Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit der Außenministerin Großbritanniens, Liz Truss, Moskau, 10. Februar 2022
Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren,
wir haben die erste Etappe unserer Verhandlungen, die Hauptetappe durchgeführt. Die Beziehungen zwischen Russland und Großbritannien lassen gelinde gesagt viel zu wünschen übrig. Sie befinden sich wohl auf dem tiefsten Punkt sein vielen Jahren. Das passiert nicht auf unser Verschulden. Ich werde darüber nicht ausführlich sprechen. Ich will nur sagen, dass wir für die Normalisierung unserer Beziehungen, ihre Verbesserung, Rückkehr auf die Bahn einer konstruktiven Entwicklung sind. Das ist natürlich nur auf Grundlage der Prinzipien der Gleichberechtigung, Respekt und Berücksichtigung der Interessen voneinander möglich. Selektivität, Aufdrängen gewisser Bedingungen, Ultimaten, Drohungen – das ist alles ein Weg in nichts. Die Beziehungen sollen eine „Zweibahnstraße“sein.
Wenn man ausgehend von nationalen Interessen, der Notwendigkeit für die beiden Seiten, den Mehrwert von Kontakten zu bekommen, vorgeht, liefern ein gutes Beispiel stabile Kennzahlen des Handelsumsatzes, der im Zeitraum vom Januar bis November des vergangenen Jahres auf dem Niveau von 12 Monaten 2020 blieben und mehr als 24 Mrd. Dollar ausmachten. Die Geschäftskreise Russlands und Großbritanniens setzen die gegenseitige praktische Zusammenarbeit fort, suchen nach den Wegen zusätzlicher gegenseitig vorteilhaften Einlagen der Ressourcen und Mitteln. Die Festigung dieser Tendenz, Unterstützung unserer Geschäftskreise könnte durch die schnellstmögliche Wiederaufnahme der Tätigkeit des Zwischenregierungskomitees für Handel und Investitionen und des Energiedialogs eines Hohen Niveaus gefördert werden. Russland ist zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit bereit.
Ein weiteres gutes Beispiel – die Dynamik der kulturell-humanitären Austausche, die sich auf lange und feste positive Tendenzen stützen. 2019-2020 fanden erfolgreich die Veranstaltungen des Jahres der Musik Russlands und Großbritanniens statt. 2022-2023 wird die Austragung des Jahres der Kenntnisse vorbereitet. Wir unterstützen solche Kontakte zwischen Vertretern der Zivilgesellschaften unserer Länder.
Allerdings wurde das alles heute noch nicht besprochen. Ich hoffe, dass wir es schaffen werden, über bilaterale Angelegenheiten während des Arbeitsfrühstücks zu sprechen. Wir haben das auch aus dem Grund nicht besprochen, dass wir gebeten haben, die vorrangigen Themen darzulegen, die sie besprechen will. Frau Ministerin nannte die Ukraine, Belarus, China und den Iran. Wir erzählten ausführlich über die Situation mit der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen, die nicht einfach von Kiew nicht erfüllt, sondern jetzt von Vertretern des Kiewer Regimes offen abgelehnt werden. Wir teilten über unsere Schritte mit, um jene zu überzeugen, die einen Einfluss auf das Kiewer Regime haben, Wladimir Selenski und seine Regierung dazu zu bewegen, die Verpflichtungen zu erfüllen, die sowohl in den Minsker Abkommen festgelegt sind und auch durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats gebilligt wurden.
