fertiggebaut wurde. Mit dem Bau der Botschaft wurde 1973 begonnen. Bauruinen sind leider auch für unsere ausländischen Partner charakteristisch (allerding gab es dort bürokratische Schwierigkeiten). Die Botschaft ist schön, und ich freue mich darüber.
Die erste Dienstreise ist immer eine neue Welt, du bekommst neue Freunde. Bei Dienstreisen kommunizierst du viel und sollst im Idealfall nicht nur Spaß vom Umgang mit den ausländischen Partnern haben, sondern auch verstehen, wie es dir helfen wird, das darzulegen, was von dir deine Berufspflichten fordern.
Frage: Es ist bekannt, dass Frankreich seit der Gründung der EU eine bedeutsame Rolle im Schicksal der Europäischen Union spielte. Wird sich der Entwicklungsweg der EU mit dem neuen Anführer Frankreichs ändern?
Sergej Lawrow: Der französische Präsident Emmanuel Macron verspricht dies. Er sagt, dass er bald konkrete Ideen haben wird, um Europa aufzurütteln und wiederzubeleben. Dabei setzt er auf ein aktives Interesse an der Lösung der Probleme und der Überwindung von Schwierigkeiten mit Brexit und, um es direkt zu sagen, mit der Vorherrschaft der Brüsseler Bürokratie, was sowohl bei offenen Kritikern der EU-Kommission, wie Polen, Ungarn und einer Reihe anderer Länder, sondern auch bei Deutschland und Frankreich auf Unmut stößt. Das ist klar: Deutschland ist das mächtigste Land, und wahrscheinlich soll es darin widergespiegelt werden, wie die EU funktioniert und wie dort Beschlüsse gefasst werden. Wer wirtschaftlich, politisch und finanziell stärker ist, so kann er ganz berechtigt darauf Anspruch erheben, dass seine Stimme lauter und wichtiger wird. Jedoch halten die EU-Kommissare sich für die wichtigsten Personen und deshalb trauen sie sich zu, die nationalen Regierungen zu ignorieren, wie jetzt mit dem Projekt „North Stream 2“ geschieht. Es gibt einen offiziellen Schlussbericht von einem juristischen Dienst der EU-kommission, in dem geschrieben steht, dass das Projekt auf keine Weise gegen die in der Europäischen Union geltenden Regeln verstößt und darüber nicht weiter abgestimmt werden muss. Einige EU-Kommissare sagen aber, dass das ihr juristischer Dienst gesagt hat, aber sie selbst werden anders denken. Das ist ein Beispiel dafür, wie die Handlungen Brüssels als Bremse auf dem Weg zur Umsetzung der beiderseitig vorteilhaften Projekte wahrgenommen werden.
In den letzten Jahren war Frankreich von außenpolitischen Initiativen umgeben und widmete wenig Aufmerksamkeit für Europa, indem es quasi die Führung an Berlin übergeben hat. Jetzt sagte der Präsident Emmanuel Macron, dass es wichtig ist, das deutsch-französisches Bündnis zu bewahren und es ausgewogener zu machen. Das ist sein Beschluss. Wir werden beobachten und Schlussfolgerungen daraus ziehen, da es uns nicht gleichgültig ist, wie sich die EU entwickelt. Wir wollen die EU einheitlich und stark sehen. Sie soll sich auch auf die Prinzipien des zwischenstaatlichen Umgangs stützen, auf die immer in normalen Situationen zurückgegriffen wurde: Gleichberechtigung, gegenseitige Achtung und Suche nach einem Interessenausgleich.
Frage: Es sieht so aus, dass Washington den russischen diplomatischen Besitz in den USA als „Scheidemünze" betrachtet. Stimmt das? Wenn ja, was wollen sie im Gegenzug bekommen?
Sergej Lawrow: Ehrlich gesagt will ich das nicht kommentieren.
Wir beobachten irgendwelche Anfälle, die mit der Ausschließlichkeit, die der US-Präsident Barack Obama ständig betonte, verbunden sind. Dabei zeigte er arrogant auf den Platz, die seiner Ansicht nach alle anderen Länder nehmen sollen.
Die Sanktionen gegen Russland haben noch 2013 begonnen, lange vor den ukrainischen Ereignissen. Es wurden verschiedene Anlässe erdacht. Es wurde aus der Geschichte um die Tragödie mit dem Juristen Sergej Magnitski eine Staatsaktion gemacht. Jetzt kommen interessante Tatsachen an den Tag. Und diejenigen, die aus diesem Skandal eine Staatsaktion gemacht haben und anhand deren Sanktionen eingeführt wurden, bemühen sich, zu vertuschen, auf Gerichte Einfluss auszuüben, in denen die Klagen gegen William Browder, dessen Schwindelgeschäfte nach der Überzeugung unserer Ermittler zum Tod von Sergei Magnitski geführt haben, geprüft werden. Danach folgten weitere Sanktionen. Uns wurde übel genommen, dass sich Edward Snowden dazu entschieden hat, nicht dorthin zu fliegen, wo ihm eine Todesstrafe drohte, und uns um ein Asyl aus humanitären Gründen zu bitten. Barack Obama sagte 2013 sogar seine Reise nach Moskau ab, die kurz vor dem G20-Gipfel in Sankt Petersburg vereinbart worden war.
Die Unfähigkeit, die Realität wahrzunehmen, ist sehr charakteristisch für die Administration von Barack Obama. Edward Snowden bat um ein politisches Asyl in Russland, während in den USA Millionen von Menschen um ein politisches Asyl bitten. Und einige werden sogar entführt, und ihnen wird alles Mögliche vorgeworfen. Edward Snowden hat nach den US-Gesetzen wohl gewisse gesetzwidrige Handlungen begangen, aber die USA haben an uns nie jemand ausgeliefert, als das die Menschen waren, die Verbrechen in Russland begangen haben. Er hat in Russland gegen nichts verstoßen und uns darum gebeten, ihn vor der US-Justiz zu schützen, die ihn zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilen konnte. Noch eine wichtige Tatsache – als Edward Snowden aus Hongkong nach Moskau flog, um weiter seinen Flug nach Lateinamerika fortzusetzen, wurde ihm sein Reisepass annulliert. Nach allen Gesetzen, darunter den internationalen, hatten wir kein Recht, ihn aus dem Flughafen herauszulassen, in dem sich sein Schicksal über das Asyl entschieden hat.
Wahrscheinlich hatte der US-Präsident Barack Obama irgendwelche Komplexe, die in seiner Unfähigkeit zur Geltung kamen, die Vereinbarung zu der syrischen Regelung nicht zu erfüllen. Die Amerikaner haben sich einfach als unfähig erwiesen, das zu tun, was vereinbart wurde und ihren Interessen entsprach. Vielleicht wollten sie nicht oder erwiesen sie sich als unfähig, "Dschabhat al-Nusra“ zu trennen und mit ihr die Zusammenarbeit einzustellen. Unsere Verdächtigungen haben sich immer darum gedreht, dass sie auf diese Kooperation für den Sturz des Regimes von Baschar al-Assad zurückgreifen wollen. Die Tatsachen liegen auf der Hand, dass sie nicht gegen "Dschabhat al-Nusra kämpfen und ihr Versprechen, sie zu isolieren, nicht erfüllt haben.
Kann sein, dass wegen der Frustration infolge der Außenpolitik und der Niederlage der demokratischen Partei auf den Präsidentschaftswahlen Barack Obama meiner Meinung nach einen absolut unanständigen Schritt begangen hat: er hat 35 russische Diplomaten einen Tag vor dem Silvester vor die Tür gesetzt, mit Familien sind das mehr als 100 Menschen. Das hieß, dass sie auf den erst in drei Tagen geplanten direkten Flug Moskau-Washington verzichten und mit den Kindern nach New York über 500 Kilometer unter den nicht sehr einfachen Bedingungen, mit dem Gepäck und anderen Sachen fahren mussten. Das war nicht gerade barmherzig, besonders seitens des Nobelpreisträgers der Welt. Den Menschen wurden absichtlich Bedingungen geschaffen, bei denen sie den physischen und Haushaltsproblemen ausgesetzt wurden: für die Ausreise erhielten sie nur zwei Tage Zeit, deswegen mussten sie dringend ihre Sachen packen und ausreisen. Natürlich hat die russische Führung dorthin einen Sonderflug organisiert, damit sie alle unter menschlichen Bedingungen ausreisen konnten.
