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Antworten des Außenministers Russlands Lawrow auf Fragen der Hörer der Rundfunksender „Golos Rossiji“, „Radio Rossiji“ und „Echo Moskwi“, 21. Oktober 2011

1601-21-10-2011

Frage: Wie reagiert Russland auf Gadaffis Tod?

Lawrow: Offensichtlich hat Muammar Gaddafi seine Legitimität längst verwirkt. Der Präsident Russlands hat es schon im Mai dieses Jahres gesagt. Diese Einstellung wurde im kollektiven Dokument bekräftigt, das von den G-8-Führern in Deauville verabschiedet wurde. In diesem Dokument wird eindeutig Gaddafis Abtritt gefordert. Gleich nach dem Beginn der Unruhen in Libyen wurde gegen friedliche Demonstrationen rohe militärische Gewalt angewendet, es wurden u.a. Kampflieger eingesetzt. Deshalb sah sich der UN-Sicherheitsrat gezwungen, zwei Resolutionen zu verabschieden. In Bezug auf Gaddafi hat der Rat beschlossen, dass der Internationale Strafgerichtshof seine Verbrechen untersuchen soll.

Es drängt sich aber eine Reihe von Fragen in Bezug auf die Umstände seines Todes auf. Ich hörte Äußerungen einiger Führer weltweit, die Befriedigung und sogar Freude über den Tod des Diktators zum Ausdruck gaben. Ich will jetzt diese Äußerungen nicht bewerten. Wir müssen uns auf Tatsachen und das Völkerrecht stützen. Andere Kriterien gibt es in den internationalen Angelegenheiten nicht. Bei allen bewaffneten Konflikten (und es ging in Lybien um einen bewaffneten Konflikt) gelten internationale humanitäre Regeln. Diese Regeln sind in den Genfer Konventionen festgelegt, die Ende 1940er Jahre angenommen und dann durch verschiedene Protokolle ergänzt wurden. In diesen Konventionen heißt es: Wenn der Teilnehmer des bewaffneten Konflikts gefangen genommen ist, sind ihm gegenüber besondere Regeln anzuwenden. Ihm soll medizinische Hilfe erwiesen werden, wenn er verletzt ist, und es ist strikt verboten ihn zu töten. Die Aufnahmen, die wir im Fernsehen gesehen haben, zeugen davon, dass Gaddafi tatsächlich gefangen genommen wurde, nachdem er verletzt worden war. Und schon danach wurde dem Gefangenen das Leben genommen. Nicht zufällig hat heute die Verwaltung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte erklärt, dass dieser Tod untersucht werden muss. Ich bin überzeugt, dass es notwendig ist.

Ich möchte auch auf solchen völkerrechtlichen Aspekt hinweisen, wie der Anfang der ganzen Geschichte mit Gaddafis Gefangennahme und Tod. Die Medien haben berichtet, und die NATO verneint es nicht, dass die NATO-Flieger die Fahrzeugkolonne angegriffen haben, die sich aus der Stadt Sirte zur Grenze fuhr, wonach die Fahrzeuge und ihre Passagiere, einschließlich Gaddafi, von den Rebellen gefangen wurden.

Dabei haben die NATO-Kräfte vom UN-Sicherheitsrat das Mandat auf die Sicherung des Regimes der flugfreien Zone bekommen, um zu verhindern, dass Flugzeuge der libyschen Luftwaffe, die Gaddafi unterstanden, sich in die Luft heben. Der Angriff der Bodenziele hat mit der flugfreien Zone nichts zu tun. Dabei ging es keinesfalls um den Schutz des Lebens der zivilen Bürger, weil die Fahrzeugkolonne niemanden angriff, sondern auf der Flucht war. So dass die Handlungen der NATO auch vom völkerrechtlichen Standpunkt beurteilt werden müssen.

Ich sage das alles nicht um Gaddafis Regime zu verteidigen, sondern aus folgendem Grunde. Unsere westlichen Partner kündigen an jeder Ecke an, dass die Revolution in Libyen ein Modell für die Zukunft ist. Wir wollen nicht, dass bei neuen inneren Konflikten sich außenstehende Kräfte wieder einmischen und dabei gegen das Völkerrecht, gegen die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates grob verstoßen.

Deshalb soll das ganze Geschehen vom völkerrechtlichen Standpunkt sorgfältig untersucht werden. Als sich die NATO-Staaten vorgenommen haben, die Resolution des Sicherheitsrats zu erfüllen, erklärten sie, dass ihre Aufgabe im Schutz der zivilen Bevölkerung und nicht in Gaddafis Beseitigung bestehe, und dass der Regimewechsel, wie sie sich ausdrückten, auf natürlichem Wege, also durch das libysche Volk zustande kommen solle. Jetzt sagen sie etwas anderes, und zwar, dass mit Gaddafis Tod ihr Ziel erreicht ist. Obwohl es sich der UN-Sicherheitsrat gar nicht zum Ziel setzte, sondern beschloss, Muammar Gaddafi dem Internationalen Strafgerichtshof zu übergeben.

Und noch eine Bemerkung. Wenn die Mitteilungen der Medien stimmen, wurde Gaddafi nicht von den Einheiten des Nationalen Übergangsrates Libyens, sondern von halbunabhängigen Kampfgruppen aus Misrata gefangen, die dem Nationalen Übergangsrat nicht untergeordnet sind. Es stellt sich die Frage, wie sich die Situation in Libyen weiter entwickeln wird. Wie der russische Präsident Dmitri Medwedew gestern betonte, hoffen wir auf den Frieden in Libyen. Wir hoffen, dass verschiedene libysche Seiten zum endgültigen Einverständnis über die Zusammenstellung der Macht kommen werden, dass Libyen zu einem modernen demokratischen Staat wird, in dem Interessen aller Bürger, unabhängig davon, welcher Konfession sie sind und zu welcher Volksgruppe, zu welchem Klan oder Stamm gehören, wahrgenommen werden.

Dabei muss der UN-Sicherheitsrat gemäß seiner zentralen Rolle in der libyschen Frage solchen Lauf der Dinge in diesem leidgeprüften Land fördern.

Frage: Gaddafi ist lebendige Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts. Das ist eine widerspruchsvolle, komplizierte und merkwürdige Figur. Jetzt wird sich in Libyen wahrscheinlich eine andere Macht bilden. Gibt es irgendwelche Vorstellungen davon, wie man mit dieser neuen Macht, die möglicherweise sehr instabil und schwach wird, Beziehungen aufbauen soll?

Lawrow: Russland hat den Nationalen Übergangsrat Libyens als eine legitime Macht anerkannt, die das Programm der Übergangsperiode festgelegt hat. Im Rahmen dieses Programms soll Verfassung erarbeitet werden, auf deren Grundlage Parlaments-, Präsidentschafts- und andere Wahlen nach den in diesem Dokument vorgesehenen Regeln durchgeführt werden.

Wir haben uns mit den Vertretern der libyschen Opposition in der frühen Phase des Konflikts getroffen. Uns hat Abdul Schalkam besucht, der Außenminister in der Regierung Gaddafis, dann sein Gesandter in der UNO, der dann zur Opposition übergegangen ist. Er kam zu uns mit entsprechenden Schreiben von der Führungsspitze des Nationalen Übergangsrates. Zurzeit setzen wir Kontakte mit dem Rat durch unsere Botschaft in Libyen und über den Sonderbotschafter des Präsidenten Russlands Mikhail Margelow während seiner Reisen nach Tripolis und Bengasi fort. Wir unterhalten einen regulären Dialog. Wir wollen unsere Beziehungen aufgrund von Verträgen und Abkommen aufbauen, die unsere Länder geschlossen haben. Die Sprecher des Rates haben uns bekräftigt, dass sie auch nach dieser Logik handeln werden. In der Resolution des Sicherheitsrats zu Libyen wurde betont, dass die neuen Behörden internationale Verpflichtungen achten müssen. Die Grundlagen bleiben also die gleichen — Prinzipien der gegenseitigen Achtung, der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Vorteils.

Frage: Heute hat der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat der USA John McCain gesagt, dass das (Gaddafis Tod) eine große Lehre für Tyrannen ist, und dass einige von ihnen heute wahrscheinlich schlecht geschlafen haben. Dabei erwähnte er Wladimir Putin und einige chinesische Führer.

Lawrow: Wir hören von Herrn John McCain solche exotischen Äußerungen nicht zum ersten Mal. Ich glaube nicht, dass man sie ernst nehmen soll. Er ist ein bekannter Mensch, hat seine Geschichte, seine Phobien, seine „Rosinen im Kopf" - entschuldigen Sie diesen nicht ganz diplomatischen Ausdruck. Er bestimmt die Einstellung der USA nicht und wird sie kaum jemals bestimmen.

Frage: Wie bewerten Sie unsere derzeitigen Positionen in Nordafrika? Warum lassen wir uns dort immer wieder verschiedene Möglichkeiten entgehen, obwohl das eine für uns sehr günstige Region ist?

Lawrow: Ich kann ihnen nicht zustimmen, dass wir uns dort verschiedene Möglichkeiten entgehen lassen. Im Gegenteil, in den letzten 10-15 Jahren, insbesondere in der letzten Zeit, haben wir unsere Möglichkeiten dort wesentlich angesetzt, vor allem durch das Auffüllen des Vakuums, das es zu den UdSSR-Zeiten in den Beziehungen zu den Staaten des Persischen Golfs gab. Auch wenn wir damals mit diesen Staaten diplomatische Beziehungen hatten, wurden sie nicht mit realen Wirtschafts-, Handels-, Kulturinhalten gefüllt.

Jetzt hat sich die Situation geändert. Mit allen diesen Staaten haben wir diplomatische und intensive handelsökonomische Beziehungen. Außerdem führen wir einen gegenständlichen Sicherheitsdialog. In zehn Tagen findet das erste in der Geschichte Ministertreffen zwischen Russland und dem Kooperationsrat der Arabischen Staaten des Golfes statt. Wir werden über die Entwicklung unserer strategischen Partnerschaft sprechen. Früher kam es noch nie vor.

