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Interview des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, mit der Zeitung „Kommersant“, Moskau, 14. April 2025

627-15-04-2025

Frage: Seit dem Amtsantritt der neuen US-Administration hat es bereits mehrere Verhandlungsrunden mit den Amerikanern gegeben. Wie können Sie die Ergebnisse dieser Kontakte bewerten? Ist es gelungen, die Schlüsselparameter eines zukünftigen umfassenden Abkommens über die Ukraine zu formulieren? Bei welchen Aspekten gibt es bereits jetzt Einigkeit zwischen Washington und Moskau?

Sergej Lawrow: Gleich die Antwort auf die letzte Frage – nein. Die Schlüsselelemente einer Regelung lassen sich einfach abstimmen. Sie werden diskutiert.

Von unserer Seite gibt es keine Geheimnisse. Der Präsident Russlands, Wladimir Putin, hat am 14. Juni 2024 in seiner Rede im russischen Außenministerium die Prinzipien klar dargelegt, auf deren Grundlage er eine langfristige, verlässliche und gerechte Regelung formulierte, die in erster Linie die Interessen der Menschen berücksichtigt und die Menschenrechte in vollem Umfang garantiert (insbesondere die Rechte nationaler Minderheiten) - im Einklang mit der UN-Charta. Das alles wurde dargelegt.

Das ist keine Forderungsposition. Ich betone noch einmal: Sie stützt sich fest auf die Formulierungen der UN-Charta, auf zahlreiche Übereinkommen und auf die Ergebnisse der Referenden, Willensbekundungen der Menschen in den entsprechenden Gebieten, in erster Linie ist die Rede von Donbass, Noworossija. Das sind vier Regionen, die nach einem Volksentschied unter internationaler Aufsicht transparent beschlossen haben, in ihre große Heimat – in diesem Fall in die Russische Föderation – zurückzukehren.

Was die US-Seite betrifft, wir haben bereits festgestellt, dass im Gegensatz zu den Europäern (ich finde kein anderes Wort als Raserei), die buchstäblich von Raserei ergriffen sind (gemeint ist in erster Linie die Führung Frankreichs, Großbritanniens, der baltischen Staaten und einiger anderer Länder der EU und der NATO), die Administration von Donald Trump versucht, das Problem zu begreifen und die Grundursachen der Situation zu verstehen, die durch die Handlungen Washingtons und Brüssels entstanden ist, die das heutige Regime an die Macht gebracht haben, indem sie den verfassungswidrigen Staatsstreich im Februar 2014 organisiert und finanziert haben.

Victoria Nuland, die damals im US-Außenministerium unter der Regierung von Barack Obama für die Ukraine zuständig war, sagte bei einer Anhörung im Senat offen zur Effizienz der Politik der damaligen Administration, dass man fünf Milliarden Dollar ausgegeben habe, was ein Ergebnis gebracht habe, und in der Ukraine eine freundliche Regierung auftauchte. Dass es sich dabei um eine Regierung von Nazis handelt, wurde schnell klar. Der erste Schritt dieser Regierung war im Februar 2014 die Verletzung einer Vereinbarung, die am Vorabend unter der Garantie von Deutschen und Franzosen (über diese werden wir heute noch mehrmals sprechen müssen, wenn es um den Verrat an vom Sicherheitsrat gebilligten Vereinbarungen geht) abgeschlossen worden war. Sie lehnten die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit ab, die vorgezogene Wahlen vorbereiten sollte, und erklärten öffentlich auf dem „Maidan“, dass man nun eine „Regierung der Sieger“ gebildet habe.

All diese Prozesse sind bereits unumkehrbar geworden (ich meine, dass letztlich nur militärische Kräfte dieses „Ungeheuer“ aus der Macht vertreiben können). Der erste Schritt jener „Putschisten“, die im Februar 2014 den Präsidentenpalast, die Verwaltungsgebäude besetzten, war die Ankündigung, den Status der russischen Sprache aufzuheben. Daher sind die grundlegenden Merkmale in ihrer Gesamtheit bekannt.

Der US-Präsident Donald Trump hat bereits mehrfach erklärt, dass ein kolossaler Fehler, einer der „Auslöser“ für das, was heute in der Ukraine geschieht, die Entscheidung der Administration von Joe Biden war, dieses Land endgültig in die NATO zu ziehen. Zuvor gab es gewisse Versprechen. Doch als Joe Biden an die Macht kam, begann man sich intensiv damit zu befassen. Dieses Verständnis einer der Hauptursachen wurde von Präsident Trump mehrfach öffentlich eingeräumt.

Als wir (auch der Assistent des russischen Präsidenten, Juri Uschakow, war in unserer Delegation) bei einem Treffen mit Außenminister Marco Rubio und dem Sicherheitsberater Mike Waltz waren, sprachen wir auch über die zweite Hauptursache: Dass die nazistischen Behörden in Gestalt von Wladimir Selenski und seinen Mitstreitern den Kurs auf die Auslöschung von allem Russischen eingeschlagen haben.

Sie töteten physisch viele bekannte Persönlichkeiten, darunter Journalisten und öffentliche Persönlichkeiten, die sich für die Bewahrung der russischen Kultur in einem Land einsetzten, das in entscheidendem Maße von Russen geschaffen wurde und das von Russen jahrhundertelang nicht nur unterstützt, sondern aufgebaut wurde – die Städte wie Odessa und viele andere, Häfen, Straßen, Fabriken, Werke. Diese Menschen wurden physisch ausgerottet.

Gesetzlich gesehen (wenn man den Stand der Gesetzgebung der Ukraine zum heutigen Zeitpunkt betrachtet), ist alles Russische ausgelöscht. Es wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, etwa ein Dutzend, und das bereits lange bevor wir die Entscheidung über die Alternativlosigkeit des Beginns der militärischen Spezialoperation trafen. Dieses Verständnis ist auch bei der Administration von Donald Trump vorhanden.

Insbesondere sprach der US-Sondergesandte Steve Witkoff in einem seiner Interviews (ich glaube, mit Tucker Carlson) öffentlich davon, dass diese Gebiete von Menschen bewohnt werden, die Referenden abgehalten und sich dafür ausgesprochen haben, Teil der Russischen Föderation zu werden.

Das kann man nicht außer Acht lassen: NATO, die Auslöschung von Menschenrechten. Es geht nicht um das „Land“, sondern um das Recht der Menschen, die auf diesen Landstücken leben. Genau deshalb ist uns diese Landstücke teuer. Wir können es nicht einfach aufgeben, indem wir die Menschen von dort vertreiben. Jetzt schlägt man vor, die Palästinenser aus dem Gazastreifen zu vertreiben.

Wollen diejenigen, die mit Selenski an der Spitze weiter von den Grenzen von 1991 „plappern“, die Menschen auch vertreiben? Oder wollen sie sie unter ihre nazistische Herrschaft zurückholen, in eine Situation, in der Sprache, Kultur, Geschichte – alles, was Russland für diese Gebiete getan hat – vergessen ist? Sie brauchen das Land, um es „teurer zu verkaufen“. Etwas haben sie bereits an den Premierminister Großbritanniens, Keir Starmer, zu „spekulativen“ Preisen verkauft. Nun haben sie nichts mehr, was sie den Amerikanern anbieten könnten. Es sind Händler, denen nichts heilig ist.

Kürzlich war ich in Antalya beim diplomatischen Forum und zitierte dort Äußerungen von Selenski. In einem Interview sagte er vor wenigen Tagen, dass ihn der Hass gegenüber Russen antreibe. Auf die Frage, ob er nur Präsident Putin hasse, antwortete er, dass er alle Russen hasse. Gestern bestätigte Selenski dies erneut in einem weiteren Interview.

Dieses Verständnis spüren wir bei den Amerikanern, und noch mehr, sie sagen offen, dass sie verstehen, dass man etwas gegen diese grundlegenden Ursachen unternehmen muss. Ich will gar nicht annehmen, dass es in Europa keinen einzigen normalen Menschen gibt. Sicherlich gibt es welche, die das verstehen. Aber ihnen wird auch der Mund „gestopft“. Mit ganz wenigen Ausnahmen wagen es dort nur der ungarische Premierminister Viktor Orban, der slowakische Premierminister Robert Fico und einige Politologen und Wissenschaftler ohne Regierungsfunktion, die Wahrheit zu sagen.

