Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, bei der gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit dem Außenminister der Republik Armenien, Edward Nalbandjan, am 8. April 2015 in Moskau
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir haben Verhandlungen mit dem Außenminister Armeniens, Edward Nalbandjan, durchgeführt.
Armenien ist ein zuverlässiger Partner und Verbündeter von uns. Wir schätzen unsere Beziehungen, die eine jahrhundertelange Geschichte haben und mit der historischen, kulturellen, geistigen Nähe der Völker beider Länder gekennzeichnet sind. Diese Beziehungen entwickeln sich schrittweise, erreichten ein neues Niveau im Kontext des Beitritts Armeniens zur Eurasischen Wirtschaftsunion.
Wir haben erörtert, wie die Vereinbarungen umgesetzt werden, die bei den Kontakten unserer Präsidenten erzielt wurden, beginnend mit dem Staatsbesuch des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, in Armenien im Dezember 2013, auf den eine Reihe von Gipfeltreffen folgte, die im Jahr 2014 stattfanden und in diesem Jahr fortgesetzt werden. Wir haben vereinbart, die Vervollkommnung der vertragsrechtlichen Basis fortzusetzen, die ständig gefestigt wird. Es werden neue wichtige Abkommen vorbereitet.
Wir haben die Anstrengungen hervorgehoben, die zur Entwicklung der wirtschaftlichen und militärtechnischen Kooperation unternommen werden. Entsprechende Regierungskommissionen arbeiten aktiv daran. Heute wurde die Bedeutung der Intensivierung dieser Anstrengungen hervorgehoben.
Wir haben einen guten Handelsumsatz, der im vergangenen Jahr bei mehr als 1,4 Milliarden US-Dollar lag. Die russischen Investitionen in die armenische Wirtschaft belaufen sich auf etwa vier Milliarden US-Dollar und steigen weiter.
Die Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Bankenbranche entwickeln sich gut. Geplant ist die Zusammenarbeit unter anderem bei Finanzhilfen an die armenischen Freunde zur Umsetzung des Projekts zur Verlängerung der Betriebszeit des jetzigen Energieblocks des Armenischen Atomkraftwerkes.
Wir haben einen guten zwischenparlamentarischen Dialog. Heute wurden mehrere Fragen erörtert, die bei zwischenparlamentarischen Beziehungen effektiver gelöst werden sollen. Es kommt regelmäßig zu gegenseitigen Besuchen der Leiter unserer Parlamente. Es funktioniert die Kommission für Kooperation zwischen der Föderalversammlung der Russischen Föderation und der Nationalversammlung der Republik Armenien, deren weitere Sitzung im Juni dieses Jahres in Jakutsk stattfindet.
Die humanitäre Zusammenarbeit, die kulturellen und Bildungsaustausche sind ein spezifischer und wichtiger Aspekt unserer Beziehungen. Wir unterstützten eine neue Initiative in diesem Bereich. Im Februar fand in Jerewan das Erste Russisch-Armenische Jugendforum statt. Wir rechnen damit, dass dies zu einer Tradition wird, wie bereits zwischenregionale Foren zu einer Tradition geworden sind – es gab drei Foren, ein weiteres wird vorbereitet. Die Arbeit zur Schaffung der rechtlichen Grundlage zur Eröffnung einer Niederlassung der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau in Jerewan wurde beendet.
Im Bereich der außenpolitischen Kontakte wurde Konsultationsplan unterzeichnet – eine feste Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen den Außenministerien beider Länder. Neben bilateralen Kontakten und vertraulichen Meinungsaustauschen, der Abstimmung der Positionen arbeiten wir zusammen mit anderen Partnern im Rahmen der GUS, OVKS. Wir haben vereinbart, gemeinsame außenpolitische Handlungen in der UNO, OSZE, im Europarat, bei der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation und natürlich im Rahmen der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten zu stärken.
