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Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf einer gemeinsamen Konferenz nach Verhandlungen mit der amtierenden OSZE-Vorsitzenden, der Außenministerin Schwedens, Ann Linde, Moskau, 19. November 2021

2367-19-11-2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben unser Zusammenwirken in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in der Ann Linde derzeit die Amtierende Vorsitzende ist, erörtert. Wir begrüßten die Haltung Schwedens in diesem Amt, die Positionen zur OSZE-Problematik regelmäßig abzustimmen. Seit unserem Treffen im Februar, als die Ministerin hier zum ersten Besuch als OSZE-Leiterin war, ist die Situation in dem Raum der Organisation nicht besser geworden, die Zahl der Probleme ging nicht zurück. Wir räumen ein, dass sich die Lage durch eine vertiefende Vertrauenskrise zwischen den Teilnehmerstaaten und das Dominieren der Logik der Konfrontation über einem konstruktiven Dialog und eine Zusammenarbeit, wozu eigentlich die OSZE ins Leben gerufen worden war, kennzeichnet.

Wir betonten, dass die Versuche, die OSZE zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu nutzen, ein ziemlich gefährlicher Weg ist. Ihnen sollten entgegnet werden. Wegen ihrer breiten geografischen Umfassung, eines allumfassenden Herangehens zur Sicherheit und Regeln des Konsens kann die Organisation tatsächlich eine bedeutende Rolle bei der Suche nach gemeinsamen Antworten auf allgemeine Herausforderungen und Drohungen suchen. Um dieses wichtiges vereinigendes Potential zu entfachen, soll die OSZE die Effizienz der Arbeit ihrer Institutionen, Vor-Ort-Präsenz erhöhen, bestimmte geografische und thematische Mängel in der Tätigkeit beseitigen. Der Gedankenprozess zu diesem Thema wurde in Wien bereits begonnen. Wir tauschten Meinungen darüber aus, wie die Effizienz der OSZE erhöht werden kann. Russland fördert bereits seit vielen Jahren zusammen mit seinen Verbündeten und Partnern ein ganzes Paket konkreter Vorschläge zur Reform dieser Organisation, damit sie in vollem Umfang ihren Zwischenregierungscharakter rechtfertigt.

Im Fokus der Aufmerksamkeit war die Rolle der OSZE bei der Regelung der Ukraine-Krise. Wir betonten die Alternativlosigkeit einer vollen, kontinuierlichen allseitigen Erfüllung des Minsker Maßnahmenkomplexes. Wir gehen davon aus, dass der Amtierende Vorsitz, darunter via den Sondergesandten in der Ukraine und in der Kontaktgruppe einen direkten Dialog der Konfliktseiten: Kiew, Donezk und Lugansk fördern soll. Das erfordern auch die Minsker Vereinbarungen, wo schwarz auf weiß die Notwendigkeit festgeschrieben ist, Vereinbarungen zwischen Kiew, Donezk und Lugansk zu solchen Fragen  wie der Sonderstatus dieser Gebiete, Durchführung der Wahlen und vieles Andere abzustimmen, zu finden. Wir erwarten, dass in der Arbeit der Sonderbeobachtermission der OSZE die Unvoreingenommenheit bei der Beobachtung der Situation in ganzer Ukraine, wo die Menschenrechtslage, insbesondere Sprachrechte, Bildungsrechte der Nationalen Minderheiten ziemlich trüb ist, gewährleistet wird. Wir rufen entsprechende internationale Organisationen dazu auf, Aufhebung der diskriminierenden Beschlüsse anzustreben, doch Kiew verfolgt beharrt seinen Kurs. Wir sehen kein ernsthaftes Streben unserer westlichen Kollegen, diese groben Verletzungen der ukrainischen Verfassung und zahlreicher Verpflichtungen Kiews zu internationalen und europäischen Konventionen zu beseitigen. Die Sonderbeobachtermission soll direkt mit Donezk und Lugansk arbeiten, ohne dies ist das notwendige Gewicht und Ansehen der internationalen Beobachter in den Augen der Bevölkerung der Republik sowie die Erfüllung der Minsker Abkommen nicht zu erreichen. Wir sind daran interessiert, dass wir im Außenministerrat der OSZE in Stockholm, der am 2. und 3. Dezember 2021 stattfindet, eine erfolgreiche Durchführung dieser Veranstaltung feststellen können.

