Interview Außenministers Russlands Lawrow dem Fernsehsender „Westi 24“, Moskau, 7. Juli 2011
Frage: Gestatten Sie mit einer Frage zu beginnen, die viele Menschen beunruhigt, besonders die, wer nach Europa und die USA häufig reist, geschäftlich oder privat. Die Arbeit an der Einführung des visafreien Reiseverkehrs mit Europa bzw. der erleichterten Visavorschriften oder gar auch des visafreien Reiseverkehrs mit den USA hat schon begonnen. Wie ist der momentane Stand dieser Arbeit? Gibt es da Probleme?
Lawrow: Unsere Beziehungen mit der Europäischen Union nach dieser Problematik sind fortgeschrittener als die mit den USA. Es gibt ein entsprechendes voll geltendes Abkommen mit der Europäischen Union über die Erleichterung der Ausstellung von Visa. Momentan wird dessen Ergänzung vorbereitet. Es geht vor allem um die Erfassung einer breiteren Schicht unserer Bürger von dem erleichterten Verfahren der Ausstellung von Visa. Es soll greifbar sein, und rechne damit, dass die Arbeit an diesem Abkommen bis Ende des laufenden Jahres abgeschlossen wird.
Parallel wird ein Dialog über den Übergang zum visafreien Reiseverkehr mit der Europäischen Union geführt. Er kommt voran. Vor einigen Tagen fand dessen nächste Runde statt, die die Seiten bei der Abstimmung des gemeinsamen Verzeichnisses von Maßnahmen wesentlich weiter gebracht hat. Das ist ein neues Dokument. Darin werden ganz konkrete Sachen genannt, die Russland und die Europäische Union tun müssen. Sofern sie erfüllt sind - und es handelt sich um konkrete, erfüllbare, nicht abstrakte Sachen – gehen wir sofort zur Unterzeichnung des Abkommens über den visafreien Reiseverkehr über. Die Verhandlungen laufen recht gut.
Zu den USA. Während des Besuches des Vizepräsidenten Joe Biden in diesem Frühling in Moskau hat die russische Führung vorgeschlagen, über ein neues anspruchsvolles Ziel in unseren Beziehungen nachzudenken, das im Interesse der Russen und der Amerikaner liegt: Über den visafreien Reiseverkehr. Die Idee wurde nicht abgelehnt. Als ersten Schritt haben die Amerikaner vorgeschlagen, ein Abkommen über die Erleichterung der Visavorschriften vorzubereiten. Natürlich haben wir ihren Vorschlag befürwortet. Auf dem Treffen in Deauville Ende Mai haben sich die beiden Präsidenten Dmitri Medwedew und Barack Obama dafür ausgesprochen. Bald ist die Vorbereitung des Abkommens zu Ende. Es sieht mehrjährige Multivisa für Touristen und Unternehmer vor, sowie einjährige Multivisa für Personen, die Russland bzw. die USA zu offiziellen Zwecken besuchen. Momentan stimmen wir Termine für die Behandlung der Visaanträge ab (das ist notwendig, denn sonst kann es endlos dauern) und das Verzeichnis der Dokumente, die für den Visaantrag notwendig sind. Wir wollen natürlich, dass dieses Verzeichnis konkret und möglichst kurz ist.
Frage: In diesem Zusammenhang bezieht sich meine Frage auf den Visabereich zwischen Russland und Großbritannien. Viele russische Touristen und Unternehmer beschweren sich über die verzögerte Ausstellung von Visa. Es führt auf Großbritanniens Haltung zurück, die von britischen Amtssprechern bekanntgegeben wurde: Die Verhandlungen über den visafreien Reiseverkehr zwischen Russland und Großbritannien seien erst dann möglich, wenn Russland Andrej Lugowois Schuld des Mordes an Alexander Litwinenko anerkennt. Sind diese Ankündigungen gerechtfertigt?
