Stenogramm der Ansprache Außenministers Russlands Sergej Lawrow und seine Antworten auf Fragen der Medien auf der Pressekonferenz zu Ergebnissen der inoffiziellen Sitzung des Russland-NATO-Rates auf der Insel Korfu, 27. Juni 2009
Sergej Lawrow: Also hat die Ministersitzung des Russland-NATO-Rates stattgefunden. Es gab seit langem keine Sitzungen auf dieser Ebene. Unsere Beziehungen in diesem Format entwickelten sich nach August 2008 nicht einfach. Als die Kaukasus-Krise in vollem Gange war, haben unsere Partner im Russland-NATO-Rat aus den fьr uns unerklдrlichen Grьnden, unseren Vorschlag, den Rat einzuberufen, abgelehnt. Wir halten dieses Herangehen fьr falsch. Der Russland-NATO-Rat wurde gerade dafьr gegrьndet, um Krisenentwicklungen zu behandeln, diesmal hat er sich aber distanziert.
Heute fand auf der Sitzung der AuЯenminister des Russland-NATO-Rates – der ersten seit langem - ein ausfьhrliches und aufrichtiges Gesprдch statt. Nicht zufдllig war es eine informelle Sitzung. Ich will gleich sagen, dass in den Mittelpunkt unserer Auseinandersetzung die Frage gerьckt ist, wie wir weiter arbeiten sollen, und ob wir zu den Quellen, zu den Prinzipien zurьckkehren kцnnen, die in der Deklaration von Rom festgelegt sind. Diese Deklaration wurde in der Ortschaft Pratica-di-Mare bei Rom auf dem Russland-NATO-Gipfel verabschiedet, auf dem auch der Rat gegrьndet wurde. Das sind die Prinzipien der Unteilbarkeit der Sicherheit und der Unzulдssigkeit der Festigung der Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer.
Sehr wertvoll wurde die Anwesenheit des Vorsitzenden des Ministerrates Italiens Silvio Berlusconi, der beschlossen hat, an dieser Veranstaltung persцnlich teilzunehmen. Er hat direkt betont, dass als Initiator der Grьndung des Russland-NATO-Rates um dessen Schicksal besorgt ist. Er ist ьberzeugt, dass wir zu den Prinzipien zurьckkehren sollen, auf denen der Rat gegrьndet war.
Wir haben unsere Gedanken darьber vorgetragen, wie diese Prinzipien behauptet und verbindlich gemacht werden sollen: Unter anderem durch die Behandlung der Initiative des Prдsidenten der Russischen Fцderation Dmitri Medvedev ьber die Vorbereitung eines neuen europдischen Sicherheitsvertrags. Ich glaube, dass unsere Ьberlegungen gehцrt wurden. Mehrere Delegationen haben das Interesse dafьr bekundet. Sie wollen sie auch im Russland-NATO-Rat sachlich behandeln. Und in der OSZE, in unseren Beziehungen mit der EU, und in der politologischen Gemeinschaft haben die Diskussionen darьber schon angefangen.
Wir haben eine ganze Reihe von konkreten Aspekten besprochen, die Probleme in der modernen Sicherheitsarchitektur in Europa aufweisen, u.a. die Rьstungskontrolle, die Sackgasse bei der Umsetzung des Vertrags ьber konventionelle Streitkrдfte in Europa, die Lage in Transkaukasien nach der Krise von 2008.
Es ist zu sagen, dass unsere Einstellung zur Entwicklung in Transkaukasien sich von der Einstellung der meisten NATO-Lдnder nach wie vor unterscheidet. Ich glaube, alle mьssen die neuen Realien anerkennen. Unsere Entscheidungen, die wir nach dem von Tiflis entfesselten Krieg getroffen haben, sind unumkehrbar, und sie mьssen im praktischen Vorgehen berьcksichtigt werden. Dabei ist Russland daran interessiert, dass sowohl in Georgien, als auch in Sьdossetien, und in Abchasien neben der EU-Beobachtungsmission auch internationale Beobachter arbeiten, dass es dort Beobachter der UNO und der OSZE gibt. Das haben unsere Sprecher цfters gesagt. Unsere Vorschlдge darьber, wie die Arbeit der internationalen Beobachter ermцglicht werden kann, ohne Versuche, in die Fragen des Status dieser Territorien einzudringen, sondern vor allem zur Stabilisierung, liegen dem UN-Sicherheitsrat und dem Stдndigen OSZE-Rat vor. Natьrlich kцnnen internationale Beobachter diesen Beistand leisten.