Die Amerikaner, die Administration von Donald Trump, zeigen diese Fähigkeit, das unterscheidet sie vorteilhaft von denen, die nicht einmal denken wollen, sondern nur auf dem Bildschirm erscheinen und von Russland fordern, die Kampfhandlungen unverzüglich für einen Monat einzustellen. Sie wollen in der Zwischenzeit schnell „die Löcher flicken“, irgendwelche Friedenstruppen schicken. Selenski hat ihnen mit leuchtenden Augen (die bei ihm mal leuchten, mal „abgedunkelt“ sind), als über Friedenstruppen diskutiert wurde (Präsident Macron hat sich bemüht), erklärt, dass man keine Friedenstruppen brauche, sondern Kampftruppen. Er sagte: Schickt uns schnell Waffen, Kämpfer aus euren Ländern – wir werden die „Heimat“ verteidigen. Ich war gezwungen, unsere Sichtweise davon, wer was und wie in Bezug auf die Ukraine versteht, ausführlich darzulegen.

Wenn wir zu anderen Aspekten des russisch-amerikanischen Dialogs zurückkehren, so ist es natürlich nach einem dreijährigen „Zusammenbruch“ nicht einfach, die Beziehungen wieder aus diesem Loch herauszuziehen. Umso mehr, als der aufrichtige Wunsch (wir sehen, dass er aufrichtig ist) von US-Präsident Donald Trump und seinem Team, nach dem Schock, der die Washingtoner Eliten (nicht nur die Demokraten, sondern zum Teil auch die Republikaner) ergriffen hat, zur Normalität überzugehen, nun auf Widerstand stößt. Es werden gewisse „Züge“ über Lobbyisten, über die Medien vorbereitet. Wir lesen darüber. Obwohl das kein Geheimnis ist. Sie wollen verhindern, dass der US-Präsident Donald Trump die Beziehungen zu Russland richtig normalisiert – so wie es zwei Großmächte gebührt und wie es zwischen allen Staaten sein sollte.

In der UN-Charta (ich zitiere sie immer wieder) steht geschrieben, dass die Vereinten Nationen auf der souveränen Gleichheit der Staaten beruhen. Als die Vereinten Nationen noch nicht existierten, haben die westlichen Kolonialmächte nie auf Augenhöhe die Beziehungen mit anderen betrachtet. Nennen Sie mir auch nur eine einzige Konfliktsituation seit der Gründung der UNO im Jahr 1945, in der der Westen die Konfliktparteien, in deren Angelegenheiten er sich aktiv einmischte, als gleichberechtigt behandelte. Nie. Deshalb ist es so schwierig, wieder zur Normalität zurückzukehren.

Zwischen China und den USA gibt es nicht weniger Widersprüche. Vielleicht werden sie in den Medien nicht so hart ausgespielt, aber es handelt sich um zwei Hauptkonkurrenten – vielleicht sogar die einzigen – im Ringen um die Führungsrolle in der Weltwirtschaft und im globalen Finanzsystem. Was die Wirtschaft betrifft, so werfen Sie einen Blick auf den derzeit tobenden, existenziellen Zollkrieg. Auch bei geopolitischen Fragen gibt es massive Widersprüche, einschließlich des Themas der territorialen Integrität Chinas: Taiwan, das Südchinesische und das Ostchinesische Meer, territoriale Streitigkeiten. Und bei all diesen Fragen stehen die USA eindeutig auf der Seite jener, die die chinesischen Ansprüche in der einen oder anderen Situation bestreiten. Die Position des Westens zu Taiwan ist der Inbegriff von Heuchelei. In Worten betonen Vertreter der US-Administration und aller europäischer Regierungen, dass sie das Ein-China-Prinzip unterstützen, fügen aber sofort hinzu, dass niemand den „Status quo“ verändern dürfe. Und was bedeutet der Status quo? Faktisch – ein unabhängiges Taiwan, das aufgerüstet wird, das eigenständig Wirtschaftsverträge abschließt, ohne China in irgendeiner Weise nachzufragen. Hier wird ein Spiel gespielt. Vertreter Chinas erklärten kürzlich erneut, dass sie auf einer politisch-diplomatischen Lösung der Wiedervereinigung bestehen, aber wenn der Westen seine Provokationen fortsetzt und Taiwan dazu anstachelt, auf eine friedliche Wiedervereinigung zu verzichten, dann schließt China keine Maßnahmen aus.

Ich habe Beispiele angeführt, die zeigen, dass die Beziehungen dort ernsthaft durch tiefe, prinzipielle Widersprüche belastet sind. Aber weder unter Biden noch zuvor wurde der Dialog je abgebrochen. Trotz aller lauten und öffentlichen Invektiven, die es gelegentlich gibt, kam niemand jemals auf die Idee, dass die Amerikaner sich abwenden und sagen könnten, sie würden China boykottieren und isolieren. Das kann sich niemand vorstellen. Mit Russland aber hat sich Joe Biden eingebildet, er sei ein „Lehrer“, ein „Mentor“, jemand, der „Urteile fällt“, sie verkündet und andere zwingt, diesen „Weg“ zu gehen.

Die Wiederaufnahme eines normalen Dialogs mit US-Präsident Donald Trump ist eine natürliche Sache. Dass dies für viele zur Sensation geworden ist, ist ein „Erbe“ der Biden-Mentalität, die eine vollständige „Isolation“ Russlands zur Normalität machen wollte. Ein absoluter Unsinn. Natürlich wurde das nicht umgesetzt. Der Dialog wird zwar langsam wiederaufgenommen, aber er wird wiederhergestellt. Das Wichtigste ist – es gibt auf beiden Seiten den Wunsch dazu, trotz der Probleme und trotz der unterschiedlichen nationalen Interessen bei zahlreichen (vielleicht sogar bei den meisten) Fragen der internationalen Agenda. Es ist notwendig, sich als höfliche Menschen zu treffen und einander zuzuhören. Und genau das geschieht jetzt.

Es besteht ein Verständnis darüber, wie man bei der Wiederaufnahme der normalen Arbeit unserer Botschaften vorgehen sollte, wie man Probleme bei der rechtzeitigen Ausstellung von Visa für Diplomaten löst, auch für unsere Diplomaten, die bei den Vereinten Nationen arbeiten (das ist ein etwas anderer Status).

Die vorherige Administration von Joe Biden, zuvor von Barack Obama, und auch die erste Administration von Donald Trump haben es missbraucht, dass sich das UN-Hauptquartier in den USA befindet, obwohl laut allen Regeln und gemäß dem von Washington mit den UN unterzeichneten Abkommen, die Amerikaner nicht das Recht haben, die Einstellung von Mitarbeitern aus UN-Mitgliedsstaaten zu behindern. Bis heute gibt es Fälle, in denen vom UN-Sekretariat genehmigte Mitarbeiter nicht an ihren Arbeitsplatz reisen können, weil die Amerikaner ihnen kein Visum erteilen. Die Menschen warten jahrelang.

Als man uns unter Biden Schwierigkeiten bei der Finanzierung unserer Botschaft bereitete, haben wir spiegelartig reagiert. Jetzt gibt es in der US-Administration vernünftige Leute, die endlich auftauchten, nachdem Bidens Schützlinge gegangen sind. Sie lösen mit uns elementare Fragen der Tätigkeit der diplomatischen Vertretungen in unseren Ländern, die ihre diplomatischen Beziehungen nicht abgebrochen haben. Es ist absurd, dass man sich mit solchen Fragen überhaupt beschäftigen muss, aber so ist es nun einmal.

Der dritte Bereich – die Wirtschaft, der Handel. Darüber sprachen die Amerikaner bereits auf der ersten Etappe, als das erste Telefongespräch zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Präsidenten Russlands Wladimir Putin stattfand, als der Sondergesandte des US-Präsidenten Steve Witkoff zu Besuch war, als der Leiter des Russischen Fonds für Direktinvestitionen Kirill Dmitrijew in den USA war. Sie sind geschäftsorientierte Leute. Für sie zählen materielle Dividenden. Donald Trump macht daraus kein Geheimnis. Das ist seine Philosophie, seine Politik. Dafür hat das amerikanische Volk gestimmt. Dass sie nach dem Nutzen suchen – das ist offensichtlich.

Was Europa betrifft, so wollen die Amerikaner dort ihre Ausgaben für die NATO reduzieren, in erster Linie für den Unterhalt der US-Truppen und ihren Beitrag zur Verteidigung anderer NATO-Mitglieder. Man schaut, wer Handelsüberschüsse oder -defizite hat, wer welche Investitionsprojekte mit welchen Steuern belegt. All das geschieht, aber es geschieht chaotisch. So kam es eben. Eine solche Politik betreibt der gewählte Präsident der USA.

