Interview Außenministers Russlands Lawrow für Ersten stellvertretenden Generaldirektor der Nachrichtenagentur ITAR-TASS Gusman für ITAR-TASS, Zeitung „Rossijskaja Gaseta“ und Fernsehsender „Rossija 24“
Frage: Dmitri Medwedew und Barack Obama haben die Russisch-Amerikanische Präsidentenkommission für bilaterale Zusammenarbeit gegründet. Sie und die Staatssekretärin Hillary Clinton sind die Koordinatoren. Die Kommission arbeitet in verschiedenen Bereichen. Wie bewerten Sie ihre Tätigkeit? Hat sie gute Entwicklungsmöglichkeiten? Auf welchen Aspekt ihrer Arbeit sollte man sich konzentrieren?
Lawrow: Das ist ein einzigartiger Mechanismus. Im Unterschied zu den früheren Versuchen dieser Art, wie z.B. die Tschernomyrdin-Gor-Kommission, die sich vor allem mit der Wirtschaft beschäftigte, befasst sich unsere Kommission mit dem gesamten Spektrum der russisch-amerikanischen Beziehungen. Innerhalb der Kommission wurden zwanzig Arbeitsgruppen gebildet, was über den Maßstab der Aufgaben zeugt. In diesen Arbeitsgruppen werden diverse Fragen erörtert, die im bilateralen Bereich entstehen. Das sind die Militärstrategie, die Wirtschaft, Hightech, Innovationen, Bekämpfung des Terrorismus und des Drogenhandels, der Kultur- und Bildungsaustausch. Innerhalb einer Gruppe arbeitet die Untergruppe für Massenmedien, die Sie leiten.
Das ist eine wichtige und nützliche Infrastruktur für die Entwicklung des Dialogs und für das bessere Verständnis in jedem der oben genannten Bereiche. Doch die Arbeit beschränkt sich nicht auf den Dialog. In vielen Arbeitsgruppen wurden konkrete Projekte gestartet, beispielsweise in solchen Bereichen wie die Energieeffizienz, Hightech, Innovationen, Kultur. Das Resultat ist ist ohne Frage ein positives. Es hilft uns eine konstruktive Tagesordnung für die russisch-amerikanischen Beziehungen zu schaffen.
Es gibt auch Reserven. Wir müssen immer bestrebt sein, mehr zu erreichen. Wir werden mit der Staatssekretärin Hillary Clinton als Koordinatoren unsere Kollegen auf aktive Arbeit und konkreten Ergebnisse ausrichten.
Frage: Zu den russisch-amerikanischen Beziehungen im Allgemeinen. Ich habe mit allen Kovorsitzenden aus diversen Bereichen zu ziemlich komplizierten Themen, wie Militärzusammenarbeit, gesprochen. Wir haben mit dem Admiral Michael Mullen, der vor kurzem aus dem Amt des Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff der US-Streitkräfte geschieden ist, und mit dem Kovorsitzenden von der russischen Seite, dem Generalstabschefs Nikolaj Makarow gesprochen. Gibt es aus Ihrer Sicht außer dem „heiklen" Thema Raketenabwehr, das die Militärs zu lösen versuchen, andere „heikle" Themen in der russisch-amerikanischen Zusammenarbeit, die uns heute besonders beunruhigen? Wie bewerten Sie den momentanen Stand der russisch-amerikanischen Beziehungen?
Lawrow: Ich würde sie als Beziehungen einer konstruktiven und pragmatischen Zusammenarbeit bezeichnen. Konstruktiv – weil wir bestrebt sind, die Fragen, in denen unsere Interessen übereinstimmen und die wir zu einer gemeinsamen Position führen können, zusammen zu lösen. Wir stellen die Fragen, zu denen wir verschiedene Ansichten haben, prinzipiell, machen sie jedoch nicht zum Hindernis für alles andere.
Als Positives würde ich einige bekannte Beschlüsse und Vereinbarungen einschätzen, die wir erreicht haben. Das sind der Vertrag über die Reduzierung strategischer Offensivwaffen, die Ratifizierung des Abkommens über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie (das Abkommen 1-2-3), das gute Perspektiven für Russland, die USA und Geschäftskreise unserer Länder aufweist, sowie Möglichkeiten für das enge und aussichtsvolle Zusammenwirken Moskaus und Washingtons auf den Märkten der Drittstaaten bietet. Als positives Ergebnis möchte ich auch die erreichte endgültige bilaterale Vereinbarung über den Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation sowie die in Genf in die Schlussphase eingetretenen multilateralen Verhandlungen zu diesem Thema erwähnen. Ich hoffe, dass diese ganze Epopöe in Kürze dank der klaren von Barack Obama versprochenen Unterstützung der USA endlich mit einem guten Ergebnis enden wird.