Darüber hinaus haben die Amerikaner den russischen Besitz gepfändet und im Grunde genommen verstaatlicht. Wir dachten, dass die jetzige Administration den gesunden Menschenverstand zeigen kann, aber leider haben das die Russophoben im Kongress nicht zugelassen, indem sie das Gesetz verabschiedet haben, das besagt, dass der gepfändete russische Besitz nur mit dem "Segen" des Kongresses zurückgegeben werden kann. Bei der aktuellen Zusammensetzung des Kongresses und der antirussischen Hysterie ist das praktisch unmöglich. Das Geschehene verletzen auch die US-Gesetze, da es sich um unser Eigentum handelt, und in den USA kann es nur nach einem Gerichtsurteil beschlagnahmt werden. Aber davor machen sie keinen Halt – sie haben ein spezifisches Verständnis für das Wesen eines Rechtsstaates.
Wie Sie wissen, haben wir absolut angemessen geantwortet. Wir haben keine übermäßigen Schritte gemacht und die amerikanische US-Seite darum gebeten, die Zahl der russischen und amerikanischen Diplomaten von beiden Seiten in Übereinstimmung zu bringen. Wir haben auch die bilateralen diplomatischen Missionen in den USA und die UN-Vertretung Russlands (obwohl sie nichts mit den russisch-amerikanischen Beziehungen zu tun hat und nicht vom Weißen Haus, sondern vom UN-Generalsekretär akkreditiert ist) in die Zahl der russischen Diplomaten edelmütig aufgenommen, und das sind mehr als 150 Menschen. Das heißt, dass wir den Amerikanern erlaubt haben, 150 Mitarbeiter beizubehalten, die sich mit den bilateralen Fragen in Russland befassen, im Vergleich zu unseren Mitarbeitern, die sich mit den ähnlichen Fragen in den USA beschäftigen. Wir meinten, dass es gerecht ist. Zudem haben wir sie darum gebeten, die Nutzung des Eigentums zu verzichten, das sich nicht mit den Komplexen bei Washington und New York messen kann. Dort gibt es wichtige Objekte, wo man sich erholen, ausländische Gäste empfangen und Sport treiben kann. Hier aber gibt es ein kleines Territorium in Serebrjany Bor und ein kleines Lagerhaus, wo sie etwas aufbewahrt haben.
Bezüglich dessen, was der US-Außenminister Rex Tillerson mir mitgeteilt hat und was in der Note beschrieben wurde, so habe ich ein zwiespältiges Gefühl demgegenüber. Sie wollten sich offenbar irgendwie an unserer Logik halten, dass 455 Diplomaten eine Parität ist, und fingen an, auf diese Logik zurückzugreifen, indem die Zahl der russischen Generalkonsulate in den USA um ein Konsulat verringert wurde. Wir hatten Generalkonsulate in New York, San Francisco, Seattle und Houston. Es ist eine alte Geschichte, weil die USA zu Sowjetzeiten auch vier Generalkonsulate hatte: in Sankt Petersburg, Jekaterinburg, Wladiwostok und Kiew. Als sich die Sowjetunion aufgelöst hatte, wurde Kiew nicht mehr der Ort, wo sich das amerikanische Generalkonsulat in Russland befindet, und wir haben den USA vorgeschlagen, das vierte Generalkonsulat in unserem Land zu eröffnen. Sie haben gesagt, dass ihnen auch drei ausreichen, und haben auf das vierte Konsulat verzichtet. Hier ist die Rede natürlich von der Parität, aber sie bleibt dennoch spezifisch, da, wie ich gesagt habe, wir die Mitarbeiter der UN-Vertretung Russlands in die Zahl der Diplomaten aufgenommen haben. Jetzt spreche ich darüber und verstehe, dass ich bei diesem Thema nicht ins Detail gehen will.
Ich will hervorheben, dass die Schließung des Generalkonsulats in San Francisco, auch mit einer Forderung begleitet wurde, es in zwei Tagen zu verlassen. Wir haben den Amerikanern einen Monat dafür gegeben, damit sie die Anzahl ihres Personals mit der Anzahl unseres Personals in den USA in Übereinstimmung bringen, und unsere 35 Personen mit Familien wurden nach zwei Tagen vor die Tür gesetzt und jetzt fordern sie, auch in zwei Tagen das Generalkonsulat zu schließen. Allerdings haben sie gesagt, dass diejenigen, die im Generalkonsulat und noch an anderen zwei Orten arbeiten und sich hauptsächlich mit Wirtschaftsfragen in Washington und New York befassten, nicht unbedingt ausreisen müssen, wenn sie nicht wollen. Sie können in andere unsere ausländischen Institutionen – in die Botschaft in Washington und ins Generalkonsulat in Seattle und New York versetzt werden.
Wir haben erst in der Nacht eine ausführliche Note bekommen. Wir befassen uns damit und werden reagieren, sobald wir die Analyse abschließen. Ich will sagen, dass diese ganze Geschichte mit dem Austausch von Sanktionen nicht von uns, sondern von der Administration von Barack Obama begonnen wurde, um die russisch-amerikanischen Beziehungen zu untergraben und Donald Trump nicht zuzulassen, als Präsident konstruktive Vorschläge zu unterbreiten, ihm die Erfüllung seiner Wahlaussagen über die notwendige Normalisierung der Beziehungen zu Russland maximal zu erschweren. US-Präsident Donald Trump wiederholt auch jetzt diese Aussagen. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte mehrmals, dass wir ebenfalls daran interessiert sind, doch die gegenseitig respektvolle Bewegung soll gegenseitig sein. Wir sind dazu bereit. Das Gespräch zu diesem Thema wird fortgesetzt, unabhängig davon, wann und wie wir reagieren werden.
Frage: Im fünften Jahr der WTO-Mitgliedschaft Russlands wurde in der Staatsduma der Föderalversammlung der Russischen Föderation ein Gesetzentwurf über die Kündigung des Protokolls über den Beitritt Russlands zum Abkommen eingereicht. Wie denken Sie, welchen Einfluss hat die aktuelle politische Situation auf den wirtschaftlichen Bestandteil der Mitgliedschaft Russlands in WTO?
Sergej Lawrow: Sicherlich ist dieser Einfluss nicht positiv. Wir sagten bereits mehrmals, dass sektorale handelswirtschaftliche Sanktionen, die gegen uns eingeführt wurden, die Prinzipien und den Geist der WTO und der in deren Rahmen abgeschlossenen Abkommen untergraben. Wir sagten auch mehrmals, dass die Pläne zur Schaffung der geschlossenen regionalen handelswirtschaftlichen Blöcke, die noch die Administration von Barack Obama entwickelte, ebenfalls Risiken für ein globales offenes Handelssystem schaffen, das in der WTO verkörpert ist.
Jetzt, wenn wir gezwungen waren, als Antwort auf absolut illegitime Sanktionen der EU und der USA Gegenmaßnahmen zu treffen, entstehen sehr viele Handelsstreitigkeiten, die in der aktuellen Situation schwer zu betrachten sind. Wir treten immer dafür ein, jede Streitigkeiten auf Grundlage der gegenseitig annehmbaren Vereinbarungen außerhalb der Schiedsgerichtsverfahren zu regeln. Das wird nicht immer geschafft. Eine kurze Antwort - „Ja“. Das hilft nicht bei einer effektiven Nutzung der Vorteile, die für Russland eindeutig bei einem normalen Funktionieren aller WTO-Mechanismen existieren.