Es wurde viel ьber die Wichtigkeit der Wiederherstellung des Vertrauens gesprochen. Wir sind voll und ganz dafьr und rufen selbst dazu auf. Nur sollen diese Worte nicht nur Worte bleiben, sondern in die Praxis umgesetzt werden. Wir haben unseren Partnern eine Reihe von Vorschlдgen vorgelegt, wie es gemacht werden kann. Das betrifft auch die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit auf der Ebene der Militдrbehцrden und den Vergleich der Sicherheitsstrategien, die in Russland und in der NATO entwickelt werden. Wir hoffen, dass unsere Partner diese Vorschlдge analysieren werden, und dass sie dann im Russland-NATO-Rat in Brьssel auf der Ebene der Botschafter und Experten behandelt werden, um praktische Vereinbarungen zu erreichen.
Im GroЯen und Ganzen war die Sitzung nьtzlich. Wenn wir uns nach den ursprьnglich vereinbarten Prinzipien der Arbeit des Russland-NATO-Rates richten werden, so werden wir die in der letzten Zeit in seiner Tдtigkeit entstandenen Probleme bewдltigen kцnnen. Das ist meine Ansicht.
Frage: Wurde die Mцglichkeit der Teilnahme der Schwarzmeerflotte an den NATO-Antiterrorьbungen besprochen? Hat die NATO nach den Ereignissen im August 2008 richtige Schlьsse gezogen?
Sergej Lawrow: Ich habe ьber die NATO-Militдrьbungen im Schwarzen Meer nichts gehцrt, an denen die russische Schwarzmeerflotte teilnehmen soll. Heute haben alle im Prinzip Interesse fьr die Wiederaufnahme von Kontakten auf der Ebene unserer Militдrstrukturen geдuЯert. Ich glaube, die jeweiligen Strukturen der NATO-Lдnder und Russlands - die Verteidigungsministerien, die Generalstдbe - sollen erwдgen, in welchen Bereichen solche Zusammenarbeit jetzt mцglich ist.
Was die Frage betrifft, ob unsere Partner richtige Schlussfolgerungen aus der Augustkrise 2008 gezogen haben, so habe ich schon gesagt, dass wir keine Дnderung in der Einstellung der meisten NATO-Lдnder gehцrt haben. Dabei habe ich unsere Kollegen darauf hingewiesen, dass, wenn wir mit ihnen im bilateralen Format sprechen, sie alle Meinungen дuЯern, die davon zeugen, welche Schlussfolgerungen sie gezogen haben. Und wir glauben, das sind richtige Schlussfolgerungen. Aber in breiterer Zusammensetzung, in multilateralen Formaten kommen ganz andere Einschдtzungen zum Ausdruck. Wahrscheinlich ist es auf unterschiedliche Arten des Verkehrs zurьckzufьhren.
Frage: NATO-Generalsekretдr hat angekьndigt, dass nicht militдrische Gьter vom russischen Territorium nach Afghanistan transportiert werden kцnnten. Wurde diese Frage auf der Sitzung behandelt?
Sergej Lawrow: Diese Frage wurde heute nicht erцrtert, sondern kommentiert, da sie seit langem entschieden ist. Im April 2008 wurde die Vereinbarung zwischen Russland und der NATO ьber den Transit nicht militдrischer Gьter ьber das russische Territorium fьr die Internationale Afghanistan-Schutztruppe erreicht. Sie wird schon realisiert. Diese Transitroute haben unsere amerikanischen, deutschen Partner schon genutzt. Diese Vereinbarung ьber den Transit nicht militдrischer Gьter der NATO als einer Organisation ergдnzt die schon seit einigen Jahren geltenden Abkommen mit Deutschland, Frankreich und seit kurzem auch mit Spanien ьber den Lufttransit der Gьter fьr die Internationale Afghanistan-Schutztruppe, die in Afghanistan nach dem UNO-Mandat prдsent ist.
Frage: Heute wurde die Arbeit des Russland-NATO-Rates wiederaufgenommen, die wegen des Krieges in Georgien unterbrochen wurde. Wann wird Russland Beziehungen zu Georgien wiederaufzunehmen?
