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Auftritt Außenministers Russlands Lawrow und seine Antworten auf Fragen der Medien auf der Pressekonferenz zu Ergebnissen der Verhandlungen mit dem Außenminister Algeriens Medelci, Moskau, 13. Dezember 2011

1996-13-12-2011

Sehr geehrte Damen und Herren,

Algerien ist Russlands traditioneller Partner in Nordafrika und im Nahen Osten. Wir unterstützen die Ausrichtung unserer algerischen Freunde auf die Umgestaltungen aufgrund eines breiten demokratischen Dialogs und auf das nationale Einvernehmen. Wir halten es für ein Beispiel für die anderen Länder der Region, die jetzt eine komplizierte Zeit erleben.

Die Beziehungen zwischen Russland und Algerien zählen eine beinahe fünfhundertjährige Geschichte. Wir haben vereinbart, im März nächsten Jahres den fünfzigsten Jahrestag unserer diplomatischen Beziehungen zu feiern. Eine sichere Grundlage für unsere Zusammenarbeit stellen die 2001 unterzeichnete Deklaration über strategische Partnerschaft und die Vereinbarungen, die im Laufe des Besuches des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Algerien im Oktober 2010 erreicht wurden dar. Sie haben die Richtungen unserer weiteren Zusammenarbeit auf Grund von den in der Deklaration festgelegten Prinzipien bestimmt und konkretisiert.

Wir haben heute den Stand und die Perspektiven unserer bilateralen Beziehungen beurteilt. Sie entwickeln sich positiv. Das betrifft den politischen Dialog, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Bereich der militärtechnischen Beziehungen. Russische Unternehmen OAO Gazprom, OAO NK Rosneft, OAO Strojtransgas nehmen zusammen mit ihren algerischen Partnern an der Umsetzung von Großprojekten teil. Die Demokratische Volksrepublik Algerien gehört zu den drei führenden Partnern Russlands in Afrika. In letzter Zeit beträgt der Warenumsatz unserer Länder mehr als 1 Mrd. Dollar. Das ist nicht schlecht, obwohl dessen Volumen auch größer sein könnte, und die Nomenklatur diversifizierter. Wir haben die Vereinbarungen befürwortet, die am 7.-9. Dezember laufenden Jahres auf der ordentlichen Sitzung der Regierungskommission für handelsökonomische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit angenommen wurden und auf den Ausbau des Handels und auf die Entwicklung der vertragsrechtlichen Basis der bilateralen Beziehungen ausgerichtet sind.

Wir vertreten identisches bzw. nahes Herangehen an die Schlüsselfragen des internationalen Geschehens, vor allem in Bezug auf den Vorrang des Rechts in den internationalen Angelegenheiten und des Rechts der Völker auf die Bestimmung ihrer Geschicke eigenständig ohne Einmischung von außen.

Angesichts der Entwicklung im Nahen Osten und in Nordafrika ist dieses Herangehen besonders aktuell und benötigt. Unsere Länder sind überzeugt, dass die vorhandenen Probleme nur mit friedlichen Mitteln, aufgrund eines breiten nationalen Dialogs, an dem alle politischen, konfessionellen, ethnischen Gruppen teilnehmen, gelöst werden müssen. Und auf dieser Grundlage muss die Verständigung über die Wege der weiteren Entwicklung jeweiliger Staaten und Gesellschaften erreicht werden. Wir weisen auf die Identität unserer Bewertung der Lage in Syrien und der Aufgaben zur Überwindung der akuten inneren Krise in diesem Land aufgrund von Bemühungen der Arabischen Liga, aber ohne Ultimaten hin.

Wir haben auch das gleiche Herangehen an die palästinensisch-israelische Regelung, genauer gesagt an den fehlenden Fortschritt auf dieser Richtung. Russland als Teilnehmer des Quartetts und Algerien als Mitglied der Arabischen Liga sind daran interessiert, möglichst schnell aus der Sackgasse zu kommen und die Bedingungen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen zu schaffen. Wir sind überzeugt, dass die positive Entwicklung in den palästinensisch-israelischen Angelegenheiten die Atmosphäre in der gesamten Region positiv beeinflussen wird.

Wir haben heute auch die Lage in Maghreb angeschnitten, u.a. die Regelung in Westsahara. Da sind unsere Einstellungen gleich: Wir müssen nach einer Lösung suchen, die den geltenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrats entsprechen würde und für die Konfliktparteien akzeptabel wäre.

Ich bin mit dem Stand der Dinge in unseren bilateralen Beziehungen. Ich bin auch mit unseren Verhandlungen zufrieden, die wie immer aufrichtig und freundschaftlich waren. Ich danke meinem Kollegen und Freund Mourad Medelci für die Zusammenarbeit und erteile ihm das Wort.

Frage (an beide Minister): Kann man heute sagen, dass die Ziele und die Aufgaben der Deklaration über strategische Partnerschaft zwischen Russland und Algerien unveränderlich sind?

