Antworten des russischen Außenministers auf die Fragen der Massenmedien im Laufe der Pressekonferenz in Fragen der syrischen Regelung im Kontext des Besuchs des Sondergesandten der Vereinigten Nationen und der Arabischen Liga von Moskau, Moskau, 16. Juli 2012
Frage: Wie sehen die Perspektiven für die Regelung der Situation in Syrien aus, wenn man berücksichtigt, dass die Opposition die Einleitung eines Dialogs mit den Staatsmächten ablehnt? Scheint Ihnen nicht, dass die Opposition die Zeit für den Waffenstillstand für die Stärkung ihrer Positionen ausnutzt, und K. Annans Plan nur für Russland und China, die ihn verteidigen, aktuell bleibt, und in der restlichen Welt ignoriert wird?
S.V. Lawrow: Es kann wohl nur eine Lösung geben – dass alle externen Akteure die syrischen Parteien, auf die sie Einfluss haben, dazu zwingen bei der Ausführung von K. Annans Plan zusammenwirken. Es geht gerade darum jede syrische Gruppe zu beeinflussen, darunter natürlich auch die „Freie Syrische Armee" (FSA), andere Kampftruppen, die dieser Struktur nicht direkt unterstehen, auf die politische Opposition einzuwirken – wie auf die innere, sowie auch auf die äußere, – um sie davon abzubringen radikale Positionen einzunehmen.
Der neue Vorsitzende des Syrischen Nationalrats A. Seida hat während seines Aufenthalts in Moskau seine Position formuliert. Sie besteht darin, dass in Syrien eine Revolution im Gange ist. Aber was haben dann die Vereinigten Nationen und die internationale Gemeinschaft damit zu tun? Entweder muss man sagen: wir machen eine Revolution und ihr sollt uns in Ruhe lassen. Oder, wenn man zur internationalen Gemeinschaft aufruft, muss man schon darauf hören, was von ihr vereinbart wird. Alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft müssen ihrerseits darum bemühen, dass es so sein wird.
Bislang habe ich einen recht festen Eindruck, dass sobald in der syrischen Situation auch nur die kleinste Lichtung erscheint, ruft das bereits Unzufriedenheit bei einer Reihe unserer Partner, bei einigen Mitgliedern der Weltgemeinschaft hervor. Wir erinnern uns daran, was mit der Beobachtermission der Arabischen Liga im Herbst letzten Jahres und Anfang dieses Jahres geschehen ist. Wir haben die Zustimmung des Damaskus zur Entfaltung dieser Mission sichergestellt, aber sie wurde sofort abgebrochen, nachdem sie ihren ersten, mehr oder weniger objektiven Bericht vorbereitet hat. Diese Mission wurde einfach abgebrochen.
Danach kam K. Annans Plan. Wir haben die syrischen Staatsmächte wieder von der Notwendigkeit überzeugt diesen anzunehmen, was dann auch getan wurde. Der Waffenstillstand, der von diesem Plan vorgesehen und im April dieses Jahres erklärt wurde, brachte die ersten, wenn auch keine hundertprozentigen Ergebnisse. Aber sobald passiert ist, erklangen sofort Äußerungen darüber, dass K. Annans Mission und sein Plan fehlgeschlagen hätten, und es erfolgten neue Gewaltausbrüche.
Ich zähle nur Fakten auf, ohne irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen. Danach gab es den Beschluss über die Bestellung der UN-Beobachter. Aber kurz nach ihrer Entfaltung erklangen Stimmen darüber, dass aus diese Mission fehlgeschlagen hätte und nutzlos sei.
Ich erwähnte bereits das Treffen in Genf. Sobald in diese Treffen ein Konsens erreicht wurde, der im Kommunique festgehalten wird, stimmte B. Assad der Arbeit auf der Grundlage der Genfer Vereinbarungen zu. Er bestimmte, wie man von ihm forderte, seinen Konfliktlotsen, der mit der Opposition im Namen der Regierung verhandeln sollte. Sofort wurde von einer Reihe unserer Partner erklärt, dass die Genfer Vereinbarungen eigentlich nur dann erfüllt werden könnten, wen B. Assad seinen Posten verlassen würde, und dass der UN-Sicherheitsrat gegenüber Damaskus ein Ultimatum nach dem Kapitel VII der UN-Satzung stellen muss. Das bedeutete, im Grunde genommen, einen Rücktritt von den Genfer Vereinbarungen. Die Teilnehmer des Treffens mit der Opposition, das in zwei Tagen nach dem Genfer Treffen in Istanbul stattfand, haben diese Anspielung der westlichen Länder verstanden und ein Dokument gefasst, in dem es kein einziges Wort über das Genfer Kommunique gibt, dabei enthält es jedoch die Forderungen über den Rücktritt von B. Assad und die Fassung einer Resolution nach Kapitel VII der UN-Satzung. Einige meine westlichen Kollegen haben öffentlich dazu aufgerufen, dass in dieser Resolution eine absolute wirtschaftliche, finanzielle und kommunikative Blockade des syrischen Regimes verkündet werden soll, d.h. sie wollen nicht einmal mit ihm reden. Daraus ergibt sich eine direkte Einladung, jedoch nicht zur Ausführung des Genfer Kommuniques, sondern zum Bürgerkrieg.
