Rede und Antworten auf Journalistenfragen des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf der gemeinsamen Pressekonferenz über die Ergebnisse der Gespräche mit dem Außenminister Brasiliens, Luiz Alberto Figueiredo, Moskau, 20. November 2013
Sehr geehrte Damen und Herren!,
Es freut uns, in Moskau eine Delegation Brasiliens mit dem Außenminister Luiz Alberto Figueiredo an der Spitze begrüßen zu dürfen. Wir schätzen sehr, dass mein Kollege nach seiner Ernennung auf diesen Posten den ersten Besuch außerhalb von Lateinamerika der Russischen Föderation abstattete.
Unsere Länder verbinden vieljährige Bande der Freundschaft, des Vertrauens und der Sympathie zwischen unseren Völkern. In diesem Jahr begehen wir den 185-sten Jahrestag der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen. Es ist erfreulich, dass heute Russland und Brasilien entschlossen im Interesse unserer Völker die strategische Partnerschaft in verschiedenen Bereichen intensivieren, entwickeln und vertiefen.
Während der heutigen Gespräche widmeten wir die größte Aufmerksamkeit der Analyse der Umsetzung der Abkommen, welche während des offiziellen Besuchs der Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, im Dezember 2012 in Moskau geschlossen wurden. Nach unserer gemeinsamen Einschätzung ist ein bedeutender Fortschritt zu verzeichnen, eine dynamische Entwicklung der bilateralen vielseitigen Zusammenarbeit in allen Richtungen, über welche sich unsere beiden Staatsführer einigten.
Wir besprachen die Perspektiven der weiteren Entwicklung des politischen Dialogs unter Berücksichtigung des Zeitplans der bevorstehenden Kontakte, darunter auch auf höchster Ebene. Wir diskutierten konkrete Schritte zur Verbesserung der vertragsrechtlichen Basis der russisch-brasilianischen Beziehungen. In Bearbeitung befinden sich etwa 15 Regierungs- und zwischenbehördliche Dokumente. Wir sind übereingekommen, ihre Ausarbeitung zu beschleunigen.
Brasilien ist der größte Handelspartner Russlands in Lateinamerika. Die Pläne beider Länder beinhalten die Umsetzung des Abkommens der Präsidenten, in nächster Zeit den Warenverkehr auf 10 Milliarden Dollar zu steigern. Eine wichtige Rolle bei der Lösung dieser Aufgabe kommt der Regierungskommission für Zusammenarbeit in Handel, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik zu, deren nächste planmäßige Sitzung am 9. und 10. Dezember dieses Jahres in Brasilia stattfinden wird. Wir kamen überein, gemeinsame Projekte im wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und humanitären Bereich politisch zu unterstützen. Wir haben bereits positive Erfahrungen von direkten Kontakten zwischen unseren Wirtschaftsbehörden und – was noch wichtiger ist – zwischen Firmen Russlands und Brasiliens im Flugzeugbau, in der Metall-, Chemie- und Pharmazeutikindustrie, in der Biotechnologie, der Energiewirtschaft, einschließlich der Kernenergie, und anderen wichtigen Bereichen.
Wir sind übereingekommen, weitere direkte geschäftliche Kontakte zu fördern, indem wir die Möglichkeiten der Geschäftsräte einsetzen, die für die Entwicklung der bilateralen Zusammenarbeit in Brasilien und Russland geschaffen wurden.
Wir stimulieren direkte Kontakte zwischen Geschäftszentren, Universitäten und den diplomatischen Akademien. Heute wird Herr Figueiredo die Diplomatische Akademie des Außenministeriums Russlands besuchen und dort einen Vortrag halten. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Realisierung des Memorandums über Zusammenarbeit, welches zwischen der Diplomatischen Akademie Russlands und der Universität Rio Branco unterzeichnet wurde.