Wir haben verschiedene Deutungen der Minsker Abkommen, obwohl ich nicht sehe, wie man sie anders deuten kann, als schwarz auf weiß geschrieben ist. Wir erzählten auch über unsere Beziehungen zur Republik Belarus, darunter die Vorbereitung und Durchführung der Übungen, die in diesen Tagen beginnen und Besorgnisse in London und im Westen auslösen. Die Position der Stationierung der russischen Truppen auf unserem eigenen Territorium löst unverständliche Besorgnis und ziemlich starke Emotionen bei unseren britischen Kollegen und anderen westlichen Vertretern aus. Auf Bitte der Ministerin teilte ich auch über unsere Beziehungen zur Volksrepublik China mit, darunter die jüngsten Verhandlungen in Peking zwischen dem Präsidenten Wladimir Putin und dem Staatschef Xi Jinping. Ich erzählte darüber, dass wir unsere Verbindungen mit China sowohl in bilateralen Kanälen, als auch in regionalen und multilateralen Strukturen ausschließlich auf Grundlage des gegenseitigen Respekts, auf Grundlage des Gleichgewichts der Interessen, Gleichberechtigung aufbauen, ohne irgendein Herangehen, das auf der Logik des Führenden und Geführten beruht, die wir in der Nato sehen, anzuwenden.
Beim iranischen Sujet haben wir eine einheitliche Meinung, dass wir Chancen haben, in der nächsten Zeit die Erfüllung des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans in vollem Umfang wiederaufzunehmen. Allerdings soll man noch einen großen Weg gehen.
Im Kontext der Besprechung des Ukraine-Sujets schnitt Frau Ministerin das Thema an, das mit den Initiativen der Russischen Föderation, die Mitte Dezember des vergangenen Jahres aufgebracht wurden und die Gewährleistung der Sicherheitsgarantien in Europa betreffen, verbunden sind. Wir erzählten über unsere Herangehensweisen zur weiteren Arbeit, vor allem mit den Vereinigten Staaten. Wir drückten das Interesse daran aus, keine Ausreden, sondern eine konkrete Reaktion auf unsere Bitte, die Deutung der westlichen Kollegen ihrer Verpflichtungen, die auf der höchsten Ebene der OSZE gebilligt wurden, unter anderem die Unzulässigkeit der Festigung der Sicherheit von jemandem auf Kosten der Sicherheit der anderen vorsehen, zu erklären, zu geben. Über unsere Herangehensweisen zu diesem Problem hat ausführlich Präsident Wladimir Putin gesprochen, darunter auf einer Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit Präsident Emmanuel Macron. Er brachte unsere Überzeugung zum Ausdruck, dass mit der Nato-Erweiterung die Verpflichtungen grob verletzt werden, die von den Anführern aller OSZE-Staaten auf den Gipfeln in Istanbul und Astana übernommen wurden. Ich habe vorgeschlagen, nach allgemein annehmbaren Herangehensweisen zur Gewährleistung der Sicherheit sowohl der Ukraine, als auch europäischer Länder und der Russischen Föderation zu suchen. Ich kann nicht sagen, dass wir hier irgendwelche Berührungspunkte haben, aber ich hoffe, dass die heutigen Verhandlungen unseren britischen Kollegen ermöglichen werden, die Bedeutung besser zu verstehen, die die diese Problematik für die Russische Föderation hat.
Ich hoffe, dass wir beim Arbeitsfrühstück auch über unser Zusammenwirken im UN-Sicherheitsrat sprechen können. Russland und Großbritannien sind ständige Mitglieder dieses Hauptorgans der Vereinten Nationen. Wir tragen besondere Verantwortung für das Treffen von Maßnahmen zur Gewährleistung der internationalen Sicherheit und Stabilität. Ich hoffe, dass wir diesen Aufgaben mehr Aufmerksamkeit widmen werden, wenn wir über internationale Themen sprechen, die uns ermöglichen, konstruktive Anstrengungen zu vereinigen, statt nach Problemen zu suchen, die künstlich entfacht werden und dann in unserem Dialog dominieren zum Nachteil der Aufgaben, die im Interesse des Friedens und Stabilität in der Welt gelöst werden sollen.
Frage (übersetzt aus dem Englischen, an Liz Truss): Vor einigen Tagen haben Sie in Sozialen Netzwerken gesagt: Die Handlungen Russlands bedeuten, dass seine Erklärungen über die fehlenden Pläne einer Invasion in die Ukraine lügnerisch seien. Meinen Sie nach den heutigen Verhandlungen immer noch, dass Russland eine Invasion in die Ukraine plant?
