Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf Medienfragen während des Besuchs in Frankreich, Paris, 12. November 2021

2314-13-11-2021

 

Lassen Sie mich ein paar Worte über die heutige Sitzung der Außenminister und Verteidigungsminister der Russischen Föderation und der Französischen Republik im 2+2-Format sagen. Wir treffen uns in diesem Format nicht zum ersten Mal, doch für eine bestimmte Zeit gab es ziemlich lange Pause. Doch 2019 vereinbarten der Präsident Russlands Wladimir Putin und der Präsident Frankreichs Emmanuel Macron in Brégançon (Frankreich) diese Praxis wiederzubeleben. Wir trafen uns zunächst in Moskau, heute fand in Paris ein weiteres Treffen statt. Wir betrachten den Dialog im 2+2-Format als ziemlich aussichtsreich. Wir wissen das Streben des Präsidenten Frankreichs Emmanuel Macron, nach den Berührungspunkten zu den strategischen Fragen der Entwicklung der Ereignisse in der euroatlantischen Region zu suchen und seine Stimmung, mit Russland konstruktive und gegenseitig gewinnbringende Beziehungen aufzubauen, zu schätzen. In diesem Sinne tauschten wir Meinungen zur globalen Sicherheitssituation, Lage im Euroatlantischen Raum, in Afrika, im Nahen Osten, in der Asien-Pazifischen Region aus. Wir vermieden traditionell nicht die „scharfen Kanten“ und erörterten Sujets, bei denen unsere Herangehensweisen bei weitem nicht immer übereinstimmen und irgendwo auch einander widersprechen.

Unsererseits machten wir darauf aufmerksam, dass die Lage in der Welt ziemlich gespannt bleibt. Wir sehen den Grund darin im Streben von mehreren Staaten des Westens, ihre Dominanz künstlich zu festigen, die Architektur, die sich auf die Vereinten Nationen stützen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet wurde, zu zerstören und der globalen öffentlichen Meinung, Weltgemeinschaft eine „auf Regeln beruhende Ordnung“ aufzudrängen, die dem Völkerrecht direkt entgegengesetzt wird.

Dazu gehören auch die Versuche, die Entwicklung Russlands abzuschrecken. Sie werden von der Nato und den Amerikanern direkt erklärt und umfassen ziemlich aggressive Handlungen der Nato gegenüber unserem Land. In den letzten Tagen gab es sehr viele Beispiele dafür. Das ist der Aufbau der zusätzlichen Kräfte um das Schwarze Meer, Entsendung der Kampfschiffe in „ungewöhnlichem Ausmaß“ in diese Region, und andere ziemlich kriegslüsterne Handlungen.

Wir sahen das Streben unserer Gesprächspartner, den Kurs der EU bei den Beziehungen zu Russland zu stärken und zu festigen, der sich seit vielen Jahren nicht ändert. Er bedeutet in seinem wichtigsten Punkt, dass die EU zur Normalisierung der Beziehungen bereit ist, sobald Russland die Minsker Abkommen erfüllt. Wir zeigten an Beispielen die Absurdität dieser Behauptung. Wir lasen erneut entsprechende Punkte der Minsker Abkommen, wo es schwarz auf weiß geschrieben ist, dass man eine ganze Reihe der Dinge zwischen Kiew, Donezk und Lugansk abstimmen soll, einschließlich des Sonderstatus dieser Gebiete, das Verfahren der Durchführung der Wahlen dort, Amnestie u.v.m.

Wir schlugen vor, die Wege zur Überwindung der Sackgasse zu besprechen, die sich in den Beziehungen zwischen uns und der EU bildete. Wir erinnerten daran, dass wir einst die Idee begrüßten, die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufgebracht wurde – die Idee der Bildung der europäischen Sicherheitsarchitektur zusammen mit Russland und nicht als Gegengewicht zu unserem Land. Am wichtigsten ist es unseres Erachtens, dass diese richtigen Worte in praktische Taten umgesetzt werden. Es ist klar, dass es in der EU wie auch in der Nato eigene innere Disziplin, so genannte Solidarität gibt. Allerdings bleibt die Frage bestehen.