Lawrow (antwortet als erster): Die Deklaration über die strategische Partnerschaft, die vor zehn Jahren unterzeichnet wurde, bleibt aktuell. Das betrifft die Prinzipien und die Richtungen der bilateralen Zusammenarbeit aufgrund des gegenseitigen Vorteils, der Gleichberechtigung, der Achtung von gegenseitigen Interessen, des engen Zusammenwirkens auf bilateraler Ebene und in den internationalen Angelegenheiten.

Diese Prinzipien werden in konkreten Formen realisiert. Unsere Länder unterhalten einen aktiven politischen Dialog, unsere handelsökonomischen Beziehungen und die enge militärtechnische Zusammenarbeit sind intensiv und werden immer tiefer. Auch unser kulturelles und humanitäres Zusammenwirken entwickelt sich. All das entspricht dem Geist und dem Wortlaut der Deklaration. Aufgrund von den ihr zugrunde liegenden Prinzipien und Richtungen fand im Oktober 2010 in Algerien ein Treffen auf höchster Ebene zwischen dem Präsidenten Russlands Dmitri Medwedew und dem Präsidenten Algeriens Abs al-Asis Bouteflika statt. Auf dem Gipfel wurden Formen der Realisierung der in der Deklarationen gesetzten Ziele konkretisiert. Deshalb glauben wir, dass sie in vollem Maße aktuell bleibt.

Frage: Sergej Viktorowitsch, Sie haben gerade gesagt, dass Russland und Algerien die Situation in Syrien gleich bewerten. Wurde auf den Verhandlungen der syrische Vorschlag an die Arabische Liga erwogen, die Sanktionen der Liga aufzuheben, wenn Damaskus in das Land unabhängige Beobachter zulassen wird?

Lawrow: Wir haben die Initiative der Arabischen Liga behandelt und befürwortet. Sie darf jedoch nicht in ein Ultimatum verwandelt werden. In dieser Frage stimmt unsere Haltung mit dem Standpunkt der algerischen Seite überein. Wir schätzen die Rolle, die Algerien in der Arabischen Liga spielt, sowie seine Absicht, die Erfüllung dieser Initiative durch den Dialog und nicht durch ultimative Forderungen durchzusetzen.

Entsprechende Bemühungen unternehmen jetzt einige arabische Länder. Und wir unterstützen sie aktiv. Wir haben unsere Ratschläge an Damaskus übermittelt und bestätigen sie immer wieder. Wir raten, das Protokoll zu unterzeichnen und in kürzester Zeit Beobachter aufzunehmen. In den Kontakten mit der Führung der Liga und mit der syrischen Regierung hat Russland den Wunsch geäußert, zur Arbeit der arabischen Beobachter Vertreter Russlands und anderer BRICS-Länder einzuschalten, wenn es dafür Interesse gibt. Dieser Vorschlag bleibt in Kraft. Wir hoffen in nächster Zeit gute Nachrichten zu bekommen.

Frage: Wie kommentieren Sie die Aufforderung des Außenministers Deutschlands an Russland, entschlossen vorzugehen und den Sanktionen gegen Syrien zuzustimmen?

Lawrow: Wenn diese Sanktionen helfen würden, die Gewalt sofort einzustellen und die Stabilität, den Frieden und das Einvernehmen in der syrischen Gesellschaft zu sichern, würden wir diesbezüglich entschlossen vorgehen. Unsere Erfahrungen zeigen jedoch, dass Sanktionen praktisch nie arbeiten. Und wir dürfen diese Maßnahme nur im äußersten Fall ergreifen. Wir treten für die entschlossene Suche nach dem Weg zum Frieden und nicht für die Methoden des einseitigen Drucks auf. Unsere Partner in den Vereinigten Staaten, in der Europäischen Union und in einigen anderen Ländern gehen seit mehr als einem halben Jahr entschlossen vor, indem sie immer neue wirtschaftliche Sanktionen gegen Syrien verhängen, die sich auf die Lage der syrischen Bevölkerung negativ auswirken. Ich glaube, dass nicht solch eine Entschlossenheit benötigt wird.

In unseren täglichen Kontakten mit der Regierung der Syrischen Arabischen Republik und anderen Vertretern des syrischen Regimes, im Laufe unserer regelmäßigen Kontakte mit der syrischen Opposition versuchen wir die Parteien zu veranlassen, den Dialog aufgrund der Initiative der Arabischen Liga aufzunehmen. Wir versuchen Damaskus zu überzeugen, möglichst schnell Beobachter aus arabischen und anderen Ländern, zum Beispiel, aus der Gruppe BRICS aufzunehmen. Wir verurteilen entschlossen die Gewalt, von wem sie auch angewendet wird, wie es in der Initiative der Arabischen Liga heißt.