Als positiv zu bewerten ist auch der neue Bereich – Hightech und Innovationen – der früher wegen den gegenseitigen Bedenken etwas zurückgehalten wurde. Nun wurde eine Arbeitsgruppe für diese Problematik gebildet. Eine Reihe von amerikanischen Unternehmen ist nach Skolkowo gekommen. Sie suchen nach konkreten Projekten zusammen mit den russischen Partnern. Früher gab es solche Versuche nicht.
Es gibt natürlich auch Probleme. Sie haben die Raketenabwehr erwähnt. Das ist ein konkreter Ausdruck der noch bleibenden philosophischen Differenzen.
Frage: Phobien?
Lawrow: Ich würde sie als philosophische Differenzen bezeichnen. In einigen Köpfen gibt es vielleicht Phobien, aber sie dominieren nicht in den Beziehungen zwischen den Administrationen Obamas und Medwedews.
Die Differenzen beziehen sich auf die Frage, wie Geschäfte in der modernen Welt zu führen sind. Die Idee eines einheitlichen unteilbaren Sicherheitssystems, das der russische Präsident vorgeschlagen hat und einen entsprechenden Vertrag angeboten hat, sah solch ein System für alle vor. Wenn schon die beiden Länder auf politischer Ebene verkündet haben, dass wir keine Feinde sind und unsere Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten stärken werden, schlug Dmitri Medwedew vor, es zu einem juristisch verbindlichen Prinzip zu machen und im Vertrag zu verankern. Wir wurden gefragt, welche Situationen entstehen können? Die Raketenabwehr ist gerade so eine Situation: In der Nähe von russischen Grenzen entstehen Stützpunkte mit den Abfangjägern, es werden Radaranlagen aufgebaut. Nach unserer Einschätzung und tiefen Überzeugung wird es durchaus nicht in der Konfiguration gemacht, die für die Abwehr der Bedrohung aus dem Süden, von außerhalb der Euroatlantischen Region (wie man uns sagt) notwendig ist.
Da ist die Unteilbarkeit der Sicherheit in der juristisch verbindlichen Form besonders wichtig. Die amerikanischen Partner versichern uns, dass wir das nicht brauchen, weil Russland und die USA keine Rivalen sind und das zu entwickelnde System nicht gegen Russland gerichtet ist. Wie Militärpolitiker des 19. Jahrhunderts sagten: „Die Absichten ändern sich, die Potentiale gelten".
Diese Differenzen in der Philosophie, in der Wahrnehmung der modernen Welt kommen in einer Reihe von Fragen zum Vorschein. Wir stimmen mit den Amerikanern hinsichtlich der Werte und Ziele überein: Wir treten für den Vorrang des Rechts und der demokratischen Werte ein, wir sind gegen die Verbreitung von Kernwaffen sowie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen jeder Art, wir kämpfen aktiv gegen den Terrorismus und Drogenhandel, wir arbeiten an der Beilegung der Konflikte. Die Amerikaner setzen das Prinzip der Vorrangstellung des Rechts und der Demokratisierung auf nationaler Ebene in anderen Ländern aktiv durch. Wir stimmen mit ihnen darin überein, dass dieses Prinzip für jeden Staat auf unserem Planeten zum Grundsatz werden muss. Wir sind überzeugt, dass dieses Prinzip in Übereinstimmung mit der UN-Charta auch in den internationalen Angelegenheiten anzuwenden ist. Darin sind sich jedoch die USA mit uns nicht einig. Eigentlich sind sie damit nicht einverstanden, was sie beim UNO-Beitritt angenommen haben. Unsere Partner in Washington halten es meist für richtig, in den Krisen- und Konfliktsituationen, mit Methoden von Sanktionen, der Isolierung der Länder, die ihnen nicht gefallen, vorzugehen.