Das Materielle war für sie schon immer wichtig. Das war auch in der ersten Amtszeit von Donald Trump zu sehen. Hier wird alles davon abhängen, wie sie die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit umsetzen wollen. Im Vergleich zu den rekordhohen 34 Milliarden Dollar vor einigen Jahren ist diese Zusammenarbeit inzwischen zu 90 Prozent durch illegale Sanktionen blockiert.

Wenn Sie die Diskussionen in unserer Gesellschaft verfolgen, wissen Sie, dass wir niemandem hinterherlaufen und niemanden um die Aufhebung der Sanktionen bitten. Bei uns gibt es eine starke Gruppe von Meinungsbildnern, die der Ansicht sind, dass eine Aufhebung der Sanktionen verheerend wäre. Denn liberale Beamte würden sofort versuchen, alle Errungenschaften beim Importersatz, bei der Souveränisierung unserer Wirtschaft und Produktion, bei der Gewährleistung der Sicherheit in jenen Bereichen, von denen die Entwicklung des Staates abhängt – Militär, Lebensmittel, Technologie – wieder rückgängig zu machen. Es gibt die Befürchtung, dass diese „schlaue“ Amerikaner plötzlich die Sanktionen aufheben und sofort unseren Markt mit Dienstleistungen und Technologien überschwemmen könnten, an denen wir uns bereits verbrannt haben.

Die Geschichte mit den zivilen Flugzeugen ist bis heute nicht geregelt. Doppelte Registrierung, Ersatzteile, Triebwerke – man sagt, dass man uns nichts liefern werde, dass unsere Luftfahrtindustrie sterben solle. Wahrscheinlich will das kein normaler Mensch.

Noch einmal: Ich bin absolut davon überzeugt, dass Präsident Wladimir Putin recht hat, wenn er mehrmals betont hat, dass wir in lebenswichtigen Bereichen für den Staat nie wieder in Abhängigkeit geraten dürfen. Wie er kürzlich auf dem Kongress des russischen Verbandes der Industriellen und Unternehmer sagte: Wenn jemand von denen, die auf Hinweis ihrer Regierungen aus dem Geschäft in Russland geflohen sind, zurückkehren möchte, werden wir prüfen, ob es für dieses konkrete Unternehmen überhaupt noch eine freie Nische gibt. Die Nischen, die sie aufgegeben haben, als sie Russland verlassen haben, gehören nicht mehr ihnen. Viele von ihnen sind bereits durch unsere Unternehmer oder durch Unternehmer aus jenen Ländern besetzt worden, die weiterhin gearbeitet und ihre Verpflichtungen gegenüber der Beschäftigung unserer Bürger und der Versorgung des Marktes mit bestimmten Waren erfüllt haben. Die Märkte haben ihre Arbeit bereits entsprechend geplant. Und dann wurde all das in Stücke getreten.

Ich glaube, dass ich im Streit zwischen jenen, die sagen, dass Sanktionen auf keinen Fall aufgehoben werden dürfen, weil es dann noch schlimmer wird, und jenen, die sagen, dass wir sonst wieder in eine Autarkie gegenüber der Weltwirtschaft verfallen – jedoch auf der Seite der ersten stehe. Über Autarkie zu sprechen, ist schwierig.

Es gibt keine Globalisierung der Weltwirtschaft mehr. Sie wurde zerstört. Und zwar nicht von Donald Trump, sondern von Joe Biden, als er Sanktionen verhängte und sie zum einzigen Instrument seiner Außenpolitik machte. Wir waren ja nicht allein. Wir haben die Rekordzahl an Sanktionen. Über die Hälfte der Länder der Welt sind von Sanktionen und verschiedenen Arten von Restriktionen betroffen – China, Iran und Venezuela. Das sind die größten Empfänger dieses „Segens“. Aber mehr als hundert Länder stehen in irgendeiner Weise unter einseitigen Sanktionen der USA.

Die Fragmentierung der Weltwirtschaft begann schon lange her. Natürlich wurde sie beschleunigt durch die Nutzung des Dollars als Waffe durch Biden zur Bestrafung Unschuldiger. Mit Ländern, die als Verletzer demokratischer Normen betrachtet wurden, wurden keinerlei Gespräche geführt. Der Zahlungsverkehr in Dollar wurde eingestellt, es wurden Barrieren errichtet, Umgehungswege blockiert. Als Tendenzen zur Schaffung alternativer Zahlungssysteme aufkamen und die Abrechnungen in nationalen Währungen an Bedeutung gewannen, sagte Donald Trump nicht ohne Grund vor und nach den Wahlen, dass eine der größten Sünden (schlimmer als ein Verbrechen) und Fehler von Joe Biden die Verwendung des Dollars als Waffe gewesen sei. Damit habe er das Vertrauen in dieses Zahlungsmittel untergraben und eine „Zeitbombe“ gelegt, die eines Tages „explodieren“ werde.

Auch Donald Trump äußerte Besorgnis, dass BRICS seine eigene Währung schaffen könnte. Sollte es dazu kommen, werde er dieses Bündnis mit völlig astronomischen Zöllen belegen. Auch das zeigt, dass er versteht, welche Rolle der Dollar und überhaupt der Papieranteil der Weltwirtschaft für die Position der USA in der Welt und für ihre Führungsrolle spielt. Nach diesen Zöllen verlor jemand 50 Milliarden Dollar – nur weil Buchhaltungsprogramme und Computer, in denen all das verarbeitet wird, auf die veränderte Realität reagierten, in der gesagt wurde, dass man nun Geld von uns nehmen werde. Die virtuelle Globalisierung hat sich als instabil erwiesen. Die Börsen werden mit Futures aufgebläht, dann bricht alles zusammen, und daraus wird eine Tragödie gemacht. Diese Zeit geht zu Ende.

Frage: Sie sagen, dass die neue US-Administration den Wunsch hat, nicht nur bilaterale Fragen zu erörtern, sondern auch eine friedliche Lösung in der Ukraine.

Bei der jüngsten UNO-Sitzung zur Ukraine, die im Zusammenhang mit dem Angriff auf Kriwoj Rog einberufen wurde, warnte die Vertreterin der USA, dass weitere russische Angriffe auf ukrainisches Territorium die Friedensverhandlungen zum Scheitern bringen könnten.

Wenige Tage später erfolgte der Angriff auf Sumy, bei dem laut ukrainischer Seite erneut Zivilisten und Kinder ums Leben kamen. Bedeutet das, dass Russland die Warnungen der USA nicht ernst nimmt?

Sergej Lawrow: Welche Vertreterin hat nach Kriwoj Rog eine Erklärung abgegeben?

Frage: Die amtierende offizielle Vertreterin der USA bei der UNO.

Sergej Lawrow: Die Amerikaner haben viele offizielle Vertreter. Irgendeine Vertreterin hat neulich auch etwas in Grönland gesagt. Man hat sie gebeten, in ihre Heimat zurückzukehren und sich einen anderen Job zu suchen.

Ich will nicht sagen, dass diese Frau (ich erinnere mich nicht an die von Ihnen erwähnte Äußerung) dasselbe Schicksal verdient, aber dass in der Position des Westens, Europas, in der Biden-Ära der USA die direkte Lüge dominierte – das wissen wir sehr gut.

In den letzten zwei Jahren habe ich UN-Generalsekretär Antonio Guterres mehrfach darauf hingewiesen, dass er als oberste administrative Person der Organisation (wie in der Charta festgelegt) die Anforderungen von Artikel 100 der Charta erfüllen muss, keine Seite unterstützen und eine ausgewogene Position einnehmen soll, sowie keine Anweisungen von irgendeiner Regierung erhalten darf.

Ich kenne ihn lange, wir arbeiten seit Jahrzehnten auf verschiedenen, sich überschneidenden Positionen. Ich sagte ihm, dass er in diesem Amt vielleicht keine Anweisungen erhält, aber die Anweisungen der westlichen Länder im Zusammenhang mit der Ukraine ausführt.

Jetzt wieder, nach dem Geschrei darüber, dass in Sumy „Dutzende Kinder, Zivilisten“ getötet wurden, hat er eine Erklärung abgegeben, dass er fest für die Beendigung solcher Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, für eine Lösung der Ukraine-Krise auf Grundlage der UN-Charta und unter Berücksichtigung der territorialen Integrität der Ukraine gemäß den entsprechenden Resolutionen der Generalversammlung eintrete.

