Rede und Antworten auf Medienfragen des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, über die Ergebnisse des Arbeitsessens mit den Außenministern der EU-Mitgliedsstaaten und dem Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik / der Stellvertretenden Vorsitzenden der EU-Kommission, Catherine Ashton, Brüssel, 16. Dezember 2013
Lawrow: Wir hatten ein Treffen im erweiterten Format zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union auf Ministerebene. Anwesend waren alle 28 Minister und der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton. Das Ziel solcher Termine ist ein Überblick über das gesamte Spektrum unserer Beziehungen. Das Treffen fand in erster Linie unter dem Blickwinkel der Vorbereitung auf den Russland-EU-Gipfel statt, welcher Ende Jänner 2014 in Brüssel abgehalten wird. Wir stellten fest, dass es mehrere Dokumente gibt, die während des Gipfeltreffens unterzeichnet oder angekündigt werden können. Wir kamen überein, die Vorbereitungsarbeiten zu intensivieren und den Gipfel maximal mit konkretem Inhalt zu erfüllen.
Vor allem geht es darum, bei einigen sich schon lange auf unserer Agenda befindlichen Fragen den toten Punkt zu überwinden. Unsere Priorität ist der visafreie Dialog. Dieser dauert bereits mehr als acht Jahre und nahm in den letzten zwei Jahren konkrete Konturen an. Ausgearbeitet wurde eine Liste von gemeinsamen Schritten, welche sowohl wir als auch unsere europäischen Partner setzen müssen, um die Sicherheit der Reisedokumente und eine genaue Kontrolle an den Grenzen zu gewährleisten und um alles zu tun, damit unsere Bürger sicher reisen können. Jetzt liegt der Ball bei der EU. Während dieser zweijährigen Arbeit fanden einige gegenseitige Besuche statt: eine russische Mission fuhr in die EU, eine EU-Mission besuchte Russland. Aufgrund dieser Reisen wurde ein Bericht vorbereitet, in dem die Umsetzung der gemeinsamen Schritte dargelegt wird und welcher der Europäischen Kommission übergeben wurde. Die Partner versprachen, uns bald ihren Bericht zu übergeben. Wir sind überzeugt, dass es nach dem Vergleich dieser beiden Dokumente möglich sein wird, den politischen Führern zu empfehlen, eine Erklärung dahingehend abzugeben, dass es Zeit ist für die Vorbereitung eines Abkommens über kurzfristige visafreie Reisen für die Bürger Russlands und der dem Schengen-Raum angehörenden EU-Staaten. Parallel dazu hoffen wir auf die Annahme eines neuen Abkommens, welches eine Art Vorläufer für die Visafreiheit werden und das Abkommen aus dem Jahr 2006 über die Vereinfachung der Visaausstellung für Bürger Russlands und der EU weiter liberalisieren soll, indem weitere Kategorien von Bürgern hinzugefügt werden, welche die vereinfachte Visaausstellung in Anspruch nehmen können, darunter auch Journalisten, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und andere. Diese Arbeit wurde bereits im Mai abgeschlossen. Eigentlich ist das Abkommen fertig. Wir riefen unsere europäischen Partner dazu auf, die inneren bürokratischen Strukturen schneller zu beenden, damit man auf dem Gipfel den Schlusspunkt setzen kann: im Idealfall die Unterzeichnung eines Abkommens über die weitere Vereinfachung der Visaausstellung oder die Ankündigung, dass dieses in allernächster Zukunft unterzeichnet wird.
Ein weiteres unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmendes Thema ist ein neues Basisabkommen. Dieses wird auch schon lange vorbereitet. Die Delegationen arbeiteten sehr intensiv und haben mit Ausnahme des Handels- und Wirtschaftskapitels die Ausarbeitung aller grundlegenden Abschnitte praktisch abgeschlossen. Zu einer Pause in dieser Thematik kam es dadurch, dass wir den Beitritt zur Welthandelsorganisation vollzogen und es dabei notwendig war, zu verstehen, zu welchen Bedingungen dieser Beitritt erfolgt. Jetzt sind diese Bedingungen verständlich und wir wollen, dass diese Eingang in das neue Basisabkommen finden. Die Beratungen, welche in der letzten Zeit auf Arbeitsebene erfolgten, bestätigen, dass sich ein besseres Verständnis für die gegenseitigen Positionen abzeichnet. Die EU möchte nach jenen Abkommen, die im Rahmen des russischen Beitritts zur WTO ausgearbeitet wurden, schnell und umfassend auf dem Weg der weiteren Liberalisierung des bilateralen Handels und der gegenseitigen Investitionsbedingungen voranschreiten. Für uns ist es wichtig, sich in der neuen Eigenschaft als WTO-Mitglied umzusehen und zu verstehen, welche Folgen die Teilnahme an dieser Organisation für unsere Industrie, die Landwirtschaft und den Dienstleistungsbereich hat. Es schien uns, dass unsere Partner mit dieser Logik einverstanden sind sowie auch damit, dass bei Fragen, die in die Kompetenz der Zollunion unter Teilnahme Russlands, Kasachstans und Weißrusslands fallen, Vertreter der Eurasischen Wirtschaftskommission bei den Verhandlungen anwesend sein und auch teilnehmen werden. Das wird ein echter Durchbruch in unseren Beziehungen sein, wenn es uns gelingt, Einvernehmen darüber zu erreichen, welchen Inhalt das neue Basisabkommen haben soll.
Wir haben auch noch andere gemeinsame Fragen. Wir kooperieren im außenpolitischen Bereich. In erster Linie ist das der Bereich der Krisenbeilegung. Wir wollen unsere Beziehungen auf einer stabilen Rechtsgrundlage ausbauen. Vorläufig erfolgt die Kooperation Russlands und der EU bei der Überwindung von Konflikten und Krisen in verschiedenen Weltregionen immer im Anlassfall. Wir schlagen den Kollegen schon lange den Abschluss eines Rahmenabkommens vor, welches die grundlegenden Prinzipien und die Formen dieser Kooperation festlegen soll. Die Angelegenheit verläuft sehr zäh. Die EU bevorzugt als Kriterien ihre eigenen Normen. Wir aber wollen, und ich halte das für richtig in der heutigen Welt, ein Rahmenabkommen machen, welches die gleichberechtigte Teilnahme Russlands und der EU an Friedensmissionen dieser Art fixiert.
In der Praxis gibt es diese Zusammenarbeit schon lange, beginnend mit der Balkankrise, als die Friedenstruppen Russlands und der EU sowohl in Bosnien als auch in Kroatien kooperierten. In der Praxis kooperieren wir auch wie früher bei der Bekämpfung der Piraterie im Gebiet des Horns von Afrika: Russland hat seine eigene Operation, die EU die Operation „Atlanta". Wir kooperierten bei den Bemühungen der Friedenstruppen im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik. Jetzt ist die EU an einer Zusammenarbeit in der Libyen-Frage interessiert. Aber wiederum nehmen die Kollegen an, dass wir uns jener Operation anschließen sollen, welche die europäische Union zur verstärkten Kontrolle an den Außengrenzen Libyens ins Leben rief, ohne uns zur Führung dieser Operation zuzulassen, einschließlich der Fragen zur Gewährung der Sicherheit an den Grenzen und der Sicherheit der Mission selbst. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass nur eine gleichberechtigte Kooperation effektiv sein wird, sind jedoch bereit, ohne sich der EU-Operation anzuschließen parallel einen Beitrag zu den allgemeinen Bemühungen zu leisten, darunter auch durch die Ausbildung von Mitarbeitern für die libyschen Sicherheitskräfte und den Grenzschutz. Ich glaube, dass das eine nützliche parallele Kooperation darstellt. Obwohl – ich wiederhole – es bei solchen abgeklärten Beziehungen, die zwischen Russland und der EU bestehen, durchaus möglich wäre, auch diesen Bereich unserer Kooperation auf eine feste völkerrechtliche Basis zu stellen.
Auf unserer Tagesordnung stehen traditionellerweise auch Fragen der außenpolitischen Koordinierung. Das betrifft Syrien, den Iran und die Nahostregelung. In verschiedensten Formaten nehmen wir mit unseren EU-Partnern teil an internationalen Bemühungen zur Beilegung dieser Krisen. Erwähnt wurde unsere gute Kooperation in der Syrienfrage, in erster Linie bei der Lösung der chemischen Abrüstung der Syrischen Arabischen Republik auf Grundlage der russisch-amerikanischen Initiative, welche im UNO-Sicherheitsrat auf Basis des vom OPCW-Exekutivrat verabschiedeten Beschlusses gut geheißen wurde. Jetzt werden praktische Schritte erörtert, um alle in Syrien vorhandenen Giftstoffe an einem Punkt zu konzentrieren. Die Russische Föderation wird die notwendigen Transportmittel für die Lösung dieser Aufgabe zur Verfügung stellen. Dann werden diese Giftstoffe in der richtigen Verpackung auf Schiffe verladen werden. Mehrere EU-Länder sind bereit, diese zur Verfügung zu stellen. Wir sind bereit, Schiffe unserer Marine für die Begleitung der Schiffe mit den Giftstoffen abzustellen, um die Sicherheit dieser Operation zu gewährleisten. Danach werden die Giftstoffe auf ein Schiff umgeladen werden, das gegenwärtig für diese Aufgabe in den USA angepasst wird. Auf diesem Schiff werden die grundlegenden Arbeiten zur Vernichtung der chemischen Giftstoffe erfolgen. Das wird unter völliger und strenger Einhaltung der Umweltschutznormen geschehen. Wir unternehmen alles, damit diese Operation ohne Risiken für eine mögliche Belastung der Umwelt abläuft. Wir haben allen Grund zur Annahme, dass dies auch so sein wird und wir diese Aufgabe lösen können.
