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Interview des Botschafters Russlands in Kuba, Andrej Guskow, für die Zeitung "Rossijskaja Gaseta", veröffentlicht am 27. November November 2019

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Frage: Worauf lässt sich die dermaßen intensive Entwicklung der bilateralen Kontakte zurückführen?

Antwort: Die hohe Intensität des russisch-kubanischen Dialogs ist durch mehrere Faktoren bedingt – sowohl bilaterale als auch internationale. Havanna ist unser wichtigster strategischer Partner und Verbündeter in Lateinamerika und der Karibik. Eine große Rolle für die Dynamik der gegenseitigen Kontakte spielen das in den letzten Jahren erreichte beispiellos hohe Niveau und der immer größere Umfang der russisch-kubanischen Zusammenarbeit. Wir sind durch unsere gemeinsamen Herangehensweisen an die wichtigsten Fragen der globalen und regionalen Tagesordnung vereinigt. In der aktuellen ziemlich angespannten Situation in der Welt ist es uns wichtig, die enge Koordinierung unserer Positionen zu sichern und zusammenzuwirken.

Frage: Im letzten Jahr wurde das Zusammenwirken Moskaus und Havannas nicht nur im politischen Bereich intensiver. Es wurden auch viele Vereinbarungen auf dem Wirtschaftsgebiet getroffen, neue Verträge unterzeichnet. Welche von den gemeinsamen Projekten sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig?

Antwort: Unsere Handels-, Wirtschafts- und Investitionskooperation mit Havanna geht tatsächlich immer aufwärts.

In den letzten Monaten wurde eine ganze Reihe von wichtigen bilateralen Abkommen und Verträgen unterschrieben. Während des Havanna-Besuchs des Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew im Oktober wurde ein Vertrag über den Wiederaufbau bzw. die Modernisierung der kubanischen Bahninfrastruktur zwischen der Firma RZD Engineering und dem Eisenbahnverband Kubas abgeschlossen, der den Umbau bzw. Reparatur von mehr als 1000 Kilometern Bahngleise, die Lieferung der entsprechenden Technik aus Russland, die Ausbildung der kubanischen Kader vorsieht. Das ist ein äußerst wichtiges Projekt für Kuba, das eine strategische Bedeutung hat. Es ist für zehn Jahre vorgesehen, und die Investitionen werden dabei 1,9 Milliarden Euro betragen. Übrigens ist dieses Projekt für RZD das größte im Ausland.

Darüber hinaus wurden im Rahmen des Besuchs bilaterale Dokumente über die Wartung von russischen Flugzeugen unterzeichnet, die von der kubanischen Fluggesellschaft Cubana de Aviación betrieben werden; über Lieferungen von Walzwerkanlagen für einen Hüttenbetrieb in der Stadt Las Tunas. Der Konzern Zarubezhneft  hat ein Testprojekt zur Förderung der Erdölabgabe des Ölfeldes Boca de Jaruco, so dass in Kuba zum ersten Mal Russlands neue Erfahrungen zur waagerechten  Bohrloch-Abteufung angewandt werden.

Während des Russland-Besuchs des kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel Ende Oktober wurde ein Zusatzprotokoll zum Abkommen über den Bau von vier Energieblöcken für die Heizkraftwerke „Máximo Gómez“ und „Habana del Este“ unterzeichnet.

Unter den symbolischen Projekten ist natürlich der Bau von Betrieben unweit von der kubanischen Hauptstadt erwähnenswert, wo LKW Ural, GAZ sowie Busse PAZ gebaut werden sollen. Übrigens sind das die ersten Betriebe, die in Kuba unter Mitwirkung Russlands in der postsowjetischen Zeit gebaut wurden.

Wir haben Pläne zum Ausbau der Kooperation praktisch auf allen Gebieten der kubanischen Wirtschaft.  Wir machen Erfolge bei der Umsetzung von gemeinsamen Projekten, unter anderem in Bereichen wie „grüne Energetik“, Landwirtschaft, Leichtindustrie, Wissenschaft bzw. Technik, Gesundheitswesen und Biopharmazie, friedliche Atomenergetik. Im letzteren Fall geht es um die Einrichtung eines Strahlungszentrums in Kuba.

Russische Unternehmen sind an intensiverer Beteiligung an der Erfüllung des kubanischen Nationalen Plans der sozialwirtschaftlichen Entwicklung bis 2030 interessiert, insbesondere unter Berücksichtigung des von den Partnern vor kurzem präsentierten Portefeuilles von Angeboten für ausländische Investoren für 2019 und 2020.