Erstens verbietet das humanitäre Völkerrecht kategorisch, militärische Objekte oder Waffen auf dem Gelände ziviler Objekte zu stationieren. Seit den ersten Tagen der Krise und auch schon zuvor während der Minsker Abkommen, in Zeiten der „leuchtenden“, aber gescheiterten Hoffnung, dass sie das Problem friedlich lösen würden, indem sie die Ukraine in ihrer territorialen Integrität ohne die Krim belassen (das wollten sie nicht), gab es Millionen von Fällen, in denen Artillerie und Luftabwehrsysteme in Wohngebieten in der Nähe von Kindergärten stationiert wurden. Im Internet gibt es viele Videos, in denen ukrainische Frauen schreien, die Militärs sollen sich von Läden und Spielplätzen entfernen. Aber diese Praxis wird fortgesetzt.

Wir haben Beweise dafür, wer sich auf dem Objekt befand, das in Sumy getroffen wurde. Dort fand ein weiteres „Treffen“ ukrainischer Militärführer mit ihren westlichen Kollegen statt, die entweder als Söldner oder – ich weiß nicht, in welcher Funktion – dort waren. Dort befinden sich Militärs von NATO-Staaten, die direkt die Führung übernehmen. Das weiß jeder. Die „New York Times“ hat kürzlich erklärt, wie die Amerikaner von Anfang an eine entscheidende Rolle bei Angriffen auf Russland spielten. Ohne ihre Beteiligung wären die meisten weitreichenden Raketen überhaupt nicht von ihren Stellungen gestartet.

Ein zweiter Punkt, auf den ich regelmäßig Antonio Guterres hinweise, wenn er sagt, man müsse die UN-Charta erfüllen und die territoriale Integrität der Ukraine gewährleisten: Warum soll man die territoriale Integrität der Ukraine gewährleisten, wenn dort eine Regierung an der Macht ist, die weder die Krim, noch den Donbass, noch Noworossija, noch eine Reihe anderer Gebiete, die derzeit noch unter Kontrolle des Kiewer Nazi-Regimes stehen, vertritt?

In der UN-Charta steht viel früher als von territorialer Integrität die Rede ist, geschrieben: „Achtung der Gleichberechtigung und des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung“. Genau dieses Prinzip bildete die Grundlage des Dekolonisierungsprozesses, insbesondere in Afrika. Ja, man musste lange warten – 15 Jahre nach 1945, aber dann ging es auf Initiative unseres Landes los und wurde vollzogen, wenn auch nicht vollständig. 17 Territorien befinden sich noch in einem untergeordneten Status, in grober Verletzung der von der UNO gefassten Beschlüsse. Das machen in erster Linie die Franzosen und die Briten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schreit mit Schaum vor dem Mund, dass die Russen die UN-Charta und das Völkerrecht einhalten müssen. Aber er erinnert sich nie daran, dass sie entgegen den Resolutionen der UN-Generalversammlung und dem Willen der Bewohner zahlreicher afrikanischer Territorien immer noch „Stücke“ dieser Territorien behalten. Wahrscheinlich fahren sie dort gerne in den Urlaub. Es ist dort schön, es gibt Palmen. In Paris sieht man so ein Bild nicht – da gibt es nur Dreck und Kriminalität.

Wir erinnern unsere UN-Freunde daran: Wenn sie sagen, dass alles auf Grundlage der UN-Charta zu lösen sei, dann mögen sie bitte (als oberste administrative Instanz) die Charta in ihrer Gesamtheit und der inneren Verknüpfung ihrer Prinzipien anwenden.

Das Prinzip der Selbstbestimmung ist mit dem Prinzip der territorialen Integrität auf einfache Weise verbunden. Die Resolution der UN-Generalversammlung in Form der Erklärung über die Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten proklamierte bereits 1970 die Achtung der territorialen Integrität all jener Staaten, deren Regierungen das Recht auf Selbstbestimmung nicht verletzen und daher die gesamte Bevölkerung vertreten, die auf dem betreffenden Gebiet lebt.

Vertreten Selenski und seine „Clique“ die Bevölkerung des Südostens der Ukraine? Nein und unter keinen Umständen. Wenn der UN-Generalsekretär heute sagt, die Ukraine-Krise müsse auf Grundlage entsprechender Resolutionen gelöst werden, dann meint er jene russlandfeindlichen, absolut extremen Resolutionen, die in den letzten drei Jahren durch Abstimmungen derer beschlossen wurden, die vom Westen erpresst, bedroht und gezwungen wurden.

Die erwähnte Resolution, dass Staaten, die sich selbst respektieren, das gesamte Volk auf ihrem Territorium vertreten müssen – das ist ein Konsens, der nicht aufgehoben wurde.

Wir sprachen über die Auslöschung der russischen Sprache auf Gesetzebene, über das kürzliche Gesetz zum Verbot der kanonischen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche – der Schwesterkirche der Russisch-Orthodoxen Kirche.

Artikel 1 der UN-Charta: Jeder ist verpflichtet, die Einhaltung der Rechte jedes Menschen, ohne irgendeinen Unterschied nach Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion zu gewährleisten. Sprache und Religion sind direkt in der UN-Charta erwähnt – und unseren westlichen Kollegen ist das egal. Es stellt sich heraus, dass es auch dem Westen insgesamt, da er in der UN-Führung vertreten ist, egal ist.

Wir werden es beweisen. Die Wahrheit ist auf unserer Seite.

Frage: Glauben Sie nicht, dass diese beiden Punkte (das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und die territoriale Integrität) in unversöhnlichem Widerspruch zueinander stehen?

Ich sehe Ihre Bemühungen, sie zu verbinden und die Handlungen Russlands durch einen dieser Punkte zu erklären. Die Gegenseite wird ohnehin nicht mit uns einverstanden sein, und so wird es keine Einigung geben.

Bei einer der Plenarsitzungen unter Teilnahme des russischen Präsidenten Wladimir Putin sprach auch Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew darüber und warnte, dass, wenn man sich nur vom Selbstbestimmungsrecht leiten lasse, sofort etwa 650 unversöhnliche Konflikte in der Welt ausbrechen würden. Muss man da etwas tun?

Sergej Lawrow: Man muss alles ehrlich tun.

Ich erinnere mich an diese Rede des Präsidenten Kasachstans, Kassym-Schomart Tokajew. Ich bin mit ihm nicht einverstanden. Wir haben unseren kasachstanischen Freunden unsere Position anschließend erklärt. Für ihn existiert nur das Recht auf territoriale Integrität. Ich sagte ihm erneut: Wenn Kasachstan Mitglied der UNO ist, dann muss es die UN-Charta in ihrer Gesamtheit achten. Ich brachte das Beispiel der Dekolonisierung. Genau das, was in der Erklärung über die Grundsätze der Beziehungen zwischen Staaten geschrieben steht, ist dort geschehen. Nämlich: Die territoriale Integrität wird bei jenen Staaten respektiert, deren Regierungen das gesamte Volk vertreten, das in dem Gebiet lebt. Weder Paris, noch Lissabon, noch Madrid, noch London – keine einzige Kolonialmacht vertrat das gesamte Volk, das in dem von ihnen eroberten Gebiet lebte. Das bedarf keines Beweises. Deshalb verlief auch der Dekolonisierungsprozess völlig im Einklang mit der UN-Charta.

Die Faschisten, die Nazis in Kiew vertreten nicht die Angehörigen derer, die sie in Odessa verbrannt haben, deren Kinder sie im Donbass gequält und getötet haben (denen die „Allee der Engel“ in Donezk gewidmet ist), nicht die Angehörigen derer, die Anfang Juni 2014 im Zentrum von Lugansk bei Bombenangriffen der Kampfliegerkräfte getötet wurden. Das humanitäre Völkerrecht verbietet es, eigene Streitkräfte gegen das eigene Volk in inneren Konflikten einzusetzen. Ich könnte diese Liste endlos fortsetzen.

Sehen Sie sich an, wie die Menschen auf die Befreiung immer neuer Dörfer reagieren, die über zehn Jahre unter dem nazistischen „Joch“ standen (anders kann man es nicht nennen), die beraubt wurden, deren Häuser zerstört, deren Viehherden gestohlen, deren Frauen vergewaltigt wurden.

Wissen Sie, warum Chaos entstehen wird? Weil die Kolonialmächte in Afrika beim Abzug mit dem Lineal Karten zeichneten und dabei die Wohngebiete ethnischer Gruppen in zwei, drei, vier Teile zerschnitten. Wie wir heute die Lage der Tuareg beobachten, die auf beiden Seiten der Grenze zwischen Algerien und Mali leben. Es gibt viele solche Beispiele: Tutsi, Hutu u.s.w.  Solches Erbe haben sie hinterlassen.