Hinsichtlich des Iran überlassen wir den Vortritt dem Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, welche gemeinsam mit der Gruppe „Drei + Drei" (Russland, USA, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland) und den iranischen Partnern die bekannten Genfer Abkommen ausarbeitete, die gegenwärtig schon umgesetzt werden. Das wichtigste ist (und darin sind die europäischen Kollegen mit uns völlig einig), nicht zu versuchen, das, worüber man übereingekommen ist, wieder abzuändern, diese Abkommen erweitert oder eingeengt auszulegen, sondern genau das zu tun, was im Genfer Dokument festgelegt wurde: der Iran friert einen wesentlichen Teil seines Atomprogramms ein, vor allem in jenen Bereichen, welche die größte Besorgnis vom Standpunkt der Risiken für die Verbreitung von Technologien zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen hervorrief. Die einseitigen Sanktionen der EU und der USA gegen Teheran werden ebenfalls eingefroren und allmählich aufgehoben. Aber das allerwichtigste: innerhalb von sechs Monaten, auf welche das Programm der ersten Etappe ausgerichtet ist, müssen die Gespräche über alle Bereiche für eine endgültige Lösung der Situation im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm wiederaufgenommen werden. Das wird schwieriger werden als jene Aufgaben, welche auf der ersten Etappe zu lösen sind. Aber wir haben das Gefühl, dass wir gemeinsam mit den europäischen Partnern die Lösung dieser Aufgabe herbeiführen wollen. Ungeachtet der Tatsache, dass es, wie Sie wissen, bestimmte Ansichten gibt, die hinsichtlich einer endgültigen Beilegung pessimistische Stimmung verbreiten, verspüren wir und die EU keinen solchen Pessimismus. Wir werden hoffentlich gemeinsam mit den amerikanischen Partnern und den Iranern danach trachten, eine endgültige Beilegung dieses alten Problems herbeizuführen, welches die allgemeine Lage in der Region des Persischen Golfs und insgesamt in Nordafrika und im Nahen Osten ernsthaft vergiftet.
Wir haben auch über die „Ostpartnerschaft" gesprochen. Unsere gemeinsame Schlussfolgerung besteht darin, dass alle Projekte hinsichtlich der Länder, die nicht Mitglied der EU oder führender Integrationsgruppierungen wie zum Beispiel der Zollunion, des Einheitlichen Wirtschaftsraums und der zu schaffenden Eurasischen Wirtschaftsunion auf dem postsowjetischen Raum sind, nicht dazu benützt werden dürfen, um diesen Staaten bestimmte Entscheidungen aufzudrängen. Alle Entscheidungen darüber, wie die Wirtschaft entwickelt und die Beziehungen zu den eigenen führenden Partnern ausgerichtet werden sollen, müssen souverän getroffen werden, ohne Einmischung von außen und ausgehend von den Interessen des eigenen Landes. Diese Länder vor irgendeine künstliche Wahl zu stellen, ist nicht rechtmäßig.
Wir vernahmen von Seiten der europäischen Partner Verständnis für unsere Position. Mehr noch, es gab auch Stimmen, die dazu aufriefen, diese Fragen mit allen gemeinsam zu erörtern zu beginnen, um die Verdächtigungen und gegenseitigen Vorwürfe, egal ob echte oder nur scheinbare, auszuräumen und das Format der weiteren Zusammenarbeit kollektiv, gleichberechtigt und gemeinsam zu besprechen. Ich glaube, dass eine solche Vorgehensweise die einzige richtige ist.
Das heute Vernommene bestätigt das Vorhandensein einer großen Zahl an Staaten innerhalb der EU, die der Ansicht sind, dass die Lage in der Ukraine im trilateralen Format besprochen werden muss. Die Ukraine ist ein sehr großer Wirtschaftspartner Russlands und der EU. Der Löwenanteil des Warenumsatzes dieses Landes entfällt auf Europa, die Russische Föderation und die Länder der Zollunion. Es ist nur logisch, dass man sich, bevor manchmal ziemlich aufdringlich irgendwelche Pläne für die weitere Zusammenarbeit der Ukraine mit der EU vorgeschlagen werden, hinsetzt und schaut, welche wirtschaftlichen Folgen Vorschläge dieser Art für alle Teilnehmer dieses Prozesses haben werden, wenn man das riesige Ausmaß der Handels-, Wirtschafts- und Investitionsbeziehungen, ganz zu schweigen von den menschlichen, zwischen diesen Ländern berücksichtigt. Eine solche trilaterale Kooperation ist nur berechtigt. Trotz der Aussagen, die wir heute von einigen Funktionären der EU-Kommission hörten, gewann ich heute den Eindruck, dass die EU-Mitgliedsländer Verständnis haben für die Notwendigkeit eines solchen ehrlichen Gesprächs und nicht für Versuche, diese Fragen irgendwo hinter irgendjemandes Rücken zu entscheiden.
Das Gespräch war offen, nützlich und bestätigte, dass wir und die EU strategische Partner sind, dass der Umfang unserer Kooperation so groß ist und es einfach nicht erlaubt, irgendwelche Dinge zu tun, welche bei verhältnismäßig geringen Fragen Hindernisse schaffen für die massive und dauerhafte Weiterentwicklung unserer Beziehungen. Die Suche von künstlichen Gründen zur Verlangsamung dieser Verbindungen widerspricht den Interessen sowohl der Russischen Föderation als auch der Europäischen Union und auch jener Länder, welche weder an unseren Integrationsprozessen noch an den Integrationsprozessen im Rahmen der EU teilnehmen.
Es scheint mir, dass man uns gehört hat. Unsererseits haben wir nicht die Augen verschlossen gegenüber den bei den Europäern vorhandenen Befürchtungen. Wir versuchten, teilweise auf diese zu antworten, und das ist uns meiner Meinung nach gelungen. Natürlich wurden nicht alle Fragen geklärt und nicht alle Befürchtungen beseitigt. Aber die Fortsetzung dieses Dialogs (wofür beständig und beharrlich Russland, der Präsident Wladimir Putin und die russische Regierung eintreten) ist zweifellos im Interesse sowohl unseres Landes als auch der Europäer. Ich hoffe, dass die Treffen, welche für die bis zum Russland-EU-Gipfel verbleibende Zeit geplant sind, helfen werden, eine ganze Reihe von Missverständnissen und Reizfaktoren in unseren Beziehungen auszuräumen. Das betrifft das neue Basisabkommen und den Dialog im Energiebereich. Geplant ist eine Serie von Kontakten zur Erörterung der Situation, welche durch die Annahme des Dritten Energiepakets der EU entstanden ist, das unmittelbare Auswirkungen auf die Entwicklungspläne für die Zusammenarbeit zwischen Russland und den EU-Ländern im Energiesektor hat. Ohne auf die Prärogative der EU einzugehen, treten wir dafür ein, die Normen der Zusammenarbeit im Energiebereich festzulegen und keine Schritte zu unternehmen, welche im Nachhinein die Geschäftsbedingungen verschlechtern und die Abkommen untergraben, auf deren Grundlage langfristige und beiderseitig vorteilhafte Investitionen erfolgten, welche die Energiesicherheit Europas gewährleisten.
Frage: Welche Auswirkungen hatten die Ereignisse in der Ukraine auf den Dialog Russlands mit der EU? Erklärten Ihnen die Kollegen aus der EU ihre Position gegenüber der Ukraine und konkret die Tatsache, dass ständig aktive oder ehemalige europäische Politiker zur Unterstützung der Opposition nach Kiew kommen?
Lawrow: Wir haben diese Frage angeschnitten und natürlich auch dieses Beispiel gebracht, denn in den letzten Tagen sind all zu oft Erklärungen zu vernehmen, dass alles gut wäre, wenn sich Russland nicht in die ukrainischen Angelegenheiten eingemischt hätte. An konkreten Beispielen zeigten wir, wie wir uns benehmen und wie unsere Partner, die nach Kiew kommen, sofort auf den Maidan gehen, dort Kekse verteilen und sagen, dass das ukrainische Volk eine freie Wahl zugunsten Europas treffen müsse. Hier entstehen sofort einige Fragen. Erstens, wenn die Wahl frei ist, dann muss das ukrainische Volk selbst entscheiden, welche Wahl getroffen werden soll. Zweitens, der Aufruf, die Wahl zugunsten Europas zu treffen ist eine unwahre Gegenüberstellung und ein gewisser Hinweis darauf, dass Russland nicht mit Europa zusammenarbeiten möchte und die Ukraine und andere Länder der „Ostpartnerschaft" irgendwohin zur Seite zieht. Das trifft absolut nicht zu.
An konkreten Beispielen erklärten wir, dass alle Prozesse, welche die Integration in Eurasien in Gang gesetzt hat, nur auf die Herbeiführung eines Ziels ausgerichtet sind: die Anhebung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaften der Länder der Zollunion – Russlands, Kasachstans und Weißrusslands (ich hoffe, dass zu diesen Ländern noch jene hinzukommen, die ein Beitrittsansuchen abgegeben haben) – auf jenes Niveau, welches es ermöglicht, sich mit der weiteren Liberalisierung des Handels mit Europa zu beschäftigen, jedoch nicht mehr zu knechtenden und verlustbringenden Bedingungen, sondern zu vorteilhaften und gerechteren.
In der vom Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, angenommenen Außenpolitischen Konzeption befindet sich die Aufgabe zur Errichtung eines einheitlichen wirtschaftlichen und humanitären Raums von Lissabon bis nach Wladiwostok. Wir wollen diese Liberalisierung und verstehen, dass in der heutigen globalisierten Welt Autarkie zu Nichts führt. Man muss wirtschaftliche Vorteile durch eine möglichst weitgehende Integration und Liberalisierung der Handels- und Investitionsbedingungen sowie anderer Bereiche suchen. Das von einer schon in vorhinein ungünstigen Position aus zu machen, einfach „sein Tor weit zu öffnen und zusätzlich noch den Tormann herauszunehmen", ist für jede an ihre eigene Wirtschaft denkende Regierung verantwortungslos. Wenn alle Pläne verwirklicht sein werden, die im Rahmen der Zollunion und der zukünftigen Eurasischen Wirtschaftsunion ausgearbeitet werden, werden wir, und davon bin ich überzeugt, an die Erreichung des Ziels eines einheitlichen Wirtschaftsraums zwischen Eurasien und der Europäischen Union zu für beide Seiten vorteilhaften Bedingungen herangehen. Jede Politik hat heute Chancen auf Erfolg nur dann, wenn sie die Interessen ihrer Partner berücksichtigt. Danach streben wir.