Wir kooperieren aktiv bei der Umsetzung praktischer Projekte in Armenien im Rahmen der internationalen Organisationen, darunter in der UNIDO (Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung), UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen). Bei der finanziellen Unterstützung Russlands werden in Armenien konkrete Projekte zur Entwicklung der Textilindustrie und Agrargebiete umgesetzt.
Wir haben die Einschätzungen der Situation in Transkaukasien ausgetauscht, darunter die Bergkarabach-Regelung. Russland wird bei bilateralen Kanälen in den Beziehungen mit Armenien und Aserbaidschan und als Kovorsitzender der Minsker Gruppe der OSZE auch weiter die Schaffung von Bedingungen zur Regelung dieses Problems auf gegenseitig annehmbarer Grundlage fördern.
Die Verhandlungen bestätigten im Ganzen den Verbündeten-, strategischen Charakter der russisch-armenischen Beziehungen. Ich bin davon überzeugt, dass dies eine wichtige Etappe bei den Anstrengungen zur Umsetzung des von Präsidenten unserer Staaten bestimmten Kurses war.
Frage: Es ist kein Geheimnis, dass Aserbaidschan in der letzten Zeit aktiv territoriale Ansprüche gegen Armenien erhebt, neben Bergkarabach, was sich in den offiziellen Verkündungen und militärischen Provokationen äußert. Ist Russland bereit, seine militärischen Verpflichtungen gegenüber Armenien zu erfüllen, falls es zur Eskalation im Bergkarabach-Konflikt kommt? Wie wird Moskau bei einer Zunahme der Spannungen vorgehen?
Sergej Lawrow: Man muss hier keine speziellen Erklärungen geben. Alle Verpflichtungen, die auf gegenseitiger Grundlage von den Mitgliedern der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit übernommen wurden, sind in diesem Vertrag festgeschrieben. Alle Fälle, für die die Umsetzung dieser Verpflichtungen vorgesehen ist, sind dort aufgelistet. Deswegen muss ich nichts kommentieren, außer einer Anmerkung.
Wir lassen sogar nicht einmal den Gedanken zu, dass der Bergkarabach-Konflikt in eine heiße Phase übergeht. Ich bin davon überzeugt, dass niemand der interessierten Seiten trotz der Rhetorik dies anstrebt. Alle Handlungen Russlands in der Bergkarabach-Regelung, von denen mein Kollege und Freund Edward Nalbandjan freundlicherweise sprach, sind darauf gerichtet, möglichst schnell gegenseitig annehmbare Lösungen zu finden.
Die regelmäßigen Kontakte gehen weiter, die Vertreter der Kovorsitz-Länder der Minsker Gruppe der OSZE zur Regelung des Bergkarabach-Konfliktes reisen oft in die Region, besuchen die Hauptstädte Armeniens und Aserbaidschans sowie die Kontaktlinien. Die Präsidenten der Kovorsitz-Länder widmen persönlich Zeit zur Suche nach den Wegen der Regelung. Russlands Präsident Wladimir Putin unternahm 2014 spezielle Anstrengungen, wonach die Beratungen über mögliche praktische Schritte fortgesetzt werden, die es ermöglichen würden, mit der Überwindung dieses keinem erwünschten Konflikt zu beginnen, damit Transkaukasien zur Region der Zusammenarbeit ohne Blockaden, Sanktionen und Einschränkungen wird. Davon werden alle profitieren, darunter unsere armenischen Freunde.
Frage: Heute weilt in Moskau der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras zu einem offiziellen Besuch. Er hat bekanntlich die europäischen Sanktionen gegen Russland kritisiert. Erwartet Russland, dass Griechenlands Position zu dieser Angelegenheit zu einer Änderung der gemeinsamen Vorgehensweise der EU in Bezug auf die Russland-Sanktionen führt?
Sergej Lawrow: Ich muss gleich betonen: Wir sind absolut überzeugt, dass wir – ