Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, bei den Verhandlungen mit dem Stellvertretenden Premierminister, Außenminister des Königreichs Thailand, Don Pramudwinai, Moskau, 6. September 2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir hatten substantielle Verhandlungen mit dem Stellvertretenden Premierminister, Außenminister Thailands, Don Pramudwinai. Sie verliefen traditionell freundschaftlich und vertrauensvoll.
Das Königreich ist einer der bedeutendsten Partner Russlands in Südostasien und in der Asien-Pazifik-Region. Uns verbindet eine lange Geschichte der Beziehungen. 2022 wird der 125. Jahrestag der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen begangen. Aus diesem Anlass wurden viele kulturell-humanitäre Veranstaltungen in Russland und Thailand organisiert.
Unsere Beziehungen stützen sich auf eine feste Grundlage der Freundschaft, konstruktiver Zusammenarbeit und gegenseitigen Vertrauens. Wir entwickeln sie gerade auf diesem Fundament. Während der Verhandlungen gab es einen Meinungsaustausch zu allen aktuellen Fragen der bilateralen Tagesordnung. Wir werden die Intensivierung der Kontakte zwischen verschiedenen Diensten, Wirtschaftskreisen, Gesellschaftsorganisationen fördern.
Besondere Aufmerksamkeit wurde den Fragen des wirtschaftlichen Zusammenwirkens gewidmet. 2021 stieg der Handelsumsatz fast um 30 Prozent auf 2,28 Mrd. Dollar, doch in den ersten Monaten dieses Jahres ging er etwas zurück. Es wurde vereinbart, sich auf ein weiteres Treffen der Zwischenregierungskommission für handelswirtschaftliche Zusammenarbeit, deren Kovorsitzende von der thailändischen Seite der Minister ist, vorzubereiten. Während dieser Sitzung, die wir in diesem Jahr durchführen wollen, werden wir die Wege zur Wiederherstellung einer positiven Dynamik des Handelsumsatzes skizzieren. Ich bin sicher, dass unser heutiges Gespräch bei der Festlegung konkreter Richtungen dieses Prozesses, darunter Industrie, Landwirtschaft, Energie, darunter Atomenergie, sowie andere Bereiche des Zusammenwirkens helfen wird. Kohlenwasserstoffe, Lebensmittel und Düngemittel stehen auch auf der Tagesordnung. Heute sprachen wir darüber, wie der Bedarf unserer Freunde nach diesen russischen Waren gewährleistet werden soll.
Wir haben ein gegenseitiges Verständnis für die Notwendigkeit der Vervollkommnung der vertragsrechtlichen Basis der Beziehungen, einschließlich der Abstimmung der Dokumente, die einen sicheren Schutz der Interessen und legitimen Rechte russischer Staatsbürger in Thailand gewährleisten.
Wir äußerten uns zugunsten der Aktivierung der kulturell-humanitären und Jugendaustausche. Wir haben ein gemeinsames Interesse an der Fortsetzung der sich gut bewährten Praxis des Zusammenwirkens zwischen den führenden Universitäten. 2021 fand eine Videokonferenz zwischen den Rektoren der größten Hochschulen Russlands und Thailands statt. Es wurde vereinbart, diese Praxis fortzusetzen, sowie Stipendien an thailändische Studenten an russischen Hochschulen zu vergeben.
Unsere Positionen sind bei vielen aktuellen Fragen der globalen und regionalen Tagesordnung naheliegend bzw. stimmen überein. Wir begrüßen eine aktive Rolle des Königreichs in Integrationsprozessen in der Asien-Pazifik-Region. Unter Berücksichtigung des Vorsitzes Bangkoks am Forum der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde in diesem Jahr vereinbart, einen substantiellen Dialog zu einer umfassenden Tagesordnung dieser Organisation fortzusetzen, einschließlich der Vorbereitung auf den APEC-Gipfel, der in diesem Herbst in Thailand stattfindet.
Wir sind den thailändischen Kollegen für eine ausgewogene, objektive und verantwortungsvolle Position in Bezug auf die Entwicklung der Ereignisse in und um die Ukraine sowie für das Begreifen der wahren Gründe der Entstehung der jetzigen Situation in der internationalen Arena dankbar. Wir bestätigten die Bereitschaft, unsere Einschätzungen der Entwicklung zu teilen. Wir sprachen auch zum Thema internationale Lebensmittelsicherheit, darunter im Kontext der künstlich herbeigeführten Erklärungen darüber, dass es gerade die russischen Handlungen waren, die eine Krise auf dem Markt der Lebensmittel und Düngemittel verursachten. Wir führten konkrete Fakten an, die zeigen, dass dem nicht so ist. Im Gegenteil, es sind unsere westlichen Kollegen, die das nicht erfüllen, was vom UN-Generalsekretär versprochen wurde, und zwar, sie treffen keine Beschlüsse über den Ausschluss der logistischen Sanktionen, die einen freien Zugang des russischen Getreides und Düngemittel auf den Weltmarkt verhindern. Wir arbeiten mit dem Generalsekretär und seinen Mitarbeitern daran, dass die in Istanbul zwischen der UNO und der Russischen Föderation unterzeichneten Vereinbarungen vom UN-Sekretariat erfüllt werden.
Ich halte die durchgeführten Verhandlungen für nützlich. Wir bestätigten eine gegenseitige Stimmung auf die weitere Entwicklung unserer Zusammenarbeit. Ich weiß unsere Beziehungen zu Herrn Minister sehr zu schätzen. Ich danke ihm für den Besuch.
Frage: Liz Truss wurde gestern zur Chefin der Konservativen Partei Großbritannien gewählt. Heute wird sie offiziell zur neuen Premierministerin des Landes erklärt. Während des Wahlkampfes versprach Liz Truss, eine harte antirussische Politik fortzusetzen sowie umfassende Hilfe an Kiew zu leisten, darunter Lieferungen schwerer Waffen. Wie meinen Sie, kann sich die Ernennung von Liz Truss zur Premierministerin auf die russisch-britischen Beziehungen auswirken? Ist der Ausbau der Handlungen des Westens zur Verzögerung des ukrainischen Konfliktes bei solch einer Position der neuen Regierungschefin Großbritanniens möglich?
Sergej Lawrow: Dieses Ereignis wird in der Welt ziemlich aktiv besprochen. In den Publikationen britischer Medien steht geschrieben, dass wenn man alle Wähler, alle erwachsenen britischen Staatsbürger nimmt, eine absolute Minderheit von ihnen für diese Kandidatin stimmte.
Wir wissen, wie die britische Demokratie funktioniert – insgesamt 160.000 Parteimitglieder der Konservativen entscheiden über das Schicksal der Regierung. Wenn eine Partei bei den allgemeinen Wahlen gewinnt, kann sie dann in ihrem Kreis untereinander darüber entscheiden, wer das Oberhaupt sein wird.
Einst haben wir das mit den britischen Kollegen besprochen, als sie kritische Bemerkungen über unser demokratisches System zum Ausdruck brachten. Wir führten ihnen dieses auffallende Beispiel an. Die Briten gaben zu, dass es nicht sehr gut ist, betonten aber, dass sich alle daran gewöhnten, so sind die Traditionen, weshalb in Großbritannien nichts geändert wird. Gemäß dieser „Tradition“ wurde eine neue Premierministerin gewählt.