Heute sprach ich am Rande der Libyen-Konferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel. Er betonte sein Interesse an der Suche nach den Wegen, um unsere Beziehungen aus der tiefen Sackgasse, in dem sie sich wegen der vom Westen getroffenen Maßnahmen, als im Jahr 2014 einige den durch Ultraradikale in der Ukraine organisierten Staatsstreich unterstützt und andere sich damit abgefunden hatten, erwiesen, herauszubringen. Wir spüren seine Ergebnisse noch bis heute. Dieser Kurs besteht darin, dass es sehr schwer ist, unsere Kollegen in der EU (ich meine jetzt nicht Frankreich) von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Beziehungen ausschließlich auf den Prinzipien der Gleichberechtigung und Gleichgewicht der Interessen auszubauen. Wir sind zu einem solchen Zusammenwirken bereit. Wir bestätigten das auch auf dem Treffen mit französischen Kollegen sowie bei meinen Kontakten mit Charles Michel.

Die strategische Stabilität wurde unter anderem im Kontext jener neuen Herausforderungen, die nach dem Austritt der USA aus dem INF-Vertrag, Vertrag über den Offenen Himmel entstanden, ausführlich besprochen. Wir bestätigten die Absichten, weiterhin ein ausschließlich zurückhaltendes Herangehen zu zeigen, keine künstlichen Probleme zu schaffen. Wir werden auf unfreundschaftliche Schritte, die vom Westen unternommen werden, reagieren, spiegelartig und bei Bedarf auch asymmetrisch vorgehen.

Wir machten auf die Initiative des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, der ein einseitiges Moratorium für die Stationierung der durch INF-Vertrag verbotenen bodengestützten Raketen bis in entsprechenden Regionen der Welt keine solchen Systeme der US-Produktion auftauchen, verhängte, aufmerksam. Gleichzeitig machten wir auf unsere ernsthaften Besorgnisse über die Aussichten des Übergangs des Wettrüstens in den Weltraum aufmerksam. Solche Pläne wurden offen von den USA bekanntgegeben. Vor kurzem brachte auch die Französische Republik eine ähnliche Initiative ein.

Wir, wie auch französische Kollegen, bestätigen die Alternativlosigkeit des Minsker Maßnahmenkomplexes. Doch die Deutung des Maßnahmenkomplexes ist unterschiedlich. Unsere Kollegen beharren immer mehr darauf, dass gerade Russland sie erfüllen soll. Die Sinnlosigkeit und Unbegründetheit solchen Herangehens ist für jeden Mensch offensichtlich, der zumindest einmal den Text der Minsker Abkommen, die durch Resolution des UN-Sicherheitsrats gebilligt wurden, selbst kurz gelesen hat. Demnach sollen Kiew, Donezk und Lugansk eine ganze Reihe wichtiger Fragen, von denen die Regelung der innerukrainischen Krise abhängt, abstimmen. Wir riefen Paris zusammen mit Berlin erneut dazu auf, die ukrainischen Behörden zur Erfüllung der übernommenen internationalen Verpflichtungen nicht einfach zu bewegen, sondern zu zwingen. Wir machten auf einen absolut unannehmbaren Kurs Kiews, der de facto in der Teilung der eigenen Staatsbürger in Menschen verschiedener Sorte besteht, aufmerksam. Wir erinnerten an eine ohne Reaktion im Westen gebliebene auffallende Aussage des Präsidenten Wladimir Selenski darüber, dass wenn sich jemand in der Ukraine als Russe empfinde, sollte er in die Russische Föderation abhauen.

Wir haben keine Antwort auf diese Fakten sowie auf viele andere, einschließlich der Vorbereitung eines weiteren Gesetzes in der Ukraine, das die Minsker Abkommen nach den Bildungs- und Sprachgesetzen zerstören wird, gehört. Ich meine den Entwurf des Gesetzes „Über die Grundlagen der Staatspolitik der Übergangszeit“, der von der Regierung der Ukraine eingereicht wurde. Es war beschämend für die Venedig-Kommission, dass sie ihn als mehr oder weniger normal einstufte. Sie ist sogar nicht dazu gekommen, zu vergleichen, was in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, und die Anforderungen der Minsker Abkommen bzw. Resolution des Sicherheitsrats. Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, wird Kiew damit den Austritt aus dem Maßnahmenkomplex erklären. Ich würde daran erinnern, dass die Franzosen und Deutschen uns auf einem sehr hohen Niveau zusicherten, dass sie alles machen werden, damit dieses Gesetz nicht verabschiedet wird. Doch bislang wurden keine Handlungen unternommen. Wie wir es nach den Ereignissen in der Obersten Rada sehen, läuft aktiv der Prozess der Billigung dieses Gesetzentwurfs.