Lawrow: Sie sind politisiert. Wir haben geprüft, ob die Ankündigungen der britischen Amtssprecher von den Medien richtig dargelegt wurden. Man sagt uns, dass sie falsch ausgelegt wurden und dass das Vereinigte Königreich die Erleichterung der Visavorschriften nicht an die Gerichtsverhandlung gegen Lugowoi knüpft, obwohl die Forderung ihnen Lugowoi auszuliefern, die Engländer nicht aufgeben. Die von Ihnen zitierten Ankündigungen rufen Fragen hervor. Die Forderung, Lugowois Schuld anzuerkennen, und das vor dem Abschluss der Untersuchung und vor dem Gerichtsurteil über die Schuld oder Unschuld, ist einfach falsch.
Wir haben unseren englischen Partnern längst vorgeschlagen, ein erleichtertes Verfahren für die Ausstellung von Visa einzuführen, weil sich das Abkommen mit der Europäischen Union nur auf die Schengener Staaten erstreckt und Großbritannien nicht zum Schengener Abkommen gehört. Es soll dem vor einigen Jahren mit der Europäischen Union vereinbarten Verfahren ähnlich. Das wäre nur logisch. Doch derzeit sind unsere Partner dazu nicht bereit. Sie sprechen nur von der effektiveren Anwendung der geltenden Vorschriften. Obwohl wie Sie gesagt haben, diese Vorschriften eine Menge Probleme hervorrufen. Die Menschen bekommen das Visum nicht rechtzeitig, obwohl sie den Antrag im Voraus eingereicht haben. Wir haben erfahren, dass London russische Bürger aufruft, das Visum drei Monate vor der Abreise zu beantragen. Das beschränkt im Wesentlichen die Verkehrsfreiheit, weil nicht alle genau wissen, was sie in drei Monaten machen werden.
Auf Ersuchen unserer Bürger habe ich einige solche Fälle persönlich geprüft. Menschen mit bezahltem Stipendium, bezahltem Studium konnten nicht zum Anfang des Studienjahres in den Londoner Schulen bzw. Universitäten kommen, weil sie das Einreisevisum nicht rechtzeitig bekamen. Das geht auf keine Kuhhaut. Unsere Partner gestehen, dass es nicht richtig ist. Bedauerlicherweise kommt es immer wieder vor.
Frage: Ein weiteres Thema in den Beziehungen Russland-Europa und Russland-USA, das viele interessiert und beunruhigt, ist die Raketenabwehr. Vor kurzem fand in Sotschi die auswärtige Sitzung des Russland-NATO-Rates statt. Wie bekannt werden die Verhandlungen im nächsten Jahr fortgesetzt. Welche Fragen werden auf der Agenda der nächsten Sitzung stehen? Welche Schwierigkeiten - auch unüberwindliche - gibt es, über die viele Politiker sprechen?
Lawrow: Auf der auswärtigen Sitzung der Botschafter des Russland-NATO-Rates (RNR) in Sotschi wurden keine schicksalsvollen Entscheidungen zur Problematik der Raketenabwehr getroffen. Es war auch nicht geplant. Es war eine ordentliche RNR-Sitzung. Besonderes an ihr war nur, dass es eine auswärtige Sitzung war. Solche Sitzungen fanden jedoch auch früher statt, u.a. 2003 in Russland. Die Aufgabe bestand darin, eine Reihe von Fragen vor Ort zu erörtern, insbesondere Sicherheitsaspekte, im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Es fanden entsprechende Präsentationen statt, beispielsweise zum Thema Verkehrssicherheit. Es handelte sich auch um Projekte, die Russland und NATO zusammen realisieren werden.
Die Botschafter können über das Thema Raketenabwehr nicht entscheiden. Dieses Thema wird auf hoher und höchster politischen Ebene behandelt. Es gibt Sondermechanismen, vor allem zwischen Russland und den USA, es gibt auch den Sondergesandten des Präsidenten der Russischen Föderation bei der NATO für Raketenabwehr Dmitri Rogosin.
