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Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Tätigkeit der russischen Diplomatie 2021, Moskau, 14. Januar 2022

30-14-01-2022

Sehr geehrte Kollegen,

Guten Tag! Ich gratuliere allen zum neuen Jahr nach allen Zeitrechnungen, außer einigen unseren östlichen Kollegen. Die Feiertage kommen erst in einem Monat – das chinesische Neujahr und nach dem östlichen Kalender.

Wir begannen mit der Arbeit sofort nach den Feiertagen. Wir opferten sogar teilweise freie Tage. Die aktuelle Lage in der Welt ist so, dass man sich kaum entspannen und erholen kann. Ich werde sie nicht im Detail beurteilen. Sie kennen die ausführlichen programmatischen Auftritte des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, auf den erweiterten Sitzungen der Kollegien der Außen- und Verteidigungsministerien unseres Landes und auf der großen Pressekonferenz am 23. Dezember 2021.

Allen ist klar, dass sich die Situation nicht bessert. Das Konfliktpotential nimmt zu. Die westlichen Kollegen fördern entscheidend eine solche negative Entwicklung der Ereignisse. Sie nahmen den Kurs auf die Untergrabung der Architektur der internationalen Beziehungen, die auf der UN-Charta beruhen. Es wird der Kurs auf den Ersatz des Völkerrechts durch eigene „Regeln“ geführt, auf denen sie alle dazu zwingen wollen, die neue Weltordnung aufzubauen.

Es werden verschiedene „Formate“ zu den Richtungen der internationalen Tätigkeit geschaffen, die seit langem auf der Tagesordnung der universellen Organe des UN-Systems stehen. Es kommt zu Dubletten. Diese engen Formate, die untereinander abgestimmt werden, werden als Koalitionen der Fortgeschrittenen dargestellt, die neue Herangehensweisen diktieren, die heute alle Anderen brauchen. Jene, die sich solchen Veranstaltungen nicht anschließen, werden als Rückwärtsgewandte, Länder, die Revisionismus in das internationale Leben implementieren wollen, bezeichnet. Obwohl Revisionismus ist eigentlich das, womit sich jetzt der Westen befasst. Er versucht, die UN-Charta zu revidieren. Russland und andere Länder, die unsere Verbündeten und strategische Partner sind, verteidigen die Charta der Organisation, ihre Prinzipien, Ziele, Struktur und verteidigen sie von Revisionismus.

Das infamste Projekt fand am 9. und 10. Dezember 2021 statt - der „Gipfel für Demokratie“. Die Vorbereitung dieses Treffens, die Veranstaltung selbst, seine in Washington ausgerufenen „Ergebnisse“ – ist ein anschauliches Beispiel des Kurses der US-Kollegen auf die Reideologisierung des internationalen Lebens (was wir vor kurzem losgeworden haben) und Schaffung der neuen Trennungslinien.

Der Kurs der USA und der Nato wurde offen als Abschreckung Chinas und der Russischen Föderation ausgerufen. Es dauern die Versuche der künstlichen Erweiterung der Nato, Einbeziehung der Ukraine an. Vor kurzem waren interessante Erklärungen der Führung der Allianz und der USA darüber zu hören, dass skandinavische Länder, die keine Nato-Mitglieder sind, begrüßt werden. Die Versuche einer künstlichen Heranziehung und Erweiterung dieser Struktur, die den Sinn ihrer Existenz nach dem Kalten Krieg und Auflösung des Warschauer Vertrags, verlor, dauern an.

Im Dezember 2021 wurden den USA und Nato-Mitgliedern zwei Dokumente übergeben, sie wurden veröffentlicht – Entwürfe des Vertrags zwischen Russland und den USA über Sicherheitsgarantien und Abkommens über Maßnahmen der Gewährleistung der Sicherheit zwischen Russland und Nato-Staaten. Sie haben einen Paket-Charakter. Sie sind auf das Ausschließen jeder weiteren Bewegung der Nato gen Osten und Stationierung der Waffen, die uns bedrohen, neben russischen Grenzen gerichtet.

Am 10. Januar dieses Jahres fanden in Genf Verhandlungen zwischen unseren und US-amerikanischen Experten statt. Am 12. Januar dieses Jahres – eine Sitzung unter Teilnahme der Nato-Länder in Brüssel. Es wurde die Notwendigkeit, sich gerade auf der Einstellung der Expansion eines Blocks zum Nachteil der Interessen anderer Staaten auf dem europäischen Kontinent klar betont und ausführlich argumentiert. Ich denke, dass sie eine ausführliche Beleuchtung dieser Veranstaltungen und das Interview der Vertreter des Außenministeriums und des Verteidigungsministeriums Russlands aufmerksam verfolgten.

Ich würde betonen, dass wir gerade juridisch verbindliche Garantien brauchen. Politische Verpflichtungen, die in den 1990er-Jahren festgelegt wurden (geschweige denn mündliche Versprechen), wurden von unseren westlichen Partnern nie erfüllt. Anscheinend wollen sie auch jetzt das nicht machen. Das ist ein einzelnes Thema. Wir erklärten ausführlich die Nachteile solchen Herangehens, Unannehmbarkeit einer einseitigen Deutung der politischen Verpflichtungen über die Nichterweiterung der Nato und Gewährleistung der Unteilbarkeit der Sicherheit. Wir erwarten von unseren Kollegen schriftliche Antworten, die auf Papier gelegt sind.  Wir machten das, indem unsere Vorschläge eingereicht wurden. Wir werden die Arbeit daran fortsetzen, um zu jeder Entwicklung der Ereignisse bereit zu sein.

Wir sind davon überzeugt, dass man beim guten Willen, Bereitschaft zum Kompromiss immer gegenseitig annehmbare Lösungen finden kann. Am Anfang 2021 wurde es geschafft, den New-START-Vertrag für fünf Jahre ohne jegliche Bedingungen zu verlängern, wie es die Russische Föderation auch vorschlug. Wir schätzten diesen Schritt der Administration Joe Bidens  als einen der ersten nach seiner Amtseinführung ziemlich hoch ein. Während des Treffens in Genf am 16. Juni 2021 vereinbarten die Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Joe Biden, die Notwendigkeit eines Dialogs zu allen Fragen der strategischen Stabilität und den Waffen, die sie beeinflussen.  Es wurde eine wichtige Erklärung angenommen, die das Prinzip bestätigt, dass der Atomkrieg nicht gewonnen werden kann, weshalb er nie entfacht werden darf. Ich würde zufriedenstellend betonen, dass im Rahmen der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats auf dem höchsten Niveau am 3. Januar dieses Jahres eine entsprechende gemeinsame Erklärung über die Unzulässigkeit eines Atomkriegs und Verpflichtungen der Atommächte alles zu machen, um ihn zu verhindern, gemacht wurde. Dieser Schritt wird der Vorbereitung des Gipfels der Anführer der fünf Atomstaaten fördern, die Initiative dessen Einberufung wurde von Russlands Präsident Wladimir Putin eingebracht. Wir erwarten eine Vereinbarung zu den organisatorischen Fragen und Tagesordnung dieser Veranstaltung. Wir hoffen, dass sie im Präsenzformat stattfindet, sobald die epidemiologische Lage das ermöglichen wird.

Wir arbeiten im westlichen Vektor, gehen aktiv in anderen Richtungen der russischen Außenpolitik vor. 2021 entwickelte sich die Integrationskooperation in der EAWU, festigte sich der Prozess der Integration im Unionsstaat Russlands und Belarus. Das förderte die Durchsetzung der Initiative des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin zur Bildung der Großen Eurasischen Partnerschaft.

Wir entwickelten in diesem Kontext die Beziehungen zu den Partnern auf dem asiatischen Kontinent. Wir begingen den 20. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags über gute Nachbarschaftsbeziehungen, Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Russland und China. Wir förderten besonders privilegierte strategische Partnerschaft mit Indien und den meisten Partnern in der Asien-Pazifik-Region sowie den Staaten Afrikas und Lateinamerikas. In der Asien-Pazifik-Region wurde besondere Aufmerksamkeit den aktiven Verbindungen zu den ASEAN-Mitgliedsstaaten im Kontext der Bildung der Großen Eurasischen Partnerschaft gewidmet. Wir nutzten maximal die Möglichkeiten für einen konstruktiven Dialog, den solche Vereinigungen wie die G20, BRICS und SOZ bieten.

Wir wurden in die Arbeit zur Förderung der Regelung verschiedener Konflikte (in Bergkarabach, Syrien, Afghanistan, Libyen), des iranischen Atomprogramms, palästinensisch-israelischen Angelegenheiten, Situation auf der Koreanischen Halbinsel und anderen Brandherden einbezogen. In diesem Kontext würde ich die Mission betonen, die die OVKS-Friedenskräfte erfüllten (jetzt schließen sie Arbeit an den bleibenden Fragen ab). Auf Bitte des Präsidenten Kasachstans Kassym-Schomart Tokajew halfen die Friedenstruppen bei der Bekämpfung einer offenen Terrorgefahr, die sich in diesem Land nicht ohne äußeren Einfluss erwies.

Wir befassten uns aufmerksam mit der diplomatischen Unterstützung der Arbeit beim Kampf gegen die Covid-Pandemie und ihre Folgen. Der Impfstoff Sputnik V ist in 71 Ländern registriert. Bei unseren Kontakten mit ausländischen Partnern klären wir weiterhin die offensichtliche praktische Bedeutung der Initiative des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, die auf dem G20-Gipfel am 30. und 31. Oktober 2021, über die gegenseitige Anerkennung der nationalen Impfzertifikate aufgebracht wurde. Mit mehreren Ländern wurden solche Vereinbarungen bereits erreicht.

2022 werden wir die Arbeit in allen diesen Richtungen fortsetzen. Wir werden die zentrale Rolle der UNO, die Notwendigkeit eines strikten Respekts des Völkerrechts, wie es in den universell abgestimmten und angenommenen Dokumenten verkörpert ist, ohne Versuche, es in einzelnen Punkten ins Wanken zu bringen und zum Vorteil nur einer Gruppe der Länder zu deuten, verteidigen.

Wir werden gegen Terrorismus und Cyberkriminalität kämpfen. Dazu gibt es bereits wichtige Beschlüsse, die im letzten Jahr in der UNO und in anderen Formaten angenommen wurden. Wir werden die Vereinigung der Russischen Welt als multinationale und multikonfessionelle Bewegung fördern. Im Oktober 2021 fand der VII. Weltkongress der russischen Landsleute statt. Es wurden weitere gemeinsame Pläne skizziert.

Besondere Aufmerksamkeit wird den Fragen der Gewährleistung der Meinungsfreiheit und gleichen Zugangs zu Informationen gewidmet. In diesem Zusammenhang werden wir weiterhin darauf beharren, dass die westlichen Kollegen nicht auf ihre Verpflichtungen verzichten und sie vollumfänglich erfüllen.

Wir werden weiterhin mit den Medien kommunizieren, wenn es für sie interessant ist. Wir sind dazu bereit.

Frage: Sie haben bereits über die Ergebnisse der Verhandlungen zu den russischen Vorschlägen zu Sicherheitsgarantien in Brüssel und Genf gesagt. Jetzt warten wir auf eine schriftliche Antwort: von den USA in der nächsten Woche, von der Nato – innerhalb der Woche. Zugleich sehen wir, dass unsere Partner sich kritisch und manchmal negativ zu den für uns wichtigen Punkten äußern. Welche Handlungen wird Russland unternehmen, wenn die Vorschläge von den USA und der Nato abgelehnt werden?

Sergej Lawrow: Wir warten auf eine schriftliche Reaktion. Es gibt Gründe zu denken, dass unsere Partner die Notwendigkeit begriffen, das schnell, konkret, auf Papier zu machen. Wir werden nicht endlos warten. Es gibt Pläne, diesen Prozess zu bremsen. Wenn man offen sagt, verstehen alle, dass die Aussicht einer Einigung von den USA abhängt. Egal, was uns über die Notwendigkeit der Konsultationen mit Verbündeten und Einbeziehung aller OSZE-Mitglieder in diese Verhandlungen gesagt wird – das sind alles Ausreden und Versuche, den Prozess zu verzögern.

Als die Beziehungen zwischen Russland und der Nato sich bildeten, wurde die Grundakte abgeschlossen, der Beschluss über die Bildung des Russland-Nato-Rats erreicht – im Kontext dieser Prozesse zwischen Moskau und der Nato wurden politische Vereinbarungen darüber abgestimmt, wie wir uns weiterhin im Bereich Streitkräfte und Waffen verhalten werden – niemand organisierte Konsultationen. Das fiel niemandem ein. Weder der OSZE noch der EU, die jetzt (via Josep Borrell) sich gekränkt fühlt, dass sie außer vor gelassen wurden. Man kann einzeln zu diesem Thema sprechen.

Wir wollen die Position auf Papier sehen, zu jedem unseren Punkt in beiden Dokumenten eine Reaktion bekommen – was passt und was nicht, warum. Wenn man durch etwas ergänzen soll, mögen sie Änderungen formulieren.

Sie erwähnten das, was jetzt von allen Medien hervorgehoben wird – die westliche Reaktion konzentriert sich vor allem auf einer strikten Feststellung der Unmöglichkeit, auf das Prinzip der offenen Tür der Nato zu verzichten. Doch Russland ist nicht mit irgendwelchen Vereinbarungen in der Nato verbunden. Wir, Amerikaner, Europäer, Nato-Mitglieder, neutrale Vertreter sind fest mit Vereinbarungen und politischen Verpflichtungen in der OSZE verbunden. Die Organisation bietet in diesem Kontext uns eine normative Grundlage nur aus dem Grund, dass in den 1990er-Jahren eine Vereinbarung über die Unzulässigkeit der Untergrabung der Unteilbarkeit der Sicherheit und  Festigung der eigenen Sicherheit auf Kosten der Sicherheit der anderen abgeschlossen wurde. In den damaligen Dokumenten (unter anderem europäischen Sicherheitscharta, die 1999 auf der höchsten Ebene in Istanbul unterzeichnet wurde) sind drei Bestandteile fixiert. Sie alle wurden unterstützt und unterzeichnet.

Das Erste – worüber der Westen jetzt gerne spricht – das Recht, die Wege der Gewährleistung der eigenen Sicherheit frei zu wählen, einschließlich der Verbündetenverträge. Dort ist geschrieben, dass jeder Staat das Recht auf Neutralität hat. Daran soll ebenfalls nicht vergessen werden. Dann kommt ein Block, der ein unabdingbarer Teil dieses Kompromisses ist – der Vereinbarung darüber, dass jeder Staat die Rechte anderer Länder respektieren und die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der anderen festigen wird. Es wurde speziell fixiert, dass kein Staat, Gruppe der Länder bzw. Organisation eine vorrangige Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens und Stabilität in der Euroatlantischen Region bekommen wird und nicht einen Teil dieser Region als ihren Einflussbereich betrachten kann.

Unsere Kollegen aus den USA und der Nato, indem man den ersten Teil dieses unteilbaren Pakets (das Recht, ein Bündnis zu wählen) aneignet, versuchen alles andere zu streichen, ohne das der erste Teil nicht funktioniert. Wir sind nicht an diese Norm gebunden, wenn sie als grober Verstoß anderer Teile dieses unteilbaren Pakets angewendet wird. Wir warten auf schriftliche Antworten. Wenn dann klar wird, dass es den Sinn hat, die Verhandlungen wiederaufzunehmen, wird diese Frage die wichtigste sein.