Wir sprachen über das iranische Atomprogramm. Hier haben wir Aussichten eines konstruktiveren Zusammenwirkens. Für den 29. November ist die Wiederaufnahme der Verhandlungen der Teilnehmer des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans zur Regelung der Situation um das iranische Atomprogramm geplant. Wir werden dafür eintreten, dass die Vereinbarungen, die im Rahmen dieses Dokuments 2015 abgeschlossen und durch Resolution des Sicherheitsrats gebilligt werden, in vollem Umfang wiederaufgenommen werden. Das sieht die Rückkehr der USA zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen, unter anderem die Aufhebung aller Sanktionen, die im Kontext des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans eingeführt wurden, vor.

Es wurde großes Augenmerk auf die Nahost-Regelung gelegt. Es gibt ein gemeinsames Format - das Quartett der internationalen Vermittler: Russland, EU, UNO und USA. Leider ist es bislang nicht geschafft worden, die Arbeit dieses Formats wiederaufzunehmen, weil die USA nicht dem Vorschlag zustimmen, dies schnellstmöglich zu machen. Inzwischen verschärft sich die Situation in den palästinensischen Gebieten, die humanitäre Krise im Gazastreifen verschlimmert sich. Wir sind bereit, zusammen mit französischen Kollegen zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Mal sehen, was sich daraus ergeben wird. Es wurde zumindest von uns vereinbart.

Wir sprachen auch über Syrien-Fragen. Es gibt Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die erfüllt werden sollen: sowohl die Grundsatz-Resolution, die die wichtigsten Pfeiler der Regelung skizzierte, als auch die Resolution, die in diesem Sommer verabschiedet wurden, die die Erweiterung der humanitären Hilfe erfordert und was noch wichtiger ist, die Abschaffung jeglicher Hindernisse auf dem Weg der Unterstützung Syriens bei der Umsetzung der Projekte zum frühen Wiederaufbau vorsieht. Gemeint sind die Systeme der Energieversorgung, Bildung, Gesundheitswesen, Wohnungsbau.

Es wurde die Situation in Libyen besprochen. Es fand eine internationale Libyen-Konferenz, die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einberufen wurde und mit der Verabschiedung eines umfassenden Dokumentes endete, statt. Dieses befindet sich bereits im Umlauf, man kann einen Einblick darin gewinnen. Dieses Dokument läuft im Sinne der Beschlüsse der vorherigen Konferenzen zu diesem Thema, einschließlich der Berliner Konferenz im Juni dieses Jahres. Das Wichtigste an diesen Beschlüssen ist der Aufruf an die libyschen Seiten, dem Zeitplan zu folgen, den sie selbst vor einem Jahr vereinbarten, vor allem bezüglich der Durchführung der allgemeinen Wahlen, sowohl Präsidentschafts- als auch Parlamentswahlen. Zudem soll der inklusive Charakter dieses Wahlprozesses gewährleistet werden, damit Vertreter aller Schichten und politischer Gruppen der libyschen Gesellschaft an dem Wahlrennen teilnehmen können.