Die Afrikanische Union hat in ihrer Weisheit beschlossen, dass man nun in diesen Grenzen leben, sich irgendwie einigen und gute nachbarschaftliche Regelungen schaffen muss, damit Angehörige über die Grenze hinweg verkehren können. So wie es bei uns mit unseren Nachbarn war.

Frage: Alle diese afrikanischen Stämme werden ihr Recht auf Selbstbestimmung einfordern. Und bald werden endlose Kriege beginnen.

Sergej Lawrow: Ich sage Ihnen, dass die Afrikanische Union in ihrer Weisheit beschlossen hat, dieses beschämende Erbe der Kolonisatoren nicht anzutasten, wohlwissend, dass in diesem Fall noch mehr Blut fließen würde. Und in der überwiegenden Mehrheit der Fälle werden diese Grenzen nicht infrage gestellt.

Frage: Das heißt, sie richten sich nach einem anderen Punkt?

Sergej Lawrow: Ich verstehe, dass Ihnen die Logik, die Sie vertreten, nahe ist. Sie richten sich danach, dass sie das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung unter den damaligen Bedingungen umgesetzt haben.

Und sie wollen in ihrer Weisheit diese Grenzen nicht infrage stellen. Obwohl der natürliche Verlauf der Dinge (dort leben Stämme) natürlich dazu führt, dass es manchmal zu „Zusammenstößen“ kommt. Wenn man nun sagt, dass das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung heute ein Aufruf zum Chaos sei, dann denken das nicht die Mächtigen dieser Welt, denen alles erlaubt ist, und über die Sie offenbar sprechen.

Kosovo. Die territoriale Integrität Jugoslawiens wurde ignoriert. Dabei gab es zum Zeitpunkt der einseitigen Unabhängigkeitserklärung dieser Region keine Kampfhandlungen in diesem Teil Serbiens. Es bestand keine Bedrohung für die Bevölkerung des Kosovo, vor der man sie angeblich retten musste. Und vieles mehr. Noch bevor der Kosovo seine Unabhängigkeit erklärte, wurde eine Resolution verabschiedet. Der UN-Sicherheitsrat beschloss, dass dort serbische Polizisten auftauchen und serbische Grenzbeamte an den Außengrenzen des Kosovo stehen sollten. Das wurde einfach ignoriert. Sie schlugen einfach den Kurs der Abspaltung ein. Dabei gab es in Kosovo kein Referendum. Dort trat einfach ein UN-Vertreter auf – der ehemalige finnische Präsident Martti Ahtisaari sagte, dass Kosovo nun unabhängig sei. Kein Referendum, gar nichts. Die Amerikaner sagten ihm: „Mach das“, und er tat es.

Wie wurde auf der Krim das Recht auf Selbstbestimmung verwirklicht? Man ermöglichte ein freies Referendum. Dort waren mehrere hundert Beobachter anwesend. Ja, sie vertraten nicht die westlichen Regierungen, aber sie kamen aus westlichen Parlamenten und Parlamenten anderer Kontinente. Damals sagte der Westen: Welches Selbstbestimmungsrecht denn? Nein, das geht nicht – wir sind Slawen, und sie sind Albaner.

Heute werden viele Dokumentarfilme über die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges gezeigt. Diese rassistische Haltung erinnert daran, wie die „Herrenrasse“ die Slawen behandelte. Ich beobachte die Entwicklung der Ereignisse – das ist nicht verschwunden, das gibt es immer noch. Hören Sie sich nur Friedrich Merz an.

Schon vor acht bis zehn Jahren, als ich mit deutschen Kollegen über geopolitische Themen sprach, sendeten sie „Signale“. Wissen Sie, was der Sinn ihrer Äußerungen war? Sie haben mit uns und mit allen anderen längst „abgerechnet“, sie schulden niemandem mehr etwas und werden sich benehmen, wie sie wollen.

Und eine konkrete Frage aus derselben „Kategorie“. Die Überlebenden der Blockade von Leningrad – Juden, die die Blockade überlebt haben – erhielten mehrere Male Einmalzahlungen von der deutschen Regierung. Wir haben immer wieder gefragt (diese Geschichte dauert schon über fünfzehn Jahre): Was ist mit denen, die gemeinsam mit den Juden unter schrecklichen Bedingungen erfroren sind, ihre Kinder auf Schlitten über das Eis zogen, einander aßen? Auch sie haben überlebt, genau wie die Juden. Verdienen sie nicht die gleiche Behandlung?

Damals sagte mir der heutige deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (damals Außenminister), dass die Deutschen für die Juden ein separates Gesetz hätten (den Holocaust), aber die Blockadeopfer seien gewöhnliche Kriegsteilnehmer. Für sie gäbe es keine Einmalzahlungen. Die Deutschen hätten bereits Reparationen gezahlt. Ich sagte: „Verzeihung, aber wenn das Teil des Holocaust ist, dann betrifft das alle Blockadeopfer. Sie waren doch nicht Teil des Holocaust, weil sie einfach Juden waren, sondern weil sie so behandelt wurden“. Kategorisch – „nein“. Sie sagten: Wir bauen vielleicht ein Krankenhaus in Sankt Petersburg und schaffen ein Zentrum für Kriegsteilnehmer – zur „Versöhnung“. Wir sagten: „Gut. Das ist vielleicht nicht schlecht, aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dass man keine rassistische Haltung gegenüber den Blockadeüberlebenden zeigt.“ Kategorisch – „nein“.

Wir erklärten ihnen: Wenn sie in Sankt Petersburg etwas bauen wollen – bitte sehr. Aber die Blockadeopfer leben in der ganzen Welt, nicht nur in russischen, sondern auch in vielen anderen Städten. Kategorisch – „nein“. Das zeigt sich heute in den Aussagen von Friedrich Merz und in vielem anderen. Das ist traurig.

Für uns ist das Schicksal der Menschen entscheidend, und zu sagen, dass man die territoriale Integrität der Ukraine nicht verletzen dürfe, bedeutet, russische, russischsprachige Menschen, die vor dem Nazi-Regime geflohen sind, in die Hände dieser „Ungeheuer“ zurückzuschicken.

Wir begannen damit, dass die Amerikaner die Ursachen verstehen. Eine davon ist der absolut russophobe Ansatz, der gesetzlich verankert ist. Und parallel dazu, dass die Amerikaner beginnen, sich mit diesen Ursachen zu befassen, tauchen bereits Überlegungen zu den Territorien auf. Steven Witkoff sagte, es habe Referenden in vier Gebieten gegeben. Das müsse anerkannt werden.

Keith Kellogg (ebenfalls Sondergesandter von Donald Trump) sagte, dass derzeit viel über Friedenstruppen gesprochen werde. Diese müssten in den Teil gebracht werden, der sich hinter dem Dnjepr befindet – also im Sinne von: Man müsse sich mit dem Gebiet bis zum Dnjepr „abfinden“, dort werde es keine territoriale Integrität geben. Es wird (und gab schon) Selbstbestimmung des Volkes geben. Er schlägt vor, am rechten Ufer des Dnjepr „Verantwortungszonen“ einzurichten, ähnlich wie in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Das rief Aufruhr und Empörung hervor.

Der britische Premierminister Keir Starmer und der französische Präsident Emmanuel Macron „laufen“ mit dieser Idee von Friedenstruppen herum, sie sammeln eine „Koalition der Willigen“. Die Balten haben sich natürlich sofort angeschlossen. Natürlich, wie könnte es auch anders sein.

Aber die meisten Länder der EU und der NATO stehen dem kühl gegenüber. Sie sagen, es sei gut, dass es eine Art Kontaktlinie geben werde. Hauptsache: den Konflikt beenden. Aber eine politische Lösung wird von ihnen trotzdem auf später verschoben.

Da stellen sich die Fragen unseres Präsidenten: Was werden Sie tun, wenn dieser hypothetische Waffenstillstand plötzlich verkündet wird, ohne eine dauerhafte Regelung? Werden Sie weiter aufrüsten, bei der Zwangsmobilisierung der Ukrainer helfen, sie aus den Toilettenkabinen holen – vor den Augen ihrer Mütter – und in Fahrzeuge der Militärkommissariate drängen?

Selenski sagte, sie bräuchten keine Friedenstruppen, sondern Kampfeinheiten. Ein „offener“ Mensch. Aber der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer spielen mit Worten. Jetzt haben sie die „resilience forces“ (Widerstandskräfte) erfunden. Um also die „Widerstandskraft“ der Ukraine zu erhalten, werden sie hinter der Front nun nicht mehr Sperrabteilungen aufstellen – wie es die ukrainische Armee gewohnt ist, sondern Militärs aus westlichen Ländern. Aber was sollen sie bewachen? Immer noch dasselbe Regime? Niemand spricht auch nur ein Wort über Wahlen.