Wir hatten traditionelle Beziehungen zu solchen arabischen Ländern, wie Ägypten, Syrien, Libyen, Marokko, Tunesien, Algerien. Diese Beziehungen bleiben in vollem Grade erhalten, und sollen ein qualitativ neues Niveau erreichen. Mit Ägypten haben wir Beziehungen der strategischen Partnerschaft. Die Übergangsbehörden dieses Landes bekräftigen das Interesse an ihrer weiteren Entwicklung. Ich weilte in Ägypten im Frühling dieses Jahres, habe mich mit der Opposition getroffen, u.a. mit den Muslimbrüdern. Ich bestätige, dass auch sie, sowie alle politischen Kräfte des Landes nach der Bildung der Machtorgane strategische Beziehungen zu unserem Land fortsetzen werden. Auch wir sind daran interessiert. Ägypten ist der führende Staat der Region.

Das bezieht sich auch auf Algerien, Marokko, Tunesien. Vor kurzem haben wir den tunesischen Außenminister empfangen. Im Frühling habe ich Algerien besucht. In New York am Rande der Tagung der UNO-Vollversammlung hatte ich Kontakte mit dem Außenminister Marokkos. Ich fühle lebendiges konkretes Interesse für die Vertiefung unserer Beziehungen. Die wirtschaftliche Komponente, die immer ein fester Teil des Fundaments der bilateralen Beziehungen ist, wird immer intensiver.

Ich bin der Ansicht, dass unsere Positionen in der Region keinesfalls schwächer geworden sind. Dabei versuchen wir nicht, uns wie Elefanten in Porzellanläden zu benehmen. Russland baut Beziehungen mit diesen Ländern immer unter Berücksichtigung und voller Achtung ihrer Traditionen, Geschichte, Bräuche und Sitten, aufgrund der Interessen-Balance auf.

Ich bin überzeugt, dass es eine aussichtsreiche Politik ist. Das kommt auch im Verhalten der Länder dieser Region zur Rolle Russlands im Nahost-Quartett zum Ausdruck. Sie halten uns für einen fairen Makler, für eine ausgleichende Kraft, die über einzigartige Möglichkeiten verfügt, sowohl mit den Palästinensern, mit allen Arabern, als auch mit Israel auf einer vertraulichen und konkreten Grundlage der gegenseitigen Achtung zu sprechen.

Frage: Ein Vertreter der African Press Agency hat eine Frage über Libyen gestellt. Die Haltung der Afrikanischen Union und vieler afrikanischer Länder unterschied sich von der Haltung der europäischen Länder und der USA. Sie suchten nach einer eigenen Lösung, hatten ein eigenes Herangehen. Wie sieht die russische Diplomatie die Entwicklung der Beziehungen mit den Ländern Afrikas südlich von Sahara?

Lawrow: Die Afrikanische Union nimmt seit Anfang der libyschen Krise eine aktive Haltung ein. Sie hat eine Initiative erarbeitet, die darauf ausgerichtet war, die Parteien zum Verhandlungstisch zu bringen. Wir haben diese Initiative aktiv befürwortet.

Anfang Juli traf der Präsident Russlands Dmitri Medwedew in Sotschi mit dem Präsidenten der Republik Südafrika Jacob Zuma zusammen, der im Namen der Afrikanischen Union handelte. Dort fand auch eine Sitzung des Russland-NATO-Rates statt, und der NATO-Generalsekretär Anders Fogh-Rasmussen wurde von den Präsidenten Russlands und der Republik Südafrika zum dreiseitigen Treffen eingeladen, das, wie es sich erwies, interessant und nutzreich war.

Bedauerlicherweise wurde die Initiative der Afrikanischen Union über die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Bengasi und Tripolis nicht unterstützt, vor allem von den westlichen Ländern, die sich offenbar schon damals den Kurs darauf genommen haben, den Sieg über den Gaddafi-Regime mit Militärkraft zu erreichen. Wenn die afrikanische Initiative unterstützt wäre, wäre Gaddafi abgetreten, wie es in ihr vorgesehen war. So dass dieses Ziel mit viel weniger Menschenopfer erreicht wäre. Schade, dass dies nicht geschehen ist.

Was unsere Beziehungen mit der Afrikanischen Union betrifft, so entwickeln wir mit dieser Organisation partnerschaftliche Beziehungen. Wir haben einen ständigen Botschafter beim Sitz der Afrikanischen Union in der Hauptstadt Äthiopiens Addis-Abeba. Wir haben ein breites Programm der gemeinsamen Maßnahmen. Russland nimmt an allen Friedensoperationen teil, die UNO in Afrika führt, unser Land schult afrikanische Friedenswächter für diese Operationen. Wir helfen auch bei der Ausstattung der Friedenskontingente mit entsprechenden Ausrüstungen. Wir werden diese Politik fortsetzen.

Wie ich schon gesagt habe, soll allen Beziehungen zugrunde eine gesunde wirtschaftliche Basis liegen. Bisher entsprechen die Umfänge der Zusammenarbeit dem Potential nicht. Der Warenumsatz mit der ganzen Afrika südlich von Sahara beträgt ca. 4 Mrd. $, dabei beläuft sich der Warenumsatz mit China auf 120 Mrd. $. Neben dem Handel gibt es einige aussichtsreiche Investitionsprojekte unserer Unternehmen. Dort arbeiten aktiv Gazprom, Rusal, Renowa, Lukoil und Alrosa. Es gibt allen Grund zur Annahme, dass die Investitionskomponente schnell wachsen wird. Wir werden auch den Handel fortsetzen, wobei zu betonen ist, dass wir für die meisten traditionellen Exportwaren der afrikanischen Länder Mehrheitsbegünstigung gewährt haben.

Frage: Wird Russland auch künftig die Resolutionen gegen Syrien blockieren, die unsere Partner im UN-Sicherheitsrat vorschlagen? Welche Lehren haben wir aus der libyschen Geschichte gezogen, u.a. im syrischen Kontext? Hat die russische Seite neue Vorschläge zu Syrien?

Lawrow: Russland hat nur eine Resolution zu Syrien blockiert. Wir haben zusammen mit China das Vetorecht in Anspruch genommen. Diese Resolution haben auch weitere vier Staaten nicht unterstützt. Also gibt es im Sicherheitsrat in dieser Frage große Meinungsverschiedenheiten, da für dieses Projekt auch Indien, die Republik Südafrika, Brasilien und Libanon (Sprecher der arabischen Gruppe) nicht gestimmt haben.

Die westliche Resolution könnte zur Wiederholung des libyschen Szenariums führen, obwohl ihre Verfasser uns das Gegenteil versichern. Sie enthält tatsächlich keine Genehmigung für die Anwendung der Militärgewalt, um Entscheidungen zugunsten der Opposition herbeizuführen. Doch darin wird die Situation einseitig beurteilt: Die ganze Schuld wird der Regierung des Präsidenten Baschar al-Assad zugeschrieben. Auch enthält sie die Forderung an alle Länder, beim Verkauf von Waffen und bei anderen Kontakten mit der syrischen Seite vorsichtig zu sein. Der Hauptmangel dieses Herangehens besteht darin, dass die Analyse auf der einseitigen Darlegung der Situation beruht.

Wir haben die Gewaltanwendung gegen friedliche Demonstranten von Anfang an verurteilt. Doch wir verurteilen auch die Extremisten, die sich in die Reihen der friedlichen Demonstranten eingeschlichen hatten und einschleichen und Waffen aus dem Ausland bekommen. Niemand hat die Informationen über den Waffenschmuggel nach Syrien aus verschiedenen Ländern, u.a. aus dem Irak und Libanon widerlegt. Wenn es solche Beweise gibt, schlage ich vor, diese Informationen zu widerlegen.

Es gibt auch Zeugen davon, dass extremistische Gruppen, die sich für friedliche Demonstranten ausgeben, Verwaltungsgebäude, Polizeireviere angegriffen hatten. Es wurde beispielsweise die russische Filiale des Unternehmens „Strojtransgas" beschossen. Nach Angaben der Bürgerrechtler, die von der UNO bestätigt werden, gibt es schon etwa 2700 Tote, und laut Angaben der syrischen Seite sind ca. 800 davon Mitarbeiter der Polizei und der Rechtsschutzorgane. Das Problem besteht darin, dass es durchaus schwer ist, diese Informationen zu prüfen.

Frage: Die Nachrichtenagentur Interfax berichtet, dass der Mord an Gaddafi neue Unruhen in Syrien provoziert hat. Die von seiner Beseitigung begeisterten syrischen Oppositionellen kommen zu Massendemonstrationen zusammen. Wie können Sie es kommentieren?

Lawrow: Das ist auch eine Tatsache, die meinen Gedanken bestätigt: Wenn wir die Politik der westlichen Länder unterstützen werden, also den libyschen Fall als Muster für die Zukunft anzusehen, wird es solche Stimmungen provozieren. Das wird die Volksmassen aufheizen. Das ist leicht. Ausgerechnet das sehen wir in Ägypten, wo sich die Situation eigentlich beruhigen sollte, aber das ist nicht der Fall. Wenn die Haltung der Weltgemeinschaft von dem Prinzip „du bist schlecht, und ich werde mit dir keine Gespräche führen, du musst um jeden Preis weg" bestimmt wird, wird es Gewaltanwendung und Krawalle direkt provozieren.

Wir treten für den Dialog auf. Wir wollen alle in allen Ländern, wo es einen Konflikt gibt, veranlassen, sich zu setzten und zu verhandeln. Dabei sollen sie vor allem Interessen des Landes, und nicht ihre persönlichen, subjektiven egoistischen Interessen wahrnehmen.

Frage: Wie wird Russland seinen Bürgern helfen, die im Ausland in eine schwierige Lage geraten sind, wenn die Behörden anderer Länder sie ungerecht beschuldigen? Das kommt recht oft in Amerika vor. Auch in Europa sind solche Fälle nicht selten. Manchmal leiden daran Kinder, deren russische Eltern sie aus dem Ausland nach Hause bringen wollen. Wie wird Russland seinen Bürgern helfen?

Es wird oft über viele solche Fälle erzählt. Zum Beispiel steht in den USA unter Gericht W.But. Neulich wurde der Flieger Jaroschenko zu vielen Jahren Haft verurteilt. In Finnland wird die russische Bürgerin verfolgt, die mit ihrem Sohn zusammen sein will. Das alles sind bekannte Fälle, über die im Fernsehen berichtet wird. Es gibt viele solche Fälle, wenn unsere Bürger in anderen Ländern ungerecht verfolgt werden. Wird Russland in diesem Sinne eine klare Politik führen? Wenn unsere Bürger im Ausland klar wissen werden, dass in ihrem Rücken ein großes Land ist, das sie in einer ungerechten Situation nicht allein lassen wird?