Sergej Lawrow (fügt nach Liz Truss hinzu): Wir haben heute darüber ausführlich gesprochen. Ich bin davon enttäuscht, dass man ein Gespräch eines „Stummen mit einem Gehörlosen“ hat. Man hört zwar zu, hört aber nicht. Zumindest „fielen“ unsere ausführlichen Erklärungen auf einen unvorbereiteten „Boden“. Ungefähr so, wie gesagt wird, dass Russland wartet, bis der Boden einfriert und wie Stein ist, damit Panzer ruhig auf das ukrainische Territorium kommen können. Ungefähr so war auch der „Boden“ bei den britischen Kollegen. Darauf legten sich und prallten ab zahlreiche Fakten, die wir anführten. Wir erinnerten an ausführliche Erklärungen des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, und anderer unserer Vertreter. Ich spürte, dass unsere Kollegen entweder über sie nicht wissen, oder ignorieren sie vollständig.
Sie zitierten die Worte der Ministerin darüber, dass die Erklärungen Russlands über die fehlenden Pläne eines Angriffs auf die Ukraine lügnerisch sind. Diese Erklärungen werden nicht nur von der russischen Führung, sondern auch im Pentagon gemacht. Ich habe vor kurzem darüber gelesen. Dort sitzen ernsthafte Menschen, sie beobachten von Satelliten alles, was vor sich geht, was sich auf dem russischen Territorium vor sich geht. Solche Erklärungen werden vom Verteidigungsminister der Ukraine, Alexej Resnikow, gemacht. Präsident Wladimir Selenski ruft dazu auf, keine Panik zu machen. Unsere westlichen Kollegen brauchen wohl Wladimir Selenski nur als ein Instrument, um Russland aus dem Gleichgewicht zu bringen. Niemanden interessiert, was er meint und welche negativen Folgen von dieser Hysterie die ukrainische Wirtschaft und der Haushalt bekommen. Die Investitionen fliehen aus der Ukraine wegen Klagelieder und Jammergeheul. Es werden Mitarbeiter der Botschafter evakuiert, angelsächsische Staatsbürger werden dazu aufgerufen, die Ukraine schnellstmöglich zu verlassen. Wir machten uns schon selbst Gedanken: Vielleicht bereiten Angelsachsen etwas vor, wenn sie ihre Mitarbeiter evakuieren. Wir sahen uns ihre Handlungen an. Wir werden vielleicht auch dem Nebenpersonal unserer diplomatischen Einrichtungen empfehlen, für gewisse Zeit nach Hause zu fahren. Ich weiß nicht, welche Ideen unsere angelsächsischen Kollegen haben. Das ist traurig.
Wir haben heute ausführlich erklärt, dass die russischen Streitkräfte (die von der Ministerin erwähnt wurden, die Besorgnisse auslösen) sich auf dem eigenen Territorium befinden. Im Unterschied von hunderten und tausenden britischen Militärs, die im Baltikum stationiert sind. Großbritanniens Premier Boris Johnson sagte, dass man sie auch nach Rumänien und Bulgarien schicken soll. Darauf folgte eine Antwort, dass Russland sich auf dem eigenen Territorium befindet, und sie sich auch auf dem „eigenen“ Territorium befinden, weil sie alle Nato-Mitglieder sind.