Jetzt haben die Amerikaner zwar gesagt, es müssten Wahlen abgehalten werden. Aber Europa wird alles tun, damit sich das Regime im Kern nicht verändert. Vielleicht wird man einen neuen „Halbführer“ finden, der weniger abhängig von verschiedenen „Substanzen“ ist – aber das Wesen des Regimes wird bleiben.

Bei verschiedenen Veranstaltungen frage ich (vor ein paar Tagen auch in Antalya): Wenn Sie die Unvermeidlichkeit der Erhaltung der Ukraine in bereits „abgekürzten“ Grenzen anerkennen – wie sehen Sie das Regime dieser „abgekürzten“ Ukraine? Werden Sie sie zwingen, die Gesetze abzuschaffen, die die russische Sprache überall und vollständig verbieten? Nirgendwo sonst gibt es so etwas. Selbst Israel hat in den härtesten Zeiten der Besatzung palästinensischer Gebiete nie die arabische Sprache verboten – und bis heute ist sie dort erhalten. Aber bei ihnen ist das so – sie dürfen das.

Anstatt diesem „Einzelwesen“ (erinnern Sie sich, wie er Russen nennt) Einhalt zu gebieten, erklärt Ursula von der Leyen pathetisch, dass man den „letzten Faden“, das „letzte Gewehr“, die „letzte Patrone“ (die letzte Patrone hätte Wladimir Selenski gut gebrauchen können) geben müsse – alles bis zum Ende, nur damit er die Russen besiegt, weil Wladimir Selenski mit seiner Armee die „europäischen Werte“ verteidige. Das stößt in Europa auf keinerlei Ablehnung.

Deshalb zielen all diese Friedenspläne, die die „Macrons“ und „Starmers“ entwerfen, darauf ab, wenigstens ein Stück Land zu retten, auf dem ein offen nazistisches, russophobes Regime erhalten bleibt, das auf die Vorbereitung eines weiteren Krieges gegen Russland ausgerichtet ist – wie es schon mit den Minsker Abkommen war. Das ist ein großes Problem für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des Westens.

Frage: In den letzten Jahren haben Sie und Wladimir Putin in den öffentlichen Auftritten immer wieder die Unzuverlässigkeit der westlichen Partner bei Verhandlungen dieser Art betont. Mehr noch, sie selbst haben letztlich ihre eigene Unzuverlässigkeit betont.

Sergej Lawrow: Wir haben es betont, sie haben es bewiesen.

Frage: Und sie haben es auch zugegeben, offen gesagt. Wodurch unterscheiden sich die derzeitigen Verhandlungen von den vorherigen? Warum kann man ihnen jetzt glauben? Meinen Sie, dass man das irgendwie mit gesundem Menschenverstand erklären kann?

Sergej Lawrow: Der gesunde Menschenverstand besteht nur in einer Sache. Und das ist übrigens das Motto von Donald Trump. Er sagt immer, dass er sich vom gesunden Menschenverstand leiten lässt. Das zeigt sich nur in einem Punkt: Es sind Leute gekommen, die uns gesagt haben – wir haben viele Probleme und Widersprüche miteinander, aber es ist idiotisch, was von der vorherigen Administration übriggeblieben ist, dass wir nicht miteinander reden. Ich halte das (habe es bereits gesagt) für Normalität, menschliche Normalität, die wir nicht ablehnen werden. Im Gegenteil, wir halten das für wichtig.

Als wir uns zusammen mit dem Assistenten des russischen Präsidenten, Juri Uschakow, in Riad mit dem US-Außenminister Marco Rubio und dem Sicherheitsberater des US-Präsidenten Mike Waltz trafen (weil sie uns dorthin eingeladen hatten), begannen sie zu betonen, dass für Präsident Donald Trump der gesunde Menschenverstand wichtig sei.

Die Außenpolitik von Donald Trump ist eine Politik der nationalen Interessen Amerikas. Dabei erkennt er an, dass auch andere Länder (insbesondere Großmächte) ihre eigenen nationalen Interessen haben, die nicht immer, ehrlich gesagt in den meisten Fällen mit den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten nicht übereinstimmen, aber (und das ist das Wichtigste), Russland, die USA und jedes andere bedeutende Land sind als verantwortungsvolle internationale Akteure in den Fällen (und das sind die meisten), in denen ihre nationalen Interessen nicht übereinstimmen, verpflichtet, alles zu tun, damit diese Nicht-Übereinstimmung nicht in eine Konfrontation mündet. In den Fällen (auch wenn es weniger sind), in denen diese Interessen übereinstimmen, sind sie verpflichtet, alles zu tun, um den Moment nicht zu verpassen und diese Übereinstimmung in gegenseitig vorteilhafte materielle, wirtschaftliche, technologische, Transport- und Logistikprojekte umzusetzen.

Ich halte das für pragmatisch und eines Gesprächs würdig. Ich weiß nicht, was in vier Jahren sein wird, wenn eine andere Administration kommt. Jetzt sagt man: Wollen wir wieder „Boeings“ kaufen. Und? Wer weiß, wie die Situation in vier Jahren aussieht. Werden sie dann wieder stillgelegt, und wir zerlegen sie in Ersatzteile? Vier Jahre sind vielleicht sogar schon ein zu langer Zeitraum.

In Europa und bei uns schreiben Politologen, dass es noch anderthalb Jahre bis zu den Zwischenwahlen im US-Kongress sind, bei denen die Demokratische Partei „alles geben“ wird, damit es dort keine Mehrheit gibt. Aber das ist alles Kaffeesatzleserei.

Jetzt, wenn man uns normale „Deals“ (wie Donald Trump sagt) anbietet, nehmen wir das im guten Sinne an. Wir verstehen sehr gut, wie ein gegenseitig vorteilhafter Deal aussieht, den wir nie abgelehnt haben, und wie ein Deal aussieht, der uns in eine neue „Falle“ treiben könnte.

Die dominierende Meinung in unserer politischen Klasse ist, dass wir unter keinen Umständen mehr zulassen dürfen, dass eine Wiederherstellung der Beziehungen in der Wirtschaft und in anderen Bereichen wieder dazu führt, dass wir in eine Abhängigkeit von sogenannten „Ersatzteilen“ in allen Bereichen geraten, von deren Zustand das Wohlergehen und der allgemeine Zustand unseres Staates abhängt. Es geht um die militärische, Lebensmittel- und technologische Sicherheit. Diese Lehre, davon bin ich zu 100 Prozent überzeugt, wird nicht vergessen. Nicht umsonst hat der Präsident Russlands, Wladimir Putin, auf dem Höhepunkt der militärischen Spezialoperation gesagt, dass wir Lehren gezogen haben und es nie wieder so sein wird wie vor Februar 2022.

Das bedeutet, dass wir bis zuletzt versucht haben, irgendwelche Kompromisse nach den damaligen Regeln zu finden. Trotz der Tatsache, dass wir Vorschläge gemacht haben, um Vereinbarungen über für uns akzeptable Sicherheitsgrundlagen zu verankern (nach der Münchner Rede im Jahr 2008 haben wir einen konkreten Vertrag vorgeschlagen, aber die NATO und die USA lehnten dies ab).

Im Dezember 2021 haben wir zwei weitere Verträge zur Gewährleistung der Sicherheit Russlands, Europas und der Ukraine ohne NATO-Erweiterung vorgeschlagen. Man hat uns ignoriert. Der damalige US-Außenminister Antony Blinken sagte mir im Januar 2022, Russland solle sich nicht „in das Thema NATO einmischen“. Das gehe uns nichts an, und sie könnten vielleicht darüber nachdenken, eine Begrenzung der Stationierung von Mittelstreckenraketen auf dem Territorium der Ukraine zu vereinbaren (verboten durch einen Vertrag, aus dem die USA ausgetreten sind). Das war’s. Da habt ihr ein „Zugeständnis“. Aber nach der Einreichung der beiden Vertragsentwürfe im Dezember 2021 auf Anweisung des Präsidenten (nach einer weiteren Rede im November 2021 im russischen Außenministerium) hoffte er bis zuletzt, dass wir sie doch davon überzeugen könnten, dass das Szenario, die Ukraine stumpf in die NATO hineinzuziehen, eine absolute Katastrophe wäre. Wir wissen, dass schon vor 2014 geplant war, Stützpunkte auf der Krim zu errichten. Dann war die Krim-Frage bereits geschlossen. Aber am Asowschen Meer wollten die Briten Marinestützpunkte errichten und noch vieles mehr. Die Worte von Präsident Wladimir Putin, dass es nie wieder so sein wird wie vor Februar 2022, bedeuten, dass er bis zuletzt auf den gesunden Menschenverstand gehofft hat.