Lawrow: Unsere Bürger müssen schon jetzt wissen, dass das Land sie in ungerechten Situationen nicht allein lassen wird. Das wissen But, seine Frau und sein Anwalt. Das wissen Jaroschenko und seine Familie. Soviel ich weiß wird in diesem Fall Berufung eingelegt.

Die von Ihnen genannten Fälle haben eine breite Resonanz. Zwei unsere Bürger (der eine in Thailand, wohin er gelockt wurde, und der andere in Liberia) wurden vor der Gerichtsverhandlung und ohne Untersuchung zu den Äußerungen provoziert, die dann als Beweis ihrer Verbrechen bewertet wurden. In den beiden Fällen wurden Gesetze des jeweiligen Landes, elementare Anständigkeitsnormen in den Beziehungen zwischen den Staaten grob verletzt, denn die russische Seite wurde nicht einmal benachrichtigt.

Wir unterstützen aktiv unsere Bürger im Ausland, die in solche Situationen geraten sind. Wir unterstützen sie geistig, wir besuchen sie dort, wo sie gehalten werden. Wenn nötig stellen wir gute Anwälte ein.

Das sind nicht Einzelfälle. Sie haben Kinder aus gemischten Ehen erwähnt. Alle kennen die Geschichte Salonens, die Gerechtigkeit will: Ihr Mann hat mit Hilfe eines finnischen Diplomaten ihren Sohn heimlich in Russland entführt und im Kofferraum eines Autos aus Russland geschmuggelt. Das ist um so empörender, da ein offizieller Vertreter des Landes ihm dabei geholfen hatte. Zwar haben sich danach sowohl das Außenministerium, als auch die Regierung Finnlands von ihm losgesagt.

In solchen Fällen gibt es mehrere Möglichkeiten. Erstens werden wir in unseren Beziehungen mit den jeweiligen Staaten auf offiziellem Wege nach Gerechtigkeit streben. Wir werden auf dem Abschluss von Verträgen über die Erweisung der gegenseitigen Rechtshilfe in kriminellen, familiären und sonstigen Angelegenheiten mit allen Ländern bestehen, mit denen wir solche Verträge noch nicht haben. Wir werden auf dem Abschluss von Sonderverträgen bestehen, die auf die Lösung von Problemen gerichtet sind, die Kinder aus gemischten Ehen betreffen. Neulich haben wir einen breiten und hoffentlich wirksamen Vertrag mit Frankreich abgestimmt. Wir werden verlangen, dass alle Länder, wo unsere Bürger in den Händen offizieller Rechtsschutzorgane sind, ihre Verpflichtungen vor der Russischen Föderation erfüllen, sie also darüber in Kenntnis setzen.

Ab dem 1. Januar 2012 beginnt seine Arbeit der im Auftrag des Präsidenten gegründete Fonds für die Förderung der russischen Landsleute. Seine Hauptaufgabe heißt: Finanzierung der Dienstleistungen der Anwälte und der Maßnahmen, die Gleichberechtigung unserer Bürger vor dem Gesetz in den Staaten sichern sollen, wo sie einen ständigen Wohnsitz haben oder sich als Touristen aufhalten.

Ich will auf einen durchaus wichtigen Aspekt hinweisen: Heute ist die Zahl der russischen Bürger, die ins Ausland reisen, vielfach gestiegen, und viele unsere Landsleute beachten bei ihren Touristen- und anderen Reisen Gesetze des Aufenthaltslandes nicht ganz. Aber das müssen sie immer.

Heute habe ich eine Mitteilung von unserer Botschaft in Indien gelesen. Ich erinnere mich an den Namen der Frau nicht, die sich mit diesem Brief gewendet hat. Es geht um Folgendes. Sie reiste mehrmals nach Indien, arbeitete, erholte sich dort. Einmal lief ihr Visum ab. Statt sich an die Botschaft oder an das Konsulat zu wenden - wir haben dort mehrere Konsulate und ihre Telefonnummern sind bekannt und zugänglich – wandte sie sich an eine private indische Person, die ihr zu helfen versprochen hatte. Ihr wurde ein Visum in den Pass eingetragen, mit dem sie aus Indien reisen konnte. Als sie aber wieder nach Indien reisen wollte, wurde sie angehalten und ihr wurde gesagt, dass das Visum gefälscht sei. Wir behandeln die Situation.

Ich will nicht die Verantwortung ablehnen, aber unsere Bürger sollen in solchen Situationen vorsichtiger sein.

Aber es geschehen immer wieder empörende Sachen. Neulich sollte ein russischer Bürger, der seine Gefängnisstrafe in den USA abgesessen hatte, entlassen werden. Aber zwei Tage davor wurde ihm gesagt, dass er sein Handy in der Zelle gesetzwidrig benutzt hat. Dafür wurden ihm noch sechs Monate „verknackt". Wir verlangten Gerechtigkeit. Infolgedessen wurde er entlassen, aber er doch mehr abgesessen.

Russland und die USA haben viele solche Fragen. Eine davon ist das Problem der Kinder, die von amerikanischen Bürgern adoptiert werden. Wir versuchen es zu lösen und haben ein entsprechendes Abkommen abgeschlossen, das in nächster Zeit in Kraft treten soll.

Frage: Was halten Sie von der Idee, das Visaverfahren für die Aussiedler aus Russland zu erleichtern und den Ausweis des Landsmanns einzuführen?

Lawrow: Neben meiner Hauptarbeit leite ich die Regierungskommission für die Angelegenheiten der Aussiedler aus Russland. Vor kurzem haben wir eine große Arbeit an der Erneuerung des Gesetzes über die Arbeit mit den Aussiedlern aus Russland abgeschlossen, das Anfang 1990er Jahre verabschiedet wurde. Es wurde in der Zeit des „romantischen" Herangehens an die Gesetzgebung angenommen. Die Erfahrungen, die wir in den Beziehungen mit den Aussiedlern aus Russland in den letzten Jahren gesammelt hatten, sind in der neuen Fassung des Gesetzes berücksichtigt.

Auch die Idee der Ausweise wurde erwogen. Aber ihre Autoren schlugen vor, dass die Besitzer solcher Ausweise einige Rechte haben, die russische Bürger, die in Russland leben, nicht haben. Zum Beispiel das Recht auf den freien Eintritt in Museen. Diese Logik beruht auf guten Vorsätzen: Die Menschen sollen ihre Zugehörigkeit zu ihrer Heimat fühlen. Aber unsere Gesetze lassen es nicht zu, den ausländischen Bürgern größere Rechte zu gewähren, als die, welche Bürger der Russischen Föderation haben. Es war auch nicht klar, wie diese Ausweise ausgestellt werden und wer die Aussiedler sind?

Wir leiben verschiedene Ausweise und Bescheinigungen. Letztendlich haben wir Kriterien bestimmt, nach denen Menschen als Aussiedler aus Russland gelten, und haben vereinbart, dass die Koordinationsräte der Aussiedler aus Russland, die in allen Ländern geschaffen sind, wo es russische Gemeinde gibt, eigene Mitgliedskarten ausstellen werden, die in Russland keine Vorteile gewähren. Es ist sozusagen eine geistige Aufmunterung. Wir werden diese Menschen kennen.

Was die Ausstellung von Visen an die Aussiedler aus Russland betrifft, so bekommen alle, wer mit den Koordinationsräten zusammenarbeitet, Visen nach einem vereinfachten Verfahren. Ich weiß keine Beschwerden der Aussiedler aus Russland wegen Visaverweigerung, wenn sie in ihr Heimat reisen wollen, um sich mit Verwandten und Freunden zu treffen.

Frage: Wie ist Ihre Meinung dazu, dass die meisten ausländischen Bürger Kinder im Alter vor 3 Jahren adoptieren? Jetzt adoptieren auch russische Familien aktiv Kleinkinder. Und in den Regionen, wo Ausländer Kinder adoptieren, kommt es vor, dass Russen bei der Suche nach einem Kind Schwierigkeiten haben.

Lawrow: Diese Regeln bestimmt nicht das Außenministerium, aber Sie haben völlig recht, dass russische Familien, die ein Kind adoptieren wollen, prioritär sein müssen. Soviel ich weiß, ist das die Regel, die in unserer Gesetzgebung verankert ist.

Wahrscheinlich hat sich diese Tendenz - dass Ausländer mehr Kinder adoptierten - in der Zeit der nicht besonders günstigen sozialökonomischen Lage in unserem Land entwickelt. Damals konnten viele Familien, die ein Kind adoptieren wollten, es sich nicht leisten. Jetzt verbessert sich die Lage, und das kommt in der Statistik der Zahl von Familien, die Kinder adoptieren wollen, zum Ausdruck. Ich bin überzeugt, dass bei praktischer Anwendung der Gesetze, die Priorität der russischen Familien vor ausländischen vorschreiben, das in der Praxis wirksam umgesetzt wird.

Was die Rahmenbedingungen betrifft, so wollen wir natürlich die Lage verbessern, die sich in den früheren Jahren gebildet hatte, wenn wir manchmal keine Informationen darüber hatten, wo die Familie lebt, die das russische Kind adoptiert hat, und wie es sich dort fühlt. In den USA wurde den Konsulaten kein Zugang zu solchen Familien gewährt. Wir haben mit den USA ein Abkommen über das Adoptieren unterzeichnet und somit die Situation geändert. Dieses Dokument wird in Kraft treten, nachdem die US-Regierung uns die volle Liste der Vormundschaftsbehörden in jedem Bundesstaat übergibt (sie haben keine föderalen Behörden). Eine der Festlegungen des Abkommens heißt, dass sie uns die volle Liste der Vormundschaftsbehörden in jedem Bundesstaat mit den Angaben über die Familien, in denen unsere Kinder leben, übergeben sollen. Dann werden unsere Konsulate das Recht auf den Zugang zu jeder Zeit haben. Und das ist notwendig, um zu wissen, in welchen Bedingungen unsere Kinder wachsen und großgezogen werden.

Frage: Wie will das russische Außenministerium Interessen der russischen Unternehmen auf europäischen Gas- und Energiemärkten schützen, in Anbetracht des Drucks, der auf sie in letzter Zeit ausgeübt wird? Ich meine zum Beispiel die Durchsuchungen in den Büros der OAO Gazprom.

Lawrow: Ich will betonen, dass diese Aufgabe eine der vorrangigen für unser Ministerium ist. Außerdem wird sie vom Präsidenten und dem Regierungschef der Russischen Föderation kontrolliert. Denn das ist ein Bereich, in dem das Verhalten zu unserem Land im System der internationalen Beziehungen und des zwischenstaatlichen Verkehrs zum Ausdruck kommt. Nach dem Verhalten zu den Bürgern und Unternehmen kann man immer sehen, ob das Land respektiert wird, inwiefern die Normen der gleichberechtigten nicht diskriminierenden Beziehungen eingehalten werden.

Das, was jetzt auf dem europäischen Gasmarkt geschieht, beunruhigt uns. Russland ist der nächste Partner der Europäischen Union, wir haben eine entfaltete, verzweigte Energiepartnerschaft. Alle Fragen, die in diesem Bereich entstehen, können und müssen durch den Energiedialog gelöst werden. Er wird seit langem geführt und darin behandeln Experten alle Aspekte des Zusammenwirkens. Einseitige Schritte, die die Europäische Kommission unternimmt, die nicht immer abgestimmt sind und von den Mitgliedsländern der Europäischen Union unterstützt werden, beunruhigen uns.

Das Dritte Energiepaket, das von der Europäischen Union auf Aufforderung der Europäischen Kommission angenommen wurde, beinhaltet einige Festlegungen, die im direkten Widerspruch mit den Verpflichtungen der EU-Länder und der Europäischen Kommission stehen. Ich meine die Verpflichtungen aus den bilateralen Abkommen zwischen Russland und den EU-Ländern über den gegenseitigen Schutz der Investitionen. In jedem dieser Abkommen ist das Prinzip der Nichtverschlechterung von Bedingungen für die Tätigkeit der Unternehmen in den jeweiligen Ländern verankert. Das Dritte Energiepaket verschlechtert diese Bedingungen eindeutig. Neben den bilateralen Vereinbarungen gibt es eine ähnliche Bestimmung im Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen Russland und der Europäischen Union. Das ist die rechtliche Seite, und diese Dokumente können im Gericht vorgelegt werden.

Wir hoffen, dass die Verhandlungen, die das Energieministerium und der EU-Kommissar für Energie begonnen haben, positive Ergebnisse geben werden. Die Verhandlungen sollen die retrospektive Anwendung der Festlegungen des Dritten Energiepakets in Bezug auf die Projekte verhindern, die schon abgeschlossen sind oder realisiert werden.

Frage: Oder wir müssen ins Gericht…

Lawrow: Das Gericht gehört zu unseren Instrumenten, aber es ist besser, ohne Gericht zu vereinbaren. Die Gerichtsverhandlung dauert immer lang, und die Situation mit der Energie in Europa ist nicht gerade einfach, besonders nach den Entscheidungen, die in Bezug auf die Nuklearenergie getroffen wurden.

Frage: Der Sender „Golos Rossiji" hat viele Fragen von den Aussiedlern aus Russland bekommen, die versuchen, russischsprachige Medien im Ausland zu entwickeln. Am 31. Oktober findet eine Konferenz der ausländischen russischsprachigen Rundfunksender statt, und solche gibt es weltweit mehr als einhundert. In einigen Ländern, u.a. in den EU-Staaten, wo es zahlreiche russische Gemeinden gibt, die sowohl aus russischen Staatsbürgern, als auch aus Bürger jeweiliger Länder bestehen, stößt man häufig auf bestimmte Einschränkungen, die sich auf die Sprache der Programme, Besteuerung, den Rechtsstatus beziehen. Und das gibt es nicht nur in den Ländern des „fernen Auslands", sondern auch im GUS-Raum. Dabei wurden in der Europäischen Union für viele Sprachen komfortablere Bedingungen geschaffen.

Ist das Problem - einerseits die Förderung der Russischen Sprache, und andererseits die Integration der Aussiedler aus Russland um die russischsprachigen Medien im Ausland – heute ein wichtiges Thema für das Außenministerium?

Lawrow: Natürlich. Ich habe schon gesagt, dass ich die Regierungskommission für die Angelegenheiten der Aussiedler aus Russland leite. Diese Kommission legt jetzt den Schwerpunkt auf die Konsolidierung der Aussiedler aus Russland. Es geht nicht um die fünfte Kolonne. Wir sprechen von der Konsolidierung zur Wahrnehmung ihrer Rechte als Bürger der Staaten, wo sie leben, und zwar aufgrund der jeweiligen Gesetze, die Gleichberechtigung, unabhängig von der Nationalität und was weiß ich wovon deklarieren.

Zu den wichtigsten Zielen der Konsolidierung gehört die Förderung der russischsprachigen Medien. Wenn eine russischsprachige Zeitung oder Zeitschrift, ein russischsprachiger Rundfunk- oder Fernsehsender ein Problem hat und sich an uns wendet, nehmen wir diese Frage immer auf die Tagesordnung der Regierungsverhandlungen auf. Ich rufe alle auf, wer mit solchen Problemen zu tun hat (Sie können es als eine offizielle Ankündigung aufnehmen), das Außenministerium über russische Botschaften von den Verletzungen der Rechte und Diskriminierung der russischsprachigen Presse im Vergleich zu anderen Medien in den Ländern, wo Sie leben, geradewegs in Kenntnis zu setzen.

Die zweite Richtung, in der die Kommission arbeitet, ist die Arbeit des Internet-Portals für die Aussiedler aus Russland, die Herausgabe von vier Zeitschriften in verschiedenen Regionen der Welt, sowie einer Bücherreihe unter dem Titel „Russen im Ausland" - zum Beispiel, „Das Russische Amerika", „Das Russische Ägypten" usw. Es wurden schon etwa zwanzig solche Bücher herausgegeben.

Frage: Es gibt ein europäisches Thema, das mit unseren Landsleuten zu tun hat: Sie wenden sich häufig an den Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte. Was hält davon das Außenministerium? Und was halten Sie von den Verhandlungen in Straßburg über die Rehabilitierung der Opfer des Verbrechens in Katyn?

Lawrow: Der Eindruck, dass wir „Hauptopfer" und das Hauptobjekt der Bemühungen des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind, ist fern von der Wirklichkeit. Prozentual, also nach der Anzahl der behandelten Fälle zur Bevölkerungszahl gehören wir nicht zu den ersten. Die größte Zahl der zu behandelnden Sachen pro Kopf der Bevölkerung hat die Türkei. Der Grund der umfangreichen Geschäftsführung gegen die Russische Föderation resultiert daraus, dass wir Beschlüsse unserer eigenen Gerichte nicht erfüllen. Wir zahlen nach dem Urteil des russischen Gerichtssystems die Entschädigung nicht für den Schaden, den die Menschen erlitten haben. Deshalb wenden sie sich an den Straßburger Gerichtshof, um dieses Geld zu bekommen, und sie bekommen es fast immer.

Deshalb ist es für unser Image auf der Weltarena besser, zu zahlen, da auch die Urteile und Verordnungen für unsere Bürger russische Gerichte fällen. Die letzten Aufträge des Präsidenten sind gerade auf die Beseitigung dieses Problems ausgerichtet, denn nur wir können es lösen.

Zu unseren Beziehungen mit Polen und Beschwerden, die Familien der im Wald von Katyn ermordeten Offiziere in den Strafgerichtshof für Menschenrechte eingereicht haben. Wir führen ein gegenständliches sachliches Gespräch mit der polnischen Regierung zu diesem traurigen Thema. In diesem Jahr hat die Staatsduma eine spezielle Verordnung zu dieser Frage angenommen. Wir sind bereit, die an uns absolut rechtmäßig adressierte Bitte um die Rehabilitierung dieser Menschen zu behandeln. Das ist eine rechtliche Frage, und sie soll so gelöst werden, dass die Familien der polnischen Offiziere zufriedengestellt sind, dabei muss sie im Rechtsfeld der Russischen Föderation bleiben. Damit befassen wir uns jetzt. Es gibt eine zwischenbehördliche Gruppe, die diese Fragen behandelt.

Was individuelle Anrufungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft, so sieht die Prozedur so aus. Es geht nicht um die Anrufung der polnischen Regierung, obwohl sie seinerzeit individuelle Anrufungen der polnischen Bürger unterstützt hat. Wir glauben, dass diese Frage auf dem Regierungsniveau zur Zufriedenheit aller Familien der getöteten Offiziere gelöst werden kann. Wir befassen uns jetzt damit.

Frage: Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat sie nach den Beziehungen zwischen Russland und den USA gefragt, die aus seiner Sicht viel besser sein könnten. Meinen Sie auch nicht, dass die Entwicklung der Kontakte zwischen Russland und Amerika allen Ländern helfen würde, ein höheres Vertrauensniveau zu erreichen und die Stabilität in der Welt zu festigen?

Lawrow: Ich stimme Ihnen zu, dass die Beziehungen zwischen Russland und Amerika in vieler Hinsicht, möglicherweise auch entscheidend, von der Stabilität der gegenwärtigen internationalen Beziehungen abhängen, in Anbetracht des Einflusses unserer Länder auf viele Staaten und Regionen, und in Anbetracht auf das Bestrebens aller Staaten weltweit, normale Beziehungen sowohl mit Amerika, als auch mit Russland sowie der Europäischen Union und anderen großen Akteuren zu haben.

Zu der Frage, ob diese Beziehungen besser sein könnten. Natürlich kennt Vollkommenheit keine Grenzen. Wie eine Person im Film „Manche mögen's heiß" sagt, ist niemand vollkommen. Deshalb arbeiten wir an einer konstruktiven Agenda. Nachdem Präsident Barack Obama ins Weiße Haus kam, gibt es sehr starke Veränderungen.

Frage: Heute sagte Hillary Clinton in einem Interview, dass ihr in Gesprächen mit Ihnen oft die Zeit nicht ausreicht. Erstens, wofür reicht Ihnen mit Hillary Clinton die Zeit nicht aus? Und zweitens, wie bewerten Sie das Zusammenwirken mit der heutigen US-Außenministerin?

Lawrow: Uns reicht die Zeit für die Behandlung der bilaterale Beziehungen und der sehr vielseitigen, ständig sich erweiternden Tagesordnung nicht aus. Es ist angenehm, mit Hillary zu arbeiten. Sie ist eine sehr gute Gesprächspartnerin, sie vergisst die Fragen nicht, die wir vor ihr stellen. Und wir versuchen, dasselbe zu tun. Das ist der Stil, den unsere Präsidenten aufgegeben haben, und wir müssen so arbeiten.

Unsere Agenda ist sehr voll, die Zeit reicht nicht immer aus, nachdem die Präsidenten auf eigenen Beschluss die russisch-amerikanische Präsidentenkommission gebildet haben, die aus 20 Arbeitsgruppen besteht. Wir sind Koordinatoren dieser Kommission und müssen auf jedem Treffen eine Übersicht ihrer Tätigkeit machen. Die Arbeitsgruppen befassen sich mit den Fragen der Wirtschaft, Energetik, Gesundheit, Zivilgesellschaft, Vorrangstellung des Gesetzes, des Militärbereichs, der internationalen Sicherheit usw.

Schon dieser bilaterale Teil unserer Beziehungen erfordert viel Aufmerksamkeit und Zeit. Die internationale Agenda ist auch voll. Im Nahen Osten, in Afghanistan, im Irak, in Iran, in der Asiatisch-Pazifischen Region, in Lateinamerika – überall gibt es Interessen der USA und Russlands.

Natürlich ist es in unserem gemeinsamen Interesse, nicht gegen einander zu arbeiten, sondern zu versuchen das große gemeinsame Potential, zu unserem Wohl zu nutzen. Vor allem zum Wohl der Völker, die in den entsprechenden Regionen leben und zum Wohl unserer Staaten, aufgrund des gegenseitigen Vorteils als Prinzip der Beziehungen. Dasselbe gilt für die Tätigkeit der USA in unseren Nachbarstaaten - in Zentralasien und Transkaukasien – die dort sehr aktiv sind. Wir haben doch längst gesagt, dass wir kein Monopol auf die Beziehungen mit diesen Ländern haben, nachdem sie Unabhängigkeit proklamiert haben. Russland behandelt sie mit voller Achtung als Staaten, die berechtigt sind, sich Partner zu wählen. Die Interessen, die die USA, europäische Staaten, andere Länder in Zentralasien, Transkaukasien haben, resultieren aus der Wichtigkeit dieser Regionen im Hinblick auf die terroristische Bedrohung, auf die Herausforderungen durch Drogen, die dort aktiv sind und Russland, Europa und die USA gefährden. Es geht auch um energetische Verkehrsleitungen, die es dort gibt und die Osten und Westen verbinden.

Wir erkennen diese Interessen, aber wir wollen, dass objektive Interessen der nicht regionalen Akteure in diesem geopolitischen Raum unter Achtung der Interessen der Staaten der Region und der Russischen Föderation realisiert werden, in Anbetracht der engen Beziehungen, die uns mit den zentralasiatischen, transkaukasischen und europäischen Nachbarn – ehemaligen Republiken der Sowjetunion - vereinigen. Auf solche Weise versuchen wir, unseren Dialog mit den USA aufzubauen. Ich denke, das ist der einzig mögliche Weg.

Frage: Tom Graham, Direktor des Beratungsunternehmens „Kissinger Associates" fragt, ob es, Ihrer Ansicht nach, solche Projekte gibt, wo die Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA lebenswichtig für die beiden Staaten wäre. Zum Beispiel das Bündnis während des Zweiten Weltkrieges. Der Sieg war lebenswichtig für beide Staaten und das führte zu gewisser Kooperation zwischen ihnen. Gibt es heute solche ähnlichen Projekte zwischen den beiden Staaten, wo die Kooperation dringend notwendig ist?

S. Lawrow: Wenn man sich von vielen Sachen abstrahiert, so sind sowohl Russland als auch die Vereinigten Staaten – riesige selbstgenügsame Staaten mit einem verzweigten Netz von externen Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, humanitäre Angelegenheiten, Politik und Verteidigung. Im Grunde genommen werden wir ohne den anderen auskommen können, aber schlechter, als wenn wir zusammen leben würden. „Zusammen" bedeutet hier selbstverständlich nicht, dass man sich gedankenlos in Ekstase ineinander verschmelzen soll, sondern dass jede der Seiten ihre pragmatischen nationalen Interessen erkennt. Wünschenswerterweise ohne ideologische Ablagerungen. Leider bleibt hier noch die Trägheitswirkung, die aus den Zeiten des „Kalten Krieges" geerbt wurde, erhalten, wobei man jede Situation ideologisch folgenderweise betrachtet: Russland ist eine große Macht. Es möchte seine Positionen in dieser oder jener Region stärken und mit jemandem besondere Beziehungen aufstellen, darum muss man etwas unternehmen, damit es sein Ziel nicht erreicht.

Ich möchte jetzt nicht unsere Außenpolitik loben, wir alle sind nicht tadellos. Aber wir versuchen bewusst von solcher Logik wegzutreten. Russland und die Vereinigten Staaten müssen auf der Grundlage von ihren nationalen Interessen handeln und sie vergleichen, obwohl sie nicht immer übereinstimmen, wenn man die Größe unserer Staaten und die globalen Aufgaben berücksichtigt. Aber wenn wir ehrlich und offen darüber sprechen, so werden wir immer die Bereiche, wo es keine Widersprüche gibt und wo wir auf bilateraler Grundlage einen „Mehrwert" bekommen können, auffinden. Wir werden verstehen, in welchen Bereichen man noch arbeiten muss und wo vielleicht Abtretungen zu machen und Kompromisse zu finden sind. Das alles, um einander in bestimmten Fragen nicht mit den Ellenbogen anzustoßen, sondern um gemeinsam den Weg einzuschlagen, der für alle vorteilhaft sein wird: für Russland, für die Vereinigten Staaten und für die Länder, die in der einen oder anderen Region liegen.

Ein gutes Beispiel dafür ist Afghanistan. W. Putin war der erste, der G. Bush am 11. September 2001 angerufen und Hilfe angeboten hat. Er hat sich gemeldet und hielt sein Versprechen, dazu beizutragen, dass die zentralasiatischen Staaten die von dem UN-Sicherheitsrat sanktionierte Operation gegen die Al-Qaeda und die Taliban-Bewegung unterstützen, ein. Das war eine lebenswichtige Frage für die USA. Und es hat sich herausgestellt, dass die Bedrohung für Russland, die damals aus Afghanistan hervorging, weitaus ernster ist, als diejenige, mit der wir es jetzt zu tun haben. Die Rede ist von der terroristischen Expansion nach Zentralasien und von dort aus nach Nordkaukasus und in andere Regionen Russlands, sowie von dem enormen Drogenstrom. Ich möchte nicht sagen, dass diese Bedrohungen jetzt verschwunden sind. Im Gegenteil, die Drogenbedrohung ist sogar weiter angestiegen, aber das ist eher eine Frage an diejenigen, die die antiterroristische Operation innerhalb Afghanistans umsetzen. Wir haben viele Einwände dagegen, wie man dort den Umsatz von Drogen bekämpft. Aber es bestehen keine Zweifel darin, dass die terroristische Aktivität an unseren Grenzen, die unter anderem auch dass Territorium Russlands betrifft, viel gefährlicher für uns gewesen ist, als das, was wir jetzt infolge des Aufenthalts der Internationalen Sicherheitstruppen (ISAF) auf dem Territorium Afghanistans haben.

In Gesprächen mit unseren Partnern in der NATO und mit anderen Staaten, die sich an dieser Operation beteiligen und denen wir mit unseren Transitmöglichkeiten, mit der Ausbildung von Mitarbeitern für die Ordnungskräfte Afghanistans und mit der Versorgung dieser Ordnungskräfte mit Hubschraubertechnik und anderer Ausstattung zur Seite stehen, beharren wir darauf, dass der Abzug der Koalition aus Afghanistan nicht mit irgendwelchen künstlich verkündeten Fristen verbunden werden darf. Wir haben über das Jahr 2014 gehört, aber für uns ist das Bewertungskriterium die reale Situation in Afghanistan und die Fähigkeit der Afghanen selbst, ein akzeptables Sicherheitsniveau zu gewährleisten. Darum, da die Koalition sich gemäß dem Mandat des UN-Sicherheitsrates in Afghanistan aufhält, muss sie vor ihrem Abzug dem Sicherheitsrat über die Einhaltung dieses Mandats berichten. Wir werden uns darum bemühen, dass es auch so geschieht.

Frage: Viele meinen, dass die Abstimmung im US-Kongress für die so genannte „Magnitskij-Liste" zur Beendigung des „Neustarts" der Beziehungen führen wird. Wie bewerten Sie diese Situation?

S. Lawrow: Erstens, ist der Tod von S. Magnitskij in erster Linie unsere eigene Tragödie. Egal, wie der Fall von Sergej Magnitskij selbst auch wäre, die Tatsache, dass bei uns in Untersuchungshaftanstalten Menschen ums Leben kommen, die noch keinem Rechtsverfahren unterzogen wurden und gegen die man kein gerichtliches Urteil gefällt hat. Sie wissen, wie es von dem Präsidenten Russlands kommentiert wurde und welche Maßnahmen er trifft, um das Problem zu lösen. Solche Fälle dürfen weder in unserer, noch in irgendeiner anderen Gesellschaft vorkommen.

Im Grunde genommen, bedeutet die Verabschiedung solcher Listen, dass man für uns entscheidet, wer schuldig ist. Egal, wie unser gerichtliches System auch ist – und es hat zahlreiche Mängel, die Möglichkeiten für dessen Vervollkommnung sind ziemlich breit ( damit befasst sich der Präsident sachlich auf ständiger Grundlage) – wir haben kein Recht, es nicht zu respektieren. Keiner unserer ausländischen Partner verfügt über die Kompetenzen, Beschlüsse anstelle unseres gerichtlichen Systems zu treffen oder uns Entscheidungen aufzuzwingen, zu denen nur unsere gerichtlichen Organe bevollmächtigt sind. Die Schuld derjenigen, die in diesen Listen aufgezählt sind, ist nicht bewiesen. Egal, welche Fakten in den Medien aufkommen, bis zum gerichtlichem Urteil gilt für sie die Unschuldsvermutung.