Frage: Ich bin Staatsbürger der Republik Belarus. Vor kurzem wurde in Polen ein Gesetz verabschiedet, das die Demontage der Denkmäler aus der Zeit der Sowjets, darunter einige hunderte Denkmäler für Soldaten der Roten Armee, die mit dem Preis des eigenen Lebens Polen und das ganze Europa befreiten, vorsieht. Solcher empörende Beschluss ist beleidigend für Russland und andere Länder, die am Kampf gegen Faschismus teilnahmen. Worin besteht Ihnen zufolge der Grund solches Verhaltens Polens? Wie könnten negative Auswirkungen solcher Handlungen verhindert werden?
Sergej Lawrow: Der Grund besteht meines Erachtens in denen, die nationalistische Stimmungen in der polnischen Gesellschaft entfachen und die Geschichte revidieren, den polnischen Nationalismus mit Positionen der Ausschließlichkeit wiederbeleben und die Verantwortung für alle polnischen Probleme auf unser Land abwälzen wollen. Das alles umfasst Veranstaltungen, die jetzt zur Vorstellung des Molotow-Ribbentrop-Paktes als Beginn und realer Grund des Zweiten Weltkriegs organisiert werden, indem daran vergessen wird, als Münchner Abkommen unterzeichnet wurde und die Tschechoslowakei „geteilt“ wurde, Polen sich ein „sehr gutes Stück“ nahm. Dass dies ein ernsthafter Antrieb für das Konfliktpotential in Europa wurde, wird in Polen nicht gesagt. Zudem bevorzugt man, darüber nicht zu sprechen, dass Großbritannien und Frankreich lange vor dem Molotow-Ribbentrop-Pakt ähnliche Vereinbarungen mit Hitler-Deutschland abgeschlossen hatten. Ich werde nicht zur älteren Geschichte greifen, den Zeiten, als Polen die Drei-Meere-Ideen vorantrieb und seinen Einfluss entlang unserer Grenzen festigen wollte, geschweige denn Zeiten, als Polen seine Positionen innerhalb Russlands auf Kosten unserer Gebiete festigen wollte.
Wir haben mit Polen eine gemeinsame Russisch-polnische Gruppe zu schwierigen Fragen. Jede Seite hat das Recht, eigene Sicht zur eigenen Geschichte, Geschichte ihrer Nachbarn und Geschichte ihrer Beziehungen zu anderen Ländern zu haben. Diese Kommission arbeitete ziemlich produktiv. Auf einigen Etappen gab es gemeinsame Artikeln, es gab sogar eine Idee über ein gemeinsames Lehrbuch, das einer bedeutenden Periode der Beziehungen zwischen Russland/Sowjetunion und Polen gewidmet war. Jetzt fror Polen alle Formate unserer Kooperation ein – Kommissionen, die unter Schirmherrschaft der Außenminister und unter Teilnahme anderer Dienste existierten, und viele andere Kanäle. Polen versucht, ein formelles Beibehalten eines Papiers über diese Gruppe zu nutzen, um seine Vorstellungen über die Situation aufzudrängen. In der Situation, wenn das geschieht, womit Sie ihre Frage begannen, ist es absolut inakzeptabel.
Sie wissen, dass Polen viele Probleme mit der Deutung der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs haben, und nicht nur mit uns. Vor kurzem hatten sie Probleme mit Ukrainern, wo auf einem Friedhof in Ljwow von Vandalen Grabstätten geschändet wurden. Die ukrainische Seite fand nichts besseres, als erneut uns vorzuwerfen, dass polnische Grabstätten angeblich von russischen Banditen in Ljwow geschändet wurden.
Ich denke, dass das Einreichen dieser historischen Phantasien in die Realpolitik sehr gefährlich ist. In Polen ist eine eindeutig antirussische Gehirnwäsche der Bevölkerung zu erkennen. Parallele Verkündigungen darüber, dass sie bereit sind, zu kommunizieren, Vorschläge der Treffen, betonen nur, dass das vor diesem Hintergrund einfach unmöglich ist.
Es werden ständig Lügen in Bezug auf die Tragödie verbreitet, die sich im April 2010 ereignete, als das Flugzeug des Präsidenten Polens Lech Kaczyński mit vielen Vertretern der Staatsführung an Bord bei Smolensk stürzte, wobei eine Birke unter schlechten Sichtverhältnissen getroffen wurde, wobei zuvor empfohlen wurde, nicht zu landen. Alles wurde seit langem festgestellt. Jetzt wird versucht, irgendwelche absurde Verkündigungen zu machen, dass Spuren irgendwelcher Explosionsstoffe auf Flügeln des Flugzeugs entdeckt worden seien. Alles wurde seit langem von unseren polnischen Kollegen abgestimmt und visiert.
Ich kann hier kaum etwas hinzufügen. Ich sehe hier die Besessenheit davon, in der polnischen Gesellschaft die Atmosphäre einer vollständigen Inakzeptanz davon zu schaffen, was mit Russland verbunden ist. Das ist schlecht und entspricht gar nicht den Prinzipien, an die sich Polen verpflichtete, als es der UNO beitrat, sowie bei der Schaffung der OSZE. Darauf wird auch in der OSZE aufmerksam gemacht, indem Polen allmählich kritisiert wird. Ich hoffe, wenn das fortgesetzt wird, werden solche ultranationalistische Stimmungen aktiver kritisiert.
Frage: Was die Zukunft der russischen Diplomatie betrifft, was sollte ihre Grundlage zur Umsetzung unseres außenpolitischen Kurses bilden? Gibt es irgendwelche ineffektive Methoden, die ausgeschlossen werden sollen, die nicht mehr aktuell sind?
Sergej Lawrow: Wenn man im politischen Sinne spricht, was politische Methoden betrifft, sagte ich bereits, dass die Methoden des Diktats, Ultimaten und Sanktionen schon vorbei sind. Warum erwähnte ich Sanktionen als Teil der Diplomatie? Wenn jetzt über Nordkorea diskutiert wird, sagen wir und Chinesen, dass alle möglichen Sanktionen ausgeschöpft sind, die darauf gezielt waren, Nordkorea nicht zuzulassen, äußere Verbindungen zur Entwicklung der vom UN-Sicherheitsrat verbotenen Raketen- und Atomprogramme zu nutzen. Alle möglichen Sanktionen, die diese Bereiche Nordkorea kaum direkt betreffen, wurden bereits vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet. Als Zusatz wurden einseitige Sanktionen eingeführt, die wir als absolut illegitim bezeichnen. Falls es Sanktionen des UN-Sicherheitsrats zu einer Frage gibt, die vereinbart wurde, hat ein Teilnehmer dieser Vereinbarung kein moralisches und juridisches Recht, etwas darüber hinaus zu machen. Kollektive Sanktionen als Beschluss des UN-Sicherheitsrats sind verbindlich für alle. Meines Erachtens darf man von solchen Beschlüssen nichts wegnehmen (etwas nicht erfüllen, was vereinbart wurde), doch man darf auch nichts hinzufügen. Wenn wir jetzt mit China sagen, dass die Methoden des Druckausübens ausgeschöpft sind und dazu aufrufen, Bedingungen zu schaffen, um sich an den Verhandlungstisch zu setzen, wird uns gesagt, dass niemand militärische Lösung will (Russland und China akzeptieren natürlich ebenfalls keine militärische Lösung). Doch damit es so etwas nicht gibt, muss die Diplomatie fortgesetzt werden. Auf unsere Frage über ein Mittel wird mit dem Vorschlag geantwortet, zusätzliche Sanktionen einzuführen. Unsere westlichen Partner bezeichnen Sanktionen als Methode eines diplomatischen Instruments. Man soll auf sie verzichten, wie ebenfalls auf Ultimaten.