Wir haben eine dicht gedrängte Tagesordnung hinsichtlich der sportlichen Thematik. In den nächsten Jahren werden in Russland und Brasilien Olympische und Paralympische Spiele sowie Fußballweltmeisterschaften stattfinden. Auf die Liste dieser Veranstaltungen, bei deren Durchführung wir eng zusammenarbeiten werden, kamen vor kurzem noch die Weltuniversiaden im Jahr 2019: die Winteruniversiade wird in Krasnojarsk abgehalten, die Sommeruniversiade in Brasilia. Diese sehr großen internationalen Wettkämpfe, die in unseren Ländern stattfinden werden, bedingen für eine erfolgreiche Durchführung objektiv eine sehr enge Zusammenarbeit und einen intensiven Erfahrungsaustausch.
Wir tauschten uns auch über die weitere Vertiefung der Partnerschaft in internationalen Angelegenheiten aus. Eine der nächsten und sehr wichtigen Prioritäten ist die Vorbereitung des VI. BRICS-Gipfels, der im ersten Halbjahr 2014 in Brasilia stattfinden wird.
Wir bekräftigten die Übereinstimmung unserer Zugänge zu den meisten wichtigen Problemen des internationalen Lebens, einschließlich der Wichtigkeit der bedingungslosen Einhaltung des Völkerrechts, der Achtung der zentralen Rolle der UNO und der Prinzipien der UN-Charta, der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von souveränen Staaten. Wir brachten unsere Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit in verschiedenen UNO-Organen zum Ausdruck. Wir kamen überein, die Zusammenarbeit zu vielen aktuellen Themen fortzusetzen, einschließlich der Sicherstellung der internationalen Informationssicherheit. Zu diesem Thema gibt es in der UNO Initiativen Russlands und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Neue Initiativen setzten Brasilien und Deutschland, die wir aktiv unterstützen.
Wir kooperieren in Fragen zur Sicherstellung der ausschließlich friedlichen Nutzung des Kosmos. Russland und Brasilien unterzeichneten eine Erklärung, in der sie sich verpflichten, nicht als erste Waffen im Weltraum zu stationieren. Wir rufen dazu auf, dieses Abkommen universal zu machen. Gegenwärtig arbeitet im Rahmen der UNO eine Ländergruppe, darunter auch unsere Länder, an einer Resolution, die alle Mitglieder der Organisation aufruft, die Verpflichtung auf sich zu nehmen, nicht als erste Waffen im Weltraum zu stationieren. Wir kooperieren auch in anderen Fragen, einschließlich der Umgestaltung der internationalen Kredit- und Finanzinstitute. Wir handeln in enger Koordination mit den anderen BRICS-Staaten und unseren Gesinnungsgenossen aus der Reihe der anderen Länder.
Im Kontext der Achtung der von mir bereits erwähnten Normen und Prinzipien, die das moderne Völkerrecht bilden, besprachen wir auch die Situation hinsichtlich der Einberufung einer internationalen Syrien-Konferenz und bezüglich der Regelung des iranischen Atomprogramms. Wir würdigen den Beitrag, den in den vorhergehenden Etappen Brasilien bei der Suche nach Wegen der Entspannung rund um das iranische Atomprogramm leistete. Wir hoffen, dass die unternommenen Bemühungen auf dem heute beginnenden Treffen in Genf von Erfolg gekrönt werden.
Wir kamen überein, die Zusammenarbeit zwischen der Russischen Föderation und verschiedenen Strukturen in Lateinamerika weiterhin zu stärken, vor allem in solchen verhältnismäßig neuen Vereinigungen wie der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten. Es gibt Pläne zur Schaffung eines Mechanismus für den politischen Dialog zwischen Russland und dieser Gemeinschaft und zur Vertiefung der Zusammenarbeit mit anderen Integrationsvereinigungen in dieser wichtigen, wachsenden und sich stürmisch entwickelnden Region. Lateinamerika und die Karibik bilden zweifellos eines der Wachstumszentren im sich herausbildenden polyzentristischen internationalen System.