Der versuch des Senators (B. Cardin) ist ein grober Verstoß gegen das für jeden Amerikaner heilige Prinzip der Unschuldsvermutung. Wir sehen unsere Probleme und wir werden sie selbstständig lösen. Wir sind zu einem respektvollen und konstruktiven Dialog mit den Amerikanern und Europäern zu beliebigen bürgerrechtlichen und damit verbundenen Themen bereit. Bei uns existieren solche Dialogformate. Ja selbst in der Präsidentenkommission gibt es eine Sondergruppe für die Oberhoheit des Rechts und für die Zivilgesellschaft. Wir führen einen regelmäßigen Dialog mit der Europäischen Union zu Fragen im Zusammenhang mit der Einhaltung von Menschenrechten und Grundfreiheiten.

Auch wir haben Fragen darüber, wie in den Vereinigten Staaten und in einer ganzen Reihe von EU-Ländern Recht gesprochen wird, wie die Rechte von nationalen Minderheiten eingehalten werden.

Leider gibt es hier bestimmte Gesetze des Genres, die in der Diplomatie und in internationalen Beziehungen einwandfrei funktionieren: alle nutzen das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn".

Frage: Und wie können Sie den Verlauf und die Ergebnisse des „Neustarts" charakterisieren?

S. Lawrow: Wenn man über unsere Zusammenarbeit mit der Obama-Regierung spricht, so ist es unter der alltäglichen Kontrolle der beiden Präsidenten gelungen, eine solche Konstruktion aufzubauen, die zu vielen Versuchen, sie zu zerstören, resistent ist. Ich bin davon überzeugt, dass man die „Magnitskij-Liste" als einen Versuch, sich in unsere internen Angelegenheiten einzumischen und den Kurs des Präsidenten B. Obama zu untergraben, betrachten kann. Vielleicht ist der Autor dieser Liste sogar mehr an dem Kampf zwischen den Parteien kurz vor der Wahlkampagne interessiert, als an diesem Thema an sich. Ein solcher Versuch, die Grundlagen der russisch-amerikanischen Beziehungen zu untergraben, wird erfolglos bleiben.

Das betrifft auch die Raketenabwehr: unsere Länder haben grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten, unsere Positionen sind diametral entgegengesetzt. Wir akzeptieren prinzipiell keine Versuche, so zu tun, als ob man uns nicht versteht. Man versteht uns wunderbar! Man sagt uns: „Macht euch keine Sorgen, dieses System ist nicht gegen euch gerichtet". Gut, dann bestätigt es in schriftlicher Form und gibt uns rechtliche Garantien, weil es eine ernste Angelegenheit ist. Bis zum Jahre 2020 wird doch eine verzweigte Infrastruktur geschaffen, die sich über den gesamten euro-atlantischen Raum ausbreitet, vom Norden bis zum Süden an unseren Grenzen entlang. Wir müssen verstehen, wie wir uns in dieser Situation gegenüber den Staaten verhalten sollen, auf deren Territorium man, ohne jemanden – einschließlich der NATO – zu fragen, Elemente des globalen US-Raketenabwehrsystems positioniert. Und doch wird man das System als „NATO-Raketenabwehr" bezeichnen. Aber alle verstehen doch, inwiefern es ein NATO-System ist.

Frage: Wenn der Russland-Besuch von B. Obama im Dezember stattfindet, wird man Dokumente zur Raketenabwehr unterzeichnen?

S. Lawrow: Der US-Präsident B. Obama hat eine Einladung, Russland zu besuchen. Wir werden uns darüber freuen, einen solchen Besuch zu organisieren. Bis jetzt wurden keine Vereinbarungen zu den Fristen erzielt. Im Grunde genommen, wenn man über Besuche auf höchster Ebene spricht, so erwartet man davon immer ziemlich ernste Entscheidungen. Gewöhnlich geht es dabei um Beschlüsse, die die Gesamtsituation in der Welt beeinflussen. So war es mit dem START-Vertrag, mit der Gründung der Präsidentenkommission und mit Vereinbarungen über die Partnerschaft für Modernisierung, sowie über den Einzug von amerikanischen Unternehmen in Skolkowo u.s.w.

Heute steht auf der Tagesordnung das heißeste und von allen erwartete Thema – die Welthandelsorganisation. Wir haben die Verhandlungen mit der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten abgeschlossen. Der Präsident B. Obama hat sich bereiterklärt, aktiv bei der endgültigen Vereinbarung von allen Aspekten im Rahmen der multilateralen Arbeitsgruppe in Genf zu helfen. Heute kann ich sagen, dass alle Fragen, die mit den Normen und Regeln der WTO verbunden sind, bereits geregelt wurden.

Frage: Und was ist mit Georgien?

S. Lawrow: Die Probleme, die von Georgien aufgestellt werden, haben nichts mit den WTO-Normen und Regeln zu tun. Das zählt nicht zu den Verpflichtungen im Rahmen der Welthandelsorganisation. Die schweizerischen Vermittler, die sich gemeldet haben, bei der Regelung von georgischen Ansprüchen zu helfen, haben uns und der georgischen Seite ganz am Anfang gesagt, dass sie ausschließlich im Rahmen der WTO-Normen und Regeln nach einem Kompromiss suchen und die Frage des Status von Südossetien und Abchasien nicht berühren werden. Sie haben versichert, dass ihre Formulierungen das Thema des Status von Südossetien und Abchasien nicht anbetreffen werden.

Zahlreiche Verhandlungsrunden, einschließlich der gestrigen, haben gezeigt, dass die georgische Seite von diesem Grundprinzip, der im Grunde genommen die schweizerische Vermittlung möglich gemacht hat, weggetreten ist und die physische Präsenz von ausländischen Staaten und internationalen Organisationen an den Grenzen der Russischen Föderation mit Abchasien und mit Südossetien fordert. Das hat nichts mit der WTO zu tun. Wir sind bereit, alle Fragen zu lösen, die die WTO im Zusammenhang mit den Warenflüssen zwischen Russland und Georgien anbetreffen. Die Vorschläge der Schweiz stellen uns zufrieden. Alles stockt an der politischen Haltung, die von unseren georgischen Partnern eingenommen wurde.

Frage: Die schweizerischen Vorschläge, die an uns und an Georgien gemacht wurden, stellen Russland zufrieden?

S. Lawrow: Sie haben uns bereits vor einigen Wochen, als die Schweizer sie zum ersten Mal formuliert haben, zufriedengestellt. Nachdem diese Vorschläge besprochen wurden, haben wir einige Varianten für die Lösung der Frage vorgeschlagen, um streng im Rahmen des Mandats, im Rahmen der Kompetenz der WTO zu bleiben. Unsere georgischen Nachbarn können es nicht eingehen. Ihre Einstellung ist völlig politisiert und dabei lügen sie – wie auch zu vielen anderen Fragen – unverschämt, dass alles an der Position der russischen Seite stockt. Das ist nicht so. Eine Lüge war auch die kürzliche Erklärung von M. Saakaschwili in einem Interview, als er erfunden hat, dass die russische Seite 18 Terroranschläge auf dem georgischen Territorium gegen die US-Botschaft in Tiflis, gegen die NATO-Vertretung, gegen Vertretungen der politischen Parteien Georgiens, auf Eisenbahnlinien und gegen Polizeistationen organisiert habe. Das ist doch ein Wahn. Michail Nikolajewitsch ist dadurch bekannt, dass er einfach gewissenlos die Fakten entstellt. Ja, er entstellt nicht nur Fakten, er erfindet einfach Sachen, die es in der Wirklichkeit überhaupt nicht gibt.

Frage: Glaubt er selbst daran?

S. Lawrow: Ich schließe es nicht aus.

Frage: Ist die Position Georgiens für heute ein unüberwindbares Hindernis für den Beitritt Russlands zur WTO?

S. Lawrow: Wenn man sich strikt von den Statuten der WTO leiten lässt, so stellt die Position Georgiens kein Hindernis dar. Es gibt Möglichkeiten, die in den WTO-Statuten vorgesehen sind, damit sich unsere Verpflichtungen allen WTO-Mitgliedern gegenüber nicht auf Georgien ausbreiten.

Frage: Es sind viele Fragen von den amerikanischen Radiohörern eingetroffen, die der Raketenabwehr und den Abrüstungsperspektiven gewidmet sind. Können Sie dieses Thema zusätzlich kommentieren?

S. Lawrow: Das Thema der Raketenabwehr steht heute natürlich im Mittelpunkt der Diskussionen zur strategischen Stabilität, zur Abrüstungsproblematik und zu Sicherheitsfragen. Das ist verständlich, denn lange Zeit wurde die strategische Parität, die globale Stabilität nicht nur durch das Konzept der nuklearen Eindämmung zwischen Moskau und Washington unterstützt, sondern auch durch den Vertrag, der jedem unserer beiden Länder den Aufbau mehr als eines Raketenabwehrsystems verbot.

Nachdem die Vereinigten Staaten aus dem ABM-Vertrag ausgestiegen sind und den Kurs auf die Schaffung eines eigenen globalen Raketenabwehrsystems eingeschlagen haben, hat sich die Situation geändert. Wenn einer der Partner das Gefühl bekommt, dass er für sich ein absolut sicheres Schild gegen Nuklear- und Fernraketen geschaffen hat, so kann er in zusätzliche Versuchung geraten, sein ballistisches interkontinentales Schwert zu betätigen. Das Prinzip, auf dem im Grunde genommen die strategische Stabilität basierte und auch jetzt basiert, wurde verletzt. Die Pläne, die die Vereinigten Staaten im Bereich der Raketenabwehr während der dritten und vierten Phase in 2018-2020 verwirklichen werden – falls man sie wie geplant umsetzt (und der US-Kongress hat verboten, von den Plänen abzuweichen) –, werden bis zum Ende des Jahrzehnts ein reales Risiko für unsere strategischen Nuklearkräfte darstellen. Wir haben kein Recht, es bei unserer militärischen Planung außer Acht zu lassen.