Dieser Nato-Zentrismus herrschte im ganzen heutigen Gespräch. Es war für mich nützlich zu verstehen, inwieweit indoktriniert unsere Kollegen die Erörterung der Sicherheitsprobleme auf dem europäischen Kontinent betrachten, inwieweit egoistisch sie aus der Position des Nato-Zentrismus legitime Besorgnisse Russlands im Sicherheitsbereich betrachten, inwieweit selektiv sie ihre Verpflichtungen deuten, die in der OSZE über die Unteilbarkeit der Sicherheit verabschiedet wurden. Dort gibt es ein ganzes Paket in einem sehr starken Paragraph. Es wird das Recht jedes Staates zugegeben, Verbündeten, Allianzen zu wählen. Dabei wird die Verpflichtung jedes Staates, die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit der Anderen zu festigen, hervorgehoben. Es wird der Respekt der Politik der Neutralität, Nichtzulässigkeit der Situation, wenn im OSZE-Raum ein Land, Gruppe der Staaten bzw. Organisation dominieren werden, Nichtzulässigkeit der Einflussbereiche im europäischen Raum, anerkannt. Wir führten zahlreiche Beispiele an, wie solche Einflussbereiche von der Nato, EU willkürlich aufgestellt werden. Die EU sagt, dass die Russen auf dem Balkan (wie auch in Afrika) nicht auftauchen sollen, und die USA ernennen sogar einen Sonderbotschafter, der sich mit der Reform des Wahlgesetzes in Bosnien und Herzegowina befassen wird. Ist es kein Einflussbereich? Kein Anspruch, dass die USA alle Prozesse auf dem Balkan leiten werden? Meines Erachtens ist es ein offensichtlicher Fakt.
Wir antworteten auf die Fragen von Liz Truss darüber, was wir mit Belarus machen, welche Pläne wir haben. Das alles ähnelt einem einseitigen Herangehen, das auf einer unerschütterlichen Überzeugung beruht, dass der Westen das Recht hat, von uns irgendwelche Garantien in einer Situation, wenn uns niemand Garantien verspricht, zu fordern. Diese ziemlich anschauliche Diskussion wird leider auch in den Antworten auf unsere Fragen über das Verständnis des Prinzips der Unteilbarkeit der Sicherheit durch den Westen wiedergeben. Wir warten auf sie von allen OSZE-Ländern. Wie ich gehört habe, will die EU statt einem fairen Vorgehen, Antworten von jedem Land zu geben, ein kollektives Papier erstellen, wo alle Details der nationalen Positionen ausgeglichen werden. Ich bin überzeugt, dass das Gespräch in diesem Fall nicht gelingen wird. Wir werden darüber nachdenken, wie man aus dieser Situation ausgehen soll.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Wir hören ständig über die „Zwangsdiplomatie“. Funktioniert für Sie solche Diplomatie? Können wir den Einsatz solcher Instrumente erwarten? Wie wird Russland weiterhin vorgehen?
Sergej Lawrow: Sie reden von der angeblichen Absicht Russlands, die „Zwangsdiplomatie“, die politische Forderungen und physische Drohungen vereinigt (wenn ich richtig verstanden habe). Wir wollen aber niemanden zu etwas zwingen. Der Westen wirft uns vor, dass wir jemanden zu etwas zwingen, indem wir die Erfüllung der Beschlüsse von OSZE-Gipfeltreffen verlangen. Wir sind aber voll und ganz für Diplomatie.
Unsere westlichen Kollegen haben alle den Begriff „Deeskalation“ auswendig gelernt. Egal was sie in Bezug auf Russland sagen, verlangen sie „Deeskalation“. Die zweite These – sie „hoffen“, dass Moskau sich für Diplomatie entscheidet. All diese Jahre entschieden wir uns für Diplomatie. Wir wollen uns nach wie vor darauf stützen. Die 1999 in Istanbul vereinbarte Charta für europäische Sicherheit und die Astanaer Erklärung von 2010 waren Produkte der Diplomatie, und zwar auf höchster Ebene.
Jetzt sagt man uns, man hätte die Formulierung vereinbart: Niemand darf seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer festigen. Aber das habe man angeblich vereinbart, damit man heute das Recht jedes Landes verteidigen könnte, sich für diese oder jene Allianzen zu entscheiden. Man log uns schon häufiger an (nach der Wiedervereinigung Deutschlands – Präsident Putin sprach darüber ausführlich). Jetzt versucht man, uns auch im Kontext der Verpflichtungen anzulügen, die wir alle abgesprochen und im Rahmen der OSZE aktiv begrüßt hatten – der Verpflichtungen zur Unteilbarkeit der Sicherheit.