Die Idee der Raketenabwehr in Europa hat Washington eingebracht. Momentan ist der Prozess des Anschließens der NATO an dieses globale US-Projekt im Gange. Wir müssen einsehen, dass dies ein amerikanisches Projekt ist, dessen „Design" ist amerikanisch. Europa kann es nur etwas ergänzen, durch nebensachliche Details. Aber sein Hauptinhalt, seine Substanz sind natürlich amerikanischer Herkunft.
Und deshalb ist Washington unser Hauptpartner. Wie ich schon gesagt habe, gibt es in der Präsidentenkommission eine entsprechende Arbeitsgruppe. Sie kommt regelmäßig zu Besprechungen zusammen. Neulich haben uns die Amerikaner vorgeschlagen, eine Erklärung zu verabschieden, die Aufträge zu einigen wichtigen Fragen geben soll, die vor dem Übergang zur praktischen Zusammenarbeit zu lösen wären. Wir haben diese Möglichkeit kurz vor Deauville erwogen. Dann haben jedoch die Amerikaner ihre eigene Initiative abberufen. Das kommt auch vor. Wir setzen den Dialog fort. Jetzt wird der Schwerpunkt auf politische Rahmenbedingungen gelegt, um mit der Behandlung von konkreten militärtechnischen und anderen Aspekten des Projekts zu beginnen.
In den Rahmenbedingungen sollen einige wichtige Sachen bestimmt werden. Erstens muss das ein gleichberechtigtes, gemeinsames Projekt sein. Es kann nicht auf der Analyse beruhen, die nur von einer Seite gemacht wurde (also von den USA). Es muss sich auf die gemeinsame Analyse, auf den gemeinsamen geistigen und militäranalytischen Beitrag stützen. Bisher ist es nicht gelungen.
Die Amerikaner sagen uns, dass das Design feststehe. Es passe ideal und tadellos für die Ziele der Raketenabwehr, und das System, das aufgrund dieses Designs entstehen werde, werde russische Sicherheitsinteressen keinesfalls verletzen. Wir sagen jedoch, dass wenn sie das Design nicht ändern wollen, dann sind die Möglichkeiten für die Zusammenarbeit viel enger. Unsere Analyse der Bedrohungen durch die Raketenverbreitung, woher diese Bedrohungen kommen können, wie ernst sie sind, wann sie für Europa, Russland und dann auch für die USA real werden, sieht anders aus.
Wir sagen, dass sich unsere analytischen Urteile unterscheiden. Wir sehen im amerikanischen Design, besonders auf der dritten und vierten Stufe des sogenannten adaptiven Herangehens, eine Möglichkeit für die Entwicklung einer militärischen Infrastruktur in Europa in der Nähe von unseren Grenzen. Und diese Infrastruktur kann für das russische strategische Potential Probleme schaffen. Deshalb schlagen wir vor, Garantien dafür zu vereinbaren, dass das zukünftige System weder gegen Russland noch gegen Teilnehmer dieses Systems ausgerichtet ist. Wir schlagen vor, Kriterien abzustimmen, um in der Praxis zu prüfen, ob das angekündigte Ziel des Projekts - die Abwehr der Bedrohungen durch Raketen von außerhalb des euroatlantischen Raums – tatsächlich eingehalten wird. Die Amerikaner sind dazu noch nicht bereit. Sie versichern uns, dass es keine Pläne gebe, dieses System gegen Russland zu richten. Sie verweisen aber darauf, dass im Senat der Administration verboten wurde, die zukünftige Entwicklung der Raketenabwehr auf irgendeine Weise zu beschränken. Also kann es auch eine fünfte, sechste, siebente usw. Stufen geben, und das macht das Projekt durchaus nicht berechenbar.
Unsere Haltung ist einfach: Wenn gesagt wird, dass das System nicht gegen Russland ausgerichtet ist, warum kann man es dann nicht zu Papier bringen? Bisher haben wir keine Antwort bekommen. Wir werden dieses Thema auf dem Treffen in Washington am 11.-13. Juli bestimmt anschneiden und hören, was uns unsere amerikanischen Partner sagen werden. Wir wollen nicht, dass dieses Projekt zur Konfrontation führt. Im Gegenteil, wir glauben, dass die Vorschläge, die Russland über unsere Sicht auf die gemeinsame Zusammenarbeit auf diesem Gebiet mehrfach machte, behandlungswert sind und für die Suche nach Kompromissen durchaus passen. Und diese Kompromisse werden die Interessen der USA, Europas und der Russischen Föderation nicht beeinträchtigen.