Frage: Viele Russen, vor allem ältere Menschen, erinnern sich immer noch an die sowjetisch-kubanische Freundschaft. Im Grunde ging es damals aus wirtschaftlicher Sicht nicht um eine beiderseitig nützliche Kooperation. Eigentlich waren das unentgeltliche Lieferungen von sowjetischen Waren nach Kuba. Besteht aktuell keine Gefahr, dass es zur Rückkehr zum damaligen Modell kommt? Inwieweit gerechtfertigt ist Russlands Präsenz auf der Insel aus wirtschaftlicher Sicht?

Antwort: Die russisch-kubanische Kooperation ist heutzutage pragmatisch und beiderseitig nützlich. Diese Vorgehensweise ist in den bilateralen Basisdokumenten verankert, unter anderem in der gegenseitigen Erklärung zu den Prinzipien der gegenseitigen Beziehungen, und sie wird auch praktisch umgesetzt.

Bei unserer Kooperation werden russische Kreditmittel intensiv verwendet. Aber unentgeltliche Lieferungen kommen nicht infrage.

Nach Kuba werden diverse russische Maschinen exportiert: Ölförderanlagen, Stromerzeugungsanlagen, Anlagen für Hüttenbetriebe, LKW KAMAZ, Ural, GAZ, Lada, Lokomotiven, Bahnwaggons usw. Entsprechende sind wichtig für unsere Unternehmen und haben Wachstumsperspektiven.

Es bestehen keine Zweifel, dass die Konkurrenz auf dem kubanischen Markt je nach der Aktualisierung des Modells der sozialwirtschaftlichen Entwicklung Kubas (und diese Aufgabe wurde von der Führung dieses Landes gestellt und wird auch intensiv in die Tat umgesetzt) immer schärfer wird.

Auf der Insel gibt es schon jetzt etliche Wirtschaftsprojekte, die sehr attraktiv für ausländische Geschäftskreise sind, insbesondere auf Gebieten wie Tourismus, Energiewirtschaft, Verkehrswesen, Industrie, Informationstechnologien, friedliche Atomenergetik, Pharmazie usw. Für uns ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass russische Unternehmen an diesen Projekten teilnehmen.

Frage: Kuba leidet schon seit 60 Jahren unter dem starken Wirtschaftsdruck seitens der USA, und in letzter Zeit wird die Blockade nur noch verschärft. Beeinflusst das die Beziehungen zwischen Havanna und Moskau?

Antwort: In der aktuellen Tagung der UN-Vollversammlung wurde unlängst mit 187 Stimmen (dafür haben praktisch alle Länder mit einer kleinen Ausnahme gestimmt) eine neue Resolution über die Notwendigkeit der Abschaffung der Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade Kubas seitens der USA verabschiedet. Das ist ein klares Zeichen für die Solidarität der Weltgemeinschaft mit Havanna, gegen das Washington nach wie vor seine einseitigen Zwangsmaßnahmen ergreift, die in letzter Zeit immer härter werden.

In dieser schweren Situation leisten wir unseren kubanischen Freunden die nötige Hilfe. Natürlich arbeiten wir daran, dass unsere Handels- bzw. Wirtschaftskooperation vor exterritorialen Sanktionsgesetzen geschützt werden.

Frage: In Russland redet man in letzter Zeit auf höchster Ebene immer öfter darüber, dass man im Welthandel auf den US-Dollar verzichten sollte, weil diese Währung sich diskreditiert hätte und weil sie von der politischen Konjunktur stark abhängt. Mit einigen Ländern handelt Russland bereits in den nationalen Währungen. Wie ist in dieser Hinsicht die Situation mit Kuba – gibt es solche Pläne?

Antwort: Ja, eine solche Möglichkeit wird gerade erwogen. Der Übergang zum Handel in nationalen Währungen könnte seine Resistenz gegen äußeren Druck wesentlich erhöhen.

Frage: Trotz der wesentlichen Erweiterung der russischen Präsenz in Kuba bleiben seine wichtigsten Handelspartner nach wie vor die EU und China. Wie beeinflusst diese Konkurrenz die Zusammenarbeit Moskaus und Havannas?

Antwort: Der internationale Handel hängt, objektiv gesehen, mit der Wirtschaftskonkurrenz eng zusammen. Und diese gilt bekanntlich als fördernde Kraft kommerzieller Verbindungen. Der kubanische Markt ist da keine Ausnahme. Russische Unternehmen sind bereit, ihn im Konkurrenzkampf gegen ausländische Unternehmen zu erschließen. Bei unserer Kooperation mit Havanna gibt es alle dafür nötigen Bedingungen.  Einen effizienten Dialog- und Kooperationsmechanismus macht dabei die bilaterale Kommission für Handels- bzw. Wirtschafts- und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit aus, deren 17. Sitzung im September in Moskau stattfand und Erfolg hatte. Ihr Ziel ist, die bilaterale Kooperation möglichst zu diversifizieren, unter anderem im Handelsbereich.

FrageKuba erlebt gerade die Zeiten von Veränderungen. Auf der Insel gibt es inzwischen eine neue Verfassung, in der Republik gibt es jetzt den Präsidenten; es wurde auch der Posten des Ministerpräsidenten wieder eingeführt. Teilweise wurde auch privates Eigentum legitimiert; es gibt auch mobiles Internet. Wird diese Modernisierung des gesellschaftspolitischen Lebens aus Ihrer Sicht noch weitergehen?

Antwort: Diesbezüglich bestehen keine Zweifel. Eine äußerst wichtige Aufgabe für den kubanischen Staat ist, sein sozialwirtschaftliches Modell zu aktualisieren, wobei der Hauptakzent auf neue Verwaltungsmethoden in der Volkswirtschaft gesetzt wird. Zu den Prioritäten gehört auch die Informatisierung der kubanischen Gesellschaft. Diese und auch andere Modernisierungsprozesse lassen sich auf die neue Verfassung der Republik zurückführen, die in diesem Jahr in Kraft getreten ist. Also sind die Fortschritte auf diesem Gebiet im Grundgesetz des Landes garantiert.

Aus unserer eigenen Erfahrung wissen wir, wie schwer der Weg zu solch umfassenden Erfahrungen ist. Ich wünsche unseren kubanischen Freunden, dass ihnen dieser Weg leicht fällt und dass sie dabei Erfolg haben.

Wir sind bereit, unseren Partnern aus dieser Sicht die nötige Unterstützung zu leisten. Es geht darum, dass den Kubanern russische Gesetzesmodelle auf verschiedenen Gebieten zur Verfügung gestellt werden, auf denen sie in Übereinstimmung mit ihrer Verfassung neue Gesetze verabschieden müssen.

Frage: Anfang dieses Jahres wurde der 60. Jahrestag der Kubanischen Revolution begangen. Dennoch bleiben viele Personen, die an den damaligen Ereignissen noch teilnahmen, immer noch an der Macht, bekleiden wichtige Posten. Glauben sie denn immer noch an die damaligen revolutionären Ideale? Ist in der großen Politik immer noch eine gewisse „Revolutionsromantik“ zu spüren? Oder ist das inzwischen nichts mehr als Attraktion für Touristen?

Antwort: In Kuba kümmert man sich aktiv um das revolutionäre Erbe. Das Gedenken an ihre „Apostel“, vor allem an den „Comandante“ Fidel, ist heilig. In diesem Sinne kann ich die Kubaner nicht in verschiedene politische Generationen aufteilen.

Aber wie in jedem anderen Land, gibt es neben der Verbindung der Zeiten und Generationen auch Unterschiede zwischen ihnen. Und das ist absolut normal und zeugt davon, dass sich Kuba in Übereinstimmung mit den in der ganzen Weltpolitik dominierenden Trends entwickelt.

Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich muss sagen, dass die Treue den Idealen der Revolution ist ein typischer Charakterzug für die kubanische Politik. Das ist sozusagen ihre Fahne.

Frage: Unter welchen Umständen haben Sie Raúl Castro kennen gelernt? Wie war Ihr erster Eindruck von ihm?

Antwort: Zum ersten Mal habe ich den Mann 2014 ganz nahe gesehen, als ich als Mitglied einer russischen Delegation Havanna besuchte und mich am Treffen Raúl Castros mit dem Delegationsleiter beteiligte. Der damalige Eindruck ist bei mir geblieben und sogar noch stärker geworden – nach den jüngsten Treffen Raúl Castros mit Dmitri Medwedew, Valentina Matwijenko, Nikolai Patruschew, an denen ich die Ehre hatte, teilzunehmen. Er ist immer noch ein sehr scharfsinniger und humorvoller Mann, der seinen Gesprächspartnern seinen Optimismus und seine Energie verleiht.

Frage: Sie sind Experte für lateinamerikanische Länder, stehen seit mehr als einem Jahr an der Spitze der russischen Botschaft in Kuba. Wie sind die Besonderheiten der Arbeit auf der „Insel der Freiheit“?

Antwort: Unsere Arbeitsbeziehungen mit den kubanischen Kollegen sind eng, vertrauensvoll und wirklich kameradschaftlich. Es besteht der Eindruck, dass wir in einem Team arbeiten, obwohl es bei der Suche nach optimalen, beiderseitig nützlichen Lösungen von diesen oder jenen Fragen der bilateralen Tagesordnung natürlich manchmal zu Diskussionen und sogar zu schwierigen Verhandlungen kommt. Aber dieser besondere Geist des kameradschaftlichen russisch-kubanischen Zusammenwirkens ist sehr wertvoll und hilfreich.