Aber hier gibt es einen Widerspruch. Unsere Partner rufen uns auf, entschlossen vorzugehen, wollen aber die Gewalt nicht verurteilen, die militante extremistische Gruppen anwenden, die in Syrien gegen die legitime Macht aktiv kämpfen. Es gibt ernste Fakten über die Situation in der Stadt Homs, die jetzt erhöhte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dort haben militante Gruppen der Kämpfer einige Viertel besetzt. In der Nacht machen sie regelmäßig Ausfälle, um Armeeblockstellen, Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, andere Objekte der sozialen Infrastruktur zu beschießen, überfallen Polizeistreifen und öffentliche Verkehrsmittel. Meiner Meinung nach ist ihr Ziel klar: Die humanitäre Katastrophe zu provozieren und den Vorwand zu bekommen, nach der Außeneinmischung in den Konflikt zu fordern. Auch extremistische militante Gruppen gehen also entschlossen vor, aber nur für ihre eigenen Zwecke.

Ich bin überzeugt, dass solche Entschlossenheit nicht selektiv, sondern nur im Interesse des Friedens sein soll. Wenn unsere westlichen Partner solche Handlungen der militanten Gruppen als Erscheinungsformen des Bestrebens des syrischen Volkes nach Demokratie, nach dem Kampf gegen Diktatur öffentlich qualifizieren, sieht es mindestens unangemessen aus.

Wenn uns alle aufrichtig sagen, dass sich in Syrien das libysche Szenarium nicht wiederholen wird, dass alle die Lösung der Probleme aufgrund von Verhandlungen und des nationalen Dialogs wollen, so müssen wir von der Regierung und allen oppositionellen Gruppen entschlossen verlangen, die Gewalt einzustellen, woher sie auch stammt. Das ist der erste Punkt der Initiative der Arabischen Liga. Wenn wir sie unterstützen, so sollen wir es mit Wort und Tat beweisen. Wir versuchen so zu handeln und werden diese Linie fortsetzen.

Wenn wir nicht nur koordiniert verurteilen, sondern auch koordiniert verlangen werden, jede Gewalt und militante Provokationen einzustellen, so werden wir dann auch etwas erreichen. Darauf ist der Resolutionsentwurf ausgerichtet, den Russland und China dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt haben. Die westlichen Partner sagen, dass sie es nicht unterstützen können, und schlagen anstatt dessen ein einseitiges Projekt vor, das nur die Handlungen der Regierungskräfte und der syrischen Führungsspitze verurteilt. Dieses Herangehen führt jedoch gerade zur Wiederholung des libyschen Szenariums, obwohl sie uns versichern, dass es nicht sein kann.

Unser Projekt liegt auf dem Verhandlungstisch. Ich würde die Einstellung deren, wer auf den militanten extremistischen Flügel der Opposition nicht drücken will und uns der Blockierung der Arbeit des UN-Sicherheitsrates beschuldigt, als unmoralisch nennen. Wollen wir doch entschlossen vorgehen, aber für den Frieden und nicht um die Absicht, das libysche Modell zu wiederholen zu verschleiern.

Frage (an beide Minister): Der islamistische Extremismus vertreten durch Al Qaeda bleibt seit fünf Jahren eine Herausforderung für eine große Gruppe der Länder der Sahara-Sachel Region. Was soll man aus Ihrer Sicht tun, um diese Bedrohung zu bewältigen und politische Stabilität in der Region zu sichern?

Lawrow (antwortet nach Medelci): Ich will hinzufügen, dass Russland Algeriens aktive Rolle für die Sicherheit und Bekämpfung des Terrorismus in der Region Sachel sieht und unterstützt. Die Russische Föderation unterstützt diese Bemühungen und arbeitet mit der algerischen Seite sowohl bilateral, als auch im multilateralen Format zusammen, u.a. im Rahmen des Globalen antiterroristischen Forums, das im September laufenden Jahres in New York zur Unterstützung des Antiterrorismus unter Ägide der Vereinten Nationen geschaffen wurde. Im Rahmen des Forums wurde eine spezielle Arbeitsgruppe für Probleme des Kampfes gegen den Terrorismus in der Region Sachel gebildet. Im Oktober laufenden Jahres fand in Algerien die ordentliche Sitzung dieser Arbeitsgruppe statt. Russland nahm daran aktiv teil. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen vereinbart, um Bemühungen aller Beteiligten vor dem Hintergrund des in dieser Region geschehenden Zusammenwachsens der Potentiale verschiedener Terroristengruppen, solcher wie „Akim", „Boka Haram", „Ash-Shabab" zu koordinieren. Es gibt einen konkreten Aktionsplan.

Es ist zu sagen, dass Algerien auch an anderen Formaten teilnimmt, die von den Ländern der Region zur Bekämpfung des Terrorismus in der Region Sachel geschaffen wurden, beispielsweise an der Arbeit des speziell dafür gebildeten Sachel-Quartetts (Algerien, Mauretanien, Mali, Niger). Russland unterstützt diese Bemühungen und ist bereit, sie in effektiven Formen zu fördern, wenn die Teilnehmerländer daran interessiert sind.


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