Es wurde die Situation in der Sahara-Sahel-Region angeschnitten, darunter im Kontext der Umstationierung der sich dort befindlichen französischen Streitkräfte, darunter aus Mali. Das sorgte für Besorgnisse der malischen Führung darüber, dass die Franzosen die Gebiete im Norden des Landes verlassen wollen, wo jetzt die Aktivierung terroristischer Gruppen zu erkennen ist. Wir erklärten die Situation um die regelmäßigen Vorwürfe gegen Russland wegen der Förderung gewisser Kontakte zwischen der Führung Malis und der einer russischen privaten Militärfirma. Es wurde die Unbegründetheit dieser Vorwürfe aufgezeigt. Es wurde betont, dass im Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit eine militärtechnische Unterstützung an Mali geleistet und bei der Organisierung der Arbeit der Sicherheitsdienste Malis und der malischen Armee geholfen wird. Was die privaten Militärfirmen betrifft, führten wir Fakten an, die beweisen, dass dieses „Phänomen“ gar nicht in Russland, sondern im Westen entstand. Es wurden Beispiele des Funktionierens solcher privater Militärfirmen, die aus den USA, Großbritannien, Frankreich stammen, aufgezählt. Es gibt sehr viele von ihnen. Das Ausmaß der Arbeit unserer westlichen Kollegen ist nicht damit vergleichbar, was von privaten Militärfirmen gemacht wird, die von russischen Staatsbürgern gegründet wurden. Wir sprachen uns dafür aus, die Anstrengungen gegen Terrorgruppierungen in der Sahara-Sahel-Region zu bündeln. Sie sind dort sehr aktiv seit der Zeit, als der Westen Libyen zerbombte, seiner Staatlichkeit beraubte. Wir versuchen jetzt, diese Staatlichkeit wiederherzustellen. Das alles erfordert ständige Anstrengungen.

Wir sprachen auch über die Zentralafrikanische Republik. Wir haben gute Erfahrungen der Zusammenarbeit mit Frankreich im UN-Sicherheitsrat. Vor kurzem wurde eine Resolution verabschiedet (wir haben sie mit Paris ziemlich ausführlich besprochen), die die Liste der Waffen, auf die sich ein benachrichtigendes Verfahren zur Lieferung an Zentralafrika, erweitert. Das ist äußerst wichtig im Kampf dieses afrikanischen Landes gegen die Terrorgefahr.

Wir besprachen die Situation auf dem Balkan. Es wurde die Aufmerksamkeit der französischen Kollegen darauf gelenkt, dass der Westen in Bosnien und Herzegowina, wo der Leitende Ausschuss des Rats zur Erfüllung der Dayton-Vereinbarungen (daran nehmen Russland und Frankreich teil) funktioniert, in der letzten Zeit versucht, absolut illegitime Beschlüsse, darunter zur „Ernennung“ eines neuen Hohen Vertreters durchzusetzen. Das ereignete sich vor einigen Monaten als grober Verstoß gegen die Verfahren, die durch die Dayton-Vereinbarungen festgelegt worden waren, die die Zustimmung aller drei staatenbildenden Völker erfordern, sowie als Verstoß gegen das Verfahren, das die Billigung eines solchen Beschlusses nicht nur durch drei bosnischen Völker, sondern auch durch den UN-Sicherheitsrat vorsieht. Wir machten darauf aufmerksam, dass der Weg, den die westlichen Partner gehen, indem das Fundament der Existenz der Serben, Bosniaken und Kroaten im Rahmen eines einheitlichen Staates untergraben wird, ziemlich riskant ist.

Es wurde betont, dass an der anderen „Balkan-Front“ (ich meine das Kosovo) die EU, die die Funktionen eines Vermittlers der UN-Generalversammlung hat, nicht die Beschlüsse erfüllen kann, die mit ihrer Unterstützung zwischen Belgrad und Pristina bereits 2013 getroffen wurden. Ich meine den Beschluss über die Bildung der Gemeinschaft serbischer Munizipalitäten des Kosovo. Das ist eine prinzipielle Frage, die es den Serben ermöglicht, ihre Identität in dieser Region zu bewahren. Es ehrt die EU, dass sie es zuvor geschafft hatte, eine solche Vereinbarung zu gewährleisten. Doch dass die EU jetzt von Pristina die Erfüllung seiner Verpflichtung nicht erreichen kann, ist ziemlich anschaulich.

Wir besprachen die Situation in Afghanistan. Wir haben gemeinsame Herangehensweisen über die Notwendigkeit für die Taliban, alle Erklärungen, die von ihnen nach der Machtübernahme gemacht wurden, zu erfüllen.