Für Amerikaner ist es seit langem typisch. Jetzt gewöhnen sich daran auch die Europäer. Sobald sie ihren Vorschlag unterbreiten, der eindeutig einseitig formuliert ist und die Interessen jener nicht widerspiegelt, an die dieser Vorschlag gemacht wird, und wir und andere dabei dazu aufrufen, sich zu setzen, zu besprechen, weigern sie sich, das zu machen, indem man auf Sanktionen als Instrument der Beschleunigung hinweist. So wird jetzt versucht, gegenüber Südsudan zu machen, den die Administration von Barack Obama von Sudan „abspaltete“. Jetzt gefiel den USA etwas im Südsudan nicht und sie wollen gegen diese Republik neue Sanktionen nach dem Prinzip einführen – „ ich mache, was ich will“. Formell ist es eine diplomatische Position, doch dafür gibt es keinen Platz in der Diplomatie.
In der Diplomatie gibt es Platz für Kultur von Konsens, der Suche nach einem Dialog. Wie in jeder Familie, wenn Sie eine nicht sehr gute Laune haben, doch etwas vom Kamerad bzw. Verwandten erreichen wollen, kann man schreien (je danach, ob er Angst vor Ihnen hat oder nicht, kann er zustimmen oder nicht), doch besser ist immer, zu beginnen, eine Vereinbarung zu erreichen. Ich betone nochmals, dass es viel länger ist als Geschrei, doch in den meisten Fällen ist es der einzige Weg.
Falls man das betrachtet, wonach Sie fragten, aus der Sicht der modernen Technologien, sollen sie natürlich erschlossen werden – Soziale Netzwerke, E-mail als Mittel zur Lieferung von Informationen u.a. Mit der Entwicklung der neuen Technologien werden diese Möglichkeiten nur erweitert, doch das wird nie eine direkte menschliche Diplomatie via Kommunikation aus zwei Gründen ersetzen. Erstens gibt es jetzt sehr viele Hacker und Leaks. Sie erfolgen deutlich einfacher in elektronischen Massenmedien. Viele fürchten sich, neuen Technologien zu sehr zu vertrauen, zumindest bei den Fragen, die sensible Aspekte betreffen. Zudem kann die Situation nicht ersetzt werden, wenn man dem Menschen in die Augen sieht und versteht, ob er dir aufrichtig antwortet (und nicht überlegt, wie er auf deinen Tweet reagieren soll).
Was Fehler betrifft, sollen sie in jedem einzelnen Fall individuell betrachtet werden. Jemand machte einst Fehler im UN-Sicherheitsrat und auf der Koreanischen Halbinsel tauchten am Anfang der 50er-Jahre US-Truppen unter Bezeichnung „Truppen der Vereinten Nationen“ auf. Das ist ein konkreter Fehler. Man soll die Geschichte der Diplomatie in jedem konkreten Fall betrachten.
Frage: Im Laufe dieses Jahres beobachten wir alarmierende Angaben über die Stimmungen der neuen US-Administration in Bezug auf den Ausstieg aus Pariser Abkommen. Anscheinend geschieht das, weil diese Abkommen den Interessen der US-Elite nicht entsprechen. Da Sie in Ihrem Auftritt darüber sprachen, und wir seit mehreren Jahrzehnten sehen, dass die Völkerrechtsnormen bzw. die UN-Charta nicht ein Mittel zur Einschränkung ihrer Macht werden, welche Hebel sollen geschaffen werden? Welche Mittel sollen unter anderem gegenüber den USA eingesetzt werden, um die globalen und wichtigen Fragen zu lösen, die für die ganze Menschheit von Interesse sind?
Sergej Lawrow: Ich bin davon überzeugt, dass es nur der Dialog und die Offenheit zum Dialog auf Grundlage der Gleichberechtigung, die Bereitschaft, reale Besorgnisse zu hören, die die USA zum Ausstieg aus Pariser Abkommen bewegen, sowie die Bereitschaft und die Notwendigkeit, reale Besorgnisse jedes Landes zu hören, das sein Verhalten zu einem jeweiligen internationalen Dokument ändert, sein können. Das geschieht nicht zum ersten Mal.
Barack Obama kandidierte mit dem Versprechen, einige konkrete Sachen zu machen – den illegalen Stützpunkt in Guantanamo zu schließen (was nicht gemacht wurde) und unter anderem den Kernwaffenteststopp-Vertrag zu ratifizieren. Das erwähnte er sogar nicht mehr in einigen Jahren, und machte es nicht. Das sind ernsthafte Sachen, vielleicht sogar nicht weniger ernsthaft als Klimaabkommen. Das ist eigentlich eine freiwillige Sache. Darin besteht auch die Kraft der internationalen Verträge und Konventionen – man schließt sich an sie freiwillig an. Das Land, das sah, dass ein Text entsteht, der nicht seine Interessen berücksichtigt, hat das Recht, sich nicht anzuschließen. So schließen sich Viele nicht dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs an. Russland unterzeichnete es und beobachtete lange, wie es funktionieren wird. Danach riefen wir unsere Unterschrift zurück, weil sich der Ankläger inadäquat verhielt, als er sich einfach weigerte, die Beschwerden der Einwohner Südossetiens über Angriffe der georgischen Armee zu behandeln. Stattdessen sagte er, dass er betrachten wird, wie die Einwohner Südossetiens gegenüber Georgier vorgingen, die sie angriffen.
Zurück zum Pariser Dokument. Das ist ein Rahmendokument und nicht ein direktes Dokument. Wir sagten eindeutig bei seiner Unterzeichnung, dass wir die Frage seiner Ratifizierung je danach betrachten werden, wie der Mechanismus zu seiner Umsetzung sein wird. Vorgesehen ist, dass die Unterzeichner nach der Billigung dieser Rahmenvereinbarung Verhandlungen darüber beginnen, was sie konkret bedeuten, darunter wie die Anteile der Reduzierung der Ausstöße sind, wie und von wem sie kontrolliert werden. Das ist das wichtigste, weil es sich um ein konkretisiertes Motto handelt. Dort gibt es keinen Mechanismus seiner Implementierung. Wir werden auf seine Abstimmung warten, sehen, inwieweit er verständlich sein und unseren Interessen sowie Interessen anderer Staaten entsprechen wird. Das ist ein absolutes Recht des Landes, sein Anschluss einer internationalen Konvention „anzuhängen“. Doch man soll unter allen Umständen sprechen und überzeugen. US-Präsident Donald Trump versprach beim Machtantritt, viele Bereiche der Außenpolitik im militärpolitischen, wirtschaftlichen, Handels- und Umweltbereichen nachzuprüfen. Es wird erst die Position der Administration gebildet, sie wird an normaler Arbeit gehindert, man will so machen, dass sie in einem arbeitsunfähigen Zustand bleibt. Einige hundert Beamten des zweiten Niveaus – Stellvertreter der Dienste und niedriger – sind nicht nur nicht ernannt, es wurden sogar keine Kandidaturen in Kongress eingereicht. Es wird versucht, irgendwelche russische Einmischungen, Verbindungen zwischen Donald Trump und seiner Familie mit Russland auszudenken. Bald sind es zehn Monate des Funktionierens dieses Themas in den USA. Es tauchte kurz vor der Abstimmung auf, doch es wurde kein einziger Beweis vorgelegt. Ich denke, dass es beschämend für erwachsene Menschen ist, die hohe Posten der Exekutive, Legislative und Judikative der USA innehaben.
Frage: Das Treffen der Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, und der USA, Donald Trump, war eine der größten Intrigen des G20-Gipfels. Zuvor hatten Sie gesagt, dass sie Klarheit in die künftigen Beziehungen dieser beider Länder bringen wird. Wurden diese Erwartungen erfüllt? Was wird sich in russisch-amerikanischen Beziehungen ändern?