Sergej Lawrow: Die Antwort ist ganz einfach. Russland hat die Beziehungen zu Georgien nicht abgebrochen. Georgien hat die Beziehungen zu Russland abgebrochen. Also soll diese Frage nicht an mich gerichtet werden.
Frage: Wie entwickelt sich die Situation um den Dialog Russland-NATO ьber die Raketenabwehr?
Sergej Lawrow: Heute wurde diese Frage erцrtert. Im Russland-NATO-Rat gibt es seit langem ein gemeinsames Projekt der Raketenabwehr des Kriegsschauplatzes, und er ist recht gut durchgearbeitet. Auf Papier ist praktisch alles vereinbart. Man kцnnte weitere Schritte einleiten. Aber gerade zu diesem Zeitpunkt entstand der Plan der Entfaltung des dritten Stellungsbezirkes der US-Raketenabwehr. Man hat begonnen ihn zu behandeln, auch im Kontext der Anpassung der Problematik der Raketenabwehr in der NATO. Natьrlich stellt sich gleich die Frage: Wenn das, was die NATO auf diesem Gebiet macht, zu den Plдnen des dritten Stellungsbezirkes angepasst wird, mit denen wir nicht einverstanden sind, verliert die gemeinsame Arbeit im Russland-NATO-Rat an der Raketenabwehr jeden Sinn.
Wir sind ьber den Beschluss der Administration des Prдsidenten Obama erfreut, die Umsetzung dieser Plдne zu unterbrechen und die Lage unter Berьcksichtigung aller Faktoren allseitig zu analysieren, u.a. unter Berьcksichtigung der alternativen Vorschlдge fьr die Sicherheit vor eventuellen Raketenbedrohungen. Es gibt auch russische Vorschlдge darьber. Wir fьhren einen Dialog mit unseren amerikanischen Partnern zu diesem Thema, und ich rechne damit, dass wir zu einer Vereinbarung kommen werden, die sowohl Russland, als auch den USA und den Europдern erlauben wird, gemeinsam die Raketenbedrohungen zu analysieren und sich auf ihre Abwehr vorzubereiten.
Frage: Wenn die Seiten, sozusagen „miteinander ьbereinstimmt haben einander nicht zuzustimmen" in solchen wichtigen Fragen, wie die Ereignisse in Georgien, der KSE-Vertrag, heiЯt es, dass diese Themen in die Zukunft verschoben sind oder Sie werden auf sie regelmдЯig zurьckkommen?
Sergej Lawrow: Was die Entwicklung um Georgien betrifft, so haben wir allen schon gesagt. Wie ich betont habe, дuЯert die ьberwiegende Mehrheit unserer Partner in unseren bilateralen Kontakten volles Verstдndnis darьber, was geschehen ist und dass es unumkehrbar ist. In den multilateralen Formaten aber wird offenbar irgendwo koordinierte vereinbarte Einstellung mechanisch verlautbart. Es soll die Zeit vergehen, bis wir uns nicht mehr mit virtuellen geopolitischen Projekten befassen, sondern uns auf praktische Aufgaben konzentrieren, deren Lцsung wichtig ist, damit es in Transkaukasien Stabilitдt gibt, damit die Menschen dort normal leben.
Was den Vertrag ьber konventionelle Streitkrдfte in Europa betrifft, so kann ich nicht sagen, dass es ein totes Thema ist. Es wird fortgesetzt, auf den Ausweg aus der Sackgasse zu suchen, und wir begrьЯen es. Am 10. Juni des laufenden Jahres fand in Deutschland ein Expertentreffen zu dieser Problematik statt. Vor kurzem, im Mai 2009, hat die russische Seite ein erneuertes Paket der Vorschlдge eingebracht, die die Arbeit am Problem in Gang setzen sollen. Und die Reaktion auf diese Vorschlдge seitens einer ganzen Reihe von Lдndern, die in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen, erweckt Hoffnung. Also dauert das Gesprдch an. Alle verstehen, dass die Rьstungskontrolle дuЯerst wichtig ist, man muss nur aufhцren, die Fragen des angepassten KSE-Vertrags mit anderen Themen zu koppeln, die mit dem Vertrag nichts zu tun haben. Ich glaube, dass wir unsere gemeinsame Arbeit fortsetzen werden, und dass sie aussichtsvoll ist.
29. Juni 2009