Frage: Sind Ihre Partner durch die Stationierung von „Iskander"-Raketen an der EU-Grenze beunruhigt und gibt es für sie dafür einen Grund?
Lawrow: Das weiß ich nicht, denn dieses Thema wurde überhaupt nicht angesprochen. Anlässlich des angeblich sensationellen Artikels in irgendeiner deutschen Zeitung erfolgte eine Stellungnahme durch das Verteidigungsministerium Russlands. Heute wurde dieses Thema nicht besprochen.
Frage: Ich vertrete eine kasachische Nachrichtenagentur. Bekanntlich ist für Beginn 2015 die Schaffung der Eurasischen Wirtschaftsunion geplant, an der auch Kasachstan teilnimmt. Heute ist der Unabhängigkeitstag Kasachstans. Ich würde gerne etwas über den Zustand der russisch-kasachischen Beziehungen erfahren.
Lawrow: Ich beglückwünsche Sie und unsere kasachischen Freunde sowie die politische Führung des Landes zu diesem Feiertag. Dieser wird umfassend sowohl in Kasachstan als auch in Russland begangen. Der Botschafter der Republik Kasachstan in der Russischen Föderation veröffentlichte einige Artikel in unseren Medien und gab auch Interviews. Das ist eines der Beispiele dafür, wie die gegenseitige Berücksichtigung der Interessen, das Bestreben nach Nutzung all des Positiven, was sich in den vielen Jahrzehnten der gemeinsamen Existenz (darunter lange Zeit innerhalb eines Staates) ansammelte, und die gleichzeitige Aufgabe von die freie Entwicklung der Völker behindernden Dingen sich bezahlt machen. Dieser Kurs wurde von den Präsidenten unserer Länder gebilligt, die sich jedes Jahr rekordverdächtig oft treffen, sehr häufig am Telefon miteinander sprechen, sich gegenseitig offizielle Besuche abstatten und auch informelle Kontakte pflegen.
Es gibt volles Verständnis darüber, wie unsere Beziehungen gestaltet werden sollen und wie schwierige Fragen aus dem Erbe der Sowjetunion gelöst werden können. Es gab einen gemeinsamen Staat und einheitliche Wirtschaftssysteme. Jetzt sind die Staaten selbständig und souverän, aber weder wir noch unsere kasachischen Freunde wollen jene Vorteile verlieren, welche uns die gemeinsame Wirtschaft verschaffte, besonders in der heutigen auf hohe Konkurrenz ausgerichteten Welt. Wir müssen diese Vorteile maximal nützen. Wir schätzen sehr, dass der Präsident Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, einer der wichtigsten Begleiter der eurasischen Integration war (ich glaube, im April des nächsten Jahres werden es zwanzig Jahre seit seiner berühmten Rede an der Moskauer Lomonosow-Universität sein). Die Art und Weise, wie schöpferisch und mit gegenseitiger Achtung die Teilnehmer der Zollunion, einschließlich der Republik Weißrussland, an die Gestaltung von praktischen Schritten in dieser Richtung herangehen, gibt uns die Überzeugung, dass dieses Projekt unbedingt verwirklicht werden wird.
Frage: Heute Morgen erklärte der Außenminister Schwedens, Carl Bildt, dass Russland bezüglich der Ereignisse in der Ukraine Desinformation betreibe. Er schlug die Zusammenstellung einer Liste von Beispielen für die Ausübung politischen Drucks durch wirtschaftliche Hebel vor.
Lawrow: Auf dem heutigen Außenministertreffen sprach der Außenminister Schwedens, Carl Bildt, darüber nicht. Er trat dafür ein, dass wir alle die Interessen jener Länder berücksichtigen und achten sollen, die vorläufig noch nicht der EU oder den eurasischen Integrationsstrukturen angehören.
Mein guter Freund Carl Bildt drückt sich gerne markant aus, um Aufmerksamkeit auf seine Einschätzungen zu lenken. Ich würde gerne dieses Verzeichnis sehen, das er zusammenstellen möchte. Wenn er die Idee hat, eine Beispielliste zu erstellen, wann jemand auf jemanden Druck ausgeübt hat, so wäre das wahrscheinlich nicht unnütz vom Standpunkt der Frage aus, wie wir auf dem gemeinsamen Europäischen Kontinent leben sollen. Ein Zugang ist, sich von der Logik leiten zu lassen, die zur Zeit des Kalten Kriegs verbreitet und vorherrschend war: „Wenn du der Feind meines Freundes bist, so bist du auch mein Feind", oder „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns". Wenn wir trotzdem den feierlichen Erklärungen folgen wollen, welche am Ende des Kalten Kriegs angenommen wurden (obwohl – ich wiederhole – Stereotypen dieser Epoche im modernen Leben weiterhin zu verspüren sind), dann müssen wir anerkennen, dass die Sicherheit unteilbar ist, niemand seine eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer stärken darf, alle Länder gleiche Rechte haben müssen und die Souveränität jedes Staates geachtet werden muss. Dann werden wir keine Probleme haben.