Was die Erklärungen von Liz Truss betrifft, trafen wir uns mit ihr am Anfang dieses Jahres in diesem Gebäude, als sie Außenministerin Großbritanniens war. Liz Truss hält sich an ihre Prinzipien der Unversöhnlichkeit bei der Verteidigung der Interessen Großbritanniens, ohne die Positionen der Anderen zu berücksichtigen bzw. auf Kompromisse einzugehen. Ich denke nicht, dass es dabei helfen wird, die Stellung dieses Landes auf der internationalen Bühne zu halten bzw. zu festigen, die nach dem Austritt aus der EU eindeutig ins Wanken geraten ist. London versucht schon seit langem aktiv, seine Einbußen bei Identität und Einfluss in der EU durch ziemlich drastische Schritte in der Weltarena zu kompensieren, darunter aggressive Handlungen in der Situation um die Ukraine. Wir alle wissen darüber Bescheid.
Ich denke, dass es für Liz Truss vorrangig sein sollte, bevor sie ihre wissentlich negative Position gegenüber Russland endgültig formuliert, die Situation mit den nächsten Nachbarn zu klären und endgültig darüber zu entscheiden, ob Präsident Emmanuel Macron für sie Freund oder Feind ist. Diese Frage bleibt in der Luft hängen, ohne Antwort. Ich meine, dass es für zwei Nachbarn wichtiger wäre, das zu klären, als den Blick weit über eigene Grenzen zu werfen.
Frage: Gestern wurde auf einer interparlamentarischen Verteidigungs- und Sicherheitskonferenz an den Chef der europäischen Diplomatie Josep Borrell eine Frage von einem estnischen Parlamentarier gestellt, welche konkrete Schritte er unternehmen wird, um gegen „faschistisches Russland“ eine strategische Niederlage zu bereiten. Der Hohe Vertreter bestritt in seiner Antwort nicht, einen solchen Begriff gegenüber Russland verwendet zu haben, sondern wiederholte ihn. Wie schätzen Sie diese Rhetorik Borrells ein? Kann man über irgendwelche Beziehungen zur EU sprechen, wenn hochrangige Diplomaten solche Begriffe bei ihren Auftritten und Antworten verwenden?
Sergej Lawrow: Ich wurde auf diese Geschichte aufmerksam. Josep Borrell dementierte nicht solche unerlaubten Äußerungen, sondern sagte bei der Antwort auf die Frage, dass sie bislang keinen konkreten Plan haben, wie man ein „faschistisches Russland“ und das „faschistische Regime“ besiegen soll. Damit wird das Ziel nicht in Zweifel gestellt, es wurde bislang einfach kein „konkreter Plan“ ausgearbeitet. Das ist bei Weitem nicht das erste Mal, wenn der Chef der EU-Diplomatie wie schon seit langem nicht über diplomatische Methoden spricht, sondern ständig fordert, „Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen“, Waffenlieferungen an die Ukraine auszubauen, um keine Pausen in dieser Militärkampagne einzulegen.
Das Büro des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik dementierte sofort diese Mitteilungen. Es wurde gesagt, dass Josep Borrell auf Spanisch sprach und Ungenauigkeiten bei der englischen Übersetzung auftraten. Wir beantragten beim Büro des Hohen Vertreters den Wortlaut seines Auftritts in der spanischen Sprache. Er wurde uns bislang nicht gegeben. Wir werden eine vollständige Klarheit in der Sache anstreben.
Wenn wir heute keinen Wortlaut in der spanischen Sprache bekommen, werden wir entsprechende Konsequenzen ziehen. Josep Borrell ist doch ein Mensch, der EU-Vertreter im Ausland ernennt. So bekamen wir vor einer Woche einen von ihm ernannten neuen Leiter der EU-Vertretung in der Russischen Föderation. Wenn der Chef der EU-Diplomatie es instinktiv für selbstverständlich hält, über den Kampf gegen das „faschistische Regime“, wie er das formulierte, zu sprechen, möchte ich wissen, welche Anweisungen, Direktiven er seinem Vertreter in Moskau gegeben hat, und welche Linie dieser Vertreter verfolgen wird. Wenn sich das bestätigt, was von allen internationalen Medien berichtet wurde, werden wir große Fragen darüber haben, wie man mit diesen Menschen weiter umgehen soll.