Wir besprachen kurz die Entwürfe der Beschlüsse, die vom schwedischen Vorsitz verbreitet wurden und an denen jetzt gearbeitet wird. Russland leistete seinen Beitrag zu den Entwürfen der Abschlussdokumente der Ministersitzung. Wir bereiteten einen Entwurf der Erklärung zur Bekämpfung der Nutzung von Internet durch Terroristen vor, damit alle Lösungen der Sitzung des Außenministerrats in Stockholm bei der Vereinigung der Teilnehmerländer zur Antwort auf für alle ohne Ausnahme gemeinsamen Herausforderungen helfen.

Wir erörterten die Fragen der russisch-schwedischen Beziehungen. Trotz bekannter natürlicher Meinungsverschiedenheiten haben wir ein gemeinsames Verständnis, dass es gute Möglichkeiten für Zusammenarbeit in den Richtungen, in denen bei uns ein gegenseitiges Interesse zu erkennen ist – Handel, Wirtschaft, Investitionen, Umwelt, kulturell-humanitäre Projekte, Gesundheitswesen, soziale Versorgung – gibt.

Wir schätzten die Wiederaufnahme der Tätigkeit des Russisch-Schwedischen Zwischenregierungs-Aufsichtsrats für Handel und Wirtschaftszusammenarbeit nach einer achtjährigen Pause hoch ein. Vor einem Monat fand in Stockholm seine weitere Session statt, bei der die Wege für eine weitere Arbeit in dieser Richtung skizziert wurden.

Es bleiben bestimmte Probleme mit der Tätigkeit unserer Unternehmen in Schweden bestehen. Wir sprachen darüber mit der Ministerin das vorherige Mal. Hoffentlich werden diese Fragen im Rahmen des Zwischenregierungsausschusses gelöst. Wir bemühen uns allumfassend, günstige Bedingungen für die Arbeit der schwedischen Unternehmen in unserem Lande zu gewährleisten.

Bei uns steht eine wichtige Veranstaltung bevor, ich meine die Austragung des Kulturfestivals „Russische Saisons“ in Schweden sowie Dänemark und Norwegen im kommenden Jahr. Wir hoffen, dass es die Annäherung unserer Zivilgesellschaften, unserer Völker im Ganzen fördern wird.

Es gibt einen Raum für Zusammenarbeit in der Ostsee-Region, im Norden Europas. Hier verschärfen sich ebenfalls die Spannungen, darunter wegen der zunehmenden Aktivitäten der Nato in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen. Wir treten dafür ein, dass die Kooperationsformate, die sich im Norden bildeten, zum Voranbringen der gemeinsamen Tagesordnung genutzt werden, ich meine unter anderem unseren Vorsitz im Arktischen Rat für diese zwei Jahre, bei dem wir mit Schweden und anderen Ländern dieser Organisation ein pragmatisches und nützliches Zusammenwirken haben.

Wir schlugen unseren schwedischen Kollegen schon mehrmals vor, Maßnahmen zu treffen, um die Wiederaufnahme eines Dialogs zur Problematik der regionalen Stabilität und Sicherheit in der Ostseeregion zu fördern. Unser Vorschlag besteht darin, zu diesem Format zurückzukehren, das auf einer gewissen Etappe eingesetzt wurde – das sind fünf nordeuropäische Länder, drei Länder des Baltikums und die Russische Föderation (5+3+1).

Ich denke, dass wir ein nützliches Gespräch hatten, das wir noch bei einem Arbeitsmittagessen fortsetzen.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Ist Russland bereit, seinerseits etwas zu tun, um die „trüben“ Beziehungen zu den westlichen Demokratien zu regeln? Wenn die Beziehungen in diesem trüben Zustand bleiben werden, ist Russland darüber besorgt?