Wir haben ein Beispiel angeführt: Es gibt ein abgesprochenes Paket, aus dem nur das Recht auf die freie Wahl von Allianzen „ausgerissen“ wird. Die Verpflichtung, die Sicherheit anderer nicht zu beeinträchtigen, wird ignoriert. Genauso dominiert in der Position des Westens die selektive Vorgehensweise in Bezug auf die Minsker Vereinbarungen. Und über die Position Kiews müssen wir erst gar nicht reden. Bei den Minsker Vereinbarungen geht es um die Lösung von Sicherheitsproblemen, um Feuereinstellung, Amnestie, den sozialen Status der Donbass-Region, um Verfassungsreform im Kontext der Dezentralisierung und um Wahlen unter der OSZE-Ägide auf Vereinbarung mit Donezk und Lugansk. Erst nach all dem käme die Wiederaufnahme der Kontrolle über die ganze Grenzlinie durch die ukrainischen Behörden. Aber aus diesem Paket wird nur der letztere Punkt „ausgerissen“.
Als ich heute dieses Thema ansprach, sagte die Frau Ministerin, dass man auf die Reihenfolge der Schritte achten sollte. Dabei wird folgendes gemeint: Man nimmt nur den für das Kiewer Regime günstige Punkt über die Wiederaufnahme der Kontrolle über die Grenze. Dieser Punkt der Minsker Vereinbarungen, der vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurde, hängt von allen anderen Punkten ab. Aber alles andere will Kiew nicht tun und erklärt das auch offen. Und ein weiteres Beispiel, wie auch mit den Verpflichtungen zur Unteilbarkeit der Sicherheit: etwas abzusprechen, alle zu beruhigen und dann die nötigen Punkte „herauszureißen“ und alles andere als künstlich Ausgedachtes abzulehnen. Diese Vorgehensweise funktioniert aber nicht.
Wir wollen niemandem drohen. Sehen Sie sich doch öffentliche Erklärungen an: Sie enthielten doch keine einzige Drohung! Es sind wir diejenigen, denen gedroht wird. So trat die Frau Ministerin unlängst im House of Commons auf. Bei den Verhandlungen haben wir absolut dasselbe gehört, was offizielle Vertreter der britischen Führung permanent im Radio und Fernsehen sagen: Wenn wir unsere „Aggression“ nicht einstellen sollten, würden wir es mit schlimmsten Folgen zu tun haben, die wir bedauern würden. Aber welche Aggression denn? Wann begann sie? Gegen wen? Haben Sie von uns jemals so etwas gehört? Ich bin sicher, dass Sie kein einziges Beispiel dieser Art anführen können.
Ich betone: Wir wollen, dass der Geist des Kompromisses, der Suche nach einer Interessenbalance, der Kooperation, des gegenseitigen Respekts und der Gleichberechtigung, der es uns ermöglicht hat, auf höchster Ebene die wichtigsten Dokumente in der OSZE zu verabschieden, uns jetzt hilft, diese Vereinbarungen, die auf dem Papier bereits festgeschrieben worden sind, in die Tat umzusetzen. Es ist der Zeitpunkt gekommen, wenn Worte nicht nur Worte bleiben können. Wir sind zu solcher Zusammenarbeit bereit.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Haben Sie von der Außenministerin Großbritanniens irgendwelche Garantien, Beteuerungen oder auch Zugeständnisse hinsichtlich der äußersten Besorgnis Russlands über die Nato-Erweiterung angeboten bekommen?