Ich sagte bereits, das wir so etwas wie eingeschüchtert werden: wenn es keine Resolution nach Kapitel VII geben wird, werden wir das Beobachtermandat nicht verlängern.
Es wissen alle sehr gut, dass gegen die Regierungstruppen sehr gut gerüstete Gruppen ankämpfen. In privaten Gesprächen wird das auch von keinem verneint, darunter auch von meinen Kollegen, die öffentlich davon sprechen, dass das Regime gegen das Volk ankämpft.
Ich wiederhole, beliebige Gewalt verdient Missbilligung, Missbilligung allein ist jedoch nicht ausreichend. Man muss wie auf das Regime, sowie auch auf die Opposition Druck ausüben, damit dieser Gewalt ein Ende bereitet wird. Ich erinnere Sie daran, dass in Genf der Beginn des Übergangszeitraums mittels Bildung eines vorübergehenden Verwaltungsorgans auf der Grundlage der Zustimmung aller Parteien vereinbart, einschließlich der Regierung und natürlich der Opposition. Genau mit dieser Frage muss man sich befassen. Wie ich bereits sagte, hat B. Assad einen Konfliktlotsen bestimmt, und die Opposition hat in diesem Zusammenhang nichts vorgenommen. Anstatt zu bestimmen, wer die Oppositionen in den Verhandlungen vertreten soll, erklingen Forderungen über den Rücktritt von B. Assad bevor überhaupt etwas möglich sein wird.
Natürlich erklingen vielfach Beschwörungen, dass sich der Schlüssel zur syrischen Regelung in Moskau befindet. Und wenn wir dabei die Frage stellen, was eigentlich damit gemeint ist, wird uns erklärt, dass Russland B. Assad davon überzeugen muss freiwillig zurückzutreten. Ich sagte bereits – das ist unrealistisch. Das ist keine Frage unserer Vorzüge, Sympathien oder Antipathien. B. Assad wird nicht deshalb nicht zurücktreten, weil wir ihn beschützen, sondern einfach deshalb, weil hinter ihm ein äußerst erheblicher Anteil der Landesbevölkerung steht. Deshalb muss man die Genfer Vereinbarungen ausführen, anstatt über irgendeinen Schlüssel zu reden. Die russische Seite macht das auch ehrlich bei ihrer Arbeit mit Damaskus und mit der Opposition. Aber wir sehen keine gleichartigen Anstrengungen unserer westlichen und einiger regionaler Partner, die einen unermesslich größeren Einfluss auf das Verhalten der oppositionellen Gruppen, auf die Entwicklung der Ansätze der politischen Opposition und auf die Handlungen der bewaffneten Truppen in Syrien haben.
Hier kann man sich nichts Übersinnliches ausdenken. Die Lösung ist wie immer sehr einfach, es ist jedoch wichtig, dass alle in einer Richtung arbeiten und auf denselben Punkt schlagen.
Frage: Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz erklärte, dass in Syrien ein Bürgerkrieg im Gange ist. Plant Moskau in diesem Zusammenhang eine Abänderung seiner Entscheidung zu den Militärverträgen mit Damaskus?
S.V. Lawrow: Ich denke, dass hier ein kleiner geschichtlicher Exkurs erforderlich ist. Ich habe angenommen, dass diese Frage auftreten wird, deshalb habe ich einen Spickzettel mitgenommen.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ist dazu berechtigt Erklärungen darüber zu äußern, ob die eine oder andere Situation ein „nicht internationaler bewaffneter Konflikt" ist – das ist ein juristischer Fachausdruck. Der Begriff „Bürgerkrieg" existiert im humanitären Völkerrecht nicht, es gibt den Begriff „nicht internationale bewaffneter Konflikt" – und dieser hat einen äußerst konkreten Inhalt. Die Teilnehmer der Genfer Konventionen haben die besondere Stellung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz im Bereich des humanitären Völkerrechts anerkannt. In diesem Sinne hat die offizielle Erklärung des Pressesekretärs des IKRK H. Hassan, in der die Situation in Syrien als einen „nicht internationalen bewaffneten Konflikt" bezeichnete, natürlich ihre Folgen.