Ich bin meinem Kollegen und allen Mitgliedern der brasilianischen Delegation dankbar für die sehr interessanten Gespräche. Ich denke, dass das heutige Gespräch es ermöglichen wird, die von den Präsidenten unserer Länder gestellten Aufgaben aktiver und effektiver zu lösen.
Frage: Welche Initiativen der BRICS-Staaten könnte man in der internationalen Arena fördern, insbesondere im Rahmen der G20-Staaten und auch unter Berücksichtigung des bevorstehenden Vorsitzes Russlands in der G8-Gruppe?
Lawrow: Unsere Kollegen wählten als Thema für den in Brasilien bevorstehenden G20-Gipfel die inklusive Entwicklung und nachhaltiges Wachstum. Das stimmt vollständig mit der von Russland vorgeschlagenen Agenda überein, welche im Rahmen unseres Vorsitzes in der G20-Gruppe angenommen wurde. Die von den politischen Führern unterstützten dortigen wesentlichen Bemühungen und Dokumente waren ausgerichtet auf die Suche von neuen Investitionsquellen für den realen Wirtschaftssektor, um innovatives Wachstum und neue Arbeitsplätze zu schaffen, was die enge Verflechtung der wirtschaftlichen Entwicklung mit der Lösung von sozialen Problemen bedeutet.
Im Rahmen der BRICS-Staaten hat beständige Priorität die Durchführung von Reformen im internationalen Finanz- und Währungssystem, einschließlich des Abschlusses ihrer ersten Etappe, welche bereits im Jahr 2010 abgestimmt, jedoch noch nicht bis zum Ende umgesetzt wurde. Die Position für die Umsetzung der Reformabkommen ist für die BRICS-Länder prinzipiell im Rahmen der Teilnahme aller unserer Länder an der Arbeit der G20-Staaten, wo auch andere Staaten - unsere Gesinnungsgenossen - helfen, die nicht dieser Vereinigung angehören. Ich möchte hier Mexiko, Argentinien und Indonesien erwähnen. Das ist ein sehr wichtiges Thema für die Gruppe der G20, welche gegründet wurde zur Lösung von Problemen und die Überwindung von Krisenerscheinungen, die sich im internationalen Finanz- und Währungssystem anhäuften und einer Reform bedürfen.
Neben den Handels- und Wirtschaftsfragen und Problemen, welche das Funktionieren der Weltwirtschaft betreffen, bildet sich innerhalb der BRICS-Staaten auch eine politische Agenda heraus und die Diskussionen der politischen Führer zu internationalen Problemen finden Niederschlag in den angenommenen Dokumenten.
Die letzten BRICS-Gipfel fixierten unsere gemeinsame Position zu mehreren akuten Problemen, die für die Weltpolitik von Priorität sind: das sind Syrien, der Iran und die Nahostregelung. Die gleichen Fragen werden auch in der G20-Gruppe diskutiert. Natürlich gibt es Nuancen in der Art und Weise, wie die Positionen in den Dokumenten der BRICS-Staaten und der G8-Gruppe dargestellt werden, aber man kann eine Übereinstimmung des Grundvektors dieser Ansichtsweisen konstatieren. In allen Fällen wird den diplomatischen Bemühungen der Vorrang eingeräumt, wird die Notwendigkeit einer friedlichen Beilegung der entsprechenden Konflikte und Krisen betont. Eine andere Sache ist, dass diese Positionen sich in der Praxis nicht immer bestätigen, aber ein Feld für die Zusammenarbeit existiert.