Sergej Lawrow: Die Forderung, dass die russischen Truppen vom Territorium Russlands abgezogen werden, wurde unabhängig von unseren Argumenten nicht geändert. Irgendeine andere Intonation haben wir nicht gehört. Das ist wenigstens bedauernswert. Wenn Sie darauf hinweisen, dass Präsident Emmanuel Macron bestätigt habe, dass Präsident Wladimir Putin ihm gesagt habe, er hätte keine Pläne, irgendwo zu intervenieren, kommentiert Elizabeth Truss diese Forderung, damit Worte mit Taten übereinstimmen. Das ist ja ein interessantes Gespräch. Ich habe schon lange nicht an solchen diplomatischen Verhandlungen teilgenommen, die im Grunde live übertragen werden könnten, denn wir haben dabei keine geheimen bzw. vertraulichen Informationen gehört außer dem, was hochrangige Vertreter Londons immer wieder sagen.
Was Worte und Taten angeht, so waren und sind wir immer dafür, dass Taten den Worten nicht widersprechen. In diesem Sinne möchte ich Sie auf die zahlreichen Materialen aufmerksam machen, auf die Präsident Putin in seinen Interviews oder auch die Leitung unseres Ministeriums in ihren Interviews zurückgreift, die weltweit verbreitet werden und bestätigen, dass man uns versprochen hatte, die Nato nicht nach Osten zu erweitern, um dann noch weitere fünf Erweiterungswellen zu verwirklichen. Und diese Organisation, die eine Verteidigungsallianz ist, was die Frau Ministerin jetzt bestätigt hat, befindet sich inzwischen unmittelbar an unseren Grenzen. Das die Verteidigungsallianz angeht, so war das nachvollziehbar, als es den Warschauer Vertrag gab, als es die physische und imaginäre Berliner Mauer gab. Das war die Verteidigungslinie, und alle verstanden das. Jetzt aber gibt es weder den Warschauer Vertrag noch die Berliner Mauer, aber die Nato bestimmt jedes Mal selbst, wo die Linie liegen soll, an der sie ihre „Verteidigungsfunktionen“ erfüllt.
Ich habe heute schon erwähnt, dass Jens Stoltenberg schon öfter erklärte, die Nato sollte eine besondere Verantwortung für die Sicherheit in der Indopazifischen Region übernehmen, unter anderem im Südpazifischen Meer. Wenn die Nato auch diese Verteidigungslinie für sich bestimmt, dann werden Sie vielleicht auch dann darauf bestehen, dass es das Recht aller Länder sei, in die Richtung zu gehen, wohin die Nato sie gehen sehen will? Das ist ein gefährliches Spiel. Wir hören permanent dieses Gerede vom defensiven Charakter der Nordatlantischen Allianz, obwohl wir unsere Nato-Kollegen oft genug daran erinnerten, dass sie Jugoslawien und den Irak aus einem Grund bombardierten, den Tony Blair später als „Fehler“ und „Fake“ bezeichnet hat. Es gab bzw. gibt ja viele Beispiele dafür, wie die defensive Allianz handelt. Bei den Vorwürfen, die London neben anderen westlichen Hauptstädten uns macht, geht es darum, dass wir uns angeblich überall einmischen. Auch heute wurde schon wieder irgendein „Cyberkrieg“ erwähnt. Es gibt Spekulationen (und daran beteiligen sich auch eigentlich angesehene Medien) über „Einsätze“, die wir angeblich planen, um Kiew und alle anderen ukrainischen Städte zu erobern, oder auch darüber, dass irgendein „Machtsturz“ vorbereitet werde, damit in der ukrainischen Hauptstadt ein „Marionettenregime“ an die Macht kommen könnte. Aber das ist auch aus der „Highly-likely“-Serie! Ich habe Elzabeth Truss darauf aufmerksam gemacht, dass „highly likely“ nach wie vor nur „highly likely“ bleibt. Genauso war das auch 2007, als man uns den Giftanschlag auf Alexander Litwinenko vorwarf, ohne aber irgendwelche Fakten zu präsentieren. Auch im „Fall Skripal“ wurden keine Fakten veröffentlicht, und wir wissen nicht einmal wo sich die Skripals jetzt befinden. Seine Tochter ist russische Staatsbürgerin, aber wir bekommen keinen Zutritt zu ihr und wissen überhaupt nichts über sie. Auch zum „Fall Nawalny“ wurden keine Fakten angeführt. In der Kampagne zur Verleumdung Russlands spielt Großbritannien die Führungsrolle.