Wir werden auf der Erklärung beharren, wie sich unsere Partner zu ihren Verpflichtungen verhalten, zumal jener, die auf der höchsten Ebene angenommen wurden. Wenn unsere Vorschläge abgelehnt werden, werden wir die Situation einschätzen und dem Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, berichten. Er sagte auf der großen Pressekonferenz, dass wir die Beschlüsse angesichts aller Faktoren, vor allem im Interesse einer zuverlässigen Gewährleistung unserer Sicherheit treffen werden. Ich werde nicht rätseln, wie das jetzt unsere Kollegen im Westen zu machen versuchen. Ich halte das für kontraproduktiv. Es ist für uns wichtig, eine konkrete Antwort bzw. Gegenvorschläge zu bekommen, damit sie die Fragen betreffen, die in unseren Dokumenten formuliert sind und am wichtigsten für Nichtzulassung einer negativen Entwicklung in unserer gemeinsamen Region, Europa, sind. Wir werden nach der Reaktion der Kollegen beurteilen, inwieweit sie ernsthaft sind.

Die Leiterin des Verhandlungsteams der USA in Genf, die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman, sagte in einem Interview, dass es keine Verhandlung, sondern eine Analyse der Positionen war. Das ist bildhaft. Wir kamen zu diesen Verhandlungen mit Positionen, die auf Papier einen Monat vor dem Treffen in Genf formuliert wurden. Die Amerikaner, die innerhalb dieses Monats es nicht geschafft haben, unsere Vorschläge zu analysieren, um eine konkrete Position zu formulieren, beschränkten sich nur mit Fragen und mündlichen Erklärungen. Das ist eine vergangene Etappe.

Frage: Zieht Russland die Möglichkeit der Erweiterung seiner politischen und militärstrategischen Präsenz in irgendwelchen Ländern in Betracht?

Sergej Lawrow: Wir haben vernetzte militärische, militärtechnische Verbindungen mit unseren Partnern, Verbündeten. Es gibt unsere Präsenz in verschiedenen Regionen der Welt. Das ist eine Frage, die bilaterale Beziehungen betrifft. Wir werden aus den Interessen der globalen Stabilität ausgehen, wenn weitere Schritte mit unseren Verbündeten auf einer gegenseitigen Grundlage in dieser Richtung besprochen werden.

Frage: Das Thema des „Nichtbeitritts“ der Ukraine zur Nato, die Aktivitäten der Nato in Osteuropa standen bereits seit vielen Jahren auf der Tagesordnung. Russland stellte mehrmals diese Fragen. Allerdings bezeichneten russische Offizielle diese Probleme als dringend, die gerade jetzt eine zeitnahe Lösung erfordern. Warum wurde diese Frage gerade jetzt, im November bzw. Dezember 2021 so akut? Was ist passiert?

Sergej Lawrow: Es hat sich angehäuft. In der Zeit nach den 1990er-Jahren, als Versprechen über die Nichterweiterung der Nato, Nichtbewegung der militärischen Infrastruktur gen Osten, Nichtstationierung bedeutender Kampfkräfte auf dem Gebiet neuer Mitglieder von unseren westlichen Freunden grob „in den Korb geworfen“ wurde. Die Nato näherte sich innerhalb der fünf Erweiterungswellen direkt unseren Grenzen an. Während im Jahr 1997, als wir unsere Beziehungen zur Nato gestalteten, nur Polen ein Beitrittskandidat war, änderte sich jetzt diese Situation. Zumal werden alle diesen Gebiete aktiv militärisch erschlossen. Wenn unsere Vorschläge darauf abzielen, militärische Konfrontation abzubauen, die allgemeine Situation in Europa zu deeskalieren, geschieht im Westen das Gegenteil. Die Nato baut ihre Landstreitkräfte, Fliegerkräfte in den Gebieten aus, die direkt nahe der Ukraine liegen. Die Übungen im Schwarzen Meer, ihr Ausmaß und die Zahl stieg in der letzten Zeit um das mehrfache. Wir haben Gründe zu denken, dass die lautstarken Erklärungen, die jetzt zu hören sind, dass wenn sich Russland den Forderungen des Westens darüber, wie man mit den eigenen Truppen auf dem eigenen Territorium machen soll, dann wird der Westen in den nächsten zwei bis drei Monaten die Aktivität der schnellen Einsatztruppen, Spezialoperationen der Nato um unsere Grenzen ausbauen.

Bei der Antwort auf Ihre Frage würde ich sagen, dass sich vieles änderte. Es änderte sich die Situation mit einer realen Konfiguration der Waffen, Militärtechnik, Streitkräfte in Europa. Von uns wird unbedingt auf dem eigenen Territorium gefordert, Truppen in Kasernen zu schicken, und parallel stationierten die Amerikaner, Kanadier, Engländer ihre Truppen in Form der „Rotation“ im Baltikum und in anderen Ländern Europas. Es werden Stützpunkte im Schwarzen Meer eingerichtet. Die Briten schaffen Stützpunkte in der Ukraine. Sie bauen einen Stützpunkt im Asowschen Meer. Das passt uns kategorisch nicht. Das sind unannehmbare Herangehensweisen. Die Zeit, die gewählt wurde, widerspiegelt die Periode, wollen wir direkt sagen, wenn der Westen zu viel lügt. Als Verstoß aller Verpflichtungen, des gesunden Verstandes ging er auf eine Zuspitzung ein. Der Westen verurteilt die gewaltsamen Handlungen gegen friedliche Einwohner, Verletzung der Menschenrechte u.a. Doch wenn blutige Stürze durch Menschen umgesetzt werden, die dem Westen den Eid ablegten, dann nimmt er sie einfach in seine Arme. So war es mit dem Staatsstreich in der Ukraine, wo viele Menschen ums Leben kamen, darunter wegen Provokateure. Der Staatsstreich wurde von den USA gebilligt und dann als etwas Stattgefundene von den Europäern wahrgenommen. Diese Geschichte ist bekannt. Niemand will die Verbrechen des Maidans untersuchen, niemand will das Verbrechen in Odessa am 2. Mai 2014 untersuchen, wenn Menschen am lebendigen Leib verbrannt wurden und damit vor den Kameras prahlten. Das ist die Stütze der neuen Macht. Nichts ändert sich. Poroschenko, Selenski, alle diesen „rechten Sektoren“, Asow-Einheiten, die in den USA noch bis vor kurzem als extremistisch galten, doch jetzt änderte sich die Situation. Dasselbe war in Georgien 2008, als Saakaschwili einen Befehl erteilte. Dann klärte die Sonderkommission der EU, was geschah, und berichtete offiziell, dass es gerade er war, der den Krieg begann. Doch Georgien bleibt weiterhin der Freund der USA. In der westlichen Deutung ist Freunden allen erlaubt, wie sie wissen.

Unsere Geduld ist am Ende. Wir sind sehr duldsam. Wissen sie, dass wir lange anspannen. Wir spannten lange an. Jetzt ist es schon die Zeit, zu fahren. Wir warten ja, wenn der Kutscher auf einer anderen Fuhre uns auf unsere Vorschläge konkret antworten wird.

Frage: Amerika gab eindeutig zu verstehen, dass es Ihnen keine Sicherheitsgarantien über den Nichtbeitritt der Ukraine und anderer Länder zur Nato geben wird. Russland gab zu, dass auf diesen Verhandlungen nicht alles besprochen wurde, was Russland besorgt. Von der russischen Seite wurde erwähnt, dass wenn das nicht erreicht wird, wird es eine „militärische“ Antwort geben. Können Sie ausführlicher erklären, was diese „Militärhandlungen“ umfassen? Was werden Sie machen? Handelt es sich um eine Invasion? Was meinen Sie unter einer „militärischen“ Antwort?

Sergej Lawrow: Ich kann nichts dazu hinzufügen, was Präsident Wladimir Putin nach seiner Pressekonferenz sagte, als er zusätzlich mit Journalisten sprach. Er wurde direkt gefragt, wie eine Antwort sein könnte, wenn die Vorschläge Russlands zu den Sicherheitsgarantien abgelehnt werden. Er sagte, dass die Antwort ganz verschieden sein kann. Das hängt von den Vorschlägen, die russische Militärs dem Präsidenten Russlands machen werden, ab. Deswegen hat es keinen Sinn, zu rätseln. Nur unsere westlichen Kollegen, vor allem Amerikaner, ohne auf die Entwicklung der Ereignisse zu warten, greifen zur Sanktions-Peitsche. Im US-Außenministerium gibt es ein Büro für Sanktionen. Im diplomatischen Dienst gibt es eine ganze Abteilung, die sich nur mit der Bestrafung jener, die den USA nicht zustimmen, befassen. Auch jener, die überhaupt nichts gemacht haben. Man soll einfach bestrafen, damit sie sich gut benehmen. Wir sind dafür, dass das alles auf Grundlage des gegenseitigen Respekts, auf Grundlage des Gleichgewichts der Interessen gelöst wird.

Die Position Russlands, die von Amerikanern der Nato vorgelegt wurde, beruht gerade auf dem Gleichgewicht der Interessen. Diese Dokumente zielen auf die Gewährleistung der Sicherheit in Europa im Ganzen und jedes Landes, einschließlich der Russischen Föderation, ab. Die Position der USA und ihrer Verbündeten besteht darin, dass sie die Dominanz in Europa gewährleisten, militärische Aufmarschgebiete um die Russische Föderation schaffen, Reizfaktoren um unsere Grenzen schaffen wollen.

Ich würde sie nochmals auf die Sicherheitscharta, die 1999 in Istanbul verabschiedet wurde, aufmerksam machen. Alles, was jetzt der Westen sagt und macht, ist eine grobe Verletzung der Verpflichtungen, die damals übernommen wurden. Ein weiteres Beispiel, als wir diesen Versuch unternahmen (zur Antwort auf die Frage der vorherigen Kollegin, warum wir bis jetzt warteten), haben wir nicht bis jetzt gewartet. Bereits 2009 reichten wir einen Entwurf des Vertrags über europäische Sicherheit unseren westlichen Kollegen ein. Wir wurden ziemlich unhöflich missverstanden. Uns wurde gesagt, dass das nie besprochen wird. Wir führten die Texte der Dokumente an, einschließlich der Sicherheitscharta, andere Dokumente, wo die Notwendigkeit, die Unteilbarkeit der Sicherheit einzuhalten, festgeschrieben ist. Wir sagten, dass wir politische Verpflichtungen, die wir alle übernommen haben, in eine juridisch verbindliche Form bringen wollen. Die Antwort war sehr anschaulich – juridisch verbindliche Sicherheitsgarantien können ausschließlich den Nato-Mitgliedern gewährt werden. Diese Philosophie untergräbt alles, was zuvor in der OSZE nach dem Ende des Kalten Kriegs gemacht wurde, darunter das von mir zitierte Prinzip, das kein Bündnis in der Euroatlantischen Region das Recht hat, seinen Willen allen anderen zu diktieren. Wie vertreten Medien aus dem Nato-Mitgliedsland. Ihr Bündnis befasst sich damit und bekommt anscheinend Vergnügen dabei. Wir sehen darin kein Vergnügen für uns und für andere.  Doch wir wissen und können unsere Sicherheit für jeden Fall gewährleisten. Ich kann Ihnen zusichern, dass wir nicht endlos auf irgendwelche Änderungen, Versprechen warten werden. Wir wissen, dass der Westen mit einem Szenario rechnet, das den Amerikanern ermöglichen wird, sich von der größten Verantwortung für die Lösung dieser Fragen auf den Verhandlungen mit uns zu befreien. Zunächst wird im Russland-Nato-Rat versucht, das alles zu verwischen, indem eigene (ich würde das mild sagen) „Mitstreiter“ herangezogen werden. In der OSZE kann man im Prinzip irgendwelche Verhandlungen führen. Wäre die Organisation bereit, Verhandlungen zu führen, muss sie eine Organisation sein, doch sie hat sogar keine Satzung. Damit die OSZE juridische, völkerrechtliche Subjektivität bekommt, schlagen wir bereits seit 15 Jahren vor, Verhandlungen über solche Satzung aufzunehmen. Uns wird gesagt (vor allem von Amerikanern), dass die Schönheit der OSZE gerade in dieser Flexibilität besteht. Die Fragen der harten Sicherheit wurden und werden nie in Flexibilität gelöst. Wir sehen diese Ideen – alles so in gewisse abstrakte Diskussionen bringen. Wir werden, wie wir das den Amerikanern sagten, auf die Reaktion von ihnen warten, die eine Reaktion auf eine „erwachsene Art“ sein soll.

Frage: Respektiert Russland die Souveränität Finnlands und Schwedens und unser Recht, eigenständig Beschlüsse über Sicherheitspolitik, darunter über Beitritt zur Nato, zu treffen?

Sergej Lawrow: Russland respektiert in vollem Maße die Souveränität sowohl Finnlands als auch Schwedens. Wir denken, dass die Politik der Neutralität dieser Länder einer der wichtigsten Beiträge zur allgemeinen europäischen Architektur und Gewährleistung der Stabilität auf dem europäischen Kontinent ist.

Jene, die die Souveränität Finnlands und Schwedens nicht respektieren, das sind jene, die ihren Beitritt zur Nato um jeden Preis provozieren wollen. Die Provozierung dieser Frage begann seit langem, gar nicht jetzt. Auf der Etappe, als Vorschläge über die Festigung von status quo ante 1997 eingereicht wurden, als uns viele Sachen versprochen wurden, die seit der Zeit vom Westen verletzt wurden, bewegten die Öffentlichkeit Finnlands, Schwedens und begannen via Jens Stoltenberg, Stockholm und Helsinki zur Aufnahme des Prozesses des Nato-Beitritts aufzurufen, indem gesagt wird, dass es schnell, schmerzlos u.a. sein wird. Darüber soll natürlich das finnische, schwedische Volk entscheiden. Wir besprechen mit unseren Nachbarn ständig diese Themen, wenn wir Verhandlungen zur internationalen Problematik durchführen. Wir sehen, dass die Führung Finnlands und Schwedens alle Aspekte dieser Frage verstehen. Wir haben Gründe zu denken, dass der Beitrag neutraler Staaten zur europäischen Sicherheit nicht abschwächen wird.

Frage: Am 10. Januar berichtete die Zeitung „New York Times”, dass der EU-Außenamtschef Josep Borrell einen Brief an die Leiter der Außenministerien der Teilnehmerstaaten schickte, wo er betonte, dass man eigene europäische Sicherheitsvorschläge machen soll, sowie trat für einen einzelnen direkten Dialog persönlich mit Ihnen ein.

Haben Sie diese Appelle Josep Borrells bekommen? Ist Russland bereit, Verhandlungen zu Sicherheitsfragen mit der EU getrennt von den USA und der Nato zu führen? Wie können Sie die Erklärung Josep Borrells kommentieren, die er innerhalb der letzten zwei Tage nach den Sicherheitsverhandlungen zwischen Russland, USA und der Nato machte?

Denken Sie, dass die EU verhandlungsfähiger bezüglich der Sicherheitsfragen als die USA und die Nato ist?