Wir sind überzeugt, dass das nicht der richtige Weg ist. Konflikte, Streitigkeiten, Krisen müssen durch die Einbeziehung aller Seiten geregelt werden. Das gilt für die palästinensisch-israelische Regelung, für das iranische Nuklearprogramm, für das nukleare Problem der koreanischen Halbinsel, für die Krisen in den Ländern Nordafrikas, also für jede Region. Dieses philosophische Problem ist in unseren Beziehungen vorhanden. Wir erörtern diese Fragen regelmäßig in dem Sinne, in dem wir jetzt über sie sprechen. Wir versuchen durch gemeinsame Verständigung, durch das Verständnis des prinzipiellen Herangehens in jeder konkreten Frage weiter voranzugehen, als dies heute möglich ist.
Frage: Soweit ich Sie verstanden habe, bezeichnen Sie die Beziehungen zwischen Russland und den USA mit dem Schlüsselwort - die Partnerschaft. In den letzten Jahren ist Hillary Clinton Ihre Partnerin. Sie ist eine Politikerin mit einer großen Biografie, wie sie für einen US-Staatssekretär ungewöhnlich ist. Ihre Tätigkeit fesselt die Aufmerksamkeit. Ist es angenehm, mit ihr als Partnerin, als Gesprächspartnerin auf Verhandlungen zu arbeiten? In unserem Gespräch beklagte sie sich: Sergej und mir fehlt es immer an Zeit. Das ist ein angenehm klingender Satz aus dem Munde einer Dame. Wie bewerten Sie das Zusammenwirken mit ihrer amerikanischen Kollegin? Und wofür fehlt Ihnen die Zeit für sie?
Lawrow: Erstens ist es mit ihr interessant, und ich fühle mich wohl mit ihr. Hillary Clinton ist eine sehr erfahrene Politikerin, ein Mensch mit einem weiten Horizont. Sie strebt immer nach einem Resultat. Ich habe keine Zweifel, dass sie die Interessen ihres Landes durchsetzen will. Aber sie versucht das Ziel nicht über einseitige Zugeständnisse, sondern über die Suche nach gegenseitig vorteilhaften Kompromissen zu erreichen.
Soviel ich aus meinen Gesprächen mit ihr sehe, erkennt Hillary Clinton ganz gut die Bedeutung der Partnerschaft mit Russland für nationale Interessen der USA in der modernen Welt. Nicht alle erkennen es heute. Es gibt Politiker, die die Idee der Vereinigung, der gemeinsamen Lösung von Problemen mit China befürworten, da die Volksrepublik China die Hauptmacht sei. Es gibt Indien, Brasilien. Von allen BRICS-Ländern weist Russland ein langsameres Tempo des Wirtschaftswachstums auf. Doch solche Menschen betrachten die heutige Konjunktur und die Situation aufgrund der trockenen Statistik. Natürlich besagt sie etwas, und man muss sie berücksichtigen. Aber ihnen fehlt es an der Fähigkeit, über den Horizont zu schauen. Hillary Clinton hat diese Fähigkeit. Ich wiederhole: Es ist interessant mit ihr zu arbeiten, mir macht der Umgang mit ihr Spaß.
Was den Zeitfaktor in unseren Beziehungen betrifft, so ist die obengenannte Agenda – ich meine die Präsidentenkommission mit den zwanzig Arbeitsgruppen, mit Berichten – das, was wir regelmäßig besprechen und als Vorlage den Präsidenten bestätigen sollen. Das sind die steigende Zahl von Krisen, Konflikte, die gemeinsame Arbeit in der G8, im Nahost-Quartett, die Teilnahme am Russland-NATO-Rat, an anderen zahlreichen Veranstaltungen, in die Russland und die USA einbezogen werden, zum Beispiel, in der Àsiatisch-Pazifischen Region, in ASEAN und im Ostasiatischen Gipfel – des Mechanismus, zu dem seit diesem Jahr auch die USA und Russland hinzugezogen wurden. Aus der einfachen Aufzählung der Fragen unserer Agenda wird es klar, warum es uns an der Zeit fehlt. Am Rande der Ostasiatischen Gipfel, auf den Treffen in Moskau und Washington, auf zahlreichen multilateralen Foren, die ich erwähnt habe, finden wir immer die Möglichkeit zusammenzutreffen - wenn auch nur für eine Stunde - und zu schauen, welche aktuellen und akuten Themen unseres Dialogs unsere unverzügliche Aufmerksamkeit erfordern.