Sergej Lawrow: Das ist schon eine Tradition unserer westlichen Kollegen geworden. Sehen sie, das wird schon in die Gedanken und Selbstwahrnehmung solcher immer neutralen, gemäßigten Länder wie Schweden implementiert, und diese Mentalität dringt sich in die Köpfe der Medienvertreter ein. Wenn sie so anspruchsvoll fragen, was Russland machen soll, um den westlichen Demokratien zu gefallen – das ist doch unanständig. Das untergräbt vollständig alle Grundlagen, auf denen die OSZE beruht, die heute Ann Linde vertritt, und die Grundlagen, auf denen die ganze moderne Architektur der internationalen Beziehungen, die nach dem Sieg gegen den Nazismus im Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, beruht. Jetzt hat sie die Form der UNO, alle deren Werte in ihrer Charta dargelegt sind. Wenn sie sich diese Charta ansehen, ist da eindeutig geschrieben, dass das Hauptprinzip eine souveräne Gleichheit der Staaten ist. Niemand darf andere Länder als „gute“ oder „böse“ betrachten, die ein Scherbengericht verdienen. Das Völkerrecht erfordert den Respekt ausnahmslos aller Länder. Ich möchte nicht ausführlich darüber erzählen, warum die westlichen Demokratien ohne diese völkerrechtlichen Argumente kein Recht haben, allen ihre Überlegenheit zu erklären. Wir hatten bereits Perioden, wenn einige westliche Demokratien durch absolut demokratische Wahlen in eine Situation kamen, als sich ein Land in einen Monster verwandelte, das mit seiner Menschenhass-Ideologie drohte und sie in der Praxis umsetzte. Ich rufe aufrichtig dazu auf, die Geschichte des eigenen Landes und die heutigen Realitäten zu respektieren.

Wir sind offen zu einem Dialog mit unseren westlichen Kollegen. Darüber sprach gestern ausführlich der Präsident Wladimir Putin auf einer erweiterten Sitzung des Kollegiums des Außenministeriums der Russischen Föderation. Wir werden kein Auge bei den groben Provokationen zudrücken, die wir täglich seitens der Nato-Mitgliedsstaaten und immer öfter seitens der EU bei ihrem Versuch sehen, den Militaristen in der Ukraine in die Hände zu spielen, die ukrainische Armee auf Handlungen vorzubereiten, mit denen sie ständig droht, wobei gesagt wird, dass sie das Donezbecken mit Gewalt einnehmen wird, und man nicht die Minsker Vereinbarungen erfüllen will, und die russische Krim beansprucht wird. Die ganze kriegslüsterne Rhetorik und die militärischen Vorbereitungen in der Ukraine bekommen keine prinzipielle Einschätzung des Westens.

Wir sehen, was da vor sich geht. Ich kann zusichern, dass wir es nie zulassen werden, dass unsere legitimen nationalen Interessen irgendwie beeinträchtigt werden. Wir haben alles, um das zu gewährleisten. Wenn man darüber spricht, wie sich die Beziehungen Russlands mit dem Westen entwickeln werden, haben wir die Charta der UNO, OSZE, wo alle das Gleichgewicht der Interessen anstreben statt gehorsam allem zustimmen, was der Westen diktiert. Schweden mit seinen neutralen Traditionen, die man umfassend untergraben will, sowie Finnland wird derzeit viel Aufmerksamkeit gewidmet – sie werden in Nato-Manöver einbezogen, darunter bei einem Manöver mit einer „Legende“, die direkt gegen die Russische Föderation gerichtet ist.

Ich hoffe, dass alte gute Traditionen unseres guten Nachbarn die Oberhand gewinnen werden. Schweden wird die Rolle eines Landes spielen, das den Konsens bei den Einigungen und eine vereinigende Tagesordnung fördert, und nicht in Kategorien denkt, “warum Russland gegenüber dem demokratischen Westen ungehorsam ist”.

Wir sind immer offen zu einem Dialog, doch ausschließlich auf einer gleichberechtigten, gegenseitig respektvollen Grundlage und Suche nach Gleichgewicht der Interessen.

Frage: Könnte die Eskalation zwischen Aserbaidschan und Armenien vor einigen Tagen die Regelung des Friedensprozesses beeinflussen? Was stört prinzipiell die Deblockierung der Verkehrs- und Wirtschaftsverbindungen und Delimitation? Die Seiten erklärten vor kurzem die Bereitschaft, sich in diese Richtung zu bewegen, darunter beinahe ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Im Kreml wurde bezüglich eines dreiseitigen Treffens gesagt, dass für einen Konsens und ein Treffen die Zustimmung der drei Seiten erforderlich ist. Heißt das also, dass es keinen Konsens gibt?

Sergej Lawrow: Ich werde kurz antworten. Sie sagten, dass der Kommentar des Kreml zu einem möglichen dreiseitigen Treffen darin bestand, dass für ein Treffen ein Konsens erforderlich ist. Ich kann nur bestätigen, dass es für einen Konsens erforderlich ist, dass alle jene, die sich treffen wollen, dem zustimmen müssen. Ich bin mir sicher, dass ein solches Treffen zustande kommen wird.

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