Sergej Lawrow: Was die Kommentare Josep Borrells in der letzten Zeit zum Thema Sicherheitsgarantien im Kontext der Verhandlungen, die zwischen uns und Amerikanern stattfanden, und das Treffen im Russland-Nato-Rat betrifft, spürten wir, dass die EU sich gekränkt fühlt. Sie sagt dies laut, ruft dazu auf, dass ihr Beitrag berücksichtigt wird, um keine Vereinbarungen hinter dem Rücken der EU zuzulassen.

Ich weiß nicht, und nicht weil wir das nicht wollen. Wir bedauern, dass die EU selbst seit mehr als sieben Jahren alle Mechanismen zerstörte, bei denen die praktischen Aspekte der Gewährleistung der Sicherheit besprochen wurden. Wir wandten uns an die USA und die Nato. Mit der Nato bleibt zumindest auf Papier der Russland-Nato-Rat, die Grundakte 1997 wurde nicht zerstört. Mit der EU wurden alle Kommunikationskanäle von unseren europäischen Kollegen eingefroren. Deswegen ist diese Frage an Josep Borrell, an die EU-Mitglieder. Bezüglich der Möglichkeit eines einzelnen Dialogs mit der EU unabhängig von den USA und der Nato, soll man die USA und Nato fragen, ob sie der EU selbstständige Handlungen erlauben werden. Wir sind an einer unabhängigen Europäischen Union interessiert. Wir beobachten aufmerksam die Tendenzen, die sich in diesem Bündnis entwickeln. Sie sind uneindeutig. Wir sehen, wie die EU befürchtet, dass ihre Interessen ignoriert werden können. Das wird offen auch nach Afghanistan und der Geschichte mit australischen U-Booten und nach der Schaffung von AUKUS offen zugegeben.

Seitens einiger EU-Mitglieder intensivierten sich Signale über die Notwendigkeit der Bildung einer strategischen Autonomie bei Sicherheitsfragen. Zugleich gibt es in der EU eine starke Lobby, das jeden Versuchen, sich bei Sicherheitsfragen von der Nato abzusondern, Widerstand leistet und beharrt, dass die Allianz ein Schlüssel zur Sicherheit, darunter der EU ist. Diese Fragen sollen zwischen diesen zwei Strukturen gelöst werden. Uns besorgt im Ganzen nicht so sehr, wer diese Verhandlungen führen wird, wenn dieser Prozess von den USA geleitet wird. Gerade von ihnen hängt das ab, wie die Sicherheitspolitik in Europa, auch in anderen Teilen der Welt aufgebaut wird, wo die Nato jetzt ihre Rolle trotz der ursprünglichen Bestimmung dieser Organisation festlegen will. Die USA konnten ihre dominierende Rolle auf dem Europäischen Kontinent via Nato wiederaufnehmen. Sie führen aktiv den Kurs auf die Harmonisierung jeder Handlungen, die mit militärischen Fragen zwischen der Nato und der EU verbunden sind. Es gibt spezielle Vereinbarungen über militärische Mobilität, wenn EU-Länder, die zur Nato nicht gehören, eigenes Territorium und Verkehrsinfrastruktur für die Bewegung der Nato-Kräfte bereitstellen sollen. Das ist eine ernsthafte Frage. Schweden, Finnland und
Österreich nehmen sogar ab und zu und sogar regelmäßig an Nato-Übungen, darunter Übungen mit einer gar nicht harmlosen „Legende“ teil.

Wir sprachen mit Josep Borrell am Rande des OSZE-Ministerrats in Stockholm am 2. Dezember 2021 und bestätigten, dass wir uns nicht gegenseitig meiden. Ich erinnerte ihn daran, dass der Ball auf der Seite der EU liegt. Wir haben unsere Verbindungen nicht zerstört. Wir sprachen mit Josep Borrell im vergangenen Jahr und sind bereit, zusätzlich zu kommunizieren. Alles hängt davon ab, inwieweit ihm erlaubt wird, den Dialog mit der Russischen Föderation wiederaufzunehmen und inwieweit konstruktiv die Fragen, die von ihrer Seite angeschnitten sein können, sein werden.

Frage: Auf einer außerordentlichen Videokonferenz der OVKS-Staatschefs sagte Russlands Präsident Wladimir Putin, dass der OVKS-Mechanismus tatsächlich zum Tragen kam. Bedeutet der Vorfall in Kasachstan, dass jetzt die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes der OVKS-Friedenskräfte bei solchen Bedrohungen auch in anderen Ländern der Organisation zunimmt? Was meinte Russlands Präsident, als er sagte, dass man das Verfahren des Treffens des Beschlusses zum Einsatz der gemeinsamen Kräfte vervollkommnen soll? Wie werden die Kräfte für den Kampf gegen “Schläferzellen der Terroristen” gebündelt?

Sergej Lawrow: Es ist wichtig, dass der Präsident Kasachstans Kassym-Schomart Tokajew sich an seine Verbündeten in strikter Übereinstimmung mit dem Vertrag über kollektive Sicherheit, Satzung der OVKS wandte. Die Situation zeigte, dass die Anstrengungen, die in den letzten Jahren zur Schaffung des Friedenspotentials unternommen werden, effektiv und gefragt waren. Wie man sagt – wenn man Frieden will, soll man sich auf den Krieg vorbereiten. Gott sei Dank kam es nicht zum Krieg. Das Potential der Friedenskräfte bewies der ganzen Welt seine Handlungsfähigkeit. Im Westen beobachtete man mit Erstaunen die Geschwindigkeit des Aufbaus der Einheiten, die als allen Ländern der OVKS zur Hilfe an verbündeten Kasachstan auf Bitte des Präsidenten dieses Landes geschickt wurden. Die Operation wurde von allen gehörig eingeschätzt, ich habe keine Zweifel daran. Ich hoffe, dass man diese Erfahrung nicht mehr anwenden muss, doch man soll den „Pulver trocken“ halten. Hoffentlich wird es nicht zu etwas ähnliches kommen. Wir machen alles Notwendige, um das zu verhindern, darunter seitens der entsprechenden OVKS-Strukturen. Wir sollen bereit sein, weil es ausreichend Versuche von außen gibt, die Situation in Zentralasien und anderen Ländern der OVKS ins Wanken zu bringen. Diese Versuche wurden aktiver, riskanter, gefährlicher. Nachdem die Amerikaner aus Afghanistanmit anderen Mitgliedern der Nato flohen, indem dieses Land in dem Zustand gelassen wurde, in dem es sich jetzt befindet, wenn man den Staat noch wiederaufbauen soll.

Die Handlungen, die ich erwähnte, umfassen auch den Kampf gegen „Schläferzellen“. Sie soll nicht seitens der Streitkräfte, sondern seitens der Sicherheitsdienste erfolgen. Solche Strukturen gibt es in der OVKS, sie funktionieren unter Schutzherrschaft der Sicherheitsräte. Das wird natürlich ernsthafter wahrgenommen. Diese Arbeit wird noch gefragter sein.

Frage: Ich vertrete das zwischenstaatliche TV-Unternehmen MIR, deren Vertretung in Almaty vor neun Tagen zerstört wurde. Rebellen störte nicht der Fakt, dass MIR auf Initiative von Nursultan Nasarbajew gebildet wurde und die Gründungsdokumente vom damaligen Außenminister und dem heutigen Präsidenten Kassym-Schomrat Tokajew unterzeichnet wurden. Die ganze Ausstattung wurde vernichtet, es wurden sogar die Heizungsanlagen geschnitten. Allerdings arbeiten unsere Kollegen weiter im Liveformat. Wie gesagt, man schlägt uns, aber wir werden stärker. Wozu sollte man die nationale Filiale des zwischenstaatlichen TV-Unternehmens ruinieren? Erwarten Sie neue Sanktionen des Westens nach dem Einsatz der OVKS-Kräfte? Warum schwieg die OSZE, als Extremisten in Kasachstan alles zerstörten, darunter Redaktionen, und jetzt, nachdem die Ordnung wiederhergestellt worden ist, macht sie Kommentare? Besser hätte sie das nicht gemacht.

Sergej Lawrow: Wir haben diese Situation schon kommentiert. Wir haben offizielle Anmerkungen der OSZE gemacht, vor allem dem Gesandten für Medienfreiheit. Das ist tatsächlich beschämend für die Organisation, die sich als Leuchtturm positioniert. Der Westen sagt, dass es ein goldener Standard ist. Doch er bewies wieder einmal, dass es ein Doppelstandard und kein goldener Standard ist. Es ist unannehmbar, was gemacht wurde. Wie Sie richtig sagten, als Pogrome stattfanden und es eine Lebensbedrohung für Journalisten gab und Körperverletzungen zugefügt wurden, schwiegen sie. Als die OVKS Kasachstan bei der Beruhigung, Normalisierung der Situation half, als Anstifter der Pogrome, Brände und anderer Gewaltaktionen festgenommen wurden, riefen sie dazu auf, in Freundschaft zu wohnen, Gewalt zu vermeiden.

In diesem Sinne ging das OSZE-Sekretariat nicht weit weg vom Nato-Sekretariat. Als sich in der Ukraine Ende 2013 der Maidan ereignete, wandte sich der damalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen mehrfach öffentlich an den Präsidenten Viktor Janukowitsch mit dem Aufruf, keine Streitkräfte einzusetzen. Doch sobald der Staatsstreich sich ereignete, sprach Rasmussen schon anders. Er rief Putschisten, die an die Macht auf einem gewaltsamen, verfassungswidrigen Wege kamen, dazu auf, die Gewalt proportional anzuwenden. Also jene, die sie als „prorussischen Präsidenten“ betrachteten (obwohl es keine korrekte Bezeichnung ist), jene, die nicht so einig mit dem Westen sind, dürfen es nicht. Wenn Putschisten erklärten, dass sie dem Westen loyal sein werden, dann dürfen sie es machen.

Die OSZE soll das Image loswerden, das sie in den letzten Jahren als Instrument zur Förderung der westlichen Interessen bekam. Die Zusammensetzung des OSZE-Sekretariats, was wir allen Vorsitzenden in dieser Organisation mehrmals sagten, ist einfach diskriminierend gegenüber Russland und anderen OVKS-Ländern. Wir werden dagegen kämpfen. Die OSZE soll in eine Plattform für einen gleichberechtigten Dialog, der auf der Ausarbeitung des Gleichgewichts der Interessen und Konsens beruht, verwandelt werden. Obwohl das alles in den Dokumenten über die Schaffung dieser Struktur festgelegt ist, setzt der Westen in der Praxis aktiv seinen Kurs zur Privatisierung der Sekretariate und der OSZE selbst und aller ihrer Institute fort. Das ist das, womit man sich befassen soll statt zu versuchen, in der jetzigen vagen Organisation unsere Initiativen zu Sicherheitsgarantien zu versenken.

Bezüglich neuer Sanktionen nach dem Einsatz der OVKS-Kräfte kann ich nichts sagen. Wir arbeiten nicht im Standby-Mode. Wir arbeiten an konkreten Dingen. Doch unsere westlichen Kollegen können alles machen. Jetzt wird uns mit Sanktionen aus Washington gedroht. Der Kongress bereitete irgendwelche Sanktionen für den Fall vor, wenn es einen „Angriff“ Russlands auf die Ukraine geben wird. Sie sind nicht alleine. Es tauchten bereits Stimmen auf, die fordern, Sanktionen einzuführen, wenn Russland morgen oder übermorgen seine Truppen auf dem eigenen Territorium von der ukrainischen Grenze nicht abzieht, ohne auf einen Angriff zu warten. Ich kann ihnen zusichern, dass wir zu jeder Entwicklung der Ereignisse bereit sind. Im Wirtschaftsbereich hatten wir vielleicht irgendwelche Illusionen, doch die sind in den letzten sieben Jahren absolut verschwunden. Auf dem Gaidar-Forum wurde dieses Thema vor kurzem angeschnitten. Selbst unsere bekannten Ökonomen mit einem liberalen Ruf begriffen, dass man mit eigenen Kräften rechnen soll. Alle Mechanismen der Wirtschaftsverbindungen, die von den vom Westen kontrollierten Strukturen abhängen, enthalten Risiken, doch wir befreien uns bereits kontinuierlich und schnell von diesen Risiken, vor allem im High-Tech-Bereich.

Frage: Wenn man die Umfragen ansieht, die es in der Ukraine zum Beitritt zur Nato gibt, auch wenn das nicht sehr wahrscheinlich ist, haben wir den Eindruck, dass je mehr Druck seitens Russlands erfolgt, desto mehr Menschen sagen in der Ukraine, dass sie wollen, dass die Ukraine der Nato beitritt. Sehen Sie auch solchen Zusammenhang?

Sergej Lawrow: Das ist die Fortsetzung davon, worüber wir sprachen. Deutschland meint, dass die Ukraine bei allen Fragen unterstützt werden soll. Die Ukraine „will“ und wir werden das erfüllen. Und was Russland will, wollen sie nicht wissen? Ist Russland weniger wichtig für Europa als die Ukraine? Es ist wieder die Entweder-Oder-Logik: entweder der Ukraine etwas Gutes machen, oder weiß ich nicht, was gemacht werden soll. Wir haben solche Logik – damit sich alle in Sicherheit fühlen und sich niemand verletzt fühlt. Also ungefähr so, wie die Situation nach der Wiedervereinigung Deutschlands aussah. Als uns versprochen wurde, die militärische Infrastruktur der Nato kein Zoll östlich von Oder zu bewegen. Sie wissen, dass es solche Versprechen gab. Wir wollten das auch. Da will die Ukraine in die Nato und wir wollten, dass sich die Nato nicht weiter bewegt. Die Ukraine will einfach, und uns versprachen das Präsidenten, geehrte Personen – und nichts.

Wir rechnen damit, dass sich Deutschland daran erinnert, wie die Position unseres Landes war, als Deutschland sich wiedervereinigen wollte. Ich trat 2015 auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf und bei der Antwort auf eine Frage über die Krim erinnerte ich die Partner der Diskussion daran, dass sie sich daran erinnern sollten, wie unser Land die Wiedervereinigung der Deutschen unterstützte und die Deutschen sollten verstehen, dass die Russen, die auf der Krim leben (das ist die Mehrheit der Bevölkerung der Krim) ebenfalls das Recht haben, sich mit ihrer Heimat wiederzuvereinigen. Insbesondere, wenn gegen diese Russen Extremisten mit Neonazi-Mottos, mit Mottos wie „Raus aus der Krim“ gehetzt wurde. Dann lachte einer ihrer Bundestagsabgeordneten sehr laut und versuchte damit zu zeigen, dass es zwei  Fragen sind, die nicht miteinander verglichen werden können. Ich denke nicht, dass sie nicht unvergleichbar  sind. Ich hoffe, dass Deutschland die Position unseres Landes nicht vergessen hat, als seine jetzigen westlichen Verbündeten stark daran zweifelten, dass Deutschland wiedervereinigt werden soll. Doch das Leben geht weiter.