Minister Bildt versuchte heute davon zu sprechen, dass die russischen praktischen Schritte im Bereich der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit unseren Nachbarn als politisches Druckmittel ausgelegt werden können. Er ist sehr erfahren, war bereits Premierminister und ist jetzt Außenminister Schwedens. Aber das ist eine ein wenig unprofessionelle Aussage, die an den an den einfachen ängstlichen Bürger appelliert. Solche „simplen" Losungen kann man den Leuten eintrichtern, ohne dabei etwas erklären zu müssen. Der Zuschauer vor dem Fernseher hört die gleiche, oftmals wiederholte Phrase und diese setzt sich in seinem Kopf fest.
Alle jetzigen Handelsbeziehungen sind in erster Linie nicht an die Geopolitik oder irgendwelche ideologische Überlegungen geknüpft, sondern an die Interessen der russischen Wirtschaft. Wir haben ein Freihandelsabkommen mit den GUS-Ländern geschlossen, haben etwa 18 Jahre gebraucht, um die Bedingungen für unseren Beitritt zur WTO auszuarbeiten, verschafften uns für einen gewissen Zeitraum Schutz, damit dank dieser Schutzmaßnahmen im Tarif- und in anderen Bereichen unsere Industrie, die Landwirtschaft und der Dienstleistungsbereich konkurrenzfähiger werden, um danach schon zu neuen Bedingungen, von neuen, stärkeren Positionen aus Gespräche über eine weitere Liberalisierung des Handels zu führen. Wenn wir jetzt auf das alles verzichten, dann sind unsere politische Führung und die Entscheidung für den WTO-Beitritt keinen Groschen wert. Die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit der Ukraine würde nur eines bedeuten. Wenn wir gleichzeitig unsere Freihandelszone bewahren würden und nicht das im GUS-Freihandelsabkommen enthaltene Recht in Anspruch nehmen würden, die eigenen Industrie- und Wirtschaftsbereiche bei Auftreten von Risiken zu schützen, dann würde das eintreten, was die Präsidenten und unsere Experten bereits oft beschrieben haben: die Ukraine würde sich zu 85% für die europäischen Waren öffnen, welche den ukrainischen Markt überschwemmen würden, und die ukrainischen würden ins Ausland fluten, da sie nicht mit den europäischen Waren in Konkurrenz treten können. Russland und Weißrussland wären die augenscheinlichsten Kandidaten für den Erhalt dieser Waren. Dadurch würde auch unsere Herstellung analoger Produkte in Mitleidenschaft gezogen werden.
Deshalb haben wir ohne jegliche Erpressung offen darauf hingewiesen, dass es im GUS-Freihandelsvertrag, dem die Ukraine angehört und die diesen Vertrag auch lobbyierte (Präsident Juschtschenko war der Hauptlobbyist dieses Abkommens), einen Vorbehalt gibt, der besagt, dass bei Entstehung einer in sich Risiken bergenden Situation in einem Wirtschaftsbereich der Länder der Freihandelszone der Staat für den entsprechenden Bereich der Volkswirtschaft berechtigt ist, die Vergünstigungen auszusetzen. Es geht hier nicht um Sanktionen, sondern einfach darum, dass wir in diesem Fall im Handel mit der Ukraine oder einem anderen Land, welches einen solchen Weg einschlägt, einfach zur Meistbegünstigungsklausel zurückkehren. Es werden nur die Vergünstigungen aufgehoben, aber die Meistbegünstigungsklausel, welche bei Fehlen von anderen Liberalisierungsabkommen im Handel mit allen Ländern der Welt Anwendung findet, wird bei den WTO-Mitgliedern beibehalten.
Eine Liste kann man daher zusammenstellen, aber wichtig ist es zu verstehen, dass die Wirtschaft sich auf wirtschaftlichen Überlegungen gründen muss und nicht auf Überlegungen zur Aneignung von geopolitischem Raum, noch dazu umsonst.