Wenn wir solch ein gemeinsames Projekt realisieren könnten, wäre es ein richtiger Durchbruch. Dann wären die Fragen der strategischen Stabilität die Überreste der Konfrontation los, die seit dem Kalten Krieg erhalten bleiben. Das würde unsere Beziehungen auf ein Niveau bringen, das man als bündnisnah bezeichnen könnte. Aber ich wiederhole: Diese Frage ist noch nicht gelöst. Wir wollen sie positiv lösen. Sie soll die strategische Stabilität nicht schwächen, sondern festigen.
Frage: NATO ist eine Militärorganisation, und Russland muss die vor ihr stehenden Militär- bzw. Verteidigungsziele ernst nehmen. Russland hat einige Vorschläge gemacht, die aus der russischen Sicht für die beiden Seiten passen würden, da sie Gewährung von Informationen über konkrete Bedrohungen vorsehen und Interessen keiner Seite beeinträchtigen. Sie haben gesagt, dass die USA eine Strategie in dieser Hinsicht vorschlagen, eine Entwicklungsstrategie, und diese nicht ändern wollen. Ist ihre Entscheidung ernst? Kann es sein, dass sie ihre Haltung ändern werden, zum Beispiel, in einem Jahr im Mai auf den Verhandlungen zu diesem Thema?
Lawrow: Sie meinen den NATO-Gipfel? Auf das, was in der NATO abläuft, können wir keinen Einfluss nehmen. Aber wir sagen Folgendes: Die Präsidenten aller Mitgliedsstaaten des Russland-NATO-Rates haben in Lissabon vereinbart, an einem gemeinsamen Projekt der Raketenabwehr zu arbeiten, und die Diskussionen in der NATO dürfen die Besprechungen im Russland-NATO-Rat nicht vorwegnehmen. Wir sehen das Gegenteil. Und trotz dem Versprechen, dass in der NATO alles transparent wird, hält man uns über die NATO-Diskussionen nicht auf dem Laufenden. Das haben wir auf dem Treffen mit den Partnern in Sotschi gesagt.
Sie haben uns versichert, dass es nicht beabsichtigt wird, etwas vor uns zu verbergen. Aber die Briefings finden nicht regelmäßig statt, und wenn, dann sind die Events schon vorbei, denen sie gewidmet sind. Die Amerikaner sagen uns, dass sie dieses System nicht ändern können. Sie schlagen einfach vor, auf der ersten Etappe, die Informationsressourcen zur Bedienung des Designs zu nutzen, das in Washington gebilligt wurde. Also, ich habe Ihnen schon gesagt: Das ist nicht das Herangehen, mit dem man durch die Konzentration unserer geistigen, militärtechnischen, informativen Möglichkeiten etwas Gemeinsames schaffen könnte, und gerade das wollen wir.
Frage: Entspricht der Neustart der Beziehungen zwischen den USA und Russland den Vorstellungen, die mit diesem Wort gemeint wurden, wenn es zuerst ertönte? Wird der Neustart auch nach dem Wechsel der US-Administration fortgesetzt, oder eine neue Administration wird etwas Neues mitbringen?