Das Zusatzprotokoll II zu den Genfer Konventionen qualifiziert als einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt Handlungen, - ich zitiere, - die auf dem Gebiet von einer der Hohen Vertragsparteien zwischen ihren regulären Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen auftreten, die unter verantwortlichem Kommando eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets ausüben, die es ihnen erlaubt ununterbrochene und abgestimmte Kriegshandlungen auszuführen. Hier ist meiner Meinung nach eindeutig ersichtlich, dass das IKRK meint, dass hier ein Widerstand von zwei gewaffneten Großkräften gegeneinander besteht.
Eine solche Qualifizierung legt auf die Parteien im Konflikt Verpflichtungen auf die Forderungen des humanitären Völkerrechts zu erfüllen, und zwar wie in Bezug auf die Kombattanten (die Qualifizierung vom IKRK der Situation in Syrien macht die bewaffnete Opposition zu Kombattanten), sowie auch in Bezug auf die Personen, die an den Kriegshandlungen nicht unmittelbar oder nicht mehr teilnehmen. Insbesondere wird es verboten ihr Leben anzugreifen, sie als Geiseln zu nehmen, Folterungen, Leibesstrafen, Misshandlungen der menschlichen Würde etc. anzuwenden.
Ich möchte besonders hervorheben, dass in der Definitionsbeschreibung der Situation eines bewaffneten Konflikts das Zusatzprotokoll II folgendes konstatiert:
1. Dieses Protokoll darf nicht zur Beeinträchtigung der Souveränität eines Staates oder der Verantwortung der Regierung herangezogen werden, mit allen rechtmässigen Mitteln die öffentliche Ordnung im Staat aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen oder die nationale Einheit und territoriale Unversehrtheit des Staates zu verteidigen.
2. Dieses Protokoll darf nicht zur Rechtfertigung einer wie immer begründeten unmittelbaren oder mittelbaren Intervention in den bewaffneten Konflikt oder in die inneren oder äusseren Angelegenheiten der Hohen Vertragspartei herangezogen werden, in deren Hoheitsgebiet dieser Konflikt stattfindet.
Ich denke, dass diese Zitate ausreichend sind, um zu verstehen, wie das IKRK die Situation charakterisiert und welche Schlüsse daraus für die Teilnehmer der Genfer Konventionen folgen.
Frage: Werden denn die Berichte über die Heeresflucht aus der Armee von B. Assad Russland zu einer Überprüfung ihrer Position zwingen?
S.V. Lawrow: Solche Dinge passieren halt. Das ist nicht etwas Übersinnliches. Es existieren auch verschiedene Methoden für die Gewährleistung von Schritten solcher Art der einzelnen Funktionäre des Regimes – wir nehmen das gelassen hin. Und es gibt keine magische Ziffer in der Anzahl der Überläufer, die eine radikale Veränderung der Situation bedeuten würde.
Uns macht nicht das Schicksal von einzelnen Generälen oder Diplomaten Sorgen, sondern das Schicksal des syrischen Volkes. Die friedlichen syrischen Bürger sterben weiter, unter anderem auch deshalb, weil die Anstiftung der bewaffneten Truppen zur Ablehnung von beliebigen Vorschlägen über den Waffenstillstand oder die Feuereinstellung fortgesetzt wird. Es werden einseitige Forderungen darüber erhoben, dass die Regierung in einseitiger Ordnung abrüstet. Sie wird das nicht tun, und das verstehen alle ganz gut. Damit wird wahrscheinlich auch gerechnet. Es ergibt sich der Eindruck, dass anstatt die Opposition dazu zu zwingen sich in Übereinstimmung mit K. Annans Plan und den Genfer Vereinbarungen zu verhalten, die Opposition andauernd dazu aufgerufen wird Druck auf Russland auszuüben, man überzeugt sie davon, dass alles gut gehen wird, und dass man die Russen schon herumbekommen wird. Das ist eine unfaire Position. Hauptsache ist, dass sie kontraproduktiv ist und keine Ergebnisse erreicht.
Frage: Was wird passieren, wenn die russische Seite den Erpressungen in Bezug auf Kapitel VII nicht nachgibt, und die westlichen Partner ihrerseits keine Zustimmung zur Verlängerung des Mandats der Beobachtermission abgeben werden?
S.V. Lawrow: Wie ich bereits mehrfach sagte, werden wir keine Resolution des UN-Sicherheitsrats billigen können, die nicht auf den Genfer Vereinbarungen basieren wird. Wir haben nicht dafür einen halben Tag und eine halbe Nacht in Genf Verbracht und um Einigung über konkrete Formulierungen gerungen, damit dann alles „für die Katz" war, und damit wir wieder auf die Idee zurückkommen, mit der die westlichen Länder nach Genf gekommen sind.
In Genf wurde ein Kompromiss zwischen zwei Ansätzen erreicht, der im russischen Entwurf der Resolution widergespiegelt wird. Falls unsere Partner um jeden Preis beabsichtigen sollten den russischen Entwurf zu blockieren, wird die UN-Mission kein Mandat haben und dazu gezwungen sein Syrien zu verlassen. Das wäre bedauerlich. Ich hoffe, dass unsere westlichen Kollegen ursprünglich nicht die Absicht hatten Bedingungen für den Abbruch der Mission zu schaffen, wie seinerzeit auch die Mission der Arabischen Liga abgebrochen wurde. Mir liegt der Gedanke fern, dass alle Mitautoren der westlichen Resolution objektive, uneingenommene „Augen und Ohren" aus Syrien räumen möchten. Ich denke nicht, dass es so ist. Wenn das nicht so ist, so müssen sie eine Verlängerung des Mandats vereinbaren. Das ist eine sehr wichtige Beobachtermission. Letztendlich sind wir auch zu einer sogenannten technischen Verlängerung bereit, d.h. zu Fassung einer Resolution, die keine inhaltlichen Bewertungen, keinen beschreibenden Teil enthalten und nicht die Forderungen wiedergeben wird, die in den bereits zuvor gefassten Resolutionen enthalten sind. Im UN-Sicherheitsrat gibt es eine solche Form, wie die technische Verlängerung. Diese Resolution kann aus einem Punkt bestehen: der Sicherheitsrat beschließt eine Verlängerung des Mandats der UN-Mission in Syrien, wie es in der und der Resolution dargelegt wird, mit Präzisierungen, die vom Generalsekretär in seinem Bericht vorgeschlagen werden.
Wir werden auch zu so einer Variante bereit sein.
Frage: Verfügt die russische Seite über Angaben darüber, was genau am Donnerstag, dem 12. Juli dieses Jahres in Trems passiert ist, weil von dort widersprüchliche Informationen einlangen?
S.V. Lawrow: Was die Ereignisse in Trems betrifft, so ist es auch hier äußerst wichtig die Bedeutung der UN-Beobachtermission zu unterstreichen. Das ist unsere einzige objektive Möglichkeit zu verstehen, was dort eigentlich vorgefallen ist. Die Beobachter haben diesen Bezirk bereits besucht. Sie vermerkten dort Artillerie- und Minenwerferspuren. Sie sagten, dass dort auch offensichtlich bewaffnete Regimegegner waren, vor irgendwelchen endgültigen Schlussfolgerungen haben sie sich jedoch bislang enthalten, da sie noch einmal dorthin fahren und die Arbeit fortsetzen müssen, um das Bild der Ereignisse klarzustellen.
Es ist bekannt, was darüber von den Mächten gesagt wird. Ich möchte jedoch bemerken, dass im Gegensatz zu den ursprünglichen Erklärungen der Opposition ihre Vertreter es anerkannt haben, dass in diesem Dorf ein Kampf stattgefunden hat. Wie aus den vereinzelten Äußerungen, sowie auch aus dem, was wir bislang haben, setzt sich auf der Grundlage einer Analyse eine ungefähre Variante zusammen, die in etwa für die weitergehenden Ermittlungen und Einschätzungen dienen kann.
