Rede des Außenministers Russlands S. Lawrow und seine Antworten auf Fragen der Medien auf der gemeinsamen Pressekonferenz zu Ergebnissen der Verhandlungen mit dem Außenminister der Ukraine K. Grischenko, Moskau, 5. September 2011
Guten Tag!
Wir behandelten heute zusammen mit Herrn Konstantin Iwanowitsch Grischenko die Gesamtheit von Fragen, die auf der Tagesordnung der russisch-ukrainischen Beziehungen stehen, sowie die Aspekte unserer Zusammenarbeit in europäischen und globalen Strukturen und unsere Kooperation zu verschiedenen Themen, die die Europäer und andere Mitglieder der Weltgemeinschaft bewegen. Wir einigten uns darüber, wie wir das nächste - bereits das fünfte - Treffen der zwischenstaatlichen Kommission unter Vorsitz der Präsidenten Russlands und der Ukraine vorbereiten werden. Wir werden dazu streben, dass dieses Ereignis zu einer neuen wichtigen Etappe für die Vertiefung unserer strategischen Partnerschaft wird, dass es zur Lösung einer Reihe von Fragen, die heute noch den Gegenstand von aktiven Expertenverhandlungen bilden – einschließlich der Asow-Kertsch-Regelung und anderer Themen, beitragen wird.
Wir besprachen ziemlich ausführlich Fragen im Zusammenhang mit der Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf dem Territorium der Ukraine und der Vervollkommnung der entsprechenden rechtlichen Basis. Wir sind damit zufrieden, dass diese Thematik jetzt absolut entpolitisiert ist und dass die entsprechende Unterkommission aktiv, konkret und professionell arbeitet. Eine Reihe von Dokumenten ist bereits vereinbart und sie werden auf der nächsten Sitzung der zwischenstaatlichen Kommission zur Unterschrift vorgelegt. Zu den anderen Dokumenten haben wir uns geeinigt, die Arbeit zu beschleunigen.
Wir behandelten auch die Grenzfragen. Man arbeitet an zahlreichen und für unsere Bürger nützlichen Vereinbarungen. Wir sind beabsichtigt, diesen Prozess schnellstmöglich abzuschließen und entsprechende Vereinbarungen zur Unterzeichung vorzubereiten.
Die humanitäre Zusammenarbeit nimmt traditionell in unseren Beziehungen einen wichtigen Platz ein. Nächstes Jahr feiert man den 200. Jahrestag der Geburt von Taras Schewtschenko und den 1150. Jahrestag der Entstehung der russischen Staatlichkeit, die unmittelbar mit dem altrussischen Staat – der Kiewer Rus – verbunden ist. Nächsten Monat steht in der Ukraine das nächste ordentliche Forum der Intelligenz aus den GUS-Staaten bevor. Wir bereiten uns aktiv auf dieses Ereignis vor. Wir sind überzeugt, dass es auf höchstem Niveau durchgeführt wird.
Wir besprachen die Regelung des Transnistrien-Problems im Kontext der in diesem Monat bevorstehenden Wiederaufnahme der Moskauer Runde von Konsultationen im Format „5+2". Wir werden dazu streben, dass diese Konsultationen mit Vereinbarungen über die Wiederaufnahme von offiziellen Verhandlungen enden. Russland und die Ukraine fungieren als Garanten und Vermittler in diesem Prozess. Wir werden zusammen mit der OSZE und mit den US- und EU-Beobachtern eine hohe Effizienz der sich in Vorbereitung befindenden Veranstaltung anstreben.
Somit kurz zu den Hauptthemen, die wir heute besprochen haben. Ich bin mit unseren stattgefundenen Verhandlungen sehr zufrieden.
Frage (an die beiden Minister): In letzter Zeit meinen einige russische Medien und Experten bei ihrer Bewertung der Konfliktsituation im Gasbereich zwischen den beiden Staaten, dass der Druck und der Wunsch, Kiew in die Ecke zu treiben, nicht zur Entwicklung von strategischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern beitragen. Wie werden die bilateralen Beziehungen sich nach der gegenwärtigen Situation weiterentwickeln?
S. Lawrow (antwortet als Erster): Ich denke, dass Versuche, jemanden in die Ecke zu treiben, nie zur Entwicklung von guten Beziehungen beitragen, ganz zu schweigen von strategischen. Russland greift nicht zu solchen Maßnahmen. In unseren Beziehungen mit der Ukraine lassen wir uns von Prinzipien der strategischen Partnerschaft leiten. Wir schließen die Arbeit an der Deklaration, die den Inhalt unserer strategischen Partnerschaft konkretisieren wird, ab. Das ist der unveränderliche Kurs der russischen Führungsspitze.