Wir schnitten das Thema der Bergkarabach-Regelung im Kontext der Tätigkeit der Kovoristzenden der Minsker OSZE-Gruppe an, das sind Russland, Frankreich und USA. Vor einigen Tagen fand in Paris ein Treffen der drei Kovorsitzenden mit den Außenministern Armeniens und Aserbaidschans statt. Alle unterstützten die Vereinbarung, die am 9. November 2020 von Präsident Russlands, Wladimir Putin, Präsident Aserbaidschans Ilham Alijew und Premierminister Armeniens, Nikol Paschinjan, erreicht wurde. Es wurden Fortschritte bei der Tätigkeit der russischen Friedenstruppen, bei der Lösung zahlreicher humanitärer Fragen verzeichnet. Es wurde eine ganze Reihe von Richtungen skizziert, in denen mehr gemacht werden sollte. In diesem Sinne wird die Tätigkeit der Kovorsitzenden in nächster Zeit auf die Lösung der humanitären Fragen, Schaffung von Bedingungen, dass die armenische und aserbaidschanischen Gemeinden in der Region untereinander eine Atmosphäre des Vertrauens herstellen, die Alltagsfragen im Sinne konstruktiver Kompromisse lösen, gerichtet sein.

Wir sahen uns den Terminplan unserer weiteren politischen Kontakte an. Es wurde das gegenseitige Interesse an der Fortsetzung des 2+2-Formats ausgedrückt.

Ich möchte betonen, dass die französischen Kollegen das Thema Migrantenkrise an der Grenze von Belarus und Polen, Lettland, Litauen ansprachen. Es wurde die Situation erklärt, in der es keine Doppelstandards im Vergleich dazu, wie man mit Migranten in anderen Ländern der EU und nicht an der Grenze von Belarus umgeht, geben sollte. Man sollte mit einem Kurs vorgehen, indem die grundlegenden Prinzipien des internationalen humanitären Rechts vollständig respektiert werden. Ich denke nicht, dass wir unsere Kollegen überzeugt haben. Doch zumindest haben wir die Argumente, die sie nicht bestreiten konnten. Sie riefen uns nur dazu auf, dabei zu helfen, Minsk dazu zu bewegen, dieses Problem zu lösen. Doch das hängt bei weitem nicht nur von Minsk ab. Hier sollte es noch ein konstruktives Herangehens der EU geben. Wir sprachen darüber heute mit dem Präsidenten des Europäischen Rats Charles Michel.

Frage: Wonach richten sich Polen und einige andere EU-Mitgliedsstaaten, wenn sie Russland beinahe die Schaffung einer Migrationskrise an der weißrussisch-polnischen Grenze vorwerfen? Womit kann Russland auf diese Vorwürfe und auf potentielle Sanktionen gegen das Flugunternehmen Aeroflot antworten? Haben Sie heute diese Vorwürfe besprochen?

Sergej Lawrow: Russland sollte sehr einfach reagieren: Man soll die ganze Wortemacherei und scharfe, arrogante Erklärungen, die durch russlandfeindliche Instinkte verursacht wurden, ignorieren.

Von Aeroflot war nicht einmal die Rede. Alle wissen, dass es Unsinn ist. Es ist sehr einfach, die Vorwürfe mit öffentlich zugänglichen Informationen, darüber wie, wohin und woher Aeroflot fliegt, zu vergleichen. Doch dazu sollte man zumindest versuchen, die Situation zu klären.

Wir erinnerten daran, dass wenn man darüber spricht, wie die EU eine gewisse Situation klärt, es im Juni einen Vorfall mit einem Ryanair-Flugzeug gab. Der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, schlug nach Vorwürfen sofort vor, Konsultationen unter Teilnahme von Experten durchzuführen. Die EU weigerte sich, führte Sanktionen gegen Belarus ein, und rief danach zu einer objektiven Untersuchung durch die Internationale Zivilluftfahrtorganisation auf. Sie ist bis heute nicht abgeschlossen. Die angekündigten Fristen ihres Abschlusses wurden schon zum zweiten Mal verschoben. Sie wird kaum bis zum Jahresende abgeschlossen.

