Kommentar des Außenministeriums Russlands zur Situation in der Ukraine
Wir sehen uns gezwungen, die Aufmerksamkeit neuerlich auf die Nichterfüllung der Vereinbarungen durch die Machthaber in Kiew zu lenken, die in der Genfer Erklärung vom 17. April getroffen wurden und die in der „Road Map" des Schweizer OSZE-Vorsitzes ihre Fortsetzung gefunden haben.
Entgegen der Verpflichtung, sich jeglicher Gewaltakte, Einschüchterungen und Provokationen zu enthalten, hat Kiew nicht nur nicht von einer Strafoperation gegen das eigene Volk Abstand genommen, sondern es treibt diese konsequent auf die Spitze, indem die Städte im Osten des Landes regelmäßig nächtlichem Beschuss aussetzt werden, so auch durch schwere Artillerie.
Kiew hat auch seine Verpflichtung vergessen, die gesetzwidrig bewaffneten Gruppen unverzüglich zu entwaffnen, insbesondere die Kämpfer des „Rechten Sektors" und anderer Ultraradikaler, sowie der verschiedenen regionalen militärischen Strukturen vom Typ „Dnjepr" und der von ihrer Rechtsgrundlage her bedenklichen „Nationalgarde".
Diese werden nicht nur nicht entwaffnet, sondern man versucht sie - ganz im Gegenteil - zu legalisieren und zusammen mit ausländischen Söldnern für Strafoperationen im Südosten zu verwenden. Es erfolgt keine offene, objektive und transparente Untersuchung der Februar-Pogrome auf dem „Maidan-Platz" und der blutigen Mai-Ereignisse in Odessa und Mariupol.
Die Amnestie funktioniert nicht. Anstatt die politischen Gefangenen frei zu lassen, hängen die Machthaber in Kiew all jenen, die anderer Meinung sind, das „Etikett des Terroristen" um und erhöhen zielgerichtet die Anzahl der Festnahmen. Neben den Protestierenden verfolgen die Machthaber auch Journalisten, die eine objektive, jedoch Kiew nicht genehme Sichtweise verbreiten. In Wirklichkeit herrscht im Land eine strenge politische Zensur.
Wir verzeichnen in der Ukraine die Zunahme von Gesprächen am „Runden Tisch", die dazu aufgerufen sind, für eine nationale Versöhnung sowie für einen gerechten und stabilen konstitutionellen Aufbau des Landes zu sorgen. Leider haben wir bislang viele negative Reaktionen auf die abgehaltenen Veranstaltungen vernommen, die oftmals nur durchgeführt werden, um sie „abhaken" zu können, ohne die tatsächlichen Vertreter der Regionen und der politischen Kräfte einzubeziehen.
In diesem Kontext haben wir uns mit dem vom Parlament (Obersten Rat – Werchowna Rada) der Ukraine verabschiedeten „Memorandum für gegenseitiges Verständnis und Frieden" vertraut gemacht. Dieses Dokument stellt den ersten klaren und verständlichen, wenn auch verspäteten, Schritt in Richtung Realisierung der Genfer Erklärung vom 17. April 2014 geworden, der „Road Map", die von der OSZE erarbeitet wurde.
Im Großen und Ganzen positiv kann man die Verurteilung von Waffen und Gewalt bewerten, die bereits zum Tod vieler Menschen geführt haben, sowie die Absicht, für eine unverzügliche Durchführung einer Verfassungsreform zu sorgen, die eine Dezentralisierung der Macht vorsieht. Wir sind der Auffassung, dass das Vorhaben Unterstützung verdient, die Befugnisse der Regionen mit Finanzressourcen zu unterstützen, die aus der gerechten Verteilung der Budgeteinnahmen gewonnen werden, sowie das Bestreben, auf allen Ebenen der staatlichen Gewalt die Korruption zu bekämpfen, und auch der Aufruf zur Vermeidung interkonfessioneller und zwischenethnischer Konflikte im Land.
Außerdem ist bekannt, dass im Zuge der Erörterung des Entwurfes des Memorandums, das von Abgeordneten der Partei der Regionen ausgearbeitet wurde, Fragen ausgeklammert wurden, die als Garant für gegenseitiges Verständnis und Frieden in der Ukraine dienen würden. So fehlt im Text des Memorandums eine Bestimmung über den blockfreien Status des Landes und auch die These über eine gewisse Garantie des Status der russischen Sprache durch das ukrainische Parlament ist nur vage formuliert. Auch die Pläne Kiews für eine Deeskalation des Konflikts bedürfen einer näheren Erklärung, insbesondere die Fristen für die Einstellung der Militäroperationen im Osten der Ukraine.
Es ist schade, dass bei der Erörterung des Memorandums keine Vertreter der Regionen der Ukraine anwesend waren, die das Vertrauen der Bevölkerung genießen. Wir weisen auch darauf hin, dass das Memorandum auch im Parlament keine zustimmende Unterstützung der Abgeordneten gefunden hat.
Das Einzige, worauf die Anstrengungen Kiews zurzeit wohl gerichtet sind, ist die Abhaltung der Präsidentenwahlen am 25. Mai. Die Wahl eines Staatsoberhauptes als solche ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung. Umso wichtiger ist es, dafür zu sorgen, dass sie einen landesweiten und freien Charakter tragen. Der Weg dorthin führt über einen breiten Kompromiss innerhalb der ukrainischen Gesellschaft hinsichtlich der verfassungsmäßigen Grundlagen des Staates.
Wir rufen die Machthaber in Kiew zu entschlossenem Handeln bei der Einstellung von Gewaltakten und bei der Suche nach Wegen zu einer realen landesweiten Einheit auf.
21. Mai 2014