Es gibt Fragen der bilateralen Beziehungen, mit denen sich zwanzig Arbeitsgruppen der von mir erwähnten Kommission befassen. Aber es gibt auch spezifische Themen für die Auswärtigen Ämter. Zum Beispiel war und bleibt Hillary Clinton Enthusiastin der Vereinbarung über die Vereinfachung der Visumpflicht für Russen und Amerikaner, vor allem für Touristen und Geschäftsleute. Diese Vereinbarung ist auf dem Papier festgelegt. Die inneren Prozeduren in Moskau und Washington werden in Kürze abgeschlossen. Ich rechne damit, dass wir in nächster Zeit ihr Inkrafttreten bekannt geben können. Es wird für die Bürger unserer Länder nützlich und angenehm.
Frage: Ich weiß nicht, ob ich Sie bemitleiden oder beneiden soll, denn in Ihrer achtjährigen Tätigkeit als Außenminister hatten Sie stets Damen als Partner. Jetzt ist es Hillary Clinton, und vor ihr war es Condoleezza Rice.
Wenn Sie auf die vergangenen fünfzig Jahre zurückschauen, wer von den US-Staatssekretären hat aus Ihrer Sicht eine besonders tiefe Spur in der Weltpolitik, in der diplomatischen Welt hinterlassen? Einst hat der Dichter Mikhail Svetlov gesagt: „Es gibt weltweit viele gute Dichter, zu Mittag essen möchte ich aber zusammen mit Alexander Puschkin". Mit wem von den Staatssekretären möchten Sie gern zu Mittag essen?
Lawrow: Außer Hillary Clinton und Condoleezza Rice habe ich auch mit Madeleine Albright gearbeitet, sie war damals aber US-Botschafterin bei der UNO. Nachdem sie Staatssekretärin wurde, kam sie regelmäßig nach New York und unterbreitete immer den Vorschlag, sich zu treffen. Vor eineinhalb Jahren haben wir uns getroffen, als sie die „Gruppe der Weisen" der NATO zur Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der Allianz leitete. Ich will nicht über meine Präferenzen sprechen, weil es schwer ist, die Staatssekretäre zu vergleichen, mit denen ich nicht die Ehre hatte zu arbeiten. Zu den genannten Diplomaten sollte man mit Colin Powell hinzufügen. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, sie zu bewerten. Und zu Mittag zu essen wäre es mit jedem von ihnen angenehm.
Frage: Unser Programm ist in erster Linie nicht dem US-Staatssekretär, sondern dem Staatsdepartement als einem Machtinstitut gewidmet, dessen Name sich von den traditionellen Außenministerien unterscheidet. Wie beurteilen Sie die Bedeutung des Staatsdepartements im amerikanischen Politmechanismus? Gibt es Unterschiede zwischen diesem Machtinstitut und den traditionellen Foreign Offices, zu denen auch unser Außenministerium gehört?
Lawrow: Ich glaube, es gibt viele Unterschiede. Zum Beispiel ist der Staatssekretär nach der amerikanischen Tradition die vierte Person im Land. Sollte dem US-Präsidenten, dem Vizepräsidenten und dem Sprecher des Repräsentantenhauses etwas passieren, dann übt der Staatssekretär die Funktionen des Staatsoberhauptes aus.
Zweitens arbeitet für das Staatsdepartement ein mächtiger propagandistischer Mechanismus – die Agentur der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (USAID), die für die Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist. Sie befasst sich nicht nur mit der Gewährung von Geldmitteln für Projekte im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch mit der Förderung von sozialen Prozessen. In Russland wird zurzeit die Agentur für die internationale Entwicklungshilfe gebildet. Ich glaube, dass die Staaten, die solche Agenturen haben und sie zum Teil ihres außenpolitischen Instrumentariums machen, es richtig tun, da es sich um Hilfe, um privilegierte Gewährung der Mittel für die Ziele handelt, die Positionen des Staates im Land festigen sollen, wo solche Projekte umgesetzt werden. Es ist die reine Außenpolitik. In Russland und in vielen europäischen Ländern sind diese Funktionen getrennt.
Ansonsten ist das US-Staatsdepartement das Auswärtige Amt. Das ist das größte Außenministerium der Welt. Einerseits ist es ein Vorteil, denn so viele Mitarbeiter sind in der Lage, jede Frage sorgfältig und gründlich zu bearbeiten. Andererseits kam es schon öfters vor, dass die Amerikaner die Letzten waren, wer die Anweisungen aus Washington erhielt. Damit hatte ich nicht selten zu tun, als ich in der UNO arbeitete. Das war damit verbunden, dass es eine große Anzahl von Instanzen gibt, die Abstimmungen und Analysen durchführen mussten. Jedes System hat seine Vorteile und Nachteile. In diesem Fall gibt es diese Tradition. Das US-Staatsdepartement ist zweifelsohne eine solche Institution.
