Artikel des Außenministers Russlands S. Lawrow in der Zeitung „Renmin Ribao“, 15. Juli 2011
In diesen Tagen begehen Russland und China ein für unsere Länder wichtiges Jubiläum: vor zehn Jahren, am 16. Juli 2001, haben der Präsident der Russischen Föderation W. Putin und der Staatspräsident der Volksrepublik China Jiang Zemin im Kreml den Vertrag über Gutnachbarlichkeit, Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Russischen Föderation und der Volksrepublik China mit ihren Unterschriften bekräftigt. Somit wurde ein festes politisch-rechtliches Fundament für stabile, vorsehbare und vielseitige Beziehungen zwischen den beiden Staaten gelegt. Der Vertrag inkorporierte die jahrhundertelange Erfahrung der Entwicklung von Beziehungen zwischen Russland und China und verflocht sie organisch mit den allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des internationalen Rechts. Diese grundlegende internationalrechtliche Akte, die die russisch-chinesischen Beziehungen auf der gegenwärtigen Etappe und in der übersehbaren Zukunft regelt, widerspiegelt im vollen Maße die tiefen historischen Traditionen der Gutnachbarlichkeit und Freundschaft zwischen dem russischen und dem chinesischen Volk, sowie die friedfertige Außenpolitik der beiden Staaten.
Auf der Grundlage des Vertrags entwickelte sich das optimale Modell der zwischenstaatlichen Beziehungen, das den ursprünglichen nationalen Interessen der Völker Russlands und Chinas entspricht und deren allseitige Unterstützung genießt. Dieses Modell funktioniert erfolgreich und entwickelt sich weiterhin, wobei es mit neuen Inhalten angereichert wird. Unsere Staaten stützen sich auf die breite Übereinstimmung der grundlegenden Prioritäten: sowohl im Bereich der Außenpolitik, als auch in der Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Sie haben gute Aussichten für die Erweiterung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der kulturellen Austauschprojekte, sowie in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und in vielen anderen.
Bei seinem Auftritt im Jahre 2001 auf der feierlichen Zeremonie anlässlich der Unterzeichnung des Vertrags zitierte der Präsident Russlands die chinesische Weisheit: „Kein Weg wird von selbst angelegt, keine Sache wird von selbst erledigt". Zehn Jahre später können wir mit Befriedigung auf den durchgemachten Weg zurückblicken: durch gemeinsame Bemühungen mit unseren chinesischen Freunden ist es uns gelungen, zahlreiche Vorhaben, die für die beiden Länder, für unsere Völker wichtig und nützlich sind, umzusetzen.
Die Jahre, die nach der Abschließung des Vertrags vergangen sind, zeichnen sich durch eine dynamische Entwicklung von allen Richtungen der russisch-chinesischen Beziehungen, die nach vielen Kennwerten die höchste Stufe in der Geschichte erreicht haben, aus. Es wird ein intensiver Dialog auf hoher und höchster Ebene unterhalten. Das gegenseitige politische Vertrauen hat sich qualitativ gefestigt. In der gemeinsamen Erklärung anlässlich des 10. Jahrestags des Vertrags über Gutnachbarlichkeit, Freundschaft und Zusammenarbeit, die von den Oberhäuptern der beiden Staaten auf Grund der Ergebnisse des staatlichen Besuchs des Staatspräsidenten der Volksrepublik China Hu Jintao in die Russische Föderation am 16. Juni dieses Jahres verabschiedet wurde, wird gesagt, dass die Beziehungen zwischen unseren Ländern die „Beziehungen einer allseitigen strategischen Zusammenarbeit und Partnerschaft im Geiste der Gleichberechtigung, Vertraulichkeit, der gegenseitigen Unterstützung, der gemeinsamen Prosperität und der Freundschaft, die von Generation zu Generation überreicht wird", darstellen.
Zum ohne Übertreibung wichtigsten historischen Ereignis des letzten Jahrzehnts wurde die endgültige Regelung der Frage über die russisch-chinesische Grenze. Die im Oktober 2004 unterzeichnete Vereinbarung beendete den 40 Jahre lang andauernden Verhandlungsprozess und setzte einen Schlusspunkt in der Arbeit an der Delimitation dieser längsten zwischenstaatlichen Grenze der Welt ihrer ganzen Länge nach. 4 Jahre später wurde die Grenzlinie vollständig auf dem Gelände markiert. Heute dient die staatliche Grenze nicht der Abtrennung, sondern der Vereinigung von Völkern der beiden großen benachbarten Staaten. In der Praxis verwandelte sie sich in ein Gebiet von Frieden, Freundschaft und der vielseitigen Zusammenarbeit.
Die sachliche Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern in den Bereichen Handelswirtschaft, Kapitalanlagen, Finanzwesen, Energiewesen, Wissenschaft und Technik, zwischenregionale Beziehungen u.a. entwickelt sich in einem schnellen Tempo. Es genügt zu sagen, dass China zum größten Handelspartner Russlands geworden ist. Das Volumen des bilateralen Warenumsatzes hat sich in zehn Jahren mehr als um das siebenfache – bis auf fast 60 Mrd. US-Dollar – vergrößert. Auf der Tagesordnung steht eine noch größere Aufgabe: auf den kürzlichen Verhandlungen in Moskau haben der Präsident der Russischen Föderation D. Medwedew und der Staatspräsident der Volksrepublik China Hu Jintao sich geeinigt, diesen Parameter bis zum Jahre 2015 bis auf 100 Mrd. US-Dollar und bis zum Jahre 2020 – bis auf 200 Mrd. US-Dollar zu bringen. Und zwar soll es nicht nur durch die Steigerung der Kooperation im energetischen Bereich, der heute als die wichtigste tragende Struktur der Zusammenarbeit fungiert, erreicht werden, sondern auch dank der Steigerung des Anteils von innovativen Bereichen, einschließlich der Nuklearenergetik, der zivilen Luftfahrttechnik, der friedlichen Erkundung des Weltalls, der Nano- und Biotechnologien, sowie der Herstellung von neuen Materialien.
Effizient funktioniert der verzweigte Mechanismus von regelmäßigen Treffen der Regierungschefs Russlands und Chinas, der mehrere Dutzend von bilateralen Kommissionen, Unterkommissionen und Arbeitsgruppen miteinschließt und fast alle Bereiche der bilateralen Zusammenarbeit umfasst. Seine Arbeit ermöglicht es, die sichere Koordinierung von Bemühungen zur Förderung der Austauschprojekte sowohl zwischen Organen der exekutiven Gewalt, als auch zwischen staatlichen Gesellschaften und Privatunternehmen der beiden Länder zu gewährleisten.
Die soziale Basis der russisch-chinesischen Beziehungen hat sich bedeutend gefestigt. Infolge der Umsetzung von großen Projekten, die mit der Veranstaltung des Russland-Jahres in China, des China-Jahres in Russland, sowie des Jahres der russischen Sprache in China und des Jahres der chinesischen Sprache in Russland verbunden sind, wurde ein wichtiger Schritt für die Entwicklung der humanitären Beziehungen, für die Festigung des Einverständnisses und der Freundschaft zwischen den Völkern der beiden Länder gemacht. Heute bereiten sich unsere Staaten auf die Durchführung der nationalen Tourismusjahre in 2012 und in 2013 vor. In deren Rahmen werden Dutzende von verschiedenen Veranstaltungen geplant, deren Ziel darin bestehen soll, noch besseres gegenseitiges Verständnis und die weitere Annährung unserer Völker zu erzielen. Ein gutes Beispiel für solche zukunftsorientierte Kooperation ist der Empfang von Schülergruppen für Ferien. Dieses Jahr wird sich bereits die zweite Gruppe bestehend aus 500 Schülern aus verschiedenen Regionen Russlands auf den Ferienorten Chinas am Meer erholen.
Die Ansichten Russlands und Chinas zu den Schlüsselfragen der globalen und regionalen Tagesordnung stimmen in vielerlei Hinsicht überein. Beide Seiten plädieren beharrlich für den Aufbau einer polyzentrischen Weltordnung und gegen Versuche, in internationalen Angelegenheiten einseitige Ansätze aufzuzwingen. Russland und China tragen aktiv zur Festigung der Sicherheit und Stabilität in der Welt bei, unter anderem in der asiatisch-pazifischen Region. Zu einer markanten Illustration für die Gemeinsamkeit von unseren Ansätzen auf der Weltarena wurde die im September 2010 von den Oberhäuptern der beiden Staaten vorgebrachte Initiative über die Vervollkommnung der Sicherheitsarchitektur in der asiatisch-pazifischen Region auf Grund von Prinzipien der untrennbaren Sicherheit und der Unzulässigkeit von Versuchen, die eigene Sicherheit zum Nachteil anderer zu festigen. In der Organisation der Vereinten Nationen und in ihrem Sicherheitsrat, in der G20, in der BRICS und in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit treten Russland und China zu vielen Problemen gemeinsam auf. Die beiden Staaten haben ähnliche Ansätze zur Regelung von Konflikten, sowie hinsichtlich der letzten Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten.
Ich bin überzeugt, dass das Potential der Weiterentwicklung der russisch-chinesischen Beziehungen noch lange nicht ausgeschöpft ist. Die Nutzung von allen Möglichkeiten, die der Vertrag aus dem Jahre 2001 eröffnet, ist unsere gemeinsame Aufgabe, die nicht nur den Interessen der Völker der beiden Länder entspricht, sondern auch der Festigung des globalen Friedens und Stabilität, sowie der Harmonisierung von internationalen Beziehungen dient.