Ich sagte heute dem Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel, dass wenn sie an der Lösung der Fragen, die zwischen ihnen und der Republik Belarus entstehen, interessiert sind, sollte man wählen: entweder wollen sie Konsultationen, wie das dem Präsidenten von Belarus Alexander Lukaschenko die Bundeskanzlerin Deutschlands Angela Merkel vorschlägt, oder sie wollen ihre Stärke und Aggression demonstrieren und das Land mit illegitimen Sanktionen belegen. Mir scheint, dass das Gespräch zu diesem Thema fair und offen sein sollte. Ich hoffe, dass vernünftige Vertreter der EU das verstehen, diese Argumente hören. Doch leider, wie es schon mehrmals der Fall war, ist in der EU die aggressive Mehrheit am Steuer.

Frage: Wurde während der heutigen Kontakte mit der französischen Seite die Möglichkeit der Anerkennung des russischen Impfstoffs Sputnik V besprochen?

Sergej Lawrow: Nein, das wurde nicht besprochen. Aber wir behalten dieses Thema im Auge. Die französische Seite gehört zu den Ländern in der EU, die auf einen WHO-Beschluss wartet. Er wird aus einigen objektiven sowie mehreren subjektiven Gründen verzögert. Unsere entsprechenden Strukturen arbeiten zusammen mit der EMA, WHO.

Eine ganze Reihe von EU-Ländern, darunter Ungarn, hat beschlossen, unseren Impfstoff anzuerkennen. Wir haben ein konkretes Problem in diesem Zusammenhang. Unsere Diplomaten, die in Frankreich tätig sind, können nicht ihre Funktionen frei erfüllen. Von ihnen werden alle zwei Tage PCR-Tests gefordert, was wir gegenüber französischen Diplomaten in Moskau nicht fordern. Sie lassen sich mit jedem beliebigen Impfstoff impfen und können ruhig ihre Funktionen erfüllen, sich in Moskau und anderen Städten bewegen. Ich denke, dass wir diese Frage lösen werden.

Zum Schluss bei der Antwort auf diese Frage möchte ich sagen, dass wir an der Arbeit mit der EU interessiert sind. Dass es Themen dazu gibt, und sie nicht ausgeklügelt, sondern ziemlich real und akut sind, bestätigt die Covid-19-Situation. Wir sollten uns zusammentun, kommerzielle Interessen beiseite schieben. Russlands Präsident Wladimir Putin schlug bereits im April dieses Jahres vor, für die Zeit des Kampfes gegen Pandemie auf den Patentschutz aller Impfstoffe zu verzichten. Darauf folgte keine Reaktion. Es ist bedauerlich, dass viele unter Bedingungen solchen globalen Unglücks sich bemühen, nur zugunsten sich selbst und auf Kosten der anderen zu spielen. Doch unsere Entschlossenheit, Bereitschaft zur Aufnahme der konstruktiven Beziehungen mit der EU, die von ihr selbst zerstört worden waren, bleiben bestehen.

Heute erwähnten wir Klima, Gesundheitswesen, grüne Wirtschaft, Digitalisierung u.a. Wir besprachen diese Fragen bereits im Februar, als der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, nach Moskau reiste. Damals schien es, dass wir diese Themen für die Aufnahme einer konkreten Arbeit abstimmten – nicht einfach mit Mottos, sondern damit die Experten sich setzen und konkrete Projekte beginnen. Doch bislang wird nichts geschafft. Ich denke, dass da sich die Trägheit der russlandfeindlichen Minderheit zeigt, die ihren Kurs allen vernünftigen, zurechnungsfähigen Mitgliedern der EU aufdrängt.

Frage: In der heute nach der Internationalen Libyen-Konferenz verabschiedeten Erklärung ist ein Punkt über den Abzug der Söldner und militärischen Einheiten von Drittländern aus Libyen enthalten. Besteht ein Verständnis davon, wie das erfolgen soll im Kontext davon, dass die Türkei darauf beharrt, dass ihre Präsenz im Lande legitim ist? Haben Sie keine Befürchtungen, dass die Wahlen in Libyen am 24. Dezember wegen einer harten Position Tripolis torpediert werden können?