Bezüglich der Krim und der ukrainischen Behörden, die sie in die Nato nehmen wollen, sollen sie nicht daran vergessen, dass seit den ersten Tagen nach dem Staatsstreich in Kiew, als auf die Unterschrift Deutschlands, Frankreichs und Polens unter Vereinbarungen zwischen Viktor Janukowitsch und der Opposition gepfiffen wurde und trotz aller Zusicherungen nicht zugehört wurde, was die EU dazu denkt, und die EU stimmte im Ergebnis zu. Danach sagten Putschisten sofort, dass die Russen auf der Krim nie auf Ukrainisch sprechen und denken werden, nicht die Helden des Zweiten Weltkriegs glorifizieren werden, indem die Helfershelfer der Faschisten Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch gemeint wurden. Gerade dann kam es auf der Krim zu einem Aufstand dagegen, es wurde ein bewaffneter Angriff auf den Obersten Rat der Krim abgewehrt und ein Referendum angekündigt. Unsere deutschen Freunde sagten uns bis vor kurzem, als wir im Normandie-Format das Donezbecken-Thema besprechen und wir erklärten, dass gerade Kiew die Minsker Vereinbarungen erfüllen soll, dass wir sie bislang zur Seite legen sollen, wollen wir einfach Abkommen erfüllen. Wie kann man sie erfüllen, ohne Forderungen an jene zu stellen, wer das machen soll. Wir sagen immer, dass die jetzigen Probleme der Ukraine bei den Beziehungen zu Russland, bei den Beziehungen mit eigenen Staatsbürgern mit einem verfassungswidrigen Staatsstreich begannen. Unsere westlichen Kollegen, darunter deutsche, sagten zunächst, dass das alles angeblich mit der „Annexion“ der Krim begann. Wenn wir ihnen die Herkunft dieses Konfliktes erklären, wissen sie nicht, was zu sagen. Sie sagten vor kurzem, dass es wir so denken, dass es ein Staatsstreich war, und sie denken, dass es ein „demokratischer Prozess“ war. Das ist beschämend. Unter solchen Bedingungen muss man ernsthafte Verhandlungen führen.

Die Ukraine, die sie in die Nato nehmen wollen, ist jetzt durch Präsident Wladimir Selenski vertreten. Einst sagte Arseni Jazenjuk als Premierminister der Ukraine über die Menschen im Donezbecken, die gegen Nazis rebellierte, dass sie „Unmenschen“ sind. Präsident Wladimir Selenski sagte vor kurzem über sie „Einzelwesen“. Er sagte, wenn sie, „Einzelwesen“, als Staatsbürger der Ukrainer sich als Russen bezeichnen, Russisch sprechen, die russische Kultur vertreten wollen, sollen sie nach Russland „abhauen“. Er soll sich wohl von den Menschen „befreien“, die kategorisch dagegen waren, dass die Ukraine in die Nato einbezogen wird, indem man versteht, welche Risiken das für die Ukraine selbst bedeutet. Hier gibt es viel zu besprechen. Man soll in der jetzigen Situation nicht wählen, wer konkret unterstützt werden soll. Alle sollen sich vereinigen und vereinbaren, wie man das Versprechen erfüllen soll, das von unseren westlichen Kollegen über die Unteilbarkeit der Sicherheit und ihre Verpflichtung, die Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit der anderen zu festigen, gegeben wurde.

Frage: Was wollte tatsächlich Moskau, als man einen Dialog über Sicherheitsgarantien begann? Russland verstand doch, wie die Antwort des Westens sein wird. Sie erwähnten das selbst in den Antworten, die sie früher gaben. Wozu brauchte man das dann? In der Ukraine besteht eine Version, dass Moskau absichtlich etwas mehr beantragte, um etwas anderes, vielleicht nicht öffentliches zu bekommen. Wenn dem nicht so ist, welche Argumente hat Russland tatsächlich, damit der kollektive Westen seine Meinung ändert? Vielleicht Kuba oder noch etwas?

Sergej Lawrow: Wir versuchten nicht, irgendwelche Spiele zu spielen und dem Szenario zu folgen, das in der Ukraine, wie Sie sagten, von jemandem erwähnt wurde, indem gemeint wird – „um mehr bitten, dann bekommt man weniger“. Es ist ein bekannter Zug, das im gewöhnlichen Leben und auch in der Politik genutzt wird.

Bei uns ist alles viel ernsthafter. Wir akzeptieren kategorisch nicht das Auftauchen der Nato direkt an unseren Grenzen. Zumal angesichts des Kurses, den die ukrainische Führung (die frühere und die jetzige) durchführt. Zumal ist es eine wahre rote Linie und sie wissen das. Auch wenn die Ukraine außerhalb der Nato bleibt, sind dort bilaterale Vereinbarungen mit Amerikanern, Briten, anderen westlichen Ländern möglich, die dort Militärobjekte, Stützpunkte im Asowschen Meer schaffen – das ist für uns auch unannehmbar. Die Stationierung auf dem Territorium unserer Nachbarn, in diesem Fall der Ukraine, der Angriffswaffen, die eine Bedrohung für die Russische Föderation darstellen werden – das ist eine weitere rote Linie. Dorthin strömte jetzt auch die EU. Wir sprachen über die EU und die Ukraine. Sie sprechen jetzt aktiv über ihre Pläne zur Entsendung einer militärischen Übungsmission in die Ukraine, also sie wollen ebenfalls ihren Beitrag zum Training antirussischer Einheiten leisten. An der Kontaktlinie werden immer mehr Truppen konzentriert, darunter kampffähigste Einheiten, so genannte Freiwilligenbataillone, die der Westen früher als Extremisten betrachtete und jetzt nicht mehr. Die Ukraine verlegt also auf dem eigenen Territorium Truppen, versammelte nahe der Kontaktlinie unglaublich viele Truppen. Doch der Westen ist darüber nicht besorgt. Besorgniserregend ist das, was Russland auf dem eigenen Territorium macht. Doch Russland drohte nie, weder öffentlich, noch im geschlossenen Format dem ukrainischen Volk. Und Herr Selenski und seine Mitstreiter machen das direkt. Ich führte das Beispiel an, als Wladimir Selenski von den Russen forderte, aus der Ukraine abzuhauen. Das ist eine direkte Drohung. Und wenn er tatsächlich beschließt, die dort angehäuften Einheiten der Streitkräfte der Ukraine einzusetzen, um die Russen zu vertreiben? Denn es wird in Kiew Plan B besprochen. Dmitri Kuleba sprach sogar mit Kroaten über ihre Erfahrung der so genannten Operation „Sturm“, als sich 200.000 Serben im Ergebnis außerhalb ihrer Heimat erwiesen und Flüchtlinge wurden. Ich würde unseren westlichen Kollegen vorschlagen, wenn sie einschätzen, wer und wohin auf dem eigenen Territorium Truppen verlegt, zu sehen welche Ziele ukrainische Radikalen mit dem Präsidenten an der Spitze gegenüber Russen und Russischsprachigen erklären.

Frage: Meine Fragen sind indirekt auch mit der Ukraine verbunden. Griechenland bemüht sich nicht so besessen die allgemeinen Nato-Beschlüsse zu unterstützen, gleichzeitig aber auch die traditionellen Beziehungen zu Russland wiederherzustellen und zu entwickeln. Anscheinend ist es nicht leicht für solche nicht große Länder wie Griechenland. Doch wir sehen in der letzten Zeit schon seitens des Kreml und in der russischen Presse Erwähnungen eines neuen US-Stützpunktes in Alexandroupoli im Norden Griechenlands, und zwar die Teilnahme an der Verlegung von Militärtechnik in die Ukraine. Inwieweit ist es kritisch für Russland? Wurde dieses Thema mit der griechischen Seite besprochen? Es sind bereits drei Jahre vergangen, seit die globale Orthodoxie die erste in der Geschichte geopolitische Kirchenspaltung erlebt. Die Situation spitzt sich zu. Die Spaltung erweitert sich. Vielleicht könnte die Diplomatie den Kirchen irgendwie helfen, damit die gemeinsame Tradition, Geschichte weiter nicht zerstört wird, nach Kompromissen gesucht wird, damit sie gefunden werden?

Sergej Lawrow: Sie sagten, dass Griechenland die Nato nicht so besessen unterstützt. Wir haben mit griechischen Kollegen, dem griechischen Volk, Griechenland als ein Land, lange Beziehungen und historische Wurzeln. Wir erinnern uns an Kapodistrias I., der der erste Herrscher des modernen Griechenlands nach dem Dienst in der Russischen Föderation, übrigens im außenpolitischen Bereich, wurde. Vor kurzem hatten wir gute Verhandlungen mit Nikos Dendias. Wir besprachen alles: unsere bilateralen Verbindungen, Aussichten der Entwicklung der handelswirtschaftlichen, Investitions- , kulturellen und humanitären Beziehungen. Diese Beziehungen sind umfangreich in allen Richtungen, darunter im Sicherheitsbereich. Wir schnitten das Thema der neuen Schritte an, die in der amerikanisch-griechischen Beziehungen zur Erhöhung des Status des Hafens Alexandroupoli für die Ziele der Seestreitkräfte der USA gemacht wurden. Wir lasen, in welchen Richtungen die Amerikaner diesen Hafen nutzen werden.

In den Minsker Abkommen gibt es ein direktes Verbot für die Stationierung der ausländischen Militärs, ausländischen bewaffneten Personen in der Ukraine. Dort gibt es kein Verbot für Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch es gibt dort Militärs, es sind viele. Nicht Tausende (einige sagen so fehlerhaft), sondern einige hundert Amerikaner, Briten u.a. Bezüglich der Waffen gibt es formell kein Verbot. Zurück zu den Plänen der jetzigen ukrainischen Behörden, verstehen wir natürlich sehr gut, dass alles, was der Westen bezüglich des Aufrüstens des Landes mit Waffen betrifft, eine zusätzliche Versuchung schafft, zu gewaltsamen Methoden der Lösung der Fragen in der Ostukraine zu übergehen. Apropos Instrukteuren. Wenn wir darauf aufmerksam machen, sagt uns der Westen immer – das sind nur Instrukteure, sie nehmen an Kampfhandlungen nicht teil. Ich erinnere mich sehr gut an ein TV-Bild während des Kriegs in Georgien im August 2008, als Instrukteure in Uniform der US-Offiziere (sowohl weiße, als auch Afroamerikaner) erklärten, wie man Panzerabwehr- und andere Waffen laden soll. Ich will nicht, dass sich das in der Ukraine wiederholt, weil es tatsächlich die Überquerung aller roten Linien sein wird. Es wird zu einem direkten Zusammenstoß zwischen russischen Staatsbürgern in der Ukraine und der NATO-Militärs kommen. Ich verstehe, dass Griechenland Nato- und EU-Mitglied ist. Doch wir sehen auch, dass Griechenland nicht den Weg der Verschärfung der antirussischen Sanktionen gehen will. Der Republik gefällt im Prinzip nicht, was jetzt zwischen dem Westen und der Russischen Föderation vor sich geht. Wir vertrauen unseren griechischen Freunden, dass sie weise eine Wahl machen können, die ihren Überzeugungen entspricht.

Was die Orthodoxie betrifft, ist es ein sehr ernsthaftes Problem. Sie sagen, vielleicht wird die Diplomatie irgendwie helfen? Diplomatie soll sich im Prinzip in die kirchlichen Angelegenheiten nicht einmischen. Der Staat soll sich in die Angelegenheiten der Kirche nicht einmischen. Doch es gibt immer Situationen, wenn das Leben komplizierter ist. An der jetzigen Krise in der Orthodoxie sind direkt die USA beteiligt. Sie bildeten einen Sondermechanismus, Gesandten für Glaubensfreiheit, der sich in der Tat nicht mit der Freiheit befasste, sondern den Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus finanzierte, damit er einen Kurs auf die Spaltung, darunter in der Ukraine, Schaffung einer spaltenden orthodoxen Kirche in der Ukraine, die ernsthafte Auseinandersetzungen in der orthodoxen Welt auslöste, durchführt.  Leider sind griechische Kirchen (Ellada, Zypern u.s.) unter einem riesengroßen Druck, darunter der griechischen Regierung, soviel ich verstehe. Wir besprachen das vertrauensvoll, doch es gibt auch Fakten im offenen Zugang. Wenn wir mit den Regierungen der Länder, der Diplomatie der Länder, wo sich die kanonischen orthodoxen Kirchen befinden, vereinbaren werden, dass sie nicht gestört werden und weiterhin gemäß ihren Gesetzen, Kanonen funktionieren, dann wird es meines Erachtens ein optimaler Beitrag der Diplomatie und anderer staatlichen Strukturen zur Gewährleistung der Glaubensfreiheit sein.

Frage: Vor kurzem gab es Kämpfe an der Grenze Armeniens und Aserbaidschans. Aserbaidschan setzte Artillerie und Drohnen ein… Wie meinen Sie, hängt das mit der Hilfe Armeniens und Russlands in Kasachstan zusammen angesichts einer sehr nervösen Reaktion Bakus und Ankaras auf die Hilfe der OVKS an die Behörden Kasachstans?

Sergej Lawrow: Ich habe keine „nervöse“ Reaktion sowohl in Baku, als auch in Ankara seitens der offiziellen Personen gesehen. In Ankara gab es eine gelinde gesagt unklare Erklärung eines Beraters des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, I. Shener, der die Handlungen Kasachstans zur Einladung der OVKS einfach verurteilte. Wir baten unsere türkischen Kollegen zu erklären, was das bedeutet. Offizielle Personen machten keine negativen Kommentare, wie auch offizielle Behörden Aserbaidschans.

Wir treten dafür ein, schnellst möglich mit der Delimitation der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan zu beginnen. Das betrifft nicht die Karabach-Region und die Fragen der Regelung. Das ist eine rein bilaterale Frage, die wir schon seit fast einem Jahr vorschlagen, durchzuarbeiten, indem dazu eine Kommission für Delimitation und Demarkation einberufen wird. Wir bieten uns als Konsultanten an, da der russische Generalstab und andere Strukturen über Karten verfügen, die verschiedene Etappen der Bildung der Sowjetunion, Änderung von administrativen Einheiten und Grenzen zwischen den Verbündetenrepubliken widerspiegeln.

Gestern sprach ich mit meinem armenischen Kollegen zu diesem Thema. Es gibt entsprechende Vorschläge der Seiten. Um eine Kommission zu schaffen, soll man Bedingungen vereinbaren. Diese Bedingungen werden jetzt besprochen, dort gibt es Meinungsverschiedenheiten. Unsere Position ist einfach: Man soll sich setzen und bereits im Rahmen einer offiziell geschaffenen Kommission alle diesen Fragen, die bislang nicht abgestimmt bleiben, lösen.

Frage: Von der aserbaidschanischen Seite wurde mehrmals die Wichtigkeit der Delimitation und Demarkation der Grenze betont. In Sotschi wurde vereinbart, dass eine gegenseitige Kommission zur Delimitation der aserbaidschanisch-armenischen Grenze geschaffen wird und Russland den Seiten bei diesem Prozess helfen wird. Doch seitens Armeniens sehen wir keine Handlungen dazu. Wie können Sie das kommentieren?

Sergej Lawrow: Ich habe das schon kommentiert. In Sotschi wurde tatsächlich eine prinzipielle Vereinbarung erreicht, es wurde eine Hoffnung bei Kommunikation mit der Presse zum Ausdruck gebracht, dass die Kommission bis Ende 2021 gebildet wird. Das Leben ist schwieriger. Es gibt nicht ausreichend Fortschritt, damit sie geschaffen wird. Gestern sprach ich mit armenischen Kollegen, die neue Vorschläge haben. Wir übergeben sie an Baku. Wir werden sie, wie so gemacht werden kann, damit die Kommission möglichst früh ihre Arbeit aufnimmt. Ich betone nochmals, dass die Meinungsverschiedenheiten darin bestehen, was gemacht werden soll, damit sie ihre Arbeit aufnimmt. Es wird schwer sein. Wir vergewisserten uns in der Zeit, wie dieses Thema besprochen wird, dass es tatsächlich optimal ist, diese Kommission zu schaffen, indem in ihre Tagesordnung Fragen aufgenommen werden, die in erster Linie gelöst werden sollen.