Lawrow: Ich habe zu diesem Thema schon gesprochen. Der Neustart ist nicht unser Begriff. Er wurde von der demokratischen Administration erfunden, die nach einem langen Regieren der Republikaner ans Ruder kam. In diesem Begriff kam das Verständnis der Demokraten, die in das Weiße Haus kamen, zum Ausdruck, dass man die Praxis der Bush-Regierung aufgeben muss, wenn auf der Ebene der ersten Personen sehr warme und sogar freundschaftliche Beziehungen herrschen, und Vereinbarungen erreicht werden, die auf die gleichberechtigte Zusammenarbeit ausgerichtet sind. Und in den unteren Stockwerken der Bürokratie werden diese warmen persönlichen Beziehungen und Vereinbarungen nicht in den praktischen Schritten realisiert. Wir haben darüber mit dem Präsidenten George Bush und mit der Staatssekretärin Condoleezza Rice, sowie mit anderen Mitgliedern der Administration öfters gesprochen, riefen sie auf, den prinzipiellen Vereinbarungen, die auf höchster Ebene erreicht werden, zu folgen. Das war nicht der Fall. Mehr noch, in den unteren Stockwerken wurden Schritte unternommen, die im Widerspruch zu den Versicherungen standen, die uns auf höchster Ebene gegeben wurden.
Als Präsident Obama den Neustart verkündete, hatten wir das Gefühl, dass er das Herangehen der früheren amerikanischen Administration ändern und die Beziehungen mit Russland systemhaft, fair aufbauen will. Wir fühlten, dass er will, dass alle Signale von oben die Ausführer erreichen. Und wir sehen, dass es meist gelingt. Nicht immer gelingt es uns alle Fragen zu lösen, aber wir fühlen wenigstens, dass sich unsere Partner auf verschiedenen Verhandlungsflächen und Stockwerken viel öfter um die Umsetzung von Vereinbarungen bemühen. Es gibt auch Ausnahmen: Ich habe die Raketenabwehr erwähnt. Der Dialog zu dieser Problematik läuft weiter, aber das ist wirklich ein sehr schwieriges Thema.
Ich kann also sagen, dass der Neustart funktioniert. Wir haben einen Partner, der sicherer, berechenbarer und konsequenter ist, und natürlich schätzen wir es. Dank den engen, kameradschaftlichen Beziehungen zwischen den Präsidenten Medwedew und Obama arbeiten wir auf einem höheren Niveau, und im Unterschied zu der Zeit der Bush-Administration sehen wir keine großen und offenen Hemmungen für die Impulse des Präsidenten auf den weiteren Etappen der bürokratischen Arbeit.
Frage: Eine weitere sehr wichtige Frage: Das Adoptionsabkommen zwischen Russland und den USA. Dieses Thema ist seit langem herangereift, infolge von vielen traurigen Geschichten, über die die Presse mitteilt. Wird es noch lange dauern, bis dieses Problem gelöst ist?
Lawrow: Sie haben recht. Dieses Problem reifte seit langem heran. Wir sagten den Amerikanern, dass für die weitere Zusammenarbeit im Bereich der Adoption rechtliche Rahmenbedingungen notwendig sind. Zuerst erwiderten sie, das sei unmöglich, da es der nationalen Gesetzgebung zuwiderlaufe. Wir waren gezwungen, die Frage in aller Schärfe zu stellen, besonders nach den Zwischenfällen, wie mit Artjom Saweljew, den seine Adoptivmutter nach Moskau mit dem Flugzeug fast wie ein Päckchen abgesandt hat. Es gab auch andere Fälle. Deshalb haben wir die Frage direkt gestellt: Entweder nehmen wir überhaupt keine Adoptionsanträge für russische Kinder von amerikanischen Familien oder schließt ein verpflichtendes Abkommen ab.
Diese Arbeit wurde begonnen, die Amerikaner haben das Signal wahrgenommen. Vor einigen Wochen fand die Schlusssitzung der Verhandlungsgruppe statt (zu dieser Gruppe gehören neben dem russischen Außenministerium auch das Ministerium für Bildung und Wissenschaft und der Bevollmächtigte des Präsidenten für Kinderrechte Astakhow). Das Abkommen ist fertig, momentan laufen in den beiden Ländern innere Verfahren ab. Ich hoffe, dass wir es in nächster Zukunft unterzeichnen werden. Das ist ein gleichberechtigtes und wirklich bilaterales Abkommen. Und darin ist festgelegt, dass auch russische Bürger das Recht auf die Adoption der Kinder in den USA haben.