Sergej Lawrow: Ich denke, dass niemand hundertprozentige Klarheit schaffen kann, sogar wenn man sich Million Male trifft. Doch es wurde klarer, dass Donald Trump, wie er selbst mehrmals nach dem Treffen sagte (darunter vor kurzem), an der Normalisierung der Beziehungen zur Russischen Föderation interessiert ist. Das ist der gegenseitige Wunsch. Wir haben gleiche Position. Wir sind bereit, sich mit der Geschwindigkeit und Tiefe zu bewegen, die für die Administration von Trump bequem sein wird. Wir verstehen, dass man sie jetzt zu jedem Anlass „anbraten“ will, Entschuldigung für Jargon. Wir halten es für nicht notwendig, irgendwelche aktive Handlungen in der US-Richtung zu unternehmen, doch wir verstehen, dass man die Administration einfach einschränken will. In diesem Kontext betrachten wir ebenfalls die Sanktionshandlungen, die der US-Kongress US-Präsident Donald Trump aufdrängt (jetzt hat niemand Zweifel daran), Verabschiedung des Gesetzes, der nicht so sehr gegen Russland, sondern vor allem auf das Erreichen des Ziels gerichtet ist – Trump Hände zu binden, ihm nicht zuzulassen, im vollen Umfang seine Verfassungsvollmachten im Bereich Außenpolitik zu nutzen.
Das Leben ist nie einfarbig, es ist immer reicher. Die Dialektik lehrt uns, indem man inakzeptable und feindselige Aspekte bemerkt, Schlussfolgerungen über Reaktion zu machen, doch sie soll so sein, damit man sich selbst als Zusatz zum zugefügten Schaden nicht noch mehr Schaden zufügt. Natürlich werden wir hart auf die Sachen antworten, die uns ohne Grund schaden und die nur mit dem Wunsch verbunden sind, unsere Beziehungen mit den USA zu verschlechtern.
Frage: Wie ist heute die Position und die Rolle Russlands im Bereich internationale Umweltkooperation?
Sergej Lawrow: Ich habe das bereits angeschnitten. Wir sind Teil des Pariser Abkommens, wollen, dass es Konturen bekommt, die darüber beurteilen lassen werden, inwieweit effektiv es umgesetzt wird. Nach dem Zerfall der Sowjetunion, als unsere Industrie am Boden lag und danach sich schwer wiederherstellte, haben wir jetzt solche Menge von Kohlensäuregas, dass wir ohne Stress zum Jahr 2030 nicht nur den notwendigen Anteil erreichen, sondern unsere Kennzahlen deutlich niedriger als diese Quote machen. Unsere Position ist, was den Klimawandel betrifft, sehr fest und fair. Doch ich wiederhole, dass uns die Situation half, als wir in einer tiefen Krise nach dem Zerfall der Sowjetunion waren. Im Prinzip sind wir dafür, dass sich die Wirtschaftskooperation entwickelt und vertieft, doch damit das nicht auf Grundlage irgendwelcher panischer einseitiger Behauptungen und Forderungen, sondern auf Grundlage einer Analyse gemacht wird. Auch zum Klimawandel gab es in der letzten Zeit sehr viele Wissenschaftsartikeln, die den Klimazustand im Laufe von einigen Jahrtausenden analysieren. Ich bin kein Experte in diesem Bereich, doch jene, die die Entscheidung heute treffen, sollen diese Studien kennen. Mir wurde gesagt, dass es Position der Skeptiker gibt, die meinen, dass alle Forderungen der Implementierung neuer kostspieliger Technologien an das „Problem 2000“ erinnern. Vielleicht erinnern sie sich daran, es gab solches „Problem 2000“, als viele Menschen vor der Jahrtausendwende von der Notwendigkeit sprachen, dringend neue Computer zu kaufen, weil die alten mit drei Null nicht funktionieren werden. Jemand verkaufte wohl eine sehr gute Partie von Computern damals. Dann stellte sich heraus, dass die alten Computer die Silvesternacht gut überlebten und wir haben daran vergessen. Allerdings gab es solches Problem.
Ich will nicht sagen, dass dasselbe nun mit dem Klimawandel geschieht. Heute gibt es sehr viele Wissenschaftsanalysen. Als in der Antarktis zugefrorenes Wasser aus einem unterirdischen See entdeckt wurde, machte man ebenfalls Schlussfolgerungen, die die Analyse des Klimawandels im Laufe von Jahrtausenden betreffen. Deswegen sind wir für ein wissenschaftliches Herangehen. Russlands Präsident Wladimir Putin zeigt jetzt das Beispiel des Kampfes gegen Deponien, das gehört auch zur Umwelt. Für uns ist er viel wichtiger, als jetzt zu verstehen, inwieweit wichtig sein wird, unseren Anteil der Ausstöße zu senken. Das Herangehen zur Umwelt soll umfassend sein. Ich kann ihnen zusichern, dass unsere Position bei internationalen Umweltkonferenzen mit viel Respekt wahrgenommen wird, wir haben viele Ideen und Vorschläge, die letzten Endes zum Gegenstand der internationalen Vereinbarungen werden.
Frage: Für viele Studenten sind Sie heute ein Idol, man richtet sich nach Ihnen. Sagen Sie bitte, wer war Ihr Götze als Sie Student waren?
Sergej Lawrow: Es ist anscheinend nicht sehr richtig – ich hatte viele Götzen. Damals wurde kein solches Wort genutzt, doch es gab Menschen, die wir als Vorbild bezeichneten und wollten ihnen ähnlich sein. Beispielsweise Jewgeni Primakow gehört zweifellos dazu. Ich will niemanden beleidigen. Der Götze ist etwas unrealistisches. Und die Menschen, nach denen wir uns richteten – ihre Namen werden ihnen anscheinend nichts sagen, ich werde sie nicht nennen, um jemanden nicht zu vergessen bzw. zu kränken – diese Menschen haben gelehrt, zu arbeiten, als ich nach MGIMO zunächst für einige Monate ins Außenministerium kam und danach nach Sri Lanka fuhr. Ich bin ihnen sehr dankbar, treffe mich bis heute mit vielen von ihnen. Sie haben hier auch Lehrer, die sie für lange Zeit im Gedächtnis beibehalten werden, nachdem sie diese wunderschöne Hochschule erfolgreich abschließen werden.
Frage: Es gab vor kurzem Medienberichte, das Parlament Moldawiens hätte die UNO dazu aufgerufen, den Abzug der russischen Friedenskräfte aus Transnistrien voranzubringen, worauf der Präsident Transnistriens, Wadim Krasnoselski, antwortete, in diesem Fall würde höchstwahrscheinlich ein Krieg ausbrechen. Wie sehen Sie diese Situation? Wie groß ist das Risiko einer Eskalation des Konflikts?
Sergej Lawrow: Ich denke, wir sollten keinen Krieg vorhersagen. Den Krieg will niemand außer den Kräften, die die Vertreter der moldawischen Regierung forderten, als diese die Note von der Notwendigkeit des Abzugs unserer Militärs aus Transnistrien schrieben. Die Kräfte, die die moldawische Regierung auf diese Idee brachten, wollen einen Krieg zwischen uns und der Ukraine, zwischen uns und Moldawien. Dabei geht es um die Politik zur Eindämmung Russlands. Wie in solchen Fällen oft gesagt wird, „nothing personal, just business“. Die Sanktionen und alles andere lassen sich eben darauf zurückführen. Unsere Militärs halten sich in Transnistrien auf Basis der Abkommen auf, die bald nach der Überwindung der „heißen“ Konfliktphase in den frühen 1990er-Jahren – dank der russischen Armee – unterzeichnet wurden. Danach wurde eine entsprechende Abteilung der russischen Armee in die Vereinigte russische Truppengruppierung in Transnistrien verwandelt, und zwar mit dem einzigen Ziel: die kolossale Menge von Munition in den Kolbasna-Lagern zu bewachen. Parallel wurden die Friedenskräfte gegründet, an denen sich ebenfalls unsere Soldaten beteiligten, die für die Stabilität am Dnister sorgen.