Frage: Wie bekannt, besuchte der Staatschef Chinas Xi Jinping 2014 die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Während des jüngsten Online-Treffens mit dem Staatschefs Chinas, Xi Jinping, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin, dass er die Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele in Peking besuchen und das erste seit fast zwei Jahren persönliche Treffen mit seinem alten Freund durchführen wird. Sagen Sie bitte, was erwartet die russische Seite von diesem Besuch?

Sergej Lawrow: Wir bereiten tatsächlich einen offiziellen russisch-chinesischen Gipfel vor. Präsident Wladimir Putin wird auf Einladung des Vorsitzenden Xi Jinping am 4. Februar 2022, dem Tag der Eröffnung der Olympischen Spiele Peking besuchen. Am selben Tag finden vollformatige Verhandlungen auf der höchsten Ebene statt. Sie werden wie gewöhnlich bei Kommunikation zwischen unseren Anführern, das ganze Spektrum der Beziehungen umfassen. Russland und China haben eine inhaltsvolle bilaterale Tagesordnung, einmalige Architektur der bilateralen Beziehungen. Solche Beziehungen haben wir kaum mit jemandem noch, ich meine die jährlichen Gipfel, Treffen der Regierungschefs und Sitzungen von fünf Kommissionen auf der Ebene der stellvertretenden Premierminister, die die Treffen der Regierungschef vorbereiten. Dieser Mechanismus bewies seine hohe Effizienz. Es werden Beschlüsse vorbereitet, die detailliert durchdacht, erfüllbar sind und bei dem Ausbau unseres Zusammenwirkens real helfen. Im vergangenen Jahr gab es ein rekordhohes Wachstum des Handelsumsatzes, das sehr bedeutend war.

Auf der Tagesordnung unserer Zusammenarbeit steht die außenpolitische Problematik unter Berücksichtigung der Zuspitzung der Situation in der Welt, worüber wir heute ausführlich sprechen. Russland und China verteidigen zusammen mit anderen Gleichgesinnten die Normen des Völkerrechts, Gleichberechtigung, Schutzes der Souveränität, territorialen Integrität der Staaten, Regelung aller Krisen auf dem politischen Wege, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates. Wir fördern diese Prinzipien bei der praktischen Erörterung konkreter Situationen im Sicherheitsrat und anderen Organen der UNO und bekämpfen in diesem Kontext die Versuche, das Völkerrecht durch die Regeln zu ersetzen, die der Westen erfindet und darauf beharrt, dass die Weltordnung gerade auf diesen Regeln aufgebaut werden soll.  Wir werden mit Chinesen als „Revisionisten“ bezeichnet, obwohl es das Gegenteil ist. Gerade der Westen revidiert das, was in der UN-Charta und anderen universellen Völkerrechtsnormen festgelegt ist. Zusammen mit den chinesischen Freunden und einer großen Gruppe anderer Länder – lateinamerikanischer, afrikanischer, asiatischer – bildeten wir in New York (UNO) eine Gruppe der Freunde zum Schutz der Charta der Organisation, die bereits zwei Treffen abhielt. Jetzt besprechen wir die Möglichkeit der Durchführung eines Treffens auf der Ministerebene. Das ist ein gefragtes Format vor dem Hintergrund der Angriffe auf die UN-Charta.

Wenn wir über die internationale Problematik sprechen, vereinigt uns mit China auch eine gemeinsame Vision der Herangehensweisen zu solchen bleibenden Krisensituationen wir das Atomprogramm Irans und die Notwendigkeit der Wiederherstellung des Gemeinsamen Plans zu seiner Regelung, aus dem die Administration Donald Trumps ausgetreten war. Wir kooperieren eng in der SOZ, wo die afghanische und zentralasiatische Problematik jetzt einen besonderen Platz einnehmen. Wir kooperieren auch im Kontext der Entwicklung des transeurasischen Zusammenwirkens. Präsident Wladimir Putin nannte die Initiative der Großen Eurasischen Partnerschaft. Sie ist mit der Tätigkeit der Eurasischen Wirtschaftsunion verbunden, die das Abkommen über handelswirtschaftliche Zusammenarbeit mit China unterzeichnete. In diesem Kontext werden Integrationsprozesse im Postsowjetraum mit praktischen Schritten zur Umsetzung des chinesischen „One Belt-One Way“-Initiative harmonisiert. Wir arbeiten auch zusammen mit ASEAN zugunsten der Aufrechterhaltung ihrer zentralen Rolle in allen Elementen der internationalen Architektur in der Asien-Pazifik-Region. Wir sehen die Risiken, die in dem von Amerikanern und anderen Ländern des Westens durchsetzenden „Konzeptes der Indo-Pazifischen Strategien“ enthalten sind, die offen auf die Schaffung der Trennungslinien, Untergrabung der zentralen Rolle der ASEAN und Entfachung der Konfrontation gerichtet sind, darunter mit militärischen Komponenten, in dieser Region in der Zeit, wenn sie Verhandlungen und inklusive Diskussionen braucht, die die Berücksichtigung der Besorgnisse von allen und Ausarbeitung von Konsensbeschlüssen ermöglicht.

Das ist nur ein kleiner Teil davon, was die Tagesordnung der russisch-chinesischen allumfassenden Partnerschaft und strategischen Zusammenwirkens bildet. Ich bin sicher, dass wir alle diesen Fragen während der Vorbereitung auf den Besuch des Präsidenten Wladimir Putin in Peking und während des Besuchs selbst besprechen werden. Wir haben es mit meinem Kollegen und Freund, Außenminister Wang Yi vereinbart, dass wir vor den Verhandlungen der Anführer ein Treffen durchführen, wo wir die ganze internationale Tagesordnung ausführlich erörtern werden.

Frage: Die Anstrengungen der Türkei und Russlands gewährleisten weiterhin die Stabilität im Südkaukasus. Dazu nahm die 3+3-Kooperationsplattform ihre Arbeit auf. Doch Georgien schloss sich bislang dieser Plattform nicht an. Wird Russland etwas zur Aufnahme Georgiens in das 3+3-Format machen? Zudem treffen sich heute die Vertreter der Türkei und Armeniens in Moskau zu den Fragen der bilateralen Beziehungen. Wie schätzen Sie diese Anstrengungen ein?

Sergej Lawrow: Wir unterstützen natürlich diese Anstrengungen und nehmen daran aktiv teil. Sie fördern die Normalisierung der Lage im Südkaukasus, helfen bei der Schaffung der Bedingungen, damit die bleibenden politischen Probleme deutlich aktiver, fruchtbarer, via Entwicklung der wirtschaftlichen und anderen Zusammenarbeit zwischen drei Ländern des Südkaukasus und ihren drei großen Nachbarn, Russland, der Türkei und dem Iran gelöst werden.

Die Idee des 3+3-Formats wurde von uns aktiv unterstützt, als sie zum ersten Mal von Präsident Ilham Alijew und dann Präsident Recep Tayyip Erdogan erwähnt wurde. Wir sahen sofort ein gutes vereinigendes Potential in dieser Initiative. Seit den ersten Tagen ihrer Besprechung und bei Vorbereitung auf das in Moskau stattgefundene Treffen traten wir dafür ein, dass unsere georgischen Nachbarn ebenfalls in diesen Prozess einbezogen sind, ausgehend davon, dass je mehr Möglichkeiten es für Zusammenarbeit gibt, desto besser ist es für die Lösung der bleibenden Probleme. Jetzt kommunizieren wir mit den georgischen Kollegen im Rahmen der Genfer Diskussionen zu Transkaukasien, wo die Folgen der Aggression Georgiens vom August 2008 und im Rahmen des inoffiziellen gegenseitigen Kanals, der ziemlich lange her zwischen Moskau und Tiflis geschaffen wurden, besprochen werden. Die Prozesse, die im 3+3-Format begonnen wurden, sind deutlich bedeutender, weil in diesen Rahmen die Aussichten der Entwicklung der ganzen dieser Region besprochen werden.

Nach Kriegshandlungen des vergangenen Jahres unterzeichneten die Anführer Armeniens und Aserbaidschans bei Unterstützung des Präsidenten Russlands Vereinbarungen zum Abschluss der feindseligen Handlungen, Entwicklung der handelswirtschaftlichen Verbindungen, Entsperrung aller Routen in dieser Region. Das eröffnet alle Möglichkeiten, an denen die Türkei, Russland, der Iran und Georgien interessiert sind. Mir scheint, dass in ihren Interessen ist, sich diesem Format ohne Vorbedingungen anzuschließen. Man kann eine Vereinbarung erreichen, dass wir im 3+3-Format nur die Themen besprechen, die vom Interesse für alle Teilnehmer sind. Da wir keine diplomatischen Beziehungen zu Georgien haben (es gibt dort zwar eine Sektion der Interessen, doch die diplomatischen Beziehungen wurden von der georgischen Seite gebrochen), haben wir weniger Möglichkeiten, ihnen die Vorteile dieser Form des Zusammenwirkens zu erklären. Wir wandten uns an unsere türkischen und aserbaidschanischen Freunde (Armenien kann dabei auch helfen) mit der Bitte, den georgischen Nachbarn die Vorteile für sie sowie uns alle wegen des Anschlusses an dieses Format zu erklären. Sie wird nicht zu etwas verpflichten, was ihre politischen Positionen betrifft.

Die Türkei und Armenien ernannten ihre Sondergesandten. Russland half dabei, solche Vereinbarung zu erreichen. Wir freuen uns, dass das erste Treffen in Moskau stattfindet. Unsere Rolle besteht darin, bei der Aufnahme eines direkten Dialogs zu helfen. Hoffentlich wird es erfolgreich sein.

Frage: Im vergangenen Jahr reisten Sie nach China und in die Republik Korea, besuchten aber leider nicht Japan. Hat Russland Japan mehr und mehr vergessen? Wie schätzen Sie aktuelle russisch-japanische Beziehungen ein? Wird es ein Treffen in diesem Jahr geben? Der Premier Fumio Kishida traf sich im Amt des Außenministers mit Ihnen. Es wird gesagt, dass sie Sake und Wodka tranken. Wie rechnen sie mit dem Zusammenwirken mit dem Kabinett Kishidas? Welche neue vorrangigen Richtungen der Politik mit Japan können Sie nennen? Welchen Platz nimmt Japan im außenpolitischen Kurs Russlands ein?

Sergej Lawrow: Wir planten tatsächlich einen Besuch für das Ende 2021. Wegen der Änderungen, die es zuvor in Japan gegeben hatte, wurde vereinbart (auf gegenseitige Zustimmung), mit diesem Besuch etwas abzuwarten, damit die neue japanische Regierung ihren weiteren Kurs sowohl zu internationalen Fragen, als auch gegenüber der Russischen Föderation bestimmen kann.

Wir verhalten uns sehr herzlich zu Japan und den Japanern. Das sind unsere Nachbarn. Wir haben eine nicht einfache gemeinsame Geschichte. In den letzten Jahrzehnten wurde geschafft, eine Atmosphäre zu schaffen, die es ermöglicht, im freundschaftlichen Sinne jede bleibenden und aktuellen Fragen darzulegen. Wir würden bevorzugen, dass die Aufrechterhaltung dieser Frage und Arbeit an ihrer Regelung nicht bei der Vorwärtsbewegung stört, wo unsere Interessen schon jetzt objektiv übereinstimmen, und dort, wo Russland und Japan mit der Vereinigung der Anstrengungen ihre Konkurrenzvorteile auf den globalen Märkten festigen können. Es gibt gewisse Barrieren auf dem Wege der Bewegung dieser Logik. In Japan gibt es eine Gruppe der Politiker, Geschäftsleute, die meinen, dass man zuerst das „territoriale Problem“ regeln soll, und dann alles gut bezüglich der japanischen Investitionen in einer „riesengroßen Menge“ in die Russische Föderation sein wird. Wir denken jedoch, dass solcher künstliche Zusammenhang für die Entwicklung unserer Beziehungen durch die Regelung des Problems des Friedensvertrags den Interessen Russlands, aber auch Japans nicht ganz entspricht. Das Problem des Friedensvertrags haben wir geerbt. Das sagte Präsident Wladimir Putin mehrmals seinen japanischen Kollegen. Er bestätigte, dass wir an seiner Lösung interessiert sind, vor allem auf Grundlage der Vereinbarungen, die im Dezember 2016 mit dem Premier Shinzo Abe erreicht wurden. Sie vereinbarten, diese Arbeit auf Grundlage der Erklärung 1956 zu intensivieren, wo es heißt, dass man vor allem den Friedensvertrag unterzeichnen und erst dann alles andere erörtern soll.  Wir übergaben unseren japanischen Freunden einen Entwurf der Artikel solchen Friedensvertrags. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Friedensvertrag, weil er nicht 1945, sondern bereits im 21. Jh. unterzeichnet wird, nicht aus einer Phrase bestehen kann, dass der Krieg zu Ende ist. Er soll in der Tat die ganze Vollständigkeit der heutigen Verbindungen darstellen und Aussichten unserer Entwicklung eröffnen.

Wir wollen, dass wir mit Japan keine ausbleibenden Vereinbarungen und Missverständnisse bezüglich der Beziehungen zwischen uns sowie künstliche Hindernisse in der Investitions-Kooperation haben. Wir wissen, dass Japan unter Druck steht, damit es weniger aktiv bei Investitionen nach Russland ist. Es gibt auch den Druck dabei, dass Japan sich den Sanktionen anschließt. Und Japan schließt sich den Sanktionen an. Nicht allen, aber vielen. Der Druck wird auch zu den Problemen der Militärsicherheit ausgeübt. Uns besorgt die Tatsache, dass Japan schon seit langem Verbündeter der USA ist. Es gibt den Vertrag 1960, laut dem die Amerikaner einen sehr großen Handlungsspielraum auf dem japanischen Territorium haben. Jetzt, wenn die USA in ihren Doktrinen uns beinahe zu Feinden, zumindest Gegnern und Hauptbedrohung neben China erklärten, entspricht die Präsenz Japans in einer Union mit solchem Lande nicht ganz der Schaffung einer optimalen Atmosphäre für die Entwicklung unserer Beziehungen.

Ein weiterer Aspekt, der in unserem Vertrag neben den handelswirtschaftlichen, humanitären, kulturellen Verbindungen und ihrer Aussichten, neben Fragen der militärischen Sicherheit in dieser Region widerspiegelt ist. Es gab Gerüchte, dass die Kurz- und Mittelstreckenraketen, die durch den Vertrag verboten sind, aus dem die USA austraten, in einer bodengestützten Version unter anderem auf dem japanischen Territorium durch Washington stationiert werden können. Hier gibt es viele Dinge, die für uns von prinzipieller Bedeutung sind, weil wenn es dem so ist, dann wird es eine Bedrohung für die Russische Föderation sein.

Ein großer Block von Fragen – internationale Angelegenheiten. Wir sehen, dass Japan in der UNO und in anderen internationalen Strukturen die Positionen einnimmt, die denen Washingtons, Nato-Länder, anderer westlicher Länder identisch sind. Wenn wir nahe Partner sein wollen, müssen wir auch hier bestimmen, inwieweit wir diese ernsthaften Widersprüche zur internationalen Tagesordnung überwinden können.