Auf dem heutigen Treffen mit unseren europäischen Kollegen fragte ich, ob sie insgesamt bereits viele Freihandelsabkommen unterzeichnet hätten. Es stellte sich heraus, dass das ganz wenige sind. Nach dem Vertrag von Lissabon wurde, wenn ich nicht irre, ein Dokument dieser Art unterzeichnet. Auf die Frage „warum" reagierten meine Kollegen verlegen. Aber aus ihren Reaktionen und aus anderen Quellen wissen wir, dass die Antwort sehr einfach ist: die Europäische Union möchte in diesen Abkommen einen praktisch unbehinderten Zugang zu den Märkten der Länder erhalten, denen solche Abkommen angeboten werden. Es gab solche Versuche in Lateinamerika und andern Teilen der Welt. Diese hatten bis jetzt keinen Erfolgt nur deshalb, weil jene Länder an den Schutz ihrer Wirtschaften denken und sie konkurrenzfähiger machen wollen, bevor man über freien Handel zu sprechen beginnt. Die EU möchte alles und das sofort. Es entsteht der Eindruck, dass die EU Schritte zur Öffnung der Märkte der Partner gerade in dem Moment zu tun bereit ist, wenn sie diese in der Wettbewerbsfähigkeit um Kopflänge übertrifft. Es ist kein Zufall, dass die Abkommen mit den Ländern der „Ostpartnerschaft" im Geheimen vorbereitet wurden. Niemand hat diese jemandem gezeigt. Als ich heute fragte, warum dies so geschah, antworteten die Kollegen: „Weil es Verhandlungen gab, aber sobald die Abkommen paraphiert wurden, wurden sie auf die Website der EU-Kommission gestellt". Auf die nächste Frage folgte auch eine interessante Antwort. Ich sagte, dass die Abkommen ins Internet gestellt wurden und für uns als Staat, der einen großen Kooperationsbereich mit der Ukraine, Moldawien und den anderen Ländern der „Ostpartnerschaft" hat, ist es interessant zu verstehen, wie diese unsere Beziehungen beeinflussen können, inwieweit man in diesen Abkommen auch die Interessen der Russischen Föderation als einer der größten Partner Kiews und Kischinjows berücksichtigen kann. Die Antwort war einfach – nach der Paraphierung kann man nichts mehr ändern. Das heißt, vor der Paraphierung ist alles geheim und danach kann man keinen Schritt weder nach links oder rechts tun. Das ist meiner Ansicht nach ein wunder Punkt, der in unseren Beziehungen mit der EU Aufklärung erfordert. Wahrscheinlich müssen wir aufhören, voreinander jene Dinge geheim zu halten, welche beabsichtigt sind bezüglich jener Länder, die gemeinsame große Handelspartner sowohl Russlands als auch der EU sind.
Frage: In der 40 Kilometer von Damaskus entfernten Stadt Adra ermordeten wahrscheinlich die Kämpfer der „al-Nusra-Front" nach verschiedenen Schätzungen fünfzig bis neunzig Menschen aus der Zivilbevölkerung. Welche Auswirkungen können solche menschenunwürdige Aktionen auf die Durchführung von „Genf-2" haben? Wie verhalten sich gegenüber solchen Vorfällen unsere westlichen Partner, die die syrische Opposition prinzipiell unterstützten und weiterhin unterstützen?
Lawrow: Unsere europäischen und amerikanischen Partner unterstützen die „an-Nusra-Front" nicht. Das in Adra angerichtete Blutbad ist einfach empörend, und das ist nicht der einzige Vorfall. Dort wurden Christen, Drusen, Alawiten und sogar Sunniten ermordet, welcher mit der islamistischen Ordnung, welche diese Leute in der Region errichten wollten, nicht einverstanden sind. Ich wiederhole, das ist nicht der einzige Vorfall. Vor kurzem fixierte „Human Rights Watch" Fakten eines genau so grausamen Verhaltens gewisser anderer Gruppierungen, welche jetzt die sogenannte „Islamische Front" bilden. Das ist eine neue Struktur, welche in Konkurrenz zur „Freien Syrischen Armee" gegründet wurde, die von unseren westlichen Partnern immer als weltliche Macht präsentiert wurde, die sich die Bewahrung Syriens als multikonfessionellen, multiethnischen und demokratischen Staat zum Ziel gesetzt hat, welche die Terroristen bekämpft und gegen das Regime auftritt, um für das Volk eine bessere Zukunft auf Grundlage von Freiheit und Gleichheit zu errichten.
Gegenwärtig ist eine starke Schwächung der „Freien Syrischen Armee" zu beobachten. Viele Truppen aus diesen Strukturen sind übergelaufen. Viele sagen auch, dass sie von den Leuten, welche die „Islamische Front" schaffen, gekauft wurden.
Die „Islamische Front" verkündete ziemlich radikale Ziele, obwohl unsere westlichen Partner versuchen, zu ihnen Brücken zu bauen und die Front als „annehmbare Kraft" positionieren, welche „am Boden" gewissen Einfluss hat. Nach gewissen offensichtlich glaubwürdigen Informationen wissen wir jedoch, dass bei der Gründung der Front die Frage diskutiert wurde, ob "Dschabhat al-Nusra" aufgenommen werden soll, wobei das nur deshalb nicht gemacht wurde, um nicht den eigenen Ruf zu schädigen, denn die „al-Nusra-Front" steht sowohl in den USA als auch in Europa auf den Terrorlisten.
Es gibt Informationen darüber, dass sich unsere amerikanischen Partner mit Vertretern der „Islamischen Front" treffen und versuchen, sie unter das „Dach" der „Freien Syrischen Armee" zu bringen. In einigen Tagen, wenn sich meine Stellvertreter mit unseren amerikanischen Kollegen, dem US-Staatssekretär John Kerry und dem UN-Sondergesandten für Syrien, Lakhdar Brahimi, treffen und die Vorbereitung der Konferenz „Genf-2" besprechen werden, werden wir diese Frage unbedingt stellen. Wenn die „Islamische Front" "Dschabhat al-Nusra" ideologisch nahe steht, sich jedoch aus Repräsentationsgründen von ihr distanziert, so muss man sich vorstellen, mit wem wir überhaupt sprechen werden und wer die syrische Opposition auf dem Genfer Treffen vertreten wird.
Die Nationale Koalition der syrischen revolutionären und oppositionellen Kräfte selbst zerfällt und ihre Führer geben widersprüchliche Erklärungen. Wir wollen mit ihnen in Kontakt treten. Wir trafen uns bereits im Ausland. Wir luden ihren Vorsitzenden Ahmad Aasi Al-Djerba ein und er versprach, zu uns zu kommen. Wir wollen aus erster Quelle hören, wie sie ihre Rolle sehen und welche Vorstellungen sie über die Zukunft Syriens haben.
Parallel dazu erfahren wir, dass sich einige Mitglieder der Nationalen Koalition, zum Beispiel die Syrischen Muslimbrüder, innerhalb der Koalition absondern und ihre eigene Partei gründen, welche unter dem „Schirm" der Nationalen Koalition bleiben wird, jedoch für sich irgendwelche Sonderrechte beanspruchen wird, oder die Koalition überhaupt verlässt.
Einer der Führer der „Freien Syrischen Armee" erklärte nach der Flucht ihres Anführers, des Generals Selim Idriss (er befindet sich jetzt entweder in der Türkei oder in Katar), dass er die „Union der Revolutionäre Syriens" gründen werde. Verschiedene Strukturen mehren sich wie Pilze. Damit die Konferenz „Genf-2" stattfindet - und wir wollen, dass sie zum festgelegten Termin am 22. Jänner beginnt, wie dies vom UNO-Generalsekretär angekündigt wurde - muss man verstehen, wer der Regierung Syriens gegenüber sitzen wird. Wenn das Leute sein werden, welche den ausländischen Flügel der Opposition vertreten und auf jene Opponenten des Regimes, die sich in Syrien befinden, überhaupt keinen Einfluss haben, wird der Sinn dieser Konferenz nur sehr gering sein. Wir werden uns aber trotzdem für ihre Einberufung einsetzen. Jetzt besteht unsere Hauptausgabe darin, dass die amerikanischen Partner und diejenigen, die häufiger als wir mit der Opposition und allen ihren „Flügeln" sprechen und einen größeren Einfluss auf die Opposition als wir haben, uns sagen, was diese jetzt darstellt. Wer kann verantwortungsvoll und mit Autorität im Namen der Opposition sprechen und wer kann jene Aufgaben verhandeln und lösen, welche von uns allen gestellt wurden, darunter auch in der UNO-Sicherheitsratsresolution 2118, in der das Genfer Kommuniqué angenommen wurde, das besagt, dass Syrien ein weltlicher, souveräner, territorial ganzheitlicher Staat bleiben muss, in dem allen ethnischen, konfessionellen und politischen Gruppen ihre Rechte gewährt werden, und dass am Dialog Vertreter des ganzen Spektrums der syrischen Gesellschaft teilnehmen müssen. Gegenwärtig ist das die wichtigste Aufgabe, denn wir wollen keine Abwertung der Verhandlungen und wir wollen nicht, dass die Leute, welche der Regierung gegenüber sitzen werden, nicht für ihre Worte gerade stehen können. Jetzt beginnt eine kritische Etappe. Unsere westlichen Kollegen, die die Nationale Koalition unter ihre Fittiche genommen haben, indem sie diese als Hauptvertreter der Hoffnungen der Opposition positionierten und sie als „einzigen Vertreter des syrischen Volkes" bezeichneten (diese These ist nicht sehr verständlich, denn wenn sie zutreffen würde, wäre die Armee Assads schon längst zerfallen und der Krieg schon längst beendet), müssen uns sagen, mit welchen Herangehensweisen diese Gruppe nach Genf kommt und wer sie real vertreten wird.
Wir beobachten das alle nicht nur passiv. Im Unterschied zum Westen, der nur mit der Opposition arbeitet, kontaktieren wir sowohl die Regierung als auch die Opposition und treffen uns mit allen Oppositionsgruppen. Wir wollen von ihnen ihre Sichtweise erfahren, was sie für ihren Staat, ihre Heimat wollen. Dieses Problem kann nur durch die Syrer gelöst werden und wir werden ihnen dabei helfen, damit sie einen repräsentativen oder, wie man jetzt sagt, inklusiven Dialog in Gang setzen und das erreichen, was die Weltgemeinschaft von ihnen erwartet: die Erzielung einer Übereinkunft untereinander über die Zukunft ihres Landes.