Seitdem diese Beschlüsse gefasst wurden, gab es keine einzige Eskalation bzw. Gewaltaktion in Transnistrien. Es gab zwar schwere Zwischenfälle, aber niemals schoss jemand auf jemand. Alle verstanden, dass der Abzug unserer Truppen, die dort die Munitionslager bewachen, davon abhängt, wie erfolgreich die Frage von der politischen Regelung gelöst wird. Denn die Einwohner Transnistriens, als sie einen „heißen“ Krieg mit Moldawien spürten, der gestoppt worden war, erklärten, sie würden nicht zulassen, dass die russischen Militärs und auch die Waffen abgezogen werden, solange sie nicht die Rechte bekommen, die vereinbart worden waren. Friedliche Einwohner legten sich buchstäblich auf Bahngleise hin.
Als 2003 der geplante Regelungsprozess begann, dem zufolge Transnistrien einen Sonderstatus im Rahmen des unteilbaren Moldawiens bekommen sollte, wurde während der Vorbereitung dieses Abkommens die Hälfte der ganzen dort gelagerten Munition ausgeführt, und alles war normal. Und man hätte auch alles andere ausführen können, wenn der damalige Präsident Moldawiens, Wladimir Woronin, sich nicht geweigert hätte, das bereits paraphierte Abkommen zu unterzeichnen, nachdem er einen Anruf aus Brüssel bekommen hatte. Das ist allgemein bekannt.
Das ist der Grund, warum sich dort unsere Militärs befinden, die dieses Territorium verlassen, sobald die Bedingungen für die Ausführung dieser tödlichen Munitionsvorräte geschaffen worden sind. Die Personen, die Moldawien jetzt zu diesen Konfrontationsschritten provozieren, behindern absichtlich die Arbeit der 5+2-Gruppe, die unter der Ägide der OSZE gegründet wurde und sich mit der Regelung befasst. Diese Kräfte brauchen keine Regelung – sie wollen etwas tun, was für Russland unangenehm wäre, und uns in eine neue Krisensituation verwickeln.
Frage: 2018 findet in Russland eine neue Präsidentschaftswahl statt. Heutzutage gibt es nicht besonders viele starke und charismatische Persönlichkeiten, wie Sie, die die Verantwortung für das Land übernehmen und unser Volk anführen könnten. Betrachten Sie sich selbst als einen Präsidentschaftskandidaten?
Sergej Lawrow: Nein, das tue ich nicht. Ehrlich und offen gesagt, ist es mir sehr angenehm, mit Präsident Putin zusammenzuarbeiten. Ich sehe, dass wir noch etliche Aufgaben haben, die an der außenpolitischen Front gelöst werden müssen. Und dass sich das Außenministerium Russlands damit intensiv beschäftigt, halte ich für das wichtigste in meinem Leben.
Frage: Wir alle wissen, dass in Sotschi im Oktober ein Internationales Jugend- und Studentenfestival stattfindet, und die MGIMO beteiligt sich aktiv an seiner Vorbereitung. Planen Sie eine Reise zum Festival?
Sergej Lawrow: Ja, ich möchte dieses Festival besuchen. Aktuell werden diverse logistische Momente geregelt, denn dort werden gleichzeitig Sitzungen des Diskussionsklubs „Waldai“ ausgetragen, an denen sich ausländische Gäste beteiligen werden, mit denen ich verhandeln werde. Wir wollen alles so planen, dass wir alles sehen und auch mit den Teilnehmern des Festivals kommunizieren.
Frage: Sie haben eben den Iran als Partner Russlands erwähnt. Vor einiger Zeit wurden im Anzeiger „RBC“ Informationen über ein russisch-iranisches Projekt zum Bau eines Schifffahrtskanals zwischen dem Kaspischen Meer und dem Persischen Golf veröffentlicht. Könnten Sie etwas zur Umsetzung dieses Projekts sagen? Welche Vorteile wären für Russland damit verbunden? Auf welchen Widerstand könnte dieses Projekts international stoßen?
Sergej Lawrow: Es wird einfacher, wenn ich Ihre erste Frage beantworte – ob ich das bestätigen kann. Davon weiß ich nichts. Und alle anderen Fragen werden auf einmal nicht mehr akut. Aber jemand könnte sich tatsächlich mit solchen Ideen beschäftigen. Kanäle sind heutzutage ein ziemlich populäres Thema. Unsere Freunde aus Nicaragua wollen parallel dem Panama-Kanal einen neuen Kanal ausgraben – dort wird dieses Thema ernsthaft diskutiert.
Über den Kanal, den Sie erwähnten, habe ich nichts gehört. Ich hörte, dass es irgendwann die Idee gegeben hätte, einen Kanal zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer zu bauen, aber entsprechende Studien ergaben, dass dies eine riskante Idee war. Aber gerade heute habe ich gelesen, dass in der Ukraine eine Internet-Abstimmung begonnen hätte, einen Kanal zu bauen und die Krim von der Ukraine rein physisch zu trennen. Solche Ideen entstehen also.
Frage: Welche Schritte müsste Russland im außenpolitischen Bereich unternehmen, um seine nationale Währung zu festigen?
Sergej Lawrow: Das ist nicht gerade meine Spezialität. Ich will keine dilettantischen Ratschläge geben. Ich denke, der Wechselkurs unserer Währung hat sich nach den allgemein bekannten Schwankungen wieder stabilisiert. Und soweit ich sehe, wird das von allen – auch im Westen – anerkannt. Wie sich die Situation weiter entwickelt, kann ich nicht sagen. Achten Sie lieber darauf, was Experten sagen.
Frage: Sie sind nicht nur als Außenminister Russlands, sondern auch als eine vielseitig begabte Persönlichkeit bekannt, unter anderem als Dichter. Ihre Aussagen werden sofort von vielen Menschen zitiert, denn Sie haben Ihren eigenen, individuellen Stil und sind für Ihre Redekunst und Ihren Scharfsinn bekannt. Als Studentin habe ich da eine Frage: Wenn man sich beruflich mit einer Lieblingssache beschäftigt, die aber die absolute Einsatzbereitschaft verlangt, wie kann man noch die Vielfalt der eigenen Innenwelt und die eigene Individualität aufrechterhalten? Wie schafft man es auf der Jagd nach der Exzellenz, die Grenze zwischen dem Professionalismus und dem Verlust des eigenen Gesichts, der eigenen Individualität nicht zu überschreiten? Könnten Sie mir und meinen Kameraden anhand Ihrer Erfahrungen etwas raten?
Sergej Lawrow: Es ist immer schwer, sich selbst psychologisch zu analysieren. Für mich stand die Arbeit immer an erster Stelle, aber Sie müssen sich nicht unbedingt an dieser Regel orientieren. Ich konnte mich nicht umschalten, solange ich die ganze Arbeit nicht geleistet hatte. Ich machte sie sehr entschlossen und wollte sie möglichst schnell erledigen – auch wenn das manchmal negativ für die Qualität war.
Frage: Im letzten Halbjahr hat sich die Situation auf der Halbinsel Korea sehr angespannt wegen der immer neuen Raketenstarts seitens Nordkoreas und der heftigen Reaktionen der USA darauf, Russland tut seinerseits sein Bestes, um den Frieden zu bewahren. Könnte Russland eine militärische Einmischung der USA in die Angelegenheiten der Länder auf der Halbinsel Korea verhindern?