Es wäre viel besser, wenn das Thema der Raketenabwehr aus dem Bereich der Widersprüche nicht einfach in den Bereich des gegenseitigen Einverständnisses, sondern den der strategischen Partnerschaft und sogar einer Allianz übergehen könnte. Wenn Russland und die Vereinigten Staaten, sowie alle anderen Länder, die zum Russland-NATO-Rat gehören, ihre Potentiale vereinigt und sich über die Entwicklung eines Systems, das keine Risiken für die Teilnehmer des euro-atlantischen Raumes schaffen würde, eindeutig kontrollierbar wäre und sich auf die Bekämpfung von externen Bedrohungen richtigen würde, geeinigt hätten, so wäre es zu einem kolossalen Umbruch in den Gemütern und im praktischen Leben geworden. Wir hätten den „Kalten Krieg" endgültig begraben können.

Lasst uns sehen, was heute geschieht. Der Präsident D. Medwedew hat auf dem Gipfel in Lissabon vorgeschlagen, gemeinsam ein System der Raketenabwehr zu entwickeln, und zwar auf Grund des sektoralen Ansatzes, wo wir als Verbündete das Territorium teilen und es von externen Bedrohungen verteidigen. Und man hat uns darauf geantwortet, dass man es nicht machen wird, weil die NATO die Verteidigung ihres Territoriums niemandem anvertrauen kann. Aber das ist doch eine Ideologie aus dem vorigen Leben, aus den Zeiten, als die NATO gegründet wurde, um der Sowjetunion und dem Warschauer Vertrag entgegenzuwirken. Weder das eine, als das andere existieren heute. Die Kurzsichtigkeit derjenigen, die sich weigern, diesen Vorschlag anzunehmen, scheint mir historisch bedingt zu sein. Später werden viele es womöglich bereuen, weil die Chance verpasst wird. Nicht deswegen, weil ein Krieg ausbricht. Ehrlich gesagt, bin ich da kein großer Pessimist. Obwohl der Generalstab Russlands natürlich militärisch-technische Maßnahmen zu treffen haben wird, falls solche modernen Elemente, einschließlich der Radare und Abfangraketen, um unsere Grenzen herum erscheinen werden.

Selbstverständlich wird das Militär die entsprechenden Schlussfolgerungen machen, die dann praktisch umgesetzt werden. Aber in diesem Fall wird man endgültig und unumkehrbar die Chance verpassen, das Erbe des „Kalten Krieges" zu überwinden und die Trennungslinien zu beseitigen, die jetzt hauptsächlich in den Gemütern existieren und es nicht erlauben, die Philosophie der Notwendigkeit von Handlungen „gegen jemanden" zu überwinden. Es stellt sich heraus, dass es gegen uns ist. Wir schlagen vor, eine rechtlich verpflichtende Vereinbarung dafür, dass dieses System nicht gegen Russland genutzt wird, zu treffen. Die amerikanischen Partner antworten, dass sie es nicht eingehen können, weil der Kongress ihnen verboten hat, die Weiterentwicklung dieses Systems nach dem Jahre 2020 irgendwie einzugrenzen. Dann kommt die natürliche Frage auf, ob es nach 2020 gegen uns genutzt werden kann. Wir bekommen Schweigen als Antwort. Wie soll man sich in dieser Situation verhalten? Man schlägt uns in der Praxis vor, ohne Garantien auszukommen und stattdessen in Übereinstimmung mit den ausgearbeiteten Mustern, die in Washington ohne unsere Beteiligung geschaffen wurden, zu kooperieren. Sie wurden in den Ansatz der NATO verwandelt, aber ihrem Wesen nach sind es weiterhin amerikanische Ideen. Man sagt uns: „Im Laufe eurer Kooperation mit uns werdet ihr verstehen, dass es nicht gegen euch gerichtet ist". Und dann wird hinzugefügt: „Und wenn ihr dann doch denkt, dass das System gegen euch gerichtet ist, dann könnt ihr später diese Kooperation abbrechen". Ich erzähle es fast wörtlich. Es geschieht so, dass ernste Sachen mit einer absolut unseriösen Sprache geschildert werden.

Wir beabsichtigen, die Konsultationen fortzusetzen. Aber ich sehe keine Möglichkeiten für irgendwelche gemeinsamen Handlungen, bis man klar und rechtlich verpflichtend verankert, dass das System nicht gegen Russland gerichtet ist. Indessen unterschreibt man Abkommen mit Rumänien und Polen (Polen ist weiter von Iran entfernt und näher zu Russland), mit der Türkei über die Stationierung dort eines Radars, mit Spanien über die Bereitstellung seines Marinestützpunktes für Schiffe, die im Mittelmeer, im Schwarzen Meer, in der Barentssee und in der Nordsee tätig sein können. Und dabei antwortet man auf unsere präzisierenden Fragen, dass diese Anläufe nicht nur in Krisensituationen, sondern auch routinemäßig vorgesehen sind. Wie kann man es aufnehmen, wenn alle verstehen, dass die Nordsee und die Barentssee zu weit von Iran entfernt sind? Und überhaupt, Iran besitzt keine Raketen, von denen man sich auf eine solche Weise schützen muss, und wird auch noch lange Zeit keine haben. Aber Russland hat solche Raketen.

Frage: Vor einer Woche erschien in den Medien eine Meldung darüber, dass die Gruppierung des russischen Militärs auf den Kurilen-Inseln neue Flugabwehrsysteme „Buk-M1" und eine Bataillon von Tanks T-80 als Ersatz für die veralteten erhalten hat. Es wird auch geplant, den Hubschrauberpark zu erneuern und eine große Anlage, faktisch eine „unangreifbare Festung" unter dem Namen „Kurilen" zu schaffen. Diese militärische Tätigkeit aktivierte sich nach der nervösen Reaktion der Japaner auf den kürzlichen Besuch des Präsidenten der Russischen Föderation auf die Kurilen-Inseln. Bedeutet es, dass man in Russland nicht ausschließt, dass Japan versuchen wird, die Kurilen-Frage nicht auf dem diplomatischen, sondern auf dem militärischen Wege zu lösen?

S. Lawrow: Erstens, was das Erscheinen von militärischer Technik dort anbetrifft, so verläuft dieser Prozess auf dem gesamten Territorium Russlands, wo es militärische Stützpunkte gibt. Veraltete Waffenausstattung wird gegen neue ausgetauscht. Der Prozess auf den Kurilen-Inseln ist nicht einzigartig. Die Armee wird modernisiert, man muss sich von alter Bewaffnung trennen.

Frage: Die Sache ist so, dass es geplant wurde, die gesamte Technik auf den Kurilen innerhalb der nächsten fünf Jahre auszuwechseln.

S. Lawrow: „Die nächsten fünf Jahre" ist ein Zeitraum, den wir jetzt bereits durchleben. Der Prozess hat begonnen. Ich sehe hier keine Gründe, darüber zu sprechen, dass wir versuchen, die Kurilen in eine „unangreifbare Festung" zu verwandeln. Unser ganzes Land muss eine „unangreifbare Festung" sein. Unsere Grenzen müssen sicher geschützt werden. Ich habe keine genauen Angaben darüber, welche Bewaffnung jetzt dort ersetzt wird.

Man muss die Bewaffnung in vielen Teilen Russlands modernisieren. Außerdem waren die Kurilen russisches Territorium und werden es auch sein, und zwar in Übereinstimmung mit den Beschlüssen, die auf Grund der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges verabschiedet und in der UN-Charta verankert wurden. Dort wird auch besagt, dass alles, was die Siegermächte gemacht haben, ein Teil des internationalen Rechts und der Weltordnung auf Grund der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges ist. Die Gespräche über andere Dokumente, über das Abkommen von San Francisco (angeblich wird es von den Japanern so gedeutet, dass es die Südkurilen nicht miteinschließt) oder das Argument darüber, dass es von der Sowjetunion nicht unterzeichnet wurde, haben keine Bedeutung. Es existiert die UN-Charta, wo alles klar und verständlich formuliert ist.

Die Besuche des Präsidenten der Russischen Föderation und anderer Vertreter der Führungsspitze des Landes (auch ich bin vor 2-3 Jahren dort gewesen) sind eine völlig natürliche Sache. Das ist unser Territorium und die Weise, wie wir uns dort umherbewegen, soll bei niemandem irgendwelche Fragen oder Gefühle hervorrufen.

Ich möchte hinzufügen, dass wir das Potential unserer Beziehungen mit Japan als einem großen und sehr wichtigen Nachbar im vollen Maße ausnutzen wollen. Wir entwickeln einen nützlichen und vertraulichen politischen Dialog. Die wirtschaftliche Kooperation entwickelt sich schneller, als bisher, und zwar nicht nur im energetischen Bereich: das sind sowohl „Sachalin-1", als auch „Sachalin-2" und verflüssigtes Erdgas. Wir sind bereit, Japan bei der Befriedigung seiner energetischen Bedürfnisse in den verschiedensten Formen zu unterstützen: mit Lieferungen von verflüssigtem Erdgas, Stromenergie, Kohle. Das ist besonders aktuell nach der Tragödie auf dem Atomkraftwerk „Fukushima-1", wo wir bei der Überwindung ihrer Folgen mit dem japanischen Folk solidarisch waren. Jetzt nehmen wir japanische Kinder zur Erholung auf.

Wir entwickeln auch andere Formen der modernen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. So sind die Japaner an der Beteiligung am Projekt „Skolkowo" interessiert. Die Mehrheit der japanischen Automobilhersteller lässt bereits ihre Autos in Russland montieren, das betrifft auch die landwirtschaftliche und Bautechnik. Somit ist Japan also ein für uns sehr wichtiger Partner.

Wir weichen niemals den Gesprächen über das Abschließen eines Friedensvertrags aus. Und obwohl wir diplomatische Beziehungen unterhalten, hat der Begriff des Friedensvertrags für uns bereits eine symbolische Bedeutung erhalten. Das einzige, was wir unseren japanischen Kollegen sagen, ist, dass man das Gespräch basierend auf den früher vereinbarten Prinzipien führen muss. Und zwar muss man es auf gegenseitig respektvoller Grundlage, unter Berücksichtigung aller geschichtlichen und rechtlichen Realien, die zum jetzigen Zeitpunkt existieren, und unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges – das ist eine unabdingbare Komponente des Dialogs – führen. Und man muss ihn in einer solchen Atmosphäre führen, wo die Steigerung der Emotionen von der einen und der anderen Seite ausgeschlossen wäre. Leider erklingen von der japanischen Seite manchmal Erklärungen, die unsere Anwesenheit auf diesem Territorium als etwas, das mit den historischen Fakten und mit rechtlichen Aspekten unvereinbar ist, charakterisieren. Wir können solche Ansätze nicht akzeptieren und sagen es unseren japanischen Kollegen offen. Wir sind für ein ruhiges Gespräch ohne einseitige Deutung der Geschichte und ohne Politisierung.