Was das Gasthema und andere wirtschaftliche Fragen anbetrifft, so folgen wir hier dem allgemein anerkannten Prinzip der Respektierung von internationalen Verpflichtungen, einschließlich der Verträge und der Regierungsabkommen. Genau davon ist jetzt die Rede. Ich bin sicher, dass diejenigen, die sich unmittelbar mit Problemen im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit im Gasbereich, dem freien Handel und der Liberalisierung von Handelsregimes beschäftigen, professionell und ohne Politisierung oder Ideologisierung Antworten auf diese Fragen suchen werden. Es existiert eine Weltpraxis der Integrationsprozesse und es gibt bestimmte Vorteile, die die Länder davon bekommen. Eine solche Logik gilt sowohl für den EU-Raum, als auch für die GUS, wo sich die Integration im Rahmen der EAWG, der Zollunion und des Einheitlichen Wirtschaftsraumes entwickelt. Wir versuchen, unsere Beziehungen mit allen Staaten auf der Grundlage von weltweit wirkenden Prinzipien der Respektierung von gegenseitigen und internationalen Verpflichtungen aufzubauen.
Frage: Sergej Wiktorowitsch, wie bewerten Sie die Aussichten für die Anerkennung des palästinensischen Staates auf der nächsten Tagung der UN-Generalversammlung? Ist Russland als ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates beabsichtigt, seinen Einfluss zu nutzen, um dazu beizutragen?
S. Lawrow: Ich habe dieses Thema schon mehrmals berührt. Wir sehen keine Probleme für die Anerkennung des palästinensischen Staates. Unser Land hat es noch im vorigen Jahrhundert gemacht. In Moskau arbeitet der vollberechtigte Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter des Staates Palästina. Wir stehen im Kontakt zur PNA-Führungsspitze, die uns über ihre Pläne informiert und wir teilen ihnen unsere Meinungen dazu mit.
Ich möchte mit Befriedigung betonen, dass die Palästinenser fest auf der Position beharren, dass ihr Antrag an die Vereinten Nationen keine Alternative für die Erzielung einer Vereinbarung mit Israel ist. Das ist ein prinzipiell wichtiger Moment, denn nur durch Verhandlungen kann man die Bildung eines vollwertigen territorial einheitlichen palästinensischen Staates, der in Frieden und Sicherheit zusammen mit Israel und anderen Staaten der Region koexistieren wird, gewährleisten. Wir werden uns von diesen Ansätzen in New York leiten lassen, wenn die Frage der Organisation der Vereinten Nationen zur Behandlung vorgelegt wird.
Frage: Die Führungsspitze Russlands verkündete mehrmals, dass in der Zukunft eine Freihandelszone zwischen der Zollunion und der EU geschaffen wird. Wozu versucht man, die Ukraine in die Zollunion hineinzutreiben, wenn im Endergebnis auf dem Kontinent ein großer einheitlicher Wirtschaftsraum entstehen wird?
Sind Russland und die Ukraine bereit, sich zu den Gasproblemen im Stockholmer Schiedsgericht zu treffen? Oder gibt es andere Möglichkeiten?
S. Lawrow (antwortet als Erster): Was die erste Frage anbetrifft, so kann ich mich nicht damit einverstanden erklären, dass wir versuchen, irgendjemanden irgendwohin hineinzutreiben, schon gar nicht die Ukraine in die Zollunion. Dazu haben sich der Präsident Russlands, der Regierungschef der Russischen Föderation und der Außenminister bereits mehrmals geäußert. Die Rede ist davon, dass die Ukraine sich entscheiden muss, ob sie an dem Beitritt zur Zollunion interessiert ist oder nicht. Das wurde von der russischen Führungsspitze äußert klar gesagt. Der Präsident Russlands erklärte, dass man nicht zur Hälfte in der Zollunion, und zur Hälfte – außerhalb davon sein kann.
Was die Freihandelszone zwischen der Zollunion und der Europäischen Union anbetrifft, so muss diese Frage zum Gegenstand von Verhandlungen werden. Die Freihandelszone gründet auf gemeinsamen Prinzipien. Aber konkrete Aspekte des einen oder anderen Regimes können sich unterscheiden, darum muss man bei den Verhandlungen berücksichtigen, wer sich in welcher Struktur befindet.
Was das Schiedsgericht anbetrifft, so verkündete die Pressesekretärin des Präsidenten Russlands in seinem Auftrag kürzlich, dass wir bereit sind, unsere Position in jeder beliebigen gerichtlichen Instanz zu verteidigen.
S. Lawrow (als Ergänzung zur Antwort von K. Grischenko): Was die moderne vertragliche Praxis anbetrifft, so bin ich mit meinem Kollegen einverstanden. Ich habe bereits gesagt, dass wir für die Einhaltung von internationalen Verträgen und Vereinbarungen, unter anderem auch zwischen Russland und der Ukraine, plädieren. Somit schließe ich mich also an die Worte von Konstantin Iwanowitsch an.