Sergej Lawrow: Im Alleingang kann Russland das natürlich nicht tun. Da sollte man sich auf die Vernunft vieler Staaten stützen. Vor allem mit der Volksrepublik China haben wir eine gemeinsame Initiative zum Ausdruck gebracht, und zwar in einer Erklärung der Außenminister Russlands und Chinas vom 4. Juli, als der chinesische Staatspräsident Xi Jinping hier zu Besuch weilte. Diese Initiative wurde in der UNO, und zwar im UN-Sicherheitsrat und in der UN-Vollversammlung sowie in allen Resolutionen verbreitet. Wir erinnern daran, dass es in allen Resolutionen bezüglich der Sanktionen des UN-Sicherheitsrats unbedingt Bestimmungen gibt, dass man eine friedliche Regelung vorantreiben, Verhandlungen wiederaufnehmen usw. sollte.
Wir sind inzwischen in eine Situation geraten, vor der wir eigentlich zuvor gewarnt hatten: Die Konfrontationsspirale dreht sich sehr gefährlich. Dabei ist die Reihenfolge immer dieselbe. Man startet Raketen oder führt Atomtests durch – egal wo – und es wird sofort eine Resolution über Sanktionen verabschiedet. Dann beginnt eine US-Übung – und darauf wird eine neue Rakete gestartet, der dann eine neue Resolution über Sanktionen folgt. Wir schlugen vor, sich um die Abspannung konsequent zu bemühen. In diesem Kontext befürworteten wir die chinesische Initiative zur „Doppel-Einfrierung“: Nordkorea sollte auf Raketenstarts und Tests verzichten, und die USA samt Südkorea sollten den Umfang ihrer gemeinsamen Übungen beschränken. Wir hatten das noch John Kerry angeboten. Die Amerikaner sagten uns aber dasselbe, was uns jetzt die Administration Donald Trumps sagt: Das wäre eine unausgeglichene Initiative, denn Nordkoreas Raketenstarts und Atomtests seien vom UN-Sicherheitsrat verboten worden, während die Übungen absolut legitim seien. Und wir sagen darauf, dass man nicht dieser legalistischen Logik folgen sollte. Natürlich wirft niemand den Amerikanern vor, das Völkerrecht zu verletzen. Aber wenn es nach einem Krieg riecht (und die Amerikaner räumen selbst ein, an der „militärischen Option“ sehr intensiv zu arbeiten) und wenn man den Krieg verhindern will, dann sollte derjenige den ersten Schritt machen, der klüger und stärker ist. Wer in diesem Paar solche Eigenschaften hat, steht wohl außer Frage. Aber wer weiß…
US-Verteidigungsminister James Mattis sagte öfter, die militärische „Regelung“ dieser Situation wäre mit kolossalen Menschenopfern verbunden. Die Amerikaner bestätigen das auch uns. Wir verweisen darauf, dass diese Opfer höchstwahrscheinlich ihre Verbündeten wie Japan und Südkorea tragen würden, und sie geben uns zu verstehen, dass eine solche Situation entstehen könnte, wenn keine andere Wahl bliebe. Das wäre aber ein absolut furchtbares Szenario. Wir werden jedenfalls darauf bestehen, dass diese Verhandlungen wiederaufgenommen werden. Wir wissen, dass die Amerikaner irgendwie halboffiziell mit Pjöngjangs Vertretern kommunizieren. Wir hätten nichts dagegen und würden nur befürworten, dass sich die Seiten auf eine gewisse Deeskalation einigen und am Verhandlungstisch zusammenkommen.
Wir haben ein gemeinsames Ziel: die Halbinsel Korea von Atomwaffen zu befreien, damit es im Norden keine Atomwaffen gibt und im Süden keine eigenen und auch keine amerikanischen Atomwaffen gibt. Man muss aber einräumen, dass jedes Land, auch Nordkorea, das Recht auf eigene Sicherheitsgarantien hat. Es gab doch viele Drohungen, man würde das dortige Regime stürzen und Nordkorea zwangsläufig mit Südkorea vereinigen. Aus dieser Sicht war mir sehr angenehm, dass US-Außenminister Rex Tillerson vor kurzem die Initiative von „vier nein“ zum Ausdruck brachte, nämlich zum Verzicht auf Gewaltanwendung, auf Regimewechsel, auf beschleunigte Vereinigung Nord- und Südkoreas sowie auf die Überschreitung des 38. Breitengrads durch die US-Truppen. Das waren im Allgemeinen die richtigen Worte. Aber leider kam es bislang nicht zu konkreten Schritten, die gewisse Verhandlungen einleiten würden. Wir versuchen, bei unseren Gesprächen mit allen Teilnehmern der „Sechserverhandlungen“ gewisse Dinge aufzuspüren, die uns gestatten würden, die Situation von den gegenseitigen militärischen Drohungen wegzuführen. Natürlich würde das Nordkoreas absoluten Verzicht auf jegliche Tests und Raketenstarts bedeuten.
Frage: Der bekannte britische Politiker William Gladstone sagte, das wichtigste Prinzip der Außenpolitik wäre die erfolgreiche Regierung innerhalb des Landes. Was halten Sie von dieser Meinung? Halten Sie sie für richtig?
Sergej Lawrow: Je stärker ein Land aus wirtschaftliches, sozialer und auch aus der Sicht der Sicherheit ist, desto effizienter ist seine Außenpolitik. Da gibt es keine Zweifel. Dass unsere Außenpolitik jetzt so erfolgreich ist und ein Niveau erreicht hat, auf dem niemand Russland ignorieren kann, macht einen großen Unterschied von der Situation in den 1990er-Jahren aus, als wir so gut wie keine Wirtschaft und ein zerstörtes Sozialwesen hatten. Natürlich haben wir jetzt Schwierigkeiten, die sich auf die allgemein bekannten Umstände zurückführen lassen, aber im Großen und Ganzen ist unsere Wirtschaft durchaus leistungsfähig. Das räumen alle ein. Wir spüren das an der außenpolitischen Front – wir haben es leichter, bei der jetzigen Wirtschaft zu arbeiten, als bei der Wirtschaft, die wir in den 1990er-Jahren hatten.
Frage: Alle wissen, dass Ihr Leben sehr inhaltreich und interessant ist. Sie besuchten viele Länder, sind mit vielen herausragenden Persönlichkeiten, mit vielen Staatsoberhäuptern bekannt. An welchen Moment Ihres diplomatischen Lebens erinnern Sie sich am meisten. Woraus haben Sie besonders viel gelernt? Und woraus könnten wir vielleicht viel lernen?
Sergej Lawrow: Solche Momente sind nicht unbedingt mit dem diplomatischen Dienst verbunden. Ich will aber nicht in eine Situation geraten, wenn ich vergesse, etwas zu erwähnen. Es gab viele Momente, wenn ich mit der geleisteten Arbeit zufrieden war. Das waren viele bilaterale Verträge mit unseren Nachbarländern, unter anderem bezüglich der endgültigen Regelung von Grenzfragen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren sie sehr wichtig. Das war auch die Vereinbarung bezüglich des iranischen Atomprogramms, an der wir viele Jahre gearbeitet hatten. Hoffentlich werden wir nicht zulassen, dass sie jetzt zum Scheitern gebracht wird, obwohl in Washington viele das so schnell wie möglich tun wollen. Das ist aber eine schlechte Idee, die nicht in die Logik der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, sondern in die Logik der Aufrechterhaltung des „verwaltbaren Chaos“ passt. Sobald sich diese oder jene konstruktive Vereinbarungen abzeichnen, findet sich unbedingt jemand, die sie behindern will. Ich erinnere mich noch an die Vereinbarung mit dem früheren US-Außenminister John Kerry in Bezug auf Syrien, die wir vor einem Jahr, gleich nach dem Treffen der Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Barack Obama, in China trafen, wo die beiden den endgültigen Kompromiss über das konzeptuelle Syrien-Problem abgesprochen hatten. Wir wurden beauftragt, diesen Kompromiss auf dem Papier zu formulieren. Das nahm eine gewisse Zeit in Anspruch. Das Dokument war fertig, und es war ein richtiger Durchbruch. Wenn die Amerikaner damals nicht ihre Schwäche bei der Niederschlagung der al-Nusra-Front gezeigt hätten, wäre die Syrien-Krise jetzt schon politisch geregelt worden, und zwar ohne jegliche Rückschläge. Es gab ja viele Momente, an die ich mich aus dem Stegreif nicht erinnern kann. Ich habe nicht vor, Erinnerungen zu schreiben, und deshalb habe ich die angenehmen Momente meines Lebens nicht zusammengefasst.