Allem Anschein nach haben die Truppen der „Freien Syrischen Armee" (FSA) am Morgen des 12. Juli dieses Jahres eine Militärpatrouille in der Nähe von Trems angegriffen. Und danach zogen sich diese Truppen in das Dorf zurück und igelten sich dort ein. Bald wurde diese Ortschaft von den Regierungsstreitkräften attackiert. Nach vorläufigen Schätzungen dauerte der Kampf etwa anderthalb Stunden an. Es wird anerkannt, dass im Gefecht etwa 40 Paramilitärkämpfer gefallen sind. Die Anzahl der Opfer wird recht widersprüchlich dargelegt, darunter auch von den örtlichen Einwohnern. Tatsache bleibt jedoch, dass die Opposition zugegeben hat, dass dort eine ernsthafte Gefechtsbegegnung stattgefunden hat. Wir sollen auch nicht vergessen, dass dies unmittelbar ein paar Tage vor dem Datum passiert ist, an dem der UN-Sicherheitsrat ein weiteres Mal die Situation in Syrien behandeln sollte.
Übrigens hat „Amnesty International" kürzlich zugegeben, dass in der SAR nicht nur die Regierung die Menschenrechte verletzt, sondern dass sich auch die Oppositionellen in einer ganzen Reihe von Fällen nicht besser benehmen: sie foltern, ermorden die in Gefangenschaft geratenen Mitarbeiter der Gewaltstrukturen. Diese Tatsachen werden nun ebenfalls unter die Wirkung des Protokolls II zu den Genfer Konventionen fallen, und zwar aufgrund der Erklärung, die vom IKRK abgegeben wurde.
Wenn wir jetzt auf die Tragödie in Trems zurückkommen, so muss die Ermittlung fortgesetzt werden. Selbstverständlich studieren wir aufmerksam alles, was uns von den Beobachtern mitgeteilt wird, ihre Arbeit wird fortgesetzt. Die Massenmedien machen jedoch auch ihre Arbeit. Die Sonderkorrespondentin von VGTRK in Syrien Anastasia Popova arbeitet in äußerst schwierigen Bedingungen, und das, was sie uns heute in ihrer Reportage gezeigt hat, muss meiner Meinung nach auch beachtet werden. Das sind ernste Sachen, Berichte von Augenzeugen.
Frage: Zum heutigen Tag gibt es Informationen darüber, dass im Laufe der Verhandlungen von K. Annan mit dem syrischen Präsidenten B. Assad in Damaskus einige Parameter besprochen wurden, die den Übergangszeitraum betreffen. Könnten Sie und mit den vorhandenen Informationen bekannt machen: gibt es hier einen positiven Kern für die weitergehende Förderung von K. Annans Plan?
S.V. Lawrow: Was die Besprechungen betrifft, die K. Annan in Damaskus, und danach in Teheran, Bagdad, sowie bei den Kontakten mit anderen Parteien hatte, denke ich, dass ich nicht dazu berechtigt bin über dieses Thema zu sprechen. Wir warten auf ein ausführliches Gespräch und Informationen aus erster Hand. Hauptsache, wir sind davon überzeugt, dass jedes Schema nur dann funktionieren wird, wenn garantiert die Gleichzeitigkeit der Handlungen der Regierungskräfte und der bewaffneten Opposition gewährleistet wird. Anders funktionieren solche Sachen nicht.
Frage: Kürzlich wurde die Erklärung eines Vertreters des russischen Außenministeriums über Saudi-Arabien im Kontext der Ereignisse abgegeben, die dort geschehen sind, sowie in Fragen der Menschenrechte. Von der Seite der saudischen Staatsmächte folgte eine scharfe Reaktion. Das hängt alles mit den Ereignissen zusammen, die jetzt in Syrien vorgehen. Wie würden Sie diese Situation kommentieren?
S.V. Lawrow: Ich meine, dass die genannte Erklärung einen korrekten Ton aufweist und absolut nicht darauf ausgerichtet ist, um zu versuchen sich in wessen auch immer innere Angelegenheiten einzumischen. Am wenigsten – in die inneren Angelegenheiten von Saudi-Arabien, das ein Partner von uns ist. Wir haben mit diesem Staat, wie auch mit vielen anderen Ländern dieser Region, einschließlich des Golfs von Persien, einen engen Dialog und enge Beziehungen. Ja, wir sind nicht darüber zur Einigung gekommen, was in Syrien vorgeht. Aber das ist kein Grund dafür, um alles andere auch in negativen Tönen dazustellen.