Sergej Lawrow: Ich werde nicht über die Wahlen spekulieren. Es gibt „Hinweise“, dass mehrere libysche Politiker die vor einem Jahr im Rahmen der Roadmap der friedlichen Regelung erreichten Beschlüsse korrigieren möchten. Unter anderem das Prinzip der Bildung der Kandidatenliste revidieren u.a. Doch man sollte sich da nicht auf der Anhänglichkeit an ein bestimmtes Datum, zumal es ziemlich künstlich gewählt wurde, sondern auf einer qualitativen Vorbereitung des Wahlprozesses konzentrieren, damit diese Wahlen keine Chance für jemanden bieten, sie in Zweifel zu stellen. In diesem Sinne halte ich es für wichtig (wir sprachen heute darüber), dass alle politischen Kräfte die Möglichkeit haben, ihren Kandidaten zur Teilnahme an diesen Wahlen aufzubringen darunter Anhänger des Gaddafi-Regimes.

Was den Abzug der ausländischen Truppen, Streitkräfte betrifft, bestätigte der heutige Beschluss die Formel, die im Schlussdokument der Berliner Konferenz vom Juni dieses Jahres enthalten ist, sowie die Formel, die vor einiger Wochen vom Militärausschuss der libyschen Seiten (s.g. 5+5-Format) in seinen Beschlüssen festgelegt wurde. Der Abzug soll vollständig sein, dabei soll er schrittweise und unbedingt synchronisiert in Bezug auf den Abzug jener, die den Westen und den Osten Libyens unterstützen, erfolgen. Hier ist es wichtig, das Gleichgewicht auf dem Boden nicht zu verletzen. Gerade es lässt seit mehr als einem Jahr die Waffenruhe aufrechterhalten. Wenn sie jetzt verletzt wird (hoffentlich wird es dazu nicht kommen), wird das Risiko der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen zunehmen. So ist unsere Position.

Frage (übersetzt aus dem Englischen): Frankreich spricht immer öfter über die Notwendigkeit des Ausbaus der Kräfte im Informationsraum. So sprach der Stabschef der französischen Streitkräfte, Thierry Burkhard, im jüngsten Interview für Le Point von einem „hybriden Krieg“ und dass der Informationskampf ein Teil des Kampfes um Einfluss sei (im Kontext Russlands führte er die Rückkehr der Krim nach Russland als Beispiel an). Die Situation an der weißrussisch-polnischen Grenze wurde von Polen bereits als „klassisches Beispiel“ eines solchen Kriegs bezeichnet. Wir würden Sie solche Erklärungen kommentieren? Wurden mit der französischen Seite die Fragen des Sendebetriebs von RT in Frankreich besprochen?

Sergej Lawrow: Ich verstehe, warum Sie diese Frage an mich stellen. Sie sind anscheinend nicht imstande, sie an die französische Führung selbstständig zu stellen, weil Sie am Élysée -Palast nicht akkreditiert werden, richtig?

Heute machten wir unsere Gesprächspartner darauf aufmerksam, dass dieser Fakt sowie viele andere Handlungen der westlichen, darunter französischer Kollegen den Verpflichtungen, die am Anfang der 90er-Jahre auf Initiative des Westens in der OSZE abgestimmt wurden, direkt widersprechen. Sie erfordern die Aufhebung der Hindernisse für den Zugang zu jeden Informationsquellen innerhalb der entsprechenden Länder und im Ausland. Wir sprachen darüber. Wir sprechen oft darüber. Wir denken, dass die Rhetorik, darunter Bekanntgabe der Pläne der Militarisierung des Alls bzw. Ausrufung des Konzeptes der Informationskriege eine gefährliche Sache ist. Diese Worte werden dann in gewisse konkrete Projekte verkörpert. Jemand wird damit Geld, seinen politischen Namen machen, doch im Ergebnis werden immer neue Drohungen geschaffen.

Ich habe gehört, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Erlass über die Schaffung einer Agentur zur Bekämpfung der Information aus dem Ausland unterzeichnete. Ich bat heute unsere Gesprächspartner – den Außenminister und die Verteidigungsministerin, uns mitzuteilen, wie diese Agentur funktionieren wird. Als Antwort werden wir bereit sein zu erzählen, wie bei uns entsprechende staatliche Strukturen funktionieren. Doch dieses Problem bleibt bestehen. Es wird immer akuter.