Das Abkommen sieht einige wichtige Bestimmungen vor. Erstens ist es eine obligatorische psychologische Prüfung der potentiellen Adoptiveltern, da es eine ganze Reihe von Fällen gab, wenn russische adoptierte Kinder verprügelt oder vergewaltigt wurden. Das ist prinzipiell wichtig. Die Verantwortung für diese Prüfung tragen amerikanische Behörden. Zweitens ist die sogenannte unabhängige Adoption verboten, das heißt, dass man nur über eine akkreditierte Agentur adoptieren kann. Auch dafür ist die amerikanische Seite verantwortlich. Drittens werden alle unsere von den Amerikanern adoptierten Kinder bis zur Volljährigkeit die russische Staatsangehörigkeit behalten. Das ist wichtig, weil das Abkommen auch vorsieht, dass bei der Gerichtsverhandlung einer Seite im Zusammenhang mit der Adoption oder Ent-Adoption, die Gesetzgebung der anderen Seite beachtet wird. Das ist eine prinzipielle Bestimmung, weil früher die Amerikaner von der Beachtung der russischen Gesetzgebung nichts hören wollten. Es gibt eine weitere Reihe wichtiger Festlegungen, die aus meiner Sicht sichere Garantien, die Sicherheit gewähren, dass unsere Kinder unter würdigen Umständen leben werden, dass wir die Möglichkeit des Zutritts an sie haben und kontrollieren können werden, wie sie behandelt werden.
Frage: Zur Lage in Libyen. Russland hat seine Einstellung mehrmals angekündigt: Der Krieg muss gestoppt werden, und die Konfliktparteien müssen die vom UN-Sicherheitsrat angenommene Resolution 1973 einhalten. Doch wie uns Dmitri Rogosin erklärte, halten die an der Militäroperation teilnehmenden Seiten diese Resolution nicht ein. Gibt es einen konkreten Plan der Beilegung, der allen Konfliktparteien passen würde?
Lawrow: Davon, dass diese Resolution grob verletzt wird, haben sowohl der Präsident der Russischen Föderation, als auch der Regierungschef gesprochen. Das Außenministerium ist öfters auf grobe Verletzungen der Resolution aufmerksam geworden. Unsere Partner sagen sich von all dem los und verweisen auf den berüchtigten Paragraph der Resolution, in dem es heißt, dass jeder das machen kann, was er will. Sie haben diesen Paragraphen für sich selbst festgelegt. Wir haben verlangt, dessen Wortlaut zu ändern, zu konkretisieren, wer die Aufgabe der Sicherung der flugfreien Zone über Libyen erfüllen wird, welche Regeln und Grenzen der Gewaltanwendung zum Erreichen der gesetzten Ziele es gibt. Die flugfreien Zonen setzen zwei Sachen voraus: Gaddafi wird verboten, die Kampflugzeuge in die Luft zu heben, sonst werden sie zu einem legitimen Angriffsziel; wenn die libyschen Flugabwehrstellungen die Flugzeuge der Koalition orten, welche die flugfreie Zonen abfliegen, werden auch sie zu einem legitimen Angriffsziel. Und das wär‘s. So sah die eindeutige rechtliche Auslegung aus, als das Regime der flugfreien Zonen vom UN-Sicherheitsrat im Irak eingerichtet wurde. Die Überschreitung dieser zwei legitimen Ziele galt als ein grober Verstoß gegen das Mandat des UN-Sicherheitsrats. Sie wissen aber, welche Militärunterstützung die Aufständischen bekommen. Da braucht man nicht einmal ihre Formen und Mittel aufzuzählen. Sie gehen über die Rahmen des Regimes der flugfreien Zonen hinaus.
Wie man jetzt vorgehen soll? NATO, die die Erfüllung der Resolution übernommen hat, steckt in einer komplizierten Lage. Sie bombardiert Libyen länger, als seinerzeit Jugoslawien. Jugoslawien wurde, wenn ich mich nicht irre, 78 Tage lang bombardiert. Libyen mehr als drei Monate. Und das Ende ist nicht in Sicht. Politik ist eine ziemlich zynische Sache, und wenn wir aus den westlichen Hauptstädten hören, dass zu einem rühmlichen Ende bombardiert werden muss, bis Gaddafi keine Bedrohung für die zivile Bevölkerung darstellt, bis er alle seine Truppen in die Kasernen bringt, so ist der Preis solcher politischen Erklärungen im Hinblick auf menschliche Leben sehr hoch.