Jetzt ist gesunder Menschenverstand im Weißen Haus zu erkennen. Wir werden sehen.

Frage: Was wird nach dem Auslaufen des New-Start-Vertrags im Februar 2026 sein? Meinen Sie nicht, dass man es bis dahin kaum schaffen wird, etwas Neues auszuarbeiten? Wird es ein neues Wettrüsten geben?

Sergej Lawrow: Wozu? Präsident Wladimir Putin hat gesagt, dass wir uns nie wieder in ein Wettrüsten hineinziehen lassen werden.

Frage: Wird es eine Art einseitige „Zurückhaltung“ geben?

Sergej Lawrow: Wozu? Wir haben unsere eigene Politik, und wir wissen, wie wir die Verteidigungsfähigkeit unseres Staates gewährleisten, falls sich die strategische Lage in der Welt nicht ändert.

Trotz der Normalisierung der Beziehungen mit den Amerikanern hören sie in den doktrinären Dokumenten der USA und der NATO nicht auf, uns als Gegner zu bezeichnen, und offizielle öffentliche Personen nennen uns sogar Feind. Das hört ja nicht auf.

Aus dem New-Start-Vertrag (genauso wie aus der UN-Charta) kann man nicht herausnehmen: Wir wollen eure nuklearen Anlagen inspizieren, und das wird dann territoriale Integrität bedeuten. Dort steht etwas anderes. Ganz am Anfang des Dokuments heißt es, dass wir ihn nur abschließen konnten, weil wir uns gegenseitig respektieren, für gleiche Sicherheit stehen und die Wechselwirkung zwischen strategischen Offensiv- und Defensivsystemen anerkennen. Diese Wechselwirkung ist längst „aufgebrochen“ worden durch den Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag. Zuvor stiegen sie aus dem ABM-Vertrag aus. Seitdem bauen die Amerikaner Raketenabwehrsysteme, Kurz- und Mittelstreckenraketen, die weltweit stationiert werden: in Europa, in Südostasien, entlang der Grenzen Russlands und Chinas.

Die Administration von Donald Trump hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, sich zu dritt mit China zusammenzusetzen. Uns bieten sie nichts an. Wir werden auch niemandem etwas anbieten. Denn wir waren es nicht, die die Rüstungskontrollinstrumente zerstört haben, den New-Start-Vertrag. Die grundlegenden Prinzipien, ohne die er nicht zustande gekommen wäre, wurden von der Administration von Joe Biden aufgegeben. Die Trump-Administration kehrt zu diesen Prinzipien bisher nicht zurück, obwohl bei vielen Fragen ein Dialog läuft.

Wir sind selbstständig. Wir haben alles. Wir wissen, wie wir unsere Verteidigungsfähigkeit gewährleisten sollen. Wenn sie das Gefühl haben, dass ihre nuklearen Arsenale stark veraltet sind und im Vergleich zu unseren modernisierten Waffen weiter veralten, dann sind sie wahrscheinlich daran interessiert, dieses „Missverhältnis“ irgendwie zu korrigieren. Uns wurden solche Vorschläge nicht unterbreitet.

Das letzte Mal bat der damalige Präsident Joe Biden darum, nukleare Objekte zu inspizieren, von denen zu diesem Zeitpunkt ukrainische Drohnen aus amerikanischer Produktion gestartet wurden.

Die Trump-Administration sagte, dass sie an einem strategischen Dialog im Format USA–Russland–China interessiert sei. China ist daran nicht interessiert. Uns wurden keine bilateralen Vorschläge gemacht. Sollte ein solcher Vorschlag kommen, werden wir selbstverständlich erklären, wie wir wahrhaft gleichberechtigte Gespräche sehen – Gespräche darüber, wie strategische Stabilität zu gewährleisten ist. Aber das ist noch in weiter Ferne. Wir laufen nicht mit Bitten herum, um zu reden. Wir haben den Prozess in seinen Bestandteilen (Wirtschaft, Verteidigung, Raketenabwehr, INF u.a.) nicht abgebrochen.

Präsident Wladimir Putin hat mehrmals gesagt, dass wir uns nicht aufdrängen wollen. Wenn es Ihnen nicht gefällt, mit uns zu sprechen, dann verhalten wir uns entsprechend und ziehen unsere Schlüsse. Wenn Sie zurückkehren wollen, dann erklären Sie, womit Sie zu uns kommen wollen, und wir werden sehen, ob es uns passt oder nicht.

Die Amerikaner haben einen Dialog über die Ukraine-Krise vorgeschlagen – wir sprechen, erklären unsere Position. Genauso haben sie einen Dialog über die Normalisierung der Arbeit der Botschaften vorgeschlagen – wir sind „dafür“.

Frage: Wann wird die US-Botschaft in Moskau wieder arbeiten? Wann wird es in Moskau möglich sein, ein amerikanisches Visum zu bekommen?

Sergej Lawrow: Wann wird die Auflage der Zeitung „Kommersant“ erhöht? Wollen Sie schon wieder einen „Fünfjahresplan in drei Jahren“? Wünschen schadet nicht – das kenne ich als Sprichwort.

Die Sache ist: Man kann keinen Prozess an ein konkretes Datum binden.

Jetzt heißt es: Frieden zu Ostern. Warum? Weil der Präsident Finnlands, Alexander Stubb, meint, dass das richtig wäre. Er hat das gesagt, nachdem er in Mar-a-Lago Golf gespielt hatte. Danach sagte er: „Ja, das ist unser Nachbar, über tausend Kilometer Grenze – sie werden es wiederherstellen müssen.“ Und drei Tage zuvor hatte er mit geradezu „rasendem“ Gesichtsausdruck gefordert, dass „Russland sich zurückzieht“, und dass man nicht vergessen werde, dass Russland ihnen Tausende Quadratkilometer Territorium genommen habe. Das also beschäftigt Stubb – nicht etwa, dass sie früher friedlich mit uns zusammenlebten, von uns ihre Unabhängigkeit erhielten, dass wir ihnen erklärten, warum wir die Grenze von Leningrad abrücken mussten. All das haben sie, wie es scheint, „vergessen“. Auch, wie ihre Führung damals mit sowjetischen und russischen Kollegen in der Sauna saß oder Eishockey spielte. Und nun heißt es plötzlich: „Russland hat gegen alles verstoßen“, indem es Truppen im Rahmen der militärischen Spezialoperation entsandte, und sofort hieß es: „Gebt uns unser Territorium zurück.“

Wenn also solche Leute wie der französische Präsident Emmanuel Macron, der uns in übelster Weise beschimpft hat, plötzlich sagen, man werde irgendwann wieder reden müssen, und er werde wohl der Hauptvermittler Europas sein – oder wenn Präsident Alexander Stubb, der laut geschrien hat, dass sie beleidigt seien, weil man ihnen Territorium weggenommen habe, und Russland ein Aggressor sei, nun erklärt, dass man es irgendwann normalisieren werde... Wenn diese Leute denken, dass sie sich jetzt so verhalten können und dann irgendwann, wenn es ihnen passt oder sie es plötzlich eilig haben, zur „Normalisierung“ übergehen wollen – dann werden wir überlegen, ob die Zeit gekommen ist oder nicht, und unter welchen Bedingungen diese Beziehungen „normalisiert“ werden. Niemand ist vergessen, nichts ist vergessen – in jeder Hinsicht.

Frage: Aus den früheren Worten ergibt sich, dass man in Moskau an die Verhandlungsfähigkeit der Amerikaner und an deren Rolle als Vermittler im Ukraine-Konflikt glaubt. Es gibt bereits zwei Vereinbarungen unter US-Vermittlung: zur sicheren Schifffahrt im Schwarzen Meer und ein Moratorium für Angriffe auf Energieinfrastruktur. Aber wie wir sehen, funktioniert weder das eine noch das andere vollständig. Wie würden Sie das kommentieren?

Sergej Lawrow: Solche Vereinbarungen gibt es nicht.

Am 18. März schlug US-Präsident Donald Trump in einem Telefonat mit Präsident Wladimir Putin ein 30-tägiges… Trump sagte, er verstehe, warum es derzeit nicht klar ist, wie man einen Waffenstillstand organisieren soll.