Frage: Wie schon viele Experten, unter anderem auch Sie, sagten, haben einige westliche Länder in den letzten Jahrzehnten ein ganzes System zur Destabilisierung und Zerstörung der Souveränität von schwächeren Staaten entwickelt. In den letzten 20 bzw. 30 Jahren wurde dieses System in Osteuropa und im Nahen Osten „erfolgreich“ angewandt. Irak, Libyen und mehrere andere Länder fielen ihm zu Opfern. Aber in Syrien, wo der Präsident dieses Landes, Baschar al-Assad, gemeinsam mit Russland die Souveränität seines Volkes verteidigte bzw. verteidigt, sehen viele die Möglichkeiten für den Zusammenbruch dieses bösen und unfairen Systems. Glauben Sie, dass der Sieg in Syrien ein prinzipiell wichtiger Faktor für die Veränderung des aktuellen Systems im Nahen Osten werden könnte? Und wenn ja, dann in welche Richtung würde sich dieses System verändern?
Sergej Lawrow: Dass die Syrien-Regelung ein positiver Faktor nicht nur für den Nahen Osten, sondern auch für die ganzen internationalen Beziehungen sein wird, steht außer Frage. Jedenfalls wird dadurch die ganze Welle von groben Invasionen gestoppt – in den Irak (ohne eine Besprechung im UN-Sicherheitsrat), nach Libyen (wo das beschränkte Mandat des UN-Sicherheitsrats verletzt wurde). Dass Syrien jetzt ausgerechnet diesen Weg gegangen ist (nicht zuletzt dank unserer Hilfe), verärgert unsere westlichen Partner. Indem sie ihre langjährige Dominanz beibehalten wollen, entscheiden sie sich manchmal für solche unbedachten Schritte.
Übrigens sprechen sie selbst darüber, wann sie ihre Sanktionen gegen uns außer Kraft setzen würden. Wir sagten von Anfang an, dass dieses Thema uns nichts angeht. Sie haben diese Sanktionen verhängt, sie sollen sie jetzt auch aufheben. Wir werden die Bedingungen für die Abschaffung der Sanktionen nicht besprechen. Aber sie sagen trotzdem, Russland sollte die Minsker Vereinbarungen erfüllen, obwohl darin zehn Mal das Regime in Kiew und kein einziges Mal Russland erwähnt ist. Jetzt sehen viele die Absurdität dieser Bedingung ein. Unter anderem deutsche Politiker sagen offen, dass sie die Sanktionen gerne aufheben könnten, denn sie verstehen, dass sie mit Russland zusammenwirken müssen; doch zunächst sollte Russland die Minsker Vereinbarungen umsetzen. Später wurde auch das Thema Syrien in diesem Kontext erwähnt: Russland sollte mit dem Westen in der Ukraine zusammenwirken und in Syrien auf die Unterstützung Baschar al-Assads verzichten, und dann würde man die Sanktionen außer Kraft setzen. Das ist ja wie bei Freud: Man sagt offen, dass man sich nichts gefallen lässt, was mit Russlands positiver Rolle verbunden ist. Leider gibt es immer noch solche Menschen – aber zum Glück gibt es sie immer weniger. Aber wer auf dieser Position steht, wird wohl noch ziemlich lange am Ruder bleiben. Wir müssen aber mit den Personen arbeiten, die solche Posten bekleiden.
Aber im Allgemeinen wird das natürlich ein Signal dafür sein, dass niemand einseitig die Bedingungen diktieren kann, ohne die Meinung des jeweiligen Landes oder auch anderer interessierter Länder zu berücksichtigen. Das wird die generelle Tendenz nicht verändern. Und die allgemeinen Tendenzen neigen, wie ich schon sagte, zur multipolaren Welt. Aber bis dahin wird es noch eine Übergangsepoche geben, wenn wir die aktuelle Situation in den internationalen Beziehungen richtig einschätzen. Doch im Rahmen dieser Epoche müssen wir immer noch diesen Widerstand überwinden. Der Höhepunkt dieses Widerstands ist schon nahe – unsere westlichen Partner sehen ein, dass sie nicht einmal die objektive Situation akzeptieren müssen, sondern vielmehr die realen Trends der Gegenwart nachvollziehen. Sie müssen begreifen, dass es für die westlichen Länder selbst leichter wäre, ihre nationalen Interessen zu verteidigen, wenn sie dem Trend folgen und nicht widerstehen.
Frage: Die Geschichte entwickelt sich bekanntlich spiralartig. Gab es in der Geschichte Russlands bzw. der russischen Diplomatie ähnliche Situationen wie jetzt?
Sergej Lawrow: Es kann nichts absolut Identisches geben, aber die Geschichte wiederholt sich öfter. Es gab viele, sehr viele Perioden, wenn man versuchte, uns einzudämmen. Wenn Sie sich für Geschichte interessieren, dann wissen Sie das selbst. Auf unserem Territorium gab es dunkle Zeiten; man versuchte, uns zu erobern. Aber noch nie gab unser Volk auf – früher oder später fand es die Kraft, um die Situation in den Griff zu bekommen. Während des Großen Vaterländischen Kriegs oder auch des Vaterländischen Kriegs von 1812 führte es verbissene Befreiungskämpfe. In anderen Situationen waren mehr Zeit und auch eine andere Art der Tapferkeit nötig: Man musste geduldig bleiben und an günstigen Bedingungen arbeiten, um dann gewinnen zu können. Auch jetzt müssen wir uns in Geduld üben. Einen „heißen“ Krieg will niemand, aber wenn wir sehen, was jetzt um uns herum passiert, müssen wir solche Waffen, eine solche Armee, Flotte und Luftwaffe haben, die der aktuellen Realität entsprechen.
Ich lese viele westliche Medien, und sie räumen inzwischen offen ein, dass wir eine moderne Armee und Luftflotte haben. Besonders überraschend ist für sie, dass wir auch eine sehr starke Marine haben. Wir sagen das, nicht um jemanden zu einem neuen Wettrüsten zu provozieren. Aber es passiert ziemlich oft, dass mangelhaft bewaffnete Länder „geschluckt“ werden, und zwar nicht im juristischen Sinne, sondern aus der Sicht des Verlustes ihrer Selbstständigkeit.
Wie gesagt, es gab viele Perioden, wenn man versuchte, uns einzudämmen – auch mit militärischen Mitteln. Aber auch auf Sanktionen wurde zu diesem Zweck zurückgegriffen – es ist also nicht das erste Mal. Erinnern Sie sich einmal an die Sowjetzeiten. Damals gab es auch viele Sanktionen. Die Hauptsache ist, dass wir nicht nur ein riesiges Territorium, eine starke Armee, Flotte und Luftwaffe, sondern auch das russische Volk haben, das auf genetischer Ebene unsere Zivilisationskultur und Offenheit für die Welt innehat und versteht, dass wir bereit wären, mit allen befreundet zu sein, die uns gleichberechtigt behandeln und nicht die Absicht haben, uns ihre Regeln aufzuzwingen. Ich bin überzeugt, dass alle Menschen, mit denen unsere Menschen im Ausland oder auch hier kommunizieren, diese unsere Eigenschaften gut kennen. Ich rechne sehr damit, dass Ihre Kollegen aus anderen Ländern, die mit unseren Mitbürgern gemeinsam studieren, diese hervorragende Eigenschaft des russischen Volkes zu spüren bekommen werden.