Nach Einschätzung von Militärexperten ist eine schnelle Lösung in Libyen unmöglich. Und es sterben Menschen von beiden Seiten, auch unschuldige Zivilisten, die diese Resolution eigentlich schützen soll. Ich glaube, gerade weil die Situation einen langwierigen Charakter genommen hat, haben unsere westlichen Partner, u.a. der französische Präsident Nicolas Sarkozy, den Präsidenten Medwedew auf dem G8-Gipfel in Deauville gebeten, Russland solle als Vermittler helfen. Wie Sie wissen, gewähren wir diese Hilfe.
Wir wollen nicht die Hauptrolle spielen. Der Sonderbotschafter des Präsidenten der Russischen Föderation für Afrika Mikhail Margelow kontaktiert mit allen Seiten, wir gehen jedoch von der Unterstützung der Friedensaktivitäten der Afrikanischen Union (AU) aus. Die Afrikanische Union hat einen Friedensplan, der jetzt nachgearbeitet wird. Vor kurzem fand ein AU-Gipfel in Äquatorialguinea statt. Präsident von Südafrika Zuma kam nach Sotschi, um dem Präsidenten Medwedew über die gefassten Beschlüsse zu erzählen. Auf dem Gipfel waren auch Vertreter der libyschen Behörden und der Aufständischen aus Benghazi anwesend. Präsident Zuma meint, dass sowohl die einen, als auch die anderen auf das vorgeschlagene Vorgehen positiv reagiert haben. Und sie haben sich verpflichtet, die Genehmigung ihrer Führer in Tripoli und Benghazi zu bekommen. Wir haben die Ergebnisse des Gipfels der Afrikanischen Union als einen Schritt in die richtige Richtung bewertet. Wir werden arbeiten, um eine Vereinbarung auf dieser Grundlage zu erreichen.
Frage: Zur Situation in Syrien und Jemen, die sich weiter entwickelt. Es ist nicht klar, was daraus resultieren kann. Bereitet Russland sozusagen vorwegnehmende Initiativen vor?
Lawrow: Jede Situation ist spezifisch: Unterschiedlich sind die Länder, auch der Einfluss jedes Landes auf die regionale Entwicklung ist unterschiedlich, obwohl der Einfluss jedes Landes groß ist. Noch vor kurzem war Jemens Rolle im Kampf gegen terroristische Organisationen in der Region einzigartig. Und wenn infolge der gegenwärtigen Krise die Fähigkeit Jemens, dem Terrorismus entgegenzustehen, geschwächt wird, wird es äußerst traurig.
Die Rolle Syriens in den Nahost-Angelegenheiten ist sehr groß. Das sind der Libanon mit seinen ernsten Problemen, auch die wichtige syrisch-israelische Komponente der Nahost-Regelung; das kurdische Problem und das Problem der innenislamischen Beziehungen der Schiiten (mit ihren zahlreichen Strömungen) und der Sunniten, die auch verschiedene Strömungen haben. In allen diesen Fällen sind Aktivitäten unzulässig, infolge deren zivile Bürger sterben. Wir haben es immer und offen gesagt und werden es künftig sagen. Aber man darf auch nicht zulassen, dass die Opposition zu gewaltsamen Methoden greift, man darf nicht friedliche Demonstranten zu Gewalttakten provozieren und friedliche Demonstranten zur Zielscheibe für die Polizei und Sicherheitskräfte machen.