Erinnern Sie sich an die Pressekonferenz mit dem Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko, auf der Wladimir Putin unsere Reaktion auf die Idee eines allgemeinen 30-tägigen Waffenstillstands dargelegt hat? Wie soll das aussehen? Wird es zur Lieferung neuer Waffen und zur Zwangsmobilisierung von weiteren Zehntausenden genutzt (ich weiß nicht, wie viele sie „zusammenkratzen“ würden)? Wie stellt man sicher, dass Verstöße sofort festgestellt werden? Man weiß ja, wie gerne die Ukraine lügt. Deshalb schlug Trump ein 30-tägiges Moratorium für Angriffe auf Energieobjekte vor.

Präsident Putin stimmte sofort zu. Noch während des Gesprächs gab er den Befehl, solch ein Verbot umzusetzen. Sieben unserer Drohnen waren bereits unterwegs, um ukrainische Energieanlagen anzugreifen. Wir haben sie selbst abgeschossen.

Und das zweite, was Trump sagte: Die Leute sollen sich zur „Schwarzmeer-Initiative“ treffen, sie müsse wiederbelebt werden. Die Leute trafen sich, einigten sich auf fünf Punkte, die die Amerikaner verbreiteten. Wir veröffentlichten eine Ergänzung zu diesen fünf Punkten, insbesondere zu dem Paragraphen, in dem stand, dass die Amerikaner die Wiederaufnahme des russischen Exports von Getreide und Düngemitteln unterstützen würden – was Versicherungsprämien, Hafeneinläufe, Tanken von Schiffen u.a. betrifft. Praktische Dinge also.

Genau das, was UN-Generalsekretär Antonio Guterres schon vor drei Jahren hätte tun sollen, als das erste „Schwarzmeerabkommen“ aus zwei Teilen unterzeichnet wurde: die eine Hälfte - ukrainisches Getreide, die andere – russische Getreide und Düngemittel. Guterres hatte sich verpflichtet, die Hindernisse für unsere Exporte von Agrarerzeugnissen, Düngemitteln zu beseitigen. Er hat es nicht getan. Trotzdem verkaufen wir seit drei Jahren. Wir haben unsere Möglichkeiten, nutzen andere Routen. Aber auf dem Markt mangelt es an Getreide und Düngemittel, die für arme Länder notwendig sind, damit sie ihre Lebensmittelproduktion aufbauen und humanitäre Hilfe von uns erhalten.

Deshalb haben wir offen gesagt: Schön, dass sich die USA jetzt – ebenso wie einst Guterres – bereit erklärten, den russischen Export durch Beseitigung der Hindernisse zu erleichtern. Die Amerikaner formulierten jetzt diese Bereitschaft. Aber wir wissen, woran die „Hoffnungen“ von Guterres damals zerbrachen. Deshalb sagten wir offen: Wenn die USA ihre Bereitschaft erklären, dann sollen sie auch konkret sagen, das getan werden soll, damit sich nicht wiederholt, was damals geschah, als man den Deal feierte, der aus der Sicht russischer Exporte am Ende ein Misserfolg war.

Grundsätzlich bestehen wir bei jeder Diskussion mit dem Westen über angeblich „friedensfördernde“ Vorschläge auf der Überprüfung der Ehrlichkeit unserer ukrainischen Nachbarn. Zwei besonders bemerkenswerte Beispiele. Am 2. Mai 2014 wurden im Gewerkschaftshaus fast 50 Menschen verbrannt. Die Ukraine versprach (damals war Pjotr Poroschenko Präsident), das zu untersuchen. Niemand hat je etwas untersucht. Der Europarat, der ein Jahr nach der Tragödie – als wir noch Mitglied waren – Hilfe bei der Untersuchung anbot, verabschiedete ein bescheidenes Papier: man sei bereit, der Ukraine bei der Aufklärung zu helfen. Und dann distanzierte er sich davon. Alle haben es vergessen. Dabei gibt es genug Videomaterial über die Täter, die das Feuer legten, auf Menschen schossen, die aus Fenstern sprangen. Niemand interessiert sich dafür.

Für mich aber ist das deutlichste Beispiel - Butscha. Zwei Tage nach dem Rückzug unserer Einheiten Ende März 2022 als Zeichen des guten Willens vor der Unterzeichnung der Istanbuler Vereinbarungen, die Boris Johnson den Ukrainern letztlich verbot, war in Butscha niemand außer den örtlichen Behörden. Der Bürgermeister posierte vor den BBC-Kameras, sagte, dass sie wieder die Kontrolle haben. Und zwei Tage später zeigte BBC plötzlich – nicht in Kellern, sondern mitten auf der Hauptstraße – Dutzende Leichen, ordentlich am Straßenrand aufgereiht. Sofort hieß es: „russische Gräueltaten“, ihre Rache am ukrainischen Volk. Die EU, die USA, Mitarbeiter der Biden-Administration verhängten Sanktionen. Das dauerte drei, vier Tage: „Russland ist ein Monster“...

Seitdem versuchen wir – und ich persönlich – die Namen der Menschen zu erfahren, deren Leichen so pompös bei der BBC und später auf allen anderen Kanälen gezeigt wurden. Zweimal war ich in New York zur Generalversammlung der UNO, nahm an Sitzungen des Sicherheitsrats der UNO teil und habe Antonio Guterres, der mir gegenüber am runden Tisch saß, direkt gefragt, ob man da irgendwie helfen könne. Denn niemand legt etwas vor. Man hat uns beschuldigt. Gut, es läuft eine Untersuchung. Sagt wenigstens die Namen. Wir hoffen schon gar nicht mehr – es geht nur darum, zu sehen, wie sehr ihr „engagiert“ seid. Antonio Guterres wandte sich ab, wurde verlegen. Später, unter vier Augen, sagte er, das sei angeblich nicht seine Zuständigkeit. Ich entgegnete: Moment mal, es gibt doch den UN-Menschenrechtsrat, bei dem unter Missachtung der Verfahren irgendeine „unabhängige“ „Menschenrechtsmission für die Ukraine“ geschaffen wurde. Für uns ist sie illegitim, aber sie existiert. Wir haben an den Menschenrechtsrat ein offizielles Schreiben geschickt: Können wir erfahren, was dort eigentlich passiert ist? Seit Butscha sind drei Jahre vergangen – nennt wenigstens die Namen. Uns wird nichts geantwortet. Es handelt sich bereits um ein offizielles Schreiben.

Wenn ich in New York bin und Pressekonferenzen gebe, sage ich allen, die bei der UNO akkreditiert sind – BBC, CNN und die anderen, dass sie Journalisten sind und es ein Genre namens „Journalistenrecherche“ gibt. Der Generalsekretär der UNO, Antonio Guterres, weicht aus, der UN-Menschenrechtsrat weicht aus. Können Journalisten eine konkrete Anfrage an die UNO stellen? Niemand tut irgendetwas.

Deshalb ist für mich die Lage klar. Wie gefährlich das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist, ist mir ebenfalls klar. Es ist überhaupt nicht gefährlich.

Faschisten erobern Gebiete, die niemals jemand anderem als dem Russischen Reich oder der Sowjetunion gehört haben, und begehen dort völlig abscheuliche Taten, versuchen uns irgendwelche „Vorstellungen“ zu machen.

Plötzlich wird an irgendein Budapester Memorandum erinnert. Dort steht nichts davon, dass man „den Kopf senken“ muss vor einem verfassungswidrigen Staatsstreich, der Rassisten und echte Russophoben an die Macht gebracht hat. Wenn sie von den Grenzen von 1991 sprechen, so sind diese aufgrund der Belowescher- und später der Almaty-Vereinbarungen zwischen den Republiken der ehemaligen Sowjetunion entstanden, ausgehend von den damaligen Gegebenheiten. Eine der zentralen Voraussetzungen für uns, für die RSFSR, war damals die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine, die ein Jahr zuvor verabschiedet wurde. Dort stand klar, dass dieser Staat für immer neutral bleiben werde, keinem Militärbündnis beitreten werde. Später wurde das in die Verfassung der Ukraine aufgenommen. Das war richtig. In ihrer Verfassung stand geschrieben, dass der Staat Ukraine die Einhaltung der Rechte der Russen (ausdrücklich hervorgehoben) und aller anderen nationalen Minderheiten garantiert. Trotz der grausamen Gesetze, von denen ich gesprochen habe, blieb diese Bestimmung in der Verfassung der Ukraine erhalten. Erst später begann man, die „NATO-Mitgliedschaft“ in die Verfassung einzufügen. Aber wir haben die Unabhängigkeit der Ukraine als eines neutralen, freundschaftlichen, blockfreien Staates anerkannt, in dem die „Rechte der Russen und anderer nationaler Minderheiten“ geachtet werden.

 

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