Wenn wir die Partnerschaft einer „neuen Qualität“ in allen diesen Bereichen tatsächlich aufnehmen werden, bin ich mir sicher, dass alle Probleme, darunter jene, die mit dem Friedensvertrag verbunden sind, deutlich einfacher gelöst werden, als jetzt in einer ziemlich konfrontativen Atmosphäre. Japanische offizielle Personen machen ständig Demarchen wegen des Besuchs der Südkurilen durch russische offizielle Personen, die gemäß den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs ein unabdingbarer Teil der Russischen Föderation sind, was durch die sowjetisch-japanische Erklärung 1956 bekräftigt ist. Das ist auch ein Aspekt, der uns bislang hindert. Japan weigert sich kategorisch in diesem Teil die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs anzuerkennen. Das ist eine riesengroße Tagesordnung, positive und problematische, die zusätzliche Anstrengungen erfordert. Gerade deswegen zielen wir darauf ab, dass unser Dialog sachbezogener, konkreter, offener und gezielter auf die Förderung gerade der russisch-japanischen Partnerschaft sein wird, ohne ihn zur Geisel ihrer Beziehungen mit ihrem nächsten Verbündeten zu machen.

Der Besuch kommt auf jeden Fall zustande. Zurzeit werden die Pläne abgestimmt. Ich denke, dass wir in den nächsten Monaten entsprechende Daten finden werden.

Frage: US-Außenminister Antony Blinken behauptet, dass das, was Präsident Wladimir Putin in den letzten Jahren machte, nur alles beschleunigte, was Russlands Präsidenten nach seinen Angaben selbst vorbeugen wollte. Wie denken Sie, auf welcher Grundlage, Fakten und Ereignissen macht der US-Außenminister solche großangelegten Schlussfolgerungen? Was könnte die russische Seite dazu sagen?

Sergej Lawrow: Das ist eine rhetorische Figur. Angelsachsen formulieren gerne solche rätselhaften und schönen Phrasen. Ich verstehe nicht ganz, worum es in diesem Fall geht. Russlands Präsident Wladimir Putin widmet in den ganzen Jahren seiner Amtszeit, vor allem in den letzten Jahren, bedeutende Aufmerksamkeit der Festigung der russischen Souveränität. Wir sehen, wie die Souveränität Russland und auch vieler anderer Länder, die eine mehr oder weniger unabhängige Politik durchführen, vom Westen angegriffen wird. Das sind auch Hybrid-Attacken, wie man sie jetzt nennt, in allen Richtungen und eine direkte militärische Abschreckung (wir sprachen bereits über Russland-Nato-Beziehungen) und Informationsangriffe, Nutzung der Soft-Power-Mechanismen zu unsauberen Zwecken, Nichtregierungsorganisationen, die direkt vom Staat finanziert werden, und vieles andere. Solche Konzepte können gegenüber gewissen Ländern funktionieren, doch für Russland ist das absolut unannehmbar. Unsere Erfahrung der 1990er-Jahre ist der Grund solcher Aussagen des Westens. Damals beschloss der Westen: „Das war’s. Sie haben bereits die Ziele erreicht, die nicht von ihnen selbst gestellt wurden, die von Amerikanern von ihnen gestellt wurden, und wir helfen ihnen, diese Ziele ins Leben zu rufen, darunter via physische Teilnahme an der russischen Regierung, ihrer entsprechenden Strukturen“. Es ist anscheinend beleidigend, wenn jemand dachte, dass Russland „in der Tasche“ des Westens ist, und nicht mehr ihre besonderen Interessen verteidigen wird, und dann erwies sich alles als nicht so.

Ich sprach mehrmals mit dem US-Außenminister Antony Blinken. Er ist ein erfahrener, wissender Mensch, der zuhören kann. Vieles davon, was jetzt öffentlich gesagt wird, ist mit einer künstlichen Entfachung der Spannung, dem Wunsch, solche Atmosphäre um die Russische Föderation zu schaffen, darunter als zusätzlichen Hintergrund für die Verhandlungen, die in Genf begannen, in Brüssel fortgesetzt wurden und hoffentlich wiederaufgenommen werden können, verbunden. Doch das wird von einer konkreten schriftlichen Antwort der USA auf unsere Vorschläge abhängen.

Frage: Es ist klar, dass die Beziehungen zum Westen in der schlimmsten Lage seit den letzten Jahren sind, doch zugleich entwickelt sich alles vom Osten. In der nächsten Woche kommt der Präsident Irans Ebrahim Raisi nach Moskau. Dieser Besuch findet statt, während die Lage bei den Verhandlungen zum Atomprogramm in Wien unklar bleibt, darunter wegen der Sanktionen der USA, wegen der Lage im Golf und der gesamtregionalen Lage im Nahen Osten. Wo ist jetzt die russische Initiative zur Sicherheit im Golf, warum kommt sie nicht auf die Oberfläche? Wie kann sie die Lösung der regionalen wichtigen Fragen fördern? Zum Beispiel in Jemen, der die größte humanitäre Katastrophe der heutigen Tage ist. Wenn wir die Erweiterung der Nato in den Osten sehen – gibt es Pläne der Erweiterung der OVKS? Zum Beispiel durch den Iran bzw. andere Länder, die das Gleichgewicht für die Politik des Westens und Nordens stärken können?

Sergej Lawrow: Zum iranischen Atomprogramm würde ich eine optimistischere Position einnehmen. Dort gibt es einen realen Fortschritt, den Wunsch zwischen dem Iran und den USA, konkrete Besorgnisse zu begreifen, zu verstehen, wie diese Besorgnisse im allgemeinen Paket berücksichtigt werden können. Das kann nur eine Paketlösung sein, wie auch der iranische Deal selbst. Der Gemeinsame umfassende Aktionsplan war eine Paketlösung. In Wien gibt es jetzt sehr erfahrene Verhandlungspartner. Sie drangen schon in die Einzelheiten dieses Verhandlungsgegenstands ein, haben einen guten Fortschritt. Wir rechnen damit, dass eine Vereinbarung erreicht wird. Dazu ist es wichtig, dass auch iranische Partner möglichst realistisch sind, mit IAEO kommunizieren, und die westlichen Teilnehmer dieses Verhandlungsprozesses nicht versuchen, eine psychologische Spannung zu schaffen, indem man in den öffentlichen und Medienraum Initiativen mit der Kritik des Iran und Forderungen gegenüber Iran bringt. Hier braucht man stille Diplomatie, und sie funktioniert. Gott sei Dank wurde die Situation überwunden, als der Westen Bedingungen für die Wiederaufnahme des iranischen Atomprogramms, die Beschränkungen des Raketenprogramms Irans (was es im Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan nicht gab) und sein Verhalten in der Region betreffen, stellte. Wir waren kategorisch dagegen. Es wäre unfair, wenn dieses Herangehen dominiert hätte. Es handelte sich um den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan, der vom UN-Sicherheitsrat in der Form gebilligt wurde, in der er unterzeichnet wurde. Es handelte sich darum, dass nachdem die Administration Donald Trumps aus dieser Vereinbarung ausgetreten war, sie in vollem Umfang wiederherzustellen, wie es abgestimmt wurde, ohne Auszügen, ohne Zusätze. Im Ergebnis wurde vereinbart, dass es gerade solches Herangehen geben wird.

Was das Raketenprogramm, das Verhalten in der Region betrifft, besteht unsere Position darin, dass alle Länder der Region sowie außerregionale Länder viele Ansprüche zueinander haben. Der Iran zu seinen arabischen Nachbarn, arabische Nachbarn zum Iran. Der Westen, die USA, europäische Länder haben auch irgendwelche Fragen darüber, womit sich der Iran befasst. Dort liegen die Länder, jedes von denen das Interesse außerhalb seiner Grenzen hat, einen realen Einfluss auf die Ereignisse in Syrien, Libyen, Dschibuti, Jemen hat. Sie führten ein Beispiel an, das sehr bildhaft ist. Wir wiederholten, dass man in der Arbeit am Aktionsplan nicht außer Rahmen der Aufgabe seiner Wiederherstellung hinausgehen soll. Wir sagten, was wir sowie der Iran zugeben, dass es andere Probleme gibt, die regionale Akteure und ihre außerregionalen Kollegen in einem breiteren Sinne besorgen. Wollen wir alle diese Probleme im Rahmen der Einberufung der Sicherheitskonferenzen im Golf und breiter besprechen. Anscheinend soll das breiter sein. Der Jemen, der Irak, alles ist miteinander verbunden. Die Konferenz, die die Iraner und Araber vereinigen sollte, bei der der Iran nicht der Gegenstand der Diskussionen wäre, sondern jede Seite auf den Tisch ihre Besorgnisse legt. Die Raketen, die es nicht nur bei dem Iran gibt. Bei den Arabern entwickelt sich auch die Raketenproduktion. Besorgnisse über Jemen, Syrien, Irak, viele andere Brandherde, die Widersprüche zwischen anderen Ländern auslösen. Das ist unser Konzept. Sie fragten, warum es nicht auf die Oberfläche kommt. Es ist auch nicht versunken. Im vergangenen Herbst hielten wir eine weitere Wissenschaftskonferenz mit Heranziehung der Politologen und Spezialisten aus den Ländern, potentiellen Teilnehmern ab. Jetzt läuft der Prozess des Abschlusses der Arbeit zur Wiederherstellung des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans. Coronavirus hilft auch nicht dabei. Diese Konferenz gehört zu unseren Prioritäten. Wir haben das Verständnis, dass diese Initiative selbst nicht ignoriert werden kann. Chinesische Kollegen haben ähnliche Vorschläge für Golfstaaten. Die Iraner traten mit ihrer Initiative von Hormus auf.  Doch unser Konzept ist breiter, weil es den Austritt über die Rahmen der Gruppe der Golf-Länder und Anschluss der Teilnehmer aus der Fünf der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, Arabischer Liga, EU vorsieht.

Bezüglich der Erweiterung der OVKS, steht in der OVKS-Charta schon alles geschrieben. Wer sich anschließen will, soll sich mit solcher Bitte wenden. In den letzten anderthalb Jahren unterzeichneten die Staatschefs ein Protokoll, das Änderungen in die Satzung einreicht und neben vollwertigen Mitgliedern der Organisation Institute des Partners und Beobachters gebildet werden. Wir schickten diese Informationen an entsprechende Länder. Es besteht zumindest ein Interesse an der Aufnahme der Kontakte mit der OVKS. Wir werden ihnen erzählen, wie sich dieser Prozess entwickelt.

Frage: Der iranische Präsident Ebrahim Raisi wird zu einem Besuch nach Russland kommen. Wie ist Ihre Meinung über die Wichtigkeit dieses Besuchs aus Sicht der weiteren Festigung der Beziehungen zwischen unseren Ländern?

Sergej Lawrow: Der Besuch ist sehr wichtig. Es ist die Zeit gekommen, Kontakte auf der höchsten Ebene wiederaufzunehmen. Sie sind bei uns traditionell eng und regelmäßig mit dem Iran und wurden ebenfalls zum Opfer der Covid-19-Infektion. Die Anführer sprachen per Telefon. Ein Präsenztreffen ist deutlich produktiver, als ein Gespräch, wenn man einander nicht sieht. Man soll unsere ganze Tagesordnung angesichts der Änderungen in der Führung des Irans inventarisieren, verstehen, inwieweit wir die Nachfolgeschaft gewährleisten, in welchen Richtungen. Im bilateralen Format ist die Tagesordnung zu wirtschaftlichen Angelegenheiten umfassend.  Doch wenn es viele gemeinsame Projekte gibt, soll man mehr Aufmerksamkeit Details schenken. Doch wenn es viele gemeinsame Projekte gibt, braucht man mehr Aufmerksamkeit zu Details. Die Regierung arbeitet. Eine entsprechende Zwischenregierungskommission mit den Energieministern an der Spitze soll ihren Beitrag leisten. Natürlich haben wir Fragen, die mit der internationalen Politik verbunden sind – der Gemeinsame umfassende Aktionsplan und die Situation im Persischen Golf im Ganzen (worüber wir gerade ziemlich ausführlich gesprochen haben), auch unsere gemeinsame Arbeit in der UNO und in anderen internationalen Organisationen, darunter OPCW und andere Strukturen. Hier ist der Iran ein Teil eines gemeinsamen Teams, das die Völkerrechtsprinzipien, universelle Vereinbarungen (und nicht von jemandem in einem engen Kreis abgestimmte) verteidigt. Teheran verteidigt eine zentrale Rolle der UNO und ist Mitglied der Gruppe der Freunde der UN-Charta. Zu mehreren regionalen Fragen haben wir ein enges Zusammenwirken. In Syrien natürlich. Wir sind Teilnehmer des Astana-Formats zusammen mit unseren türkischen Nachbarn. Ich denke, dass es ein sehr gutes Beispiel davon ist, wie man sich vereinigen kann (mit Positionen, die zu hundert Prozent nicht übereinstimmen) und pragmatisch eine Plattform schafft, wo drei unsere Länder den Syrern helfen können, den politischen Prozess aufzunehmen, wie es 2018 der Fall war. Gerade die Astana-Drei half auf dem Kongress des syrischen Volkes in Sotschi bei der Formulierung des Dokuments, das die Rahmen der Verhandlungen bildete. Die Troika förderte die Verhandlungsteilnehmer der UNO, die (wollen wir das höflich sagen) auf der damaligen Etappe rund ein Jahr lang nippten, nichts machten. Der Astana-Prozess förderte die Verhandlungen, die jetzt zwar nicht ohne Probleme in Genf laufen.

Frage: In der letzten Zeit dominieren im Westen neue soziale Strömungen, darunter die neue Ethik. Wir wurden Augenzeugen davon, wie Opfer der Canceling-Kultur geehrte Wissenschaftler und Vertreter der Kultur nur aus dem Grund wurden, weil ihre Ideen und Ansichten den Rahmen der „neuen Ethik“ nicht passten. In den USA legte sich dieser Prozess auf eine ohnehin schmerzhafte Trennung zwischen Demokraten und Republikanern. Wie verhalten Sie sich zu solchen Erscheinungen? Sie arbeiteten zehn Jahre lang als Vertreter Russlands bei der UNO in New York. Erkennen Sie die USA wieder nach dieser Zeit?

Sergej Lawrow: „Neue Ethik“? Also gibt es auch die „alte“? Als ich dort lebte, herrschte die „alte Ethik“, egal was man damit meinte. Solche sozialen Eskalationen gab es nicht. Ich gehe davon aus, dass der Gott den Menschen kreiert hat. Wir als Vertreter verschiedener Strömungen des Christentums haben dieselben Werte, die es auch in anderen Weltreligionen gibt: im Islam, im Judentum, im Buddhismus usw. Dieses jahrtausendealte Erbe unserer Vorfahren, die verschiedenen Konfessionen angehörten, widerspiegelt eine Art „Konzentrat“ der in dieser Zeit kumulierten menschlichen Weisheit. Dass man es jetzt nicht nur infrage stellt, sondern direkt versucht, zu zerstören, ist gefährlich. Die UNESCO und andere humanitäre Agenturen sollten strikt ihren Satzungen folgen, die sich auf die traditionelle, klassische Ethik stützen.