Wir mischen uns schon deshalb in keine inneren Angelegenheiten ein, weil die internationale Gemeinschaft schon seit langem eine Praxis vereinbart und eingeführt hat, nach der die Äußerung von Besorgtheit um die Situation mit den Menschenrechten keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten ist. In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine einfache Sache sagen: die Situation in Syrien darf nicht isoliert betrachtet werden, genauso wie man das Geschehen in Libyen, in Jemen, in der Sachel-Region und in einer Reihe anderer Länder auch nicht isoliert betrachten durfte. Es besteht das Risiko einer Destabilisierung der Situation in dieser großen und äußerst wichtigen geopolitischen Region. Man kann sich gegen diese Risiken nicht versichern, und sie kommen auch bereits zur Erscheinung, darunter auch in einer Reihe von Ländern des Golfs von Persien, die unsere Partner sind und deren Destabilisierung wir überhaupt nicht wünschen.
Gestern trat H. Clinton in Ägypten mit einer ganzen Reihe von Aussagen auf, sie erzählte, was Demokratie ist. Sie sagte, dass Demokratie nicht nur Wahlen sind, sondern auch die Verpflichtung der bei den Wahlen gesiegten Mehrheit in der Gewährleistung der Rechte der Minderheiten.
Ich würde es auch so sagen, dass unabhängig davon, ob dies ein Merkmal der Demokratie ist, die Rechte von ethnischen, religiösen und sonstigen politischen Minderheiten in allen Staaten gewährleistet werden müssen. Das ist eine Voraussetzung für Stabilität, für die nationale Einigung in der Gesellschaft. Was die Risiken in dieser Region oder, genauer genommen, der stattgefundenen Tatsachen der Ausbreitung des Einflusses von „Al-Quaida" und deren affiliierter Terror- und Extremistengruppen betrifft, denke ich, dass niemand das Recht dazu hat darüber hinwegzusehen. Das ist unser gemeinsamer Feind. Wir sind zusammen mit Saudi-Arabien, mit anderen Ländern des Persischen Golfs und mit anderen Staaten der Region dazu verpflichtet alles zu tun, um diesem gemeinsamen Fein keine Anlass dafür geben immer neue und neue Anhänger anzuwerben.
Frage: Sie haben die Situation in Syrien und in der Region als äußerst schwierig bezeichnet. Wie sehen sie die Weiterentwicklung die Situation? Was wird Russland in diesem Zusammenhang vornehmen?
S.V. Lawrow: Ich kann zum bereits Gesagten nicht viel hinzufügen. Wir betrachten diese Situation pessimistisch, wenn der laufende Trend anhalten sollte. Wenn die führenden oppositionellen Gruppen den Weg der Revolution wählen, bedeutet das, dass sie es nicht vorhaben aufzuhören. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, dass die Regierungskräfte in einer solchen Situation in einseitiger Ordnung abrüsten oder die besiedelten Ortschaften verlassen wollen werden. Das ist eine Einladung zur Fortsetzung und zur Verstärkung des Konflikts. Wenn man die perfekte Variante annimmt, so habe ich davon gesprochen. Ich wiederhole, alle externen Akteure müssen alle syrischen Gruppierungen in einer Richtung beeinflussen: hört auf zu schießen, und wir werden einen Mechanismus gewährleisten, der die Situation kontrollieren wird, damit keiner von euch diese Verpflichtungen verletzt; setzt euch an den Verhandlungstisch, bestimmt eure Konfliktlotsen. Die Regierung der SAR hat das getan. Wir haben die Leitung des Syrischen Nationalrats und anderer syrischer Oppositionellen dazu angespornt sich so schnell wie möglich darüber zu einigen, wer sie in den Verhandlungen vertreten soll, um die es im Genfer Kommunique geht, das von allen unterstützt wurde. In diesen Verhandlungen muss die Zusammensetzung des sogenannten „Übergangsverwaltungsorgans" bestimmt werden, das wie Wahlen vorbereiten soll etc. Bislang gibt es keine Kandidaten von der Opposition. Wir hoffen sehr, dass die Staaten, die auf die Opposition Einfluss haben, diesen Einfluss dafür einsetzen werden, damit solche Konfliktlotsen so schnell wie möglich bestimmt werden, gleichzeitig mit der Vornahme von Maßnahmen für die synchronisierte Feuereinstellung und für den Abzug der bewaffneten Menschen und schwerer Technik aus den Städten.
Frage: Der Außenminister der Islamischen Republik Iran A.A. Salehi hat vorgeschlagen die Verhandlungen der syrischen Parteien im Iran durchzuführen und sagte, dass Teheran dazu alle notwendigen Bedingungen schaffen wird. Wie stehen Sie dazu?