Frage: Ist eine Abschaffung des Visumregimes mit Georgien, das Hunderttausende einfacher Georgier der Möglichkeit beraubt, dass Territorium Russlands zu besuchen, möglich? Wie bekannt, kann der Präsident M. Saakaschwili nur auf Einladung einreisen.

S. Lawrow: Der Präsident M. Saakaschwili wird niemals und von niemandem nach Russland eingeladen. Dieser Mensch wurde aus der Liste unserer Partner, aus unserer Kontaktliste gestrichen. Er erteilte den Befehl, russische Friedenssoldaten zu morden und dazu auch die Bürger, die er für seine eigenen hielt – ich meine damit die Bevölkerung Südossetiens. Er hat doch gesagt, dass es sein Territorium ist, also waren es auch seine Bürger.

Was die Kommunikation der einfachen Bürger Russlands und Georgiens anbetrifft, so möchte ich daran erinnern, dass es nicht wir waren, die die diplomatischen Beziehungen mit Georgien abgebrochen haben – das war eine Initiative von M. Saakaschwili. Und es ist nicht unsere Schuld, dass unsere Kontakte jetzt begrenzt sind und wir nur die Sektion für Interessen Russlands bei der schweizerischen Botschaft in Tiflis und dementsprechend die Sektion für Interessen Georgiens bei der schweizerischen Botschaft in Moskau haben. Visa zum Zwecke der humanitären, kulturellen und akademischen Kontakte werden ausgestellt.

Frage: Warum kann man also das Visumregime nicht abschaffen?

S. Lawrow: Wir möchten zivilisierte Beziehungen mit anderen Ländern haben. Und wenn ein Staat die diplomatischen Beziehungen abbricht, so ist es einfach Nonsens, ein visumfreies Regime damit einzuführen. Unsere Kunst- und Kulturschaffenden haben sich viele Male an mich gewendet, wobei sie sich auf gemeinsame Projekte mit den georgischen Partnern beriefen. Es gibt keine Probleme: wir stellen Visa auf, Menschen kommen und arbeiten. Wir stellen Visa für die Besuche von Verwandten aus.

Frage: Im Lichte des Skandals mit dem Komplott gegen den Botschafter von Saudi-Arabien in den USA stellt ein Hörer aus Iran die folgende Frage: „Warum hilft Russland Iran nicht, die westlichen Sanktionen zu überwinden?"

S. Lawrow: Die Sanktionen, die von dem UN-Sicherheitsrat verabschiedet werden, müssen eingehalten werden. Die Sanktionen haben eine ganz einfache Ursache: Iran kooperiert nicht im notwendigen Maße mit der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEO), es antwortet nicht auf die rechtmäßigen Fragen, die die Agentur an die iranische Führungsspitze stellt. Die IAEO ist, neben der davon verwirklichten regelmäßigen Präsenz, an eine zusätzlichen Zugang in Übereinstimmung mit dem so genannten Zusatzprotokoll zum Typenabkommen zwischen Iran und der IAEO, das mit allen Mitgliedern des Nichtverbreitungsvertrags abgeschlossen wurde, interessiert. Es gibt zusätzliche Instrumente: das Zusatzprotokoll, es gibt den modifizierten Code 3.1. Das sind natürlich Technizismen. Das heißt, neben der höchst obligatorischen Sachen, die jeder Teilnehmer des Nichtverbreitungsvertrags der IAEO bereitstellen muss, gibt es auch solche fakultativen Normen.

Wenn man die zahlreichen Fragen zu seinem vorherigen Nuklearprogramm berücksichtigt, so könnte Iran der Agentur entgegenkommen, um so mehr da man von den Beschlüssen der IAEO und des UN-Sicherheitsrates genau dazu aufgerufen wird. Wir sind dafür, dass Iran alle diese Fragen regelt. Dann werden auch die Sanktionen aufgehoben.

Wir versuchen, Iran beim Verhandlungsprozess zwischen Europa, den USA, Russland und China von der einen Seite und Iran von der anderen, der jetzt ins Stocken geraten ist, zu unterstützen. Wir möchten, dass diese Verhandlungen vorwärts kommen. Zu diesem Zwecke haben wir eine Reihe von konkreten Maßnahmen vorgeschlagen, die dazu berufen sind, die Sache in Bewegung zu bringen, sodass Iran den ersten Schritt macht, zum Beispiel, die Anwendung des Zusatzprotokolls beginnt. Dann werden die Sanktionen gelockert. Dieses Thema wurde auf dem Astanaer Treffen von D. Medwedew mit M. Ahmadinedschad im Juni und während des Russland-Besuchs des iranischen Außenministers A.A. Salehi im August dieses Jahres besprochen. Das Gespräch wird fortgesetzt.

Neben den Sanktionen, die von dem UN-Sicherheitsrat verkündet werden und die Iran einzuhalten verpflichtet ist, existieren noch einseitige Sanktionen, die von den USA, der EU, Australien, Kanada, Japan und einigen anderen Ländern verabschiedet wurden. Einseitige Sanktionen helfen nicht, sondern schaden, weil sie die einheitliche Front spalten. Wenn man uns davon überzeugt, dass man wie ein Organismus, ohne Spaltung, handeln muss und wenn wir im UN-Sicherheitsrat solche Vereinbarungen erzielen, so kann niemand Ausnahmen aus dieser Position machen, weder hinsichtlich der Reduzierung von Sanktionen, noch ihrer Verstärkung. Sonst ist es keine kollektive Position mehr.

Darum bekommt Teheran das Gefühl, dass der Westen sich nicht ernsthaft einigen möchte, sondern mit allen Mitteln versucht, Iran und seine Wirtschaft zu ersticken. Ein solcher Ansatz provoziert eine Konfrontation, wir aber plädieren dafür, dass man jeden internationalen Partner, zu dem sich Fragen angehäuft haben, in einen Dialog einbeziehen und alles durch Verhandlungen lösen muss. Das ist der prinzipielle Unterschied zwischen unserem Ansatz und den Ansätzen einiger unserer westlichen Partner.

Frage: Wen möchte Russland in der Konfrontation des Obersten Rechtsgelehrten der Islamischen Republik Iran A. Chamenei und des Präsidenten M. Ahmadinedschad unterstützen?

S. Lawrow: Diese Frage zählt zur Kompetenz des iranischen Volkes. Sie haben regelmäßige Wahlen, die im Vergleich zu einigen Nachbarstaaten Irans durchaus demokratisch sind. Wenn unsere Staatsoberhäupter und Minister die Islamische Republik Iran besuchen, so organisiert die iranische Seite Treffen sowohl mit dem Präsidenten, als auch mit dem Obersten Rechtsgelehrten.

Frage: Erlauben Sie von der großen Politik zu einer utilitaristischen Frage zu wechseln, die viele Hörer bewegt und einer kurzen Antwort bedarf. Wann wird man die Schengen-Visa für russische Bürger abschaffen?

S. Lawrow: Ich hoffe, dass wir in der nächsten Zeit einen großen Schritt in dieser Richtung machen werden. Wir haben mit der Europäischen Union eine Reihe von konkreten gemeinsamen Schritten vereinbart: die Einführung von biometrischen Pässen, sowie Fragen im Zusammenhang mit der Registrierung von Ausländern. Diese Aspekte bedürfen einer normativen Gestaltung, sie müssen von beiden Seiten in eine Norm, in ein Gesetz verwandelt werden. Die entsprechende Liste soll von Russland und der EU im Dezember dieses Jahres auf dem gemeinsamen Gipfel in Brüssel gebilligt werden. In diesem Dokument sind die Antworten auf alle Fragen, die die EU im Laufe der letzten Jahre an uns gestellt hat, enthalten. Alle Antworten sind jetzt vorhanden.

Frage: Sind schon alle normativen Dokumente fertig?

S. Lawrow: Nein, dort ist alles aufgelistet, was man machen muss. Ich denke, das wird nicht Jahre, sondern Monate benötigen. Sobald alles sowohl unsererseits, als auch ihrerseits erledigt ist, werden wir die Arbeit an einem Übereinkommen über visafreien Reiseverkehr zwischen Russland und den Schengen-Staaten beginnen.

Frage: Sergej Wiktorowitsch, wie ist der Fristenplan dafür? Wann kann es gemacht werden?

S. Lawrow: Sobald der letzte der bereits vereinbarten Schritte erledigt wird.

Frage: Dauert es ein Jahr, zwei, fünf?

S. Lawrow: Ich denke, Monate. Ich meine, dass alles operativ geregelt werden kann. Unsere europäischen Partner schlagen vor, erstmal diese erschöpfende Liste vollständig zu erfüllen und dann zu sehen, wie man weiter handeln soll. Aber es ist uns unklar, warum man warten muss. Man muss nur alle genannten Punkte billigen und umsetzen. Russland ist der Meinung, dass wir nach der Billigung der Liste automatisch ein Übereinkommen unterzeichnen müssen, die westlichen Partner sagen aber wiederum: „Lasst uns abwarten und sehen". Ich hoffe, sie werden sich davon überzeugen, dass sie keine Argumente haben.

Frage: Bis wann werden Autos mit diplomatischen Kennzeichen auf den Straßen von Moskau Willkür treiben? Haben sie Sonderrechte?

S. Lawrow: Sie haben ein einziges Ausnahmerecht: eine Immunität, das heißt, sie dürfen nicht festgenommen werden. Zugleich sind solche Autos verpflichtet, ausnahmslos alle Verkehrsregeln, einschließlich der Einhaltung der Fahrspur, der Geschwindigkeitsbegrenzungen und der Nüchternheit hinter dem Lenkrad, zu befolgen. Sie haben keine besonderen Sonderrechte. Eine Ausnahme stellen Fälle der Ankunft von Delegationen dar, wenn Autos der Botschaften von Wagen der staatlichen Inspektion für Straßenverkehrssicherheit begleitet werden, die die Parameter für ihre Fahrweise durch die Stadt bestimmen.


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