Ich möchte hervorheben, dass die BRICS-Staaten im Rahmen der UNO zu vielen Fragen gemeinsame Positionen vertreten. Heute haben wir bereits die Wichtigkeit der Resolution erwähnt, die alle Staaten dazu aufrufen würde, die Verpflichtung auf sich zu nehmen, nicht als erste Waffen im Weltraum zu stationieren. Russland und Brasilien haben sich mit Indonesien und mehreren anderen Ländern dazu bereits verpflichtet. Wenn sich die BRICS-Staaten dieser Initiative anschließen, wird das jenen Prinzipien entsprechen, welche diese Vereinigung propagiert. Natürlich ist auch das gegenwärtig aktuelle Thema der internationalen Informationssicherheit vollauf dazu geeignet, dass die BRICS-Staaten gemeinsam mit anderen Ländern eine aktive Rolle bei seiner Behandlung einnehmen mit dem Ziel der Ausarbeitung von universell anwendbaren Verhaltensnormen im Cyberraum.
Frage (gerichtet an Figueiredo): Die Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, verurteilte auf der letzten Sitzung der UNO-Generalversammlung die elektronische Spionage der USA scharf und rief die UNO dazu auf, bei ihrer Bekämpfung die Führungsrolle zu übernehmen. Haben Sie dieses Thema mit Ihrem russischen Kollegen besprochen? Welche weiteren Schritte wird Brasilien unternehmen, um diese Fragen zu lösen?
Lawrow (ergänzt nach Figueiredo): Noch lange vor den bekannten Ereignissen dieses Jahres, welche die Weltöffentlichkeit so in Unruhe versetzten, hat Russland gemeinsam mit anderen Staaten die Notwendigkeit der internationalen Informationssicherheit und der Internetverwaltung im Rahmen der Internationalen Fernmeldeunion thematisiert. Zunächst gab es gegen diese Prozesse und Initiativen heftigen Widerstand. Man sagte uns, dass man nichts zu tun brauche, und die in der realen Welt existierenden Regeln würden automatisch auch im Cyberraum angewendet werden. Aber die Zahl der Länder, welche damit nicht einverstanden waren und darin wegen des Fehlens von generell gültigen Prinzipien für die Arbeit im Internet immer mehr Probleme sahen, vergrößerte sich. Deshalb verabschiedeten Sonderkonferenzen der Internationalen Fernmeldeunion und der UNO-Generalversammlung in den letzten Jahren eine ganze Serie von Entschlüssen, die darauf ausgerichtet sind, den Prozess für die Ausarbeitung von entsprechenden universellen Regeln in Gang zu setzen.
Eine wichtige Etappe innerhalb der UNO ist der Abschluss der Arbeit der auf Grund unserer Initiative ins Leben gerufenen Expertengruppe an einem Bericht zur Problemanalyse im Bereich der internationalen Informationssicherheit und über die auf diesem Gebiet entstehenden Risiken und Bedrohungen. Der Bericht wurde durch Konsens angenommen. An seiner Vorbereitung nahmen Vertreter aller wichtigen Staaten und Regionen teil.
Auf der letzten Sitzung der UNO-Generalversammlung brachten wir eine neue Resolution ein, welche die Einrichtung einer weiteren Expertengruppe vorschlägt, die auf Basis des den UNO-Mitgliedern zur Prüfung vorgelegten analytischen Berichts mit der Ausarbeitung von für alle annehmbaren Verhaltensnormen im Cyberraum beauftragt werden soll. Zweifellos müssen die Probleme, die in diesem Jahr aufgetaucht sind und über welche mein Kollege sprach, auch in diesem Zusammenhang geprüft werden, zusätzlich zur Sonderinitiative, die Brasilien und Deutschland im Dritten Komitee der UNO-Generalversammlung vorschlugen. Wir werden aktiv an ihrer Weiterführung mitarbeiten, denn im Rahmen der UNO-Rechtsschutzorgane und von anderen Organisationen wie dem Europarat und der OSZE fordert Russland schon lange die notwendige Annahme der Verpflichtung der Nichteinmischung in das Privatleben der Bürger. Ernsthafte Vorarbeiten gibt es bereits und es ist notwendig, sich über generelle Verhaltensregeln zu einigen.