Wir haben heute viel darüber gesprochen, dass wir unsere Arbeit auf Basis von Fakten organisieren müssten, denn andernfalls wäre das nichts als Propaganda. Leider haben wir keine Fakten gehört. Mehr noch: Wir sahen auch keine Reaktion auf unsere Erklärung, dass man seine Vorwürfe gegen Moskau irgendwie begründen sollte. Die Frau Ministerien erwähnte das Memorandum von Budapest. Es tut mir leid, dass sie das schon zum zweiten Mal in diesem Saal tut – trotz unserer ausführlichen Erläuterungen im Laufe der Verhandlungen. Das Budapester Memorandum zwischen Russland, Großbritannien und den USA gewährte der Ukraine als einem atomwaffenfreien Land Sicherheitsgarantien, die aber typisch für jedes Land ohne Atomwaffen waren bzw. sind. Dieses Memorandum verpflichtete weder Russland noch Großbritannien, noch die USA, den verfassungswidrigen Staatsstreich zu unterstützen, der von Neonazis und Ultraradikalen im Februar 2014 umgesetzt haben. Das Budapester Memorandum wurde von einer Erklärung begleitet, die neben den drei erwähnten Staaten (Russland, den USA und Großbritannien) auch die Ukraine und Frankreich unterzeichnet haben. Und diese verlangt von allen Beteiligten (auch von der Ukraine), Verletzungen der grundlegenden OSZE-Prinzipien zu unterbinden, insbesondere (das wurde extra betont) des Prinzips, dass nationale Minderheiten bzw. ihre Rechte respektiert werden sollten. Aber auf das alles hat die Ukraine schlicht gepfiffen.
Man wird uns nie zwingen, wider alle internationalen Verpflichtungen Russlands verfassungswidrige Regimes anzuerkennen und das Vorgehen solcher Regimes zur Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung sowie anderer nationalen Minderheiten zu rechtfertigen (was dort tagtäglich passiert, auch im Kontext der legislativen Aktivitäten des ukrainischen Regimes unter aktiver Mitwirkung des Präsidenten Wladimir Selenski).
Da wir schon beim Thema Ukraine sind, habe ich heute Elizabeth Truss darauf verwiesen, dass Wladimir Selenski, seine Minister und auch der Chef seines Verteidigungs- und Sicherheitsrats öffentlich erklären, dass sie die Minsker Vereinbarungen nicht erfüllen werden. der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba erklärte direkt, dass es keinen direkten Dialog mit Donezk und Lugansk geben werde, weil ein solcher Dialog in den Minsker Vereinbarungen nicht vorgesehen sei. Das ist ja so etwas von der „Schule Joseph Goebbels‘“, und dabei hat er den Chefpropagandisten des Dritten Reiches in dieser Kunst sogar übertroffen. Denn wenn er so ruhig lügt und das zurückweist, was schwarz auf weiß geschrieben steht und vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurde, ohne sich Sorgen zu machen, dass London, Paris, Berlin oder Washington ihn in die Schranken verweist, heißt das, dass die Demagogen, die jetzt behaupten, Recht zu haben, und versuchen, die Minsker Vereinbarungen umzuschreiben, sich jetzt durchaus komfortabel fühlen. Leider haben unsere heutigen Partner das auch nicht gehört, obwohl wir dieses Thema ausführlich besprachen.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Die Situation zwischen beiden Ländern ist enorm angespannt. Eine Deeskalation könnte uns helfen, die Spannung in den Griff zu bekommen. Könnte man die Truppen zu ihren ständigen Stationierungsorten abziehen, beispielsweise nach den Übungen in Weißrussland? Wären Sie dazu bereit, um gewisse klare Gesten zu zeigen, um die Deeskalation zu ermöglichen und den Spannungsgrad zu senken?