Frage: Unser Treffen findet am Vorabend des APEC-Gipfels auf Hawaii statt, wo die USA die symbolische Stafette an Russland übergeben werden. Dort werden Sie mit H.Clinton zusammenkommen. Welche wichtigen Themen wollen Sie mit ihr besprechen?
Lawrow: Wir versuchen uns gegenseitig keine Berichte über die geleistete Arbeit vorzulesen. Wir fixieren die Berichte unserer Mitarbeiter zu den Fragen, die wir ihnen nach unserem letzten Treffen zur Prüfung und Lösung übertragen haben. Wenn alles gemacht ist, kommen wir auf diese Fragen nicht mehr zurück und richten unsere Bemühungen auf die Suche nach Lösungen noch offener Fragen.
Zu den Fragen, die wir an unsere Partner regelmäßig stellen, gehören solche Fragen, die den Umgang mit den russischen Bürgern, die in einigen Fällen von amerikanischen Sicherheitsorganen in bedenklichen Situationen und unter bedenklichen Umständen festgehalten wurden. Es handelt sich um die Situationen, bei denen nach unserer Auffassung bei der Festnahme amerikanische Verpflichtungen aus diversen internationalen Konventionen oder Gesetze anderer Länder (Thailands, Liberias usw.) verletzt wurden. Wir wurden darüber nicht Kenntnis gesetzt.
Im Vergleich zu globalen Problemen scheint das ein Einzelthema zu sein, doch für uns ist es von einer prinzipiellen Bedeutung, da jeder Bürger ein Recht auf die gleichberechtigte Behandlung ohne Diskriminierung in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Landes und des Völkerrechts hat. Dieses Thema wird von uns regelmäßig angeschnitten. Beim Julitreffen mit H.Clinton in Washington haben wir unseren amerikanischen Partnern eine ganze Liste von Fragen übergeben, auf die wir Antworten bekommen möchten. Beim Treffen im September in New York versicherte die Staatssekretärin, dass die Antworten vorbereitet werden würden. Das ist unsere ständige Sorge, und wir werden dieses Thema regelmäßig zur Sprache bringen, so wie die Amerikaner für ihre Bürger sorgen, wenn sie in komplizierte Situationen geraten.
Zweitens wird ein Meinungsaustausch zum Thema Raketenabwehr stattfinden. Unsere Stellvertreter kommen regelmäßig zusammen und bemühen sich um die Fortsetzung des Dialogs. Doch die Frage kommt nicht voran. Die kategorische Weigerung der amerikanischen Seite, etwas zu besprechen, was die amerikanischen Pläne auf diesem Gebiet (nicht nur die vier Etappen des anzupassenden Phasenherangehens, das bis 2020 festgelegt ist, sondern auch andere Stadien) beschränken kann, überzeugt uns davon, dass es zu keiner Einigung kommen wird. Wir werden uns auch weiterhin bemühen, zu verhandeln. Unsere eindeutige Bedingung heißt: Wir brauchen juristische Garantien dafür, dass dieses System nicht gegen unser Eindämmungspotential gerichtet ist, und Kriterien, die es uns jederzeit ermöglichen würden, zu prüfen, ob es nicht doch dagegen gerichtet ist.
Frage: Was versteht Russland unter juristischen Garantien? Handelt es sich darum, dass die USA einen speziellen Gesetzgebungsakt, eine Präsidentenverordnung verabschieden sollen oder um etwas anderes?
Lawrow: In erster Linie müssen es bilaterale Vereinbarungen oder Vereinbarungen im Rahmen des Russland-NATO-Rates sein, da die Amerikaner ihr System in das NATO-System verwandeln. Das Abkommen muss unterzeichnet, ratifiziert werden und juristische Garantien beinhalten, dass dies nicht gegen Russland gerichtet ist. Sonst wird es schon wieder so sein, dass man uns aufruft, an Absichten zu glauben, aber in Wirklichkeit entstehen ganz andere Potentiale.
Frage: Auf Anordnung der beiden Präsidenten haben Sie mit H.Clinton die Neustarttaste gedrückt. Aus unserem Gespräch kann man schlussfolgern, dass der Neustart funktioniert und die Taste gedrückt bleibt. Was würden Sie auf die nächste Taste schreiben, die die heute funktionierende ablösen soll?