S.V. Lawrow: Die russische Seite hat jede weitere Verhandlungsrunde nach Moskau eingeladen. Wir können ebenfalls alle Bedingungen schaffen. Die Frage besteht nicht im Ort der Durchführung. Genf hat allen ganz gut gepasst. Wir sagten, dass wir bereit sein werden auch in Moskau einen gastfreundlichen Empfang zu gewähren. Das hat keine Bedeutung. Wichtig ist der Sinn, und nicht die Form oder der Ort.
Frage: Sergei Viktorowitsch, es sind über drei Monate ab dem Zeitpunkt der Festlegung von K. Annans Plan vergangen. Wir hören täglich davon, dass in Syrien etwa hundert Menschen ums Leben kommen. Heute treffen Sie sich mit K. Annan. Gibt es irgendwelche konkreten Vorschläge dafür, dass K. Annans Plan tatsächlich wiederbelebt wird?
S.V. Lawrow: Ich wäre vorsichtig mit der Statistik bezüglich der Anzahl der Opfer, die sich weiterhin mehren. Es ist notwendig sich auf objektive Tatsachen zu verlassen und, vor allem, auf diejenigen, die „auf dem Boden" arbeiten. Wir wissen, wir oft auf den Bildschirmen mit Handys geschossene Bilder erscheinen, auf denen man kaum etwas verstehen kann. Ich würde mich jedoch davor hüten auf dieser Grundlage irgendwelche Schlussfolgerungen mit weitgehenden politischen oder gar militärischen Folgen zu ziehen. Zweifellos ist all unsere Arbeit, all der Pathos unserer Position darauf ausgerichtet, dass beliebige Gewaltanwendung und der Blutverguss in Syrien so schnell wie möglich eingestellt wird.
Was die Vorschläge zur Wiederbelebung von K. Annans Plan betrifft – das hängt nicht von uns ab. Alles, was von uns abhängig ist, führen wir ehrlich und sorgfältig aus. Was wir vereinbaren, das machen wir dann auch in unserer täglichen Arbeit mit der syrischen Staatsleitung, sowie auch bei den regelmäßigen Kontakten mit praktisch allen oppositionellen Gruppen. Wenn diese Signale, die auf den Vereinbarungen des UN-Sicherheitsrats und der Genfer Konferenz basieren, mit dem gleichen Enthusiasmus durch die anderen externen Akteure an dieselben Adressen übertragen werden, denke ich, dass wir eine Chance dafür haben, um die Situation vom toten Punkt abzubringen und sie auf den politischen Weg zu umzuleiten. Wenn die Signale, die von unseren anderen Partnern an die Oppositionellen gesendet werden, direkt umgekehrt sind, so werden hier auch keine Vorschläge helfen können.
Ich wiederhole – man muss ausführen, was man vereinbart hat. Im Genfer Kommunique wird direkt festgehalten, dass alle externen Akteure auf die syrischen Parteien einwirken werden, um sie zur Gewalteinstellung und zum Beginn eines Dialogs anzuregen. Das müssen alle machen, nicht nur die Russische Föderation.
Frage: Wenn im Sicherheitsrat der westliche Entwurf der Resolution zur Abstimmung gestellt werden sollte, der auf Kapitel VII der UN-Satzung basiert, wird Russland dagegen auftreten?
S.V. Lawrow: Diese Frage habe ich bereits beantwortet, als ich sagte, dass wir eine solche Resolution nicht durchlassen können. Lernen Sie die Synonyme in der russischen Sprache.
Frage: In einer von Ihren Pressekonferenzen wurde eine Frage berührt, die die Türkei interessiert, – über das am 22. Juni dieses Jahres abgeschossene Flugzeug. Sie sagten, dass die über konkrete und objektive Angaben zu dieser Angelegenheit verfügen.
Ich nehme an, dass dies nicht zufällig gesagt wurde und dass Russland über bestimmte faktische Angaben verfügt. Die türkische Gesellschaft ist um diese Frage besorgt. Ich weiß nicht, ob die türkische Regierung diese Angaben angefragt hat, die Öffentlichkeit bittet jedoch darum. Könnten Sie bitte klarstellen, was Sie für Angaben haben und wie Sie an diese gelangt sind?
S.V. Lawrow: Russland, wie viele in militärischer Hinsicht entwickelte Länder auch, verfügt über Möglichkeiten objektive Angaben mit technischen Kontrollmitteln zu erhalten. Ich kann nur sagen, dass wir diese Angaben unseren türkischen Kollegen mitgeteilt haben.
Frage: Sie sagten gerade, dass die Situation im UN-Sicherheitsrat einer Pattsituation naht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinden sich im Süden der Türkei 35 Tausend syrische Flüchtlinge. Hat Russland als einer der externen Akteure vor die Hälfte dieser Menschen bei sich aufzunehmen?