Frage: Wie sehen Sie die Zukunft der Beziehungen zwischen Russland und Indien? Wie sind die Ergebnisse des jüngsten Indien-Besuchs Präsident Putins? Wird ein RIC-Gipfeltreffen (Russland-Indien-China) auch angesichts der angespannten Situation an der Grenze  zwischen Indien und China ausgetragen?

Sergej Lawrow: Im Dezember 2021 fand der Besuch Präsident Putins in Neu-Delhi statt. Das Coronavirus behindert stark die Entwicklung des direkten Dialogs. In diesem Fall wurden alle notwendigen Bedingungen eingehalten. Präsident Putin und der indische Ministerpräsident Narendra Modi konnten nützliche Verhandlungen durchführen. Wir legen viel Wert auf unsere Beziehungen. Es ist kein Zufall, dass sie als besonders privilegierte strategische Partnerschaft gelten. Wir werden sie in vollem Umfang entwickeln.

Es besteht die „Troika „Russland-Indien-China“ (RIC). Das war eine Art Vorfahr von BRICS, von dem jetzt alle reden. Über RIC wird inzwischen wenig erzählt, aber das ist eine enorm effiziente Struktur. Unsere Außenminister trafen sich schon fast 20 Mal, seitdem RIC besteht. Es gibt branchenbezogene Treffen von Ministern, ihren Stellvertretern, Experten für die Handels- bzw. Wirtschafts- und humanitäre Kooperation. Russland, Indien und China sind an BRICS und an der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit beteiligt.  Seit dem 1. Januar sind unsere drei Länder Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Wir sehen das Interesse unserer indischen und chinesischen Freunde daran, dieses Format aufrechtzuerhalten und zu entwickeln.

Indien und China pflegen direkten Dialog über viele Fragen, insbesondere über das Thema Sicherheit. Es gibt die Erklärung über strategische Partnerschaft zwischen Indien und China. Wenn RIC auch für die Festigung der Atmosphäre des Vertrauens nützlich sein könnte, werden wir das intensiv unterstützen. Neben der politischen Bestimmung liegen die drei Länder auch auf einem einheitlichen geografischen Territorium. Die „Troika“ beschäftigt sich mit aussichtsreichen wirtschaftlichen und Investitionsplänen.

Frage: Sie haben bereits über den Nahen Osten, über Probleme in Syrien und im Irak gesprochen. Anfang Dezember 2021 besuchte der russische Vizeaußenminister und Präsidentenbeauftragte für den Nahen Osten und die Länder Afrikas, Michail Bogdanow, den Irak, das Irakische Kurdistan, und zwar die Stadt Erbil. Sie sprachen über die politische Situation im Irak und über die Regelung in Syrien. Wie sehen Sie die Zukunft bei der Regelung der Syrien-Frage und den Status der Kurden? Im November 2021 hatte die Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rates des demokratischen Syriens, I. Ahmed, Moskau besucht.

Im Irak fand die Parlamentswahl statt. Vorerst wurde nur die Parlamentsführung ernannt, während das Ministerkabinett erst gebildet wird. Wie schätzen Sie die Rolle der Kurden in diesem Prozess und auch im Kontext der Stabilität im Irak und der ganzen Region ein?

Sergej Lawrow: Das ist ein scharfes, vielseitiges und schwieriges Thema. In den letzten historischen Perioden bewies es seine Schwierigkeit. Wir sind an der Entwicklung von engen Beziehungen mit dem Irak interessiert. Wir pflegen eine langjährige Freundschaft. Jetzt pflegen wir positive Wirtschaftskontakte. Unsere Unternehmen sind im Irak aktiv. Wir sind für die günstigen Bedingungen, die sie genießen, dankbar. Je stabiler die Situation im Irak sein wird, desto zuversichtlicher sind wir in Bezug auf die Entwicklung der bilateralen Verbindungen. Wir wollen, dass unsere irakischen Freunde in Frieden leben. Das wäre nützlich für Kontakte zwischen Menschen, insbesondere für die Geschäftskreise, für humanitäre und militärtechnische Verbindungen, die bei uns ziemlich tief sind.

In Syrien ist das Kurdenproblem eines der Hindernisse auf dem Weg zu vollwertigen Verhandlungen. Im Verfassungskomitee gibt es Kurden, aber sie vertreten nicht alle kurdischen Strukturen. Einige von den Kräften, die außen vor geblieben sind, orientieren sich an den USA, andere richten sich an ihren türkischen Nachbarn. Als der frühere US-Präsident Donald Trump den Truppenabzug aus dem Irak verkündete, wandten sich die Syrischen demokratischen Kräfte sofort an uns mit der Bitte, ihnen bei der Anknüpfung des Dialogs mit Damaskus zu helfen. Als die USA es sich anders überlegten, verschwand dieses Interesse. So ist nun einmal das Leben. Für kurdische Politiker sollte der Horizont möglichst weit sein. Man müsste die Perspektiven sehen. Es bestehen keine Zweifel, dass nicht die Amerikaner das Schicksal Syriens bestimmen werden. Wie auch alle anderen Länder der Welt, bestätigen sie nach wie vor ihre Treue der territorialen Einheit Syriens. In Wahrheit aber gehorchen sie gerade den separatistischen Tendenzen östlich des Euphrats.

Unsere Kontakte, auch mit Frau Ahmed und ihren Kollegen, sind darauf ausgerichtet, ihnen die Notwendigkeit eines ernsthaften Gesprächs mit Damaskus darüber zu erklären, unter welchen Bedingungen die Kurden im syrischen Staat leben würden. Die syrische Regierung ist in diesem Zusammenhang eher zurückhaltend. Man hat ja nicht vergessen, dass die Kurden früher gegen die Regierung eingestellt waren. Aber dafür ist ja die Diplomatie da, um die Vergangenheit zu überwinden und die Beziehungen für die Zukunft zu entwickeln. Hier sind die Erfahrungen des Iraks, Erbils, des Kurdischen autonomen Gebiets gefragt. Vor zwei Jahren besuchte ich Erbil und Bagdad. Ich unterstützte intensiv die Tendenz zur Anknüpfung der Kontakte. Die irakischen und syrischen Kurden pflegen diese. Es ist wichtig, dass die irakischen Kurden ihre Erfahrungen möglichst aktiv mit ihren syrischen Brüdern und Schwestern teilen.

Was die Einschätzung der Situation im Irak nach der Wahl angeht, so sollte das Volk dieses Landes darüber urteilen. Es gibt einen Aspekt des Themas, das wir heute schon erwähnten: die Sicherheit am Persischen Golf und in der ganzen Region. Wir sehen, wie die Amerikaner sich jetzt  darum bemühen, nicht nur Syrien, sondern auch den Irak in die Arena zu verwandeln, in der sie gegen den Iran und dessen Interessen kämpfen könnten.

Da gibt es interessante Parallelen. Auf dem Territorium des Iraks sind ausländische Truppen stationiert. Als die OVKS auf Bitte des kasachischen Präsidenten Kassymschomart Tokajew ihre Friedenskräfte in dieses Land schickte, verlangte man in Washington gleich am Anfang dieses Einsatzes eine Erläuterung, warum Nur-Sultan die Kräfte dieser Organisation eingeladen hatte.  Ihm zufolge sollte sich Russland sofort zurückziehen, sobald Kasachstan sich bei ihm bedankt. Kasachstan hat sich bedankt, und Russland samt der OVKS ist wieder weggegangen. Wann aber werden sich die USA aus dem Irak verabschieden? Man hatte sie ja gar nicht eingeladen, und das Parlament dieses Landes beschloss, dass es für sie an der Zeit wäre, sich nach Hause zu begeben. Aber es ist nun einmal so: Alle sind gleich außer des Gleichsten. Das gilt für die Frage, wie sich unsere westlichen Kollegen benehmen und welche Manieren sie demonstrieren.

Wir hoffen, dass die stattgefundene Wahl und die weitere politische Stabilisierung zur Regelung in der Region beitragen werden, und dass niemand von außerregionalen Ländern den Irak und dessen Nachbarländer vor die Wahl stellen wird, mit wem sie kooperieren wollen. Das gilt für die Frage über die freie Wahl der Bündnisse. Wenn Washington anderen Ländern verbietet, in Russland Waffen zu kaufen oder Kontakte mit dem Iran oder irgendeinem anderen Land zu pflegen, ist das nichts als Angriff auf die Freiheit der Wahl nicht nur von Bündnissen, sondern auch von elementaren Partnern.

Frage: Das vorige Jahr wurde durch Russlands neue Schritte zur Entwicklung der Konsolidierung und Kooperation mit der globalen russischen Welt gekennzeichnet: In der Verfassung wurde jetzt der neue Status russischer Landsleute verankert; es wurde eine neue Kommission in der Staatsduma gebildet; es fand der siebte Weltkongress der Landsleute statt. Wie führt das Außenministerium unter den aktuellen schwierigen Bedingungen die Arbeit zwecks Verteidigung der Rechte und Interessen russischer Landsleute im Ausland?

Sergej Lawrow: Diese Arbeit bekommt von Jahr zu Jahr neue Dimensionen. Nach der Novellierung der Verfassung wurde diese Aufgabe auch dort verankert. Der Außenminister ist der Vorsitzende der Regierungskommission für die Angelegenheiten der Landsleute im Ausland. Diese besteht schon seit mehr als zehn Jahren und leistet eine wichtige Arbeit zwecks Förderung der Kontakte mit der riesigen multinationalen und multikonfessionellen russischen Welt.

In den meisten Ländern, wo unsere Landsleute leben, wurden entsprechende Komitees gebildet. Es gibt den Globalen Koordinierungsrat russischer Landsleute im Ausland. Wir bleiben ständig in Kontakt mit ihm. Im Jahr 2021 wurden etwa 1200 diverse Veranstaltungen in solchen Bereichen wie Jugendarbeit, Sport, Patriotismus und Menschenrechtsschutz organisiert.

Es wurde eine spezielle Stiftung für Unterstützung und Verteidigung der Rechte unserer Landsleute im Ausland gebildet. Zu seinen Mitbegründern gehört das Außenministerium Russlands. Es wurden etwa 50 Zentren für Rechtsschutz eingerichtet, die in mehr als 30 Ländern arbeiten. Dort können sich Menschen, die in unangenehme Situationen geraten, beispielsweise an Rechtsanwälte wenden. Wir verteidigen ihre Rechte als Bürger der Länder, die sie zur Wahlheimat gemacht haben. Diese Arbeit wird immer umfassender. Wir werfen immer wieder Fragen über unsere Landsleute in der UNO, der OSZE, im Europarat auf, insbesondere im Kontext der Verteidigung ihrer Sprach- und Ausbildungsrechte. In den Baltischen Ländern und in der Ukraine werden diese Rechte auf gröbste Weise verletzt. Dadurch werden Konventionen ignoriert, an denen sich entsprechende Regierungen beteiligt sind.

Es besteht das Staatsprogramm zur Förderung des freiwilligen Umzugs unserer Landsleute nach Russland. Dieses Programm ist relativ neu in unserer staatlichen Praxis. In den ersten Phasen gab es Schwierigkeiten bei seiner Umsetzung, nicht alles funktionierte einwandfrei. Inzwischen verändert sich die Situation. In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 sind mehr als 60 000 Landsleute nach Russland umgezogen, um hier permanent zu leben. Das ist um ein Drittel mehr als in der vorigen Periode. Wir tun alles dafür, dass die Regionen, wohin unsere Landsleute umziehen, diese Menschen ins Leben ihrer Heimat maximal effizient involvieren.

Die Kommission der Partei „Einiges Russland“ für internationale Zusammenarbeit und Unterstützung der Landsleute im Ausland wurde auf Initiative des Präsidenten Wladimir Putin gebildet. Ich wurde an ihre Spitze gestellt. Wir haben die erste Sitzung durchgeführt. Wir werden nicht nur im Format der Kommission der Regierungspartei, der führenden politischen Kraft arbeiten, sondern auch unter Beteiligung anderer Fraktionen. Diese Entscheidung wurde bereits abgesprochen. Das wird nützlich sein, denn die Schicksale der Russischen Welt und die Lebens- und Arbeitsbedingungen unserer Menschen im Ausland, der Umgang mit ihnen dort – das ist wichtig für unser ganzes Volk und unseren Staat. Eine der Aufgaben für die nächste Zeit ist, die Bedingungen des Umzugs nach Russland zu erleichtern. Wir genießen das Verständnis anderer Behörden, arbeiten an entsprechenden Vereinbarungen.

Der siebte Weltkongress russischer Landsleute war erfolgreich – daran haben sich mehr als 400 Delegierte aus mehr als 100 Ländern beteiligt. Es war offensichtlich, wie wichtig diese Kontakte für die Teilnehmer untereinander und auch mit Vertretern der russischen Regierung sind. Leider werden unsere Landsleute in manchen Ländern, vor allem in den USA, verfolgt, genauso wie Staatsbürger  der Russischen Föderation, die ins Ausland reisen. Das völlig inakzeptable Vorgehen der US-Regierung gegenüber dem Globalen Koordinierungsrat russischer Landsleute im Ausland hat uns gezwungen, die Arbeit dieser Struktur vorläufig einzustellen. Manche Leiter des Rats mussten in die Heimat zurückkehren, denn man hatte ihnen unmittelbar mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht. In den USA ist das inzwischen Norm geworden.

Unter diesen schwierigen Bedingungen werden wir damit rechnen, dass wir unsere Zusammenarbeit aufrechterhalten und weiter festigen werden. ich möchte mich bei allen unseren Landsleuten für ihre Teilnahme an der Arbeit zwecks Aufrechterhaltung des Gedenkens an unsere Großväter und Väter, an den Großen vaterländischen Krieg bedanken. Es ist erfreulich, dass der 9. Mai, der Tag des Sieges, in mehr als 100 Ländern gefeiert wurde, wo solche Aktionen wie „Unsterbliches Regiment“ und „Kerze des Gedenkens“ stattfanden. Es wurden auch Gärten des Gedenkens gesät. Das festigt unsere Verbindung mit der Geschichte unserer großen Heimat, mit der Geschichte unseres Volkes. Wenn unsere Landsleute auf neue Ideen kommen, wie wir diese Arbeit noch besser leisten könnten, sind wir ihnen sehr dankbar, dafür dass sie uns diese Ideen mitteilen. Wir tun unser Bestes, um sie in die Tat umzusetzen.

Frage: Ich möchte mich bei Ihnen für die Hilfe bei der Ausführung unserer Landsleute aus Kasachstan bedanken. Hinter jedem Menschen steht ein Schicksal, seine Kinder, Enkelkinder… Also hat das Außenministerium Russlands mehr getan, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Vielen herzlichen Dank! Meine Frage ist: Was denken Sie, wurde bei der Unterstützung der Landsleute bereits das Maximum erreicht? Oder können wir noch irgendwelche angenehmen Überraschungen für unsere Landsleute erwarten, die im Ausland leben?

Sergej Lawrow: Was die guten Worte an uns im Kontext der Ausführung unserer Landsleute aus Kasachstan angeht… Wir haben uns lediglich mit organisatorischer Arbeit befasst. Den größten materiellen Teil übernahm das Verteidigungsministerium Russlands. Wir koordinierten mit ihnen unsere Handlungen, wie auch in vielen anderen Fällen, wenn solche Bemühungen nötig sind.