Lawrow: In der amerikanischen Politkultur ist es üblich, Etappen und Prozesse, mit einem klaren Wort zu bezeichnen. Ich habe mehrmals gesagt, dass wir unsere Beziehungen mit Obamas Administration nicht für unseren Neustart halten. Wir wurden von der Entwicklung unserer Zusammenarbeit mit der Administration von George Bush enttäuscht. Die persönlichen Beziehungen der Präsidenten und der Chefs der Auswärtigen Ämter waren gut, in der Praxis wurde allerdings gegen die russischen Interessen gearbeitet. Ich will, dass Sie mich richtig verstehen: Jede US-Regierung wird etwas tun, was uns nicht gefallen wird, weil wir zwei große Länder sind. Aber unter George Bush hat das alles die Formen angenommen, die uns tief enttäuschten, dabei handelte die USA so vor dem Hintergrund des aufrichtigen Bestrebens Russlands, im Kampf gegen den Terrorismus und andere Herausforderungen und Bedrohungen, und vor allem beim Aufbau einer sicheren Welt Partner der USA zu sein, u.a. durch die Entwicklung einer gemeinsamen Raketenabwehr. 2007 hat Wladimir Putin klar gesagt, wenn dies uns gelingen sollte, dann könnten wir sogar in einigen Fragen Verbündete werden.
Nach George Bush wurde Barack Obama zum Staatsoberhaupt, ein Mensch mit einer anderen Philosophie, mit anderen Manieren, einer anderen Weltanschauung. Er will seinen Partnern nicht nur zuhören, sondern sie auch erhören. Natürlich gelingt nicht alles. Aber der Wunsch, andere zu verstehen und Formen zu finden für die Umsetzung der eigenen Interessen mit Hilfe multilateraler Mechanismen, u.a. der UNO, Interessenkoalitionen zu bilden, ist bestimmt besser als einseitige Schritte.
Das Bestreben der jetzigen US-Regierung nach der Multilateralität ist zwar sehr positiv, allerdings in der Umsetzung nicht leicht. Viele Amerikaner müssen die Ideale der Zeit aufgeben, in der Amerika nur mit dem Finger zu schnippen brauchte, und alle standen schon stramm. Aber wir sind Realisten und verstehen, dass eine solche Politik aus dem Wunsch resultiert, in der gemeinsamen Position zu dominieren. Ich glaube, dass dieser für die USA sehr schmerzhafte Prozess jahrzehntelang dauern wird.
Ich habe mich neulich mit Dmitri Cimes getroffen, unserem früheren Landsmann, der jetzt das Nixon-Zentrum in Washington leitet und sich mit der Politologie aktiv beschäftigt. Er hat soeben einen Zweiparteienbericht zum Thema beendet, wie soll man mit Russland im Kontext der nationalen Interessen der USA arbeiten. Es handelt sich hierbei um die Idee, den Konsensus zweier Parteien in Bezug auf unser Land zu bilden. Er hat die Zeitschrift „Nationales Interesse" („The National Interest") mitgebracht, auf dessen Umschlag das Hauptthema des Hefts – „Ende des amerikanischen Einflusses" geschrieben war.
Dieses Thema wird von den Amerikanern nicht zum ersten Mal angeschnitten. Mit der Entwicklung anderer Zentren des Wirtschaftswachstums und der Finanzmacht, mit denen auch der politische Einfluss kommt, wird der Anteil der USA in der Weltwirtschaft objektiv eine anderer. Zur Lösung einiger Fragen reichen eigene Kräfte nicht mehr aus. Es müssen Gruppen für die Unterstützung gebildet werden. Solche Gruppen werden weltweit nur im legitimen Rahmen gebildet, vor allem in der UNO. Der Fall Libyen hat gezeigt, dass für die Legitimierung solcher kollektiven Handlungen erhöhte Sorgfalt erforderlich ist. Wir werden keine Zweideutigkeiten mehr zulassen, die sich in die Libyen-Resolution eingeschlichen hatten. Die Amerikaner verstehen dies.
Russlands und andere Staaten sind daran interessiert, die USA in die multilaterale Zusammenarbeit einzubeziehen, und zwar auf gleichberechtigter Basis, aufgrund der Achtung und Rechtsherrschaft nicht nur im eigenen Land, sondern auch in internationalen Angelegenheiten.