S.V. Lawrow: Ich würde die Situation im UN-Sicherheitsrat noch nicht als Pattsituation bezeichnen. Wir geben trotzdem unsere Hoffnung nicht auf zu einer Einigung zu kommen, selbstverständlich im Rahmen dessen, was in Genf vereinbart und im Genfer Kommunique festgehalten wurde.
Wir haben unsere Position bezüglich der Anzahl der Flüchtlinge bereits dargelegt. Nach den Einschätzungen befinden sich in der Türkei 35 Tausend Flüchtlinge, und über 35 Tsd. – in Jordanien, in Libanon. Wir sollten auch nicht vergessen, dass sich in Syrien etwa eine halbe Million Flüchtlinge aus dem Irak aufhalten, und noch etwa 250-300 Tausend Palästinenser. Man muss sich über alle Flüchtlinge kümmern.
Russland ist Teilnehmer der entsprechenden Konventionen. Wenn Menschen in den Nachbarländern in Not geraten, leisten wir ihnen verpflichtungsgemäß Mitwirkung. Ich kann nur hinzufügen, dass das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen dem Problem der syrischen Flüchtlinge viel Aufmerksamkeit schenkt. Jetzt hat sich die Situation noch stärker zugespitzt, weil die dreiviertel Millionen Flüchtlinge, die sich in Syrien befinden und mit Mühe und Not in irgendwelchen Lagern, Zelten untergebracht wurden, sich irgendwie eingelebt haben. Ich hoffe, dass sie dort nicht ewig wohnen werden, dass das palästinensische Problem irgendwann doch noch gelöst wird, und dass die Iraker auch in ihre Heimat zurückkehren können.
Es ist verständlich, dass die syrischen Flüchtlinge jetzt das größte Interesse hervorrufen, darunter auch aus politischen Erwägungen. Ich weiß, dass das UNHCR dazu bereit ist und über die Möglichkeiten verfügt jegliche Mitwirkung zu leisten. Unsere türkischen Kollegen antworteten auf unser Hilfeangebot, das wir noch am Anfang äußerten, dass sie bislang auch selbst damit fertig werden. Ich bin überzeugt, dass wir Mitwirkung leisten können, falls ein solcher Bedarf eintreten sollte. Wir hoffen darauf all diese Fragen schon sehr bald mit der türkischen Staatsleitung besprechen zu können.
Frage: In Genf waren keine Vertreter des Irans und von Saudi-Arabien не anwesend. Ist denn ein Schema möglich, das diese beiden Länder, die das Geschehen in Syrien beeinflussen, anschließen würde?
S.V. Lawrow: Das ist eine gute Frage. Als wir eine solche Konferenz initiiert haben, figurierten in der von uns anfänglich vorgeschlagenen Liste der Teilnehmer an einer solchen Veranstaltung neben denjenigen, die am 30. Juni in Genf anwesend waren, auch Saudi-Arabien, der Iran, die Organisation für Islamische Zusammenarbeit. Wir meinten, dass Saudi-Arabien und der Iran as verständlichen Gründen Einfluss auf diese Situation haben, und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit ist als eine der Strukturen wichtig, in die Syrien und ihre Nachbarn eingehen. Aber einige Teilnehmer des Genfer Treffens, insbesondere unsere amerikanischen Kollegen und einige Westeuropäer, waren grundsätzlich gegen die Teilnahme des Iran. Deshalb wurde wohl zum Ausgleich auch Saudi-Arabien nicht eingeladen.
Verstehen Sie, das ist kein sachlicher, sondern ein ideologisierter Ansatz. Er hilft der Sache nicht, wobei allen verständlich ist, dass man mit dem Iran und mit Saudi-Arabien sprechen muss, womit sich K. Annan auch befasst. Anstatt diese Staaten einfach auf einmaliger Grundlage über K. Annan heranzuziehen, wäre es viel nutzbringender sie an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu laden, damit sie bei der Entwicklung von handlungefähigen Lösungen helfen.
Ich hoffe, dass bei der Vorbereitung eines neuen Treffens der „Aktionsgruppe", wie sich die Teilnehmer der Genfer Konferenz bezeichnet haben, wir die Möglichkeiten für eine Erweiterung des Teilnehmerkreises berücksichtigen werden, damit alle einflussreichen Partner bei dieser Veranstaltung anwesend sind.
Danke.