Die Einstellung unserer westlichen Partner besteht darin, den Druck nur auf eine Seite auszuüben, nämlich auf die Regierung und den Präsidenten Assad. Wir halten es für falsch. Das verleiht der Opposition - einer militanten Opposition - die Illusion, dass wenn sie beharrlicher wird, so wird die Situation immer kritischer, und der Westen kommt zu Hilfe, wie es in Lybien ist. Es heizt radikale Stimmungen auf, und das nutzen verschiedene Extremisten für Provokationen. Wir halten es für absolut falsch. Wir wollen, dass in Bezug auf Syrien ein ähnliches Herangehen verwendet wird wie in Bezug auf Jemen. Zwar kam es auch dort zu schweren Zusammenstößen – zu erwähnen wäre da beispielsweise der Beschuss der Präsidentenresidenz, bei dem der Präsident schwer verletzt wurde, auch der Ministerpräsident, zwei Vizepremierminister, die Sprecher beider Kammern des Parlaments wurden verletzt. Doch niemand versucht, die Lage zu verschärfen, jemandes Partei zu ergreifen und die Frage in den UN-Sicherheitsrat zu schleppen. Die USA, die Europäische Union, der Kooperationsrat der Arabischen Staaten des Golfes, die UNO und wir vertreten den gleichen Standpunkt. Wir rufen die Macht und die Opposition in Jemen auf, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und zu vereinbaren, ohne einander die Schuld zuzuschreiben oder zu teilen, wer mehr und wer weniger haben soll. Wir werden uns daran auch in Bezug auf Syrien halten. Und wir glauben, dass unsere Partner die gleiche Haltung einnehmen sollen.
Frage: Die letzte Frage betrifft die wirtschaftliche Situation in Europa. Wie wirkt sie sich auf Russland aus? In dieser Formel gibt es natürlich viele Variablen. Das sind die neue Figur der geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde und die Entwicklung in Griechenland sowie in anderen europäischen Ländern, wo das Szenario ähnlich ist. Diese Probleme muss die Europäische Union auf irgendeine wahrscheinlich finanzielle Art lösen. Welche negativen Folgen kann das alles für das ganze Europa haben?
Lawrow: Sie verstehen, dass in dieser Frage das Außenministerium nicht die Hauptrolle spielt. Wir haben einen sehr starken Wirtschaftsblock in der Regierung. Meine Kollegen beschäftigen sich damit, sie berichten regelmäßig dem Regierungschef, dem Präsidenten Russlands.
Wir sind über alles, was um uns herum passiert, besonders im Euro-Raum, beunruhigt. Wir hören panische Prognosen, dass in Griechenland Default unvermeidlich ist, und der Euro-Raum stark geschwächt wird. Seinerzeit kam es in einigen Ländern zu den Aufrufen, aus der Eurozone auszutreten, zur nationalen Währung zurückzukehren. Es wäre nicht gut, wenn reale Entscheidungen von den Marktteilnehmern unter der Einwirkung der häufig künstlich verschärften Panik getroffen würden.
Wir sind überzeugt, dass die Europäische Union politischen Willen hat, das Problem, zu lokalisieren, zu verhindern, dass es sich in etwas Größeres verwandelt. Wir sind überzeugt, dass die EU die Bedeutung dieser Entwicklung nicht nur für ihre Mitgliedsstaaten, sondern auch für die globale Wirtschaft, für die Weltfinanzen versteht, im Hinblick auf die Rolle, die Euro als eine Währung des internationalen Verrechnungsverkehrs spielt. Ich bin überzeugt, dass auch der Internationale Währungsfonds die Bedeutung der gut durchdachten Schritte für die Stabilisierung versteht, und sich durch Emotionen, Aufschreie und Schluchzer nicht beeinflussen wird.
Wir werden am bevorstehenden G20-Gipfel aktiv teilnehmen und für die Beruhigung der Situation arbeiten. Die Vorbereitung auf den Gipfel ist im Gange. Die Situation mit den Krisenerscheinungen lässt uns einen sehr wichtigen politischen Schluss machen. Besonders aktuell ist heute die Aufgabe, die wir zusammen mit unseren BRICS-Partnern durchsetzen – die Reform des internationalen Währungssystems, das sich auf mehrere Zentren des Wirtschaftswachstums stützen soll und somit stabiler wird.