Sergej Lawrow: Nach Übungen kehren Truppenteile immer in ihre Kasernen zurück. So ist das üblich. Was die Dauer der Übungen angeht, so ist das das souveräne Recht jeder Regierung. Anders zu Übungen auf eigenem Territorium, die Russland durchführt und nach denen die Truppen in ihre Kasernen zurückkehren, werden die Truppen, die sich weit außerhalb von Großbritannien, den USA und Kanada aufhalten, in die Baltischen Länder geschickt oder auch in die Länder an der Schwarzmeerküste – diese Truppen und ihre Technik kehren normalerweise nicht heim. Auch das haben wir heute besprochen, aber Frau Truss gab klar und deutlich zu verstehen, dass es uns gar nichts angehe. Aber die Tatsache, dass sich unsere Truppen auf dem russischen Territorium befinden, ist Londons größte Sorge und der Vorwand für „Deeskalation“, die Sie eben ganz „richtig“ erwähnt haben. Das ist der vereinigende Faktor für die ganze westliche Gemeinschaft. Und Sie folgen dieser Logik, die Ihnen die westliche politische Elite schon monatelang in den Kopf einhämmert. Sie haben eben Ihre Frage gestellt, ob Russland bereit wäre, irgendeine wichtige Geste zu machen, um die Situation abzuspannen. Aber Sie müssen mir zunächst beweisen, dass wir die Situation angespannt haben bzw. weiter anspannen und etwas tun, was unsere Souveränität bzw. unser souveränes Recht nicht angeht, auf unserem Territorium zu handeln. Was die Behauptungen unserer westlichen Partner angeht, Russlands Truppen und schwere Rüstungen würden sich in der Ukraine befinden, so sollten sie dafür ein schlechtes Gewissen haben. Das sind alles Behauptungen der „Highly-likely“-Art. Ich führte schon die Beispiele an: der Fall Litwinenko, der Fall Skripal, der Fall Nawalny – da waren die Vorwürfe immer dieselben. Und kein einziges Mal wurden Fakten angeführt. Und wenn wir sagten, dass es solche Fakten gar nicht gab bzw. gibt, wurden unsere Bemerkungen außer Acht gelassen. Man will uns gar nicht hören, denn man glaubt offenbar, dass wir irgendwelche anderen Rechte haben, die in der internationalen Arena nicht so wichtig sind, die Großbritannien selbst offenbar zu haben glaubt. Sie haben eben gesagt, dass auch in Weißrussland Übungen stattfinden, aber Frau Ministerin erklärte, für die sei das wichtigste, einen Krieg in der Ukraine zu verhindern. Und das ist, warum sie hier ist.
Ich sehe schon ab, wie dieses ganze Drama, aus dem der Westen gerne eine Tragödie machen will, obwohl sie eher nach einer Komödie aussieht, enden könnte. In einiger Zeit werden die westlichen Länder erfahren, dass die russisch-weißrussischen Übungen zu Ende gegangen sind, so dass unsere Truppen auf das russische Territorium zurückgekehrt sind. Und dann wird man das an die große Glocke hängen und behaupten, der Westen hätte Russland zur Deeskalation gezwungen. Obwohl das eigentlich nichts als „Handel mit der Luft“ ist. Alle wissen sehr gut (und das wurde auch angekündigt), dass die russischen Truppen nach den Übungen, wie immer, auf unser Territorium zurückkehren. Ich habe in irgendeiner kanadischen Zeitung oder Zeitschrift gelesen, dass das Thema Ukraine „eine Krücke für die einstürzenden Popularitätsraten westlicher Politiker“ sei. Das war eine interessante Metapher.
Ich hoffe, dass wir uns bei der Behandlung von ernsthaften Fragen, die mit der europäischen Sicherheit, mit der Sicherheit absolut aller Nato-Länder, der Ukraine und auch Russlands verbunden sind, wie erwachsene Menschen verhalten werden, ohne dass wir unverhohlene Propaganda betreiben in der Hoffnung auf irgendwelche neuen Wahlabenteuer.