Frage: Sie sprachen heute über die Wiederaufnahme eines Dialogs mit Europäern. Aber zum Beispiel der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell ist sehr kategorisch gegen Russland gestimmt und macht sehr kategorische Erklärungen. Ein anderes Beispiel ist Spanien, wo uns oft die Einmischung in die inneren Angelegenheiten im Kontext des Referendums vorgeworfen wird. In Frankreich steht ein Referendum über eine mögliche Abspaltung von Neukaledonien und die Präsidentschaftswahlen bevor. Es lauten bereits Erklärungen, dass Russland einen gewissen Kandidaten unterstützt. Wie beeinflussen diese Vorwürfe die Wiederaufnahme des Dialogs?

Sergej Lawrow: Jede meiner Antworten wird gegen mich eingesetzt, als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Frankreichs, Spaniens und anderer Länder gedeutet.

Was Josep Borrell betrifft, schien es, dass wir ziemlich gut kooperierten, als er Außenminister Spaniens war, doch im Amt des Hohen Vertreters geschieht etwas mit Menschen. Anscheinend ist es unvermeidlich, dass man bei der Arbeit in Brüssel den Konsens der solidarischen „Bündnis-Disziplin“ widerspiegeln soll, wie das seine Vorgängerin Federica Mogherini machte. Der Konsens bildet sich von den Ländern, die die Situation zwischen der EU und der Russischen Föderation aus ihren inneren subjektiven Gründen allumfassend zuspitzen wollen: jemand hat historische Phobien, jemand will eine historische Revanche u.v.m.

Es gab eine auffallende Episode. Die Amerikaner und ihre Verbündeten verließen Afghanistan, einige Tage danach sagte Josep Borrell, dass die EU es nicht zulassen soll, dass Afghanistan an China und Russland übergehe. Ist es normal, die Situation in der Region, die ziemlich weit weg von der EU liegt, so einzustufen? Oder wenn sie uns sagen, dass die Zusammenarbeit mit Zentralafrika, Mali die rote Linie sein werde? „Das ist die Zone, wo die EU historisch geprägte Beziehungen hat“. Die Europäer sagen zwar nicht, dass es koloniale Geschichte ist. Dabei entwickeln sie jedoch ihre Strategien (ohne Absprache mit jemandem) in Zentralasien, im Schwarzen Meer. Und das obwohl es in diesen Regionen bereits Strukturen der regionalen Zusammenarbeit mit Satzungen, Plänen und Projekten gibt. Anscheinend soll man in der globalen Welt nicht sagen: „Das ist mein Gebiet – niemand darf hierher kommen, ich habe es markiert“. Das wird die Rückkehr zu der Philosophie, der Logik sein, die „Einflusszone“ hieß. Wir wollen darauf verzichten. Die Beziehungen weit entfernter Länder mit unseren nächsten Nachbarn sollten so aufgebaut werden, damit sie unseren Interessen und den Verpflichtungen, die wir mit unseren Nachbarn als Verbündeten und strategischen Partnern sowohl bilateral, als auch in solchen Organisationen wie OVKS, EAWU, SOZ und GUS vereinbaren, nicht schaden.

Frage: An der heutigen Internationalen Libyen-Konferenz nahmen viele hochrangige Gäste, darunter Angela Merkel und Kamala Harris, teil. Haben sie es geschafft, mit ihnen Meinungen zu bilateralen Fragen auszutauschen?

Sergej Lawrow: Es gab nicht so viel Zeit. Es lief eine allgemeine Diskussion. Es wurde geschafft, „auf Beinen“ ziemlich lange mit Charles Michel darüber zu sprechen, dass man die Situation zwischen Moskau und der EU irgendwie normalisieren soll.

Ich hatte ein langes vollwertiges Gespräch mit dem Präsidenten der Republik Kongo, Denis Sassou Nguesso. Er war vor kurzem in Moskau zu Besuch, dort hatte er Vereinbarungen mit dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, getroffen. Wir besprachen, wie diese Vereinbarungen erfüllt werden. Sie werden im Ganzen nicht schlecht erfüllt. Es gibt mehrere Fragen, die zusätzliche Aufmerksamkeit erfordern, wir sprachen auch zu diesem Thema. Das betrifft unsere Wirtschaftskooperation, Projekte, die zwischen den entsprechenden Unternehmen und Diensten Russlands und Kongos besprochen werden.

 

 

 


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