Was Ihre zweite Frage angeht, so kennt die Perfektion keine Grenzen. Deshalb können Sie uns gerne diese oder jene Hinweise geben. Wir haben unsere eigenen Ansichten. Wir analysieren die Situation anhand der Einschätzungen, die wir von den Komitees unserer Landsleute, von unseren Botschaften, von den Russischen Kulturzentren erhalten. Wir werden immer zusätzliche Beiträge der Menschen begrüßen, für die wir diese Arbeit eigentlich leisten.

Frage: Als Sie Ende des vorigen Jahres über Ihre westlichen Partner sprachen, nannten Sie einmal das Kamasutra. Anfang dieses Jahres haben Sie über deren „Impotenz“ gesprochen. Was ist an den Feiertagen passiert?

Sergej Lawrow: Aus meiner Sicht hat sich nichts geändert. Was die Impotenz angeht, so sprach ich damals über die Europäische Union. Wir begannen eine Pressekonferenz zur Europäischen Union, und auch am Ende wurde sie erwähnt. Ich sprach darüber, inwieweit die EU verhandlungsfähig ist, inwieweit sie in der Lage ist, Vereinbarungen zu erfüllen. Ich führte Beispiele an. Vor kurzem hatte die EU auf Beschluss der UN-Vollversammlung die Vollmachten als Vermittler zwischen Belgrad und Pristina bekommen. 2013 war ein Dokument über Bildung der Gemeinschaft serbischer Munizipalitäten im Kosovo vereinbart worden. Laut diesem Dokument sollten die Serben im Norden Kosovos wichtige autonome Rechte in solchen Aspekten wie Kultur, humanitäres Wesen, Sprache, Bildungswesen und darüber hinaus Möglichkeiten für besondere Verbindungen mit Serbien bekommen. Das ähnelt den Rechten, die der Minsker „Maßnahmenkomplex“ für die Volksrepubliken Donezk und Lugansk vorsieht. In beiden Fällen wurden die Dokumente unter Beteiligung der Europäischen Union diskutiert – im ersten Fall als EU selbst, und im zweiten Fall vertraten Deutschland und Frankreich die EU im „Normandie-Format“. Aber in beiden Fällen werden die vereinbarten Dokumente von einer der Seiten nicht eingehalten. Im Kosovo-Fall von Pristina, im Fall mit den Minsker Vereinbarungen  vom Kiewer Regime.

Auf alle unsere Hinweise, dass die EU auf der Erfüllung von Vereinbarungen bestehen sollte, in die sie ihre Kräfte, ihr Talent und ihre Bemühungen investierte, bekommen wir null Reaktion. Hinsichtlich der Minsker Vereinbarungen sagt man uns, Russland sollte das erfüllen, was die frühere EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, als „fünf Prinzipien“ formuliert hatte: Die Beziehungen zwischen der EU und Russland würden sich normalisieren, wenn Russland die Minsker Vereinbarungen erfülle. Das lässt sich eigentlich als eine Art „politische Schizophrenie“ bezeichnen, denn die Minsker Vereinbarungen gelten nicht für Russland, sondern für Kiew, Donezk und Lugansk. Politiker in Kiew erklären offiziell auf verschiedenen Ebenen, dass sie mit den Republiken nicht verhandeln würden. Wenn wir die Deutschen und Franzosen darauf aufmerksam machen, sagen uns die Franzosen: In den Minsker Vereinbarungen gebe es nichts, was Kiew zwingen würde, mit diesen Menschen zu sprechen.

Und jetzt zurück zum Thema Massenmedien: Als in Kiew drei TV-Sender geschlossen wurden, wandten wir uns an unsere französischen Kollegen. Sie sagten, sie plädieren zwar für Meinungsfreiheit, aber die Sender wären in Übereinstimmung mit den ukrainischen Gesetzen geschlossen worden. Das ist durchaus kennzeichnend. Wir wollen, dass die EU ihre eigene und selbstständige Rolle spielt. Noch ein Beispiel, und wieder im Kontext der Ukraine: Die EU war diejenige Seite, die im Februar 2014 garantiert hatte, dass die Vereinbarung zwischen Viktor Janukowitsch und der Opposition in Erfüllung gehen würde. Aber die Opposition pfiff am nächsten Morgen auf diese Vereinbarung, und Brüssel hat geschwiegen. Und inzwischen wird schon behauptet, dieser Machtsturz wäre kein Machtsturz, sondern „ein demokratischer Prozess“ gewesen.

Wir wollen normale Beziehungen mit der Europäischen Union haben, und wir haben sie nicht zerstört. Die EU muss sich selbst entscheiden, inwieweit sie zu ihrer Wiederbelebung bereit ist. Wir lassen uns nicht zwei Mal dazu aufrufen, wenn sich alles auf den gegenseitigen Respekt, auf die Interessenbalance stützen wird. Das sagen wir ja immer.

Frage: Ich möchte wieder das Thema Verhandlungen Russlands mit dem Westen über Sicherheitsgarantien erwähnen. Wie Sie schon sagten, erwartet Russland von den westlichen Kollegen Gegenvorschläge, und zwar „auf dem Papier“. Wenn diese Vorschläge des Westens beispielsweise eine gegenseitige Reduzierung der Rüstungen, der Truppenstationierung vorsehen, aber keine Garantien der Nichterweiterung der Nato enthalten würden, wäre Russland bereit, sich solche Vorschläge zu überlegen? Was würde Russland konkret tun? Vizeaußenminister Alexander Gruschko sprach von gewissen militärtechnischen Maßnahmen, aber was meinte er konkret? Was wäre das? Und wann könnte es dazu kommen?

Sergej Lawrow: Bei militärtechnischen Maßnahmen geht es um Maßnahmen zur Stationierung der Militärtechnik. Wenn wir diese oder jene Schritte beschließen, die mit der Militärtechnik verbunden sind, verstehen wir immer, was wir meinen, worauf wir uns gefasst machen. Auf unserem Territorium finden regelmäßig Übungen statt. Es gab Übungen im Westen der Russischen Föderation, und jetzt wurde eine spontane Übung an den östlichen Grenzen unseres Landes ausgerufen. Das sind unsere Angelegenheiten, unsere Entscheidungen. Wenn an den russischen Grenzen Technik, Militärkräfte kumuliert werden, wenn die Amerikaner Zehntausende Soldaten und die Briten Hunderte, Tausende Einheiten Militärtechnik verlegen… Wir müssen verstehen, wie diese Technik in den Baltischen Ländern, in Polen und anderen Ländern eingesetzt werden könnte, die ihre Probleme auf dem Territorium der Russischen Föderation mit bestimmten Waffenarten direkt lösen könnten. Ich würde da keinen heimlichen Sinn suchen. Wir reagieren immer nur auf Gefahren, die für die Sicherheit der Russischen Föderation entstehen.

Wir werden die Vorschläge abwarten. Man versprach uns, diese binnen ungefähr einer Woche vorzulegen. Wir haben unsere Partner (vor allem die Amerikaner) gewarnt, dass dies kein Menü, sondern ein Paket sein sollte. Genauso wie das Paket, das wir heute im Kontext der Freiheit zur Wahl von Bündnissen erwähnten. Man kann nicht dieses Element aus der auf höchster Ebene gebilligten Formel der Unteilbarkeit der Sicherheit und der Unzulässigkeit der Festigung der eigenen Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer „auspicken“. So etwas passiert schon. Unsere Kollegen schlugen dann vor: Lasst uns Vertrauensmaßnahmen, Abbau der Rüstungen besprechen, lasst uns transparent sein, einander über Übungen informieren. Aber erstens als dies noch akut war, hatte die Nato unsere Initiative ignoriert. Vor fast drei Jahren hatte unser Generalstab vorgeschlagen, Übungen von der Trennungslinie Russland-Nato zu verlegen – in eine bestimmte Entfernung. Zweitens schlugen wir auch vor, die minimale Entfernung von Kampfjets und Kriegsschiffen Russlands und der Nato zu vereinbaren. Das wurde einfach ignoriert. Ignoriert wurde auch Präsident Putins Initiative zum zu einem gegenseitigen Moratorium für Stationierung von bodengestützten Mittel- und Kurzstreckenraketen unter dem Vorbehalt der Verifizierung.

Und jetzt, nach den Treffen in Genf, sind sie plötzlich bereit, alle diese drei Fragen (Verschiebung der Übungen, zusätzliche Maßnahmen, Vermeidung von zufälligen Zwischenfällen, Mittel- und Kurzstreckenraketen) zu diskutieren. Das bedeutet, dass sie uns damals ignorierten und uns nicht ernst nahmen. Wenn sie das jetzt tun, dann Gott sei Dank – wir würden uns darüber nur freuen. Aber sie sollten verstehen, dass der Schlüssel dazu die Garantie der Nichterweiterung der Nato nach Osten ist. Alles andere würde schon zur allgemeinen Vereinbarung hinzugefügt werden – aber die Vereinbarung müsste ausgerechnet so sein. Die Amerikaner verweisen auf die Nato und sagen, die USA wären froh, unsere Vorschläge mit uns zu besprechen, aber Washington habe Verbündete. Ich denke, das ist eine nicht ganz ehrliche Darstellung der Situation. Die Amerikaner sagen, sie können keine Entscheidungen ohne ihre Verbündeten treffen. Aber Washington braucht die Nato nur als Instrument für Selbstbestimmung als Leader des ganzen Westens, damit alle im „Fahrwasser“ seiner Politik bleiben. Davon, inwieweit die USA die Interessen ihrer Verbündeten berücksichtigen, zeugt beispielsweise die Geschichte um AUKUS. Sie wissen wohl, wie Frankreich auf die heimlichen Absprachen der Angelsachsen reagiert hat.

Nun zur Situation um Nord Stream 2. Deutschland ist doch auch ein Verbündeter der Vereinigten Staaten, nicht wahr? Aber wie werden denn Deutschlands Interessen berücksichtigt? Nur sehr schwer. Deutschland muss die USA quasi anflehen, damit sie keine Sanktionen verhängen.

Auch den INF-Vertrag haben die Amerikaner ohne jegliche Beratungen mit ihren Verbündeten zerstört. Ihre Verbündeten begannen erst später, den USA nach dem Munde zu reden und zu behaupten, Amerika hätte Recht, während Russland hätte etwas tun müssen. Deshalb sehe ich keine überzeugenden Argumente dafür, dass die USA hier keine Führungsrolle spielen könnten.

Frage: Wie schätzen Sie die Ergebnisse und den Sinn des russisch-weißrussischen Unionsstaates in der neuen Architektur der internationalen Beziehungen ein?

Sergej Lawrow: Dieser Raum entsteht erst. Der Unionsstaat Russlands und Weißrusslands erlebt gerade die beschleunigte Aufbauphase. Im vorigen Jahr wurde diesem Prozess ein kolossaler Impuls verliehen, als 28 Unionsprogramme vereinbart wurden, die jetzt schon in Form von Dokumenten direkter Wirkung erfüllt werden. Diese Rahmenvereinbarungen werden praktisch umgesetzt. Der Unionsstaat wird in Richtung Koordinierung der inneren wirtschaftlichen Aktivitäten, Harmonisierung der entsprechenden Zoll-, Steuermechanismen usw. evolutionieren. Wir haben das Unionsparlament, das im Rahmen dieser Prozesse immer mehr gefragt wird.

Aus der Sicht unserer Verteidigungsfähigkeit liefern die jüngsten Ereignisse neue Argumente (falls jemand diese zusätzlich braucht) dafür, dass wir unsere Verteidigungsfähigkeit noch mehr festigen müssen. Wir sind uns absolut einig, dass diese Aufgabe zu erfüllen ist.

Erwähnenswert sind auch die kulturellen Verbindungen, Harmonisierung und Ausgleich der Rechte unserer Bürger. Diese Arbeit wurde schon zu 90 Prozent erfüllt.  Jetzt muss sie auch in den restlichen Bereichen geleistet werden, wo es noch gewisse „Lücken“ gibt. Idealerweise brauchen wir absolut identische Bedingungen für Reisen, für Check-in in Hotels, für Erhaltung von medizinischen Dienstleistungen und viele andere Dinge, die im Alltag wichtig sind. Auch die Bedingungen für die Geschäftskreise sollten in Übereinstimmung mit den besagten 28 Unionsprogrammen einander immer näher werden und sich idealerweise vollständig harmonisieren.

Wir koordinieren unsere Handlungen sehr eng, stehen auf einheitlichen Positionen in den internationalen Angelegenheiten. Alle zwei Jahre werden abgesprochene Aktionsprogramme verabschiedet. Letztes Mal haben wir ein solches Programm in einer gemeinsamen Sitzung der Kollegien vereinbart. Gemeinsame Kollegien finden jedes Jahr statt, wie auch gegenseitige Besuche unserer Minister. Ich habe positive Erwartungen von der weiteren Festigung des Unionsstaates, wie das unsere Präsidenten beschlossen haben, und aufgrund ihrer Aufträge haben unsere Regierungen die Unionsprogramme unterzeichnet.

Frage: Während der Krise in Kasachstan brachten einige Experten die Ideen zum Ausdruck (im Westen klang das als Befürchtung), dass Russland und Weißrussland Kasachstan in den Unionsstaat einladen könnten. Was halten Sie von solchen Überlegungen, die westliche Experten beunruhigen? Ließe sich eine Erweiterung des Unionsstaates erwarten?

Sergej Lawrow:  Wir haben keine Gewohnheit, jemanden einzuladen. Es gibt es entsprechendes Procedere, dem zufolge behandeln wir solche Anträge, falls diese kommen. Die Gewohnheit, jemanden in eigene Reihen „einzuladen“, haben unsere westlichen Kollegen. Jetzt rufen sie alle auf, der Nato beizutreten. Das ist aber nicht unsere Methode. Wir sind ja höfliche Menschen.

Frage: Wann entstand die Forderung nach Sicherheitsgarantien? Worin besteht ihre Rechtzeitigkeit?  Denn früher, zu Sowjetzeiten, gab es ja keine solchen Forderungen.

Sergej Lawrow: Das war schon immer so. Diese Sicherheitsforderung entstand nach der Auflösung der Sowjetunion in den 1990er-Jahren, und sie wurde in politische Verpflichtungen verwandelt, die auf höchster Ebene übernommen wurden. Unsere westlichen Kollegen missbrauchten diese politischen Verpflichtungen und erfüllten sie nicht. Als wir sie 2009 baten, die Sicherheitsgarantien aus politischen in juristische Verpflichtungen zu verwandeln, und ein entsprechendes Dokument initiierten, sagte man uns: Das geht euch nichts an, und juristische Sicherheitsgarantien werden nur den Nato-Mitgliedern gegeben. In diesen historischen 30 Jahren haben wir genug Erfahrungen gesammelt und wissen, was wir weiter zu tun haben. Versprechen und politische Beteuerungen helfen nicht weiter. Wie der russische Präsident sagte, haben wir die Dokumente vorgelegt und bestehen darauf, dass unsere größte Besorgnis um die Nichterweiterung der Nato juristisch verbindlich wird. Ich hoffe, dass wir klare Antworten bekommen und nicht nur die jetzigen Ausführungen, dem Westen würde dies oder das nicht passen. Mal sehen, was man uns „auf dem Papier“ vorlegt. Und dann werden wir entscheiden, inwieweit aufrichtig unsere westlichen Kollegen in den Beziehungen mit Russland nicht in den 1990er-Jahren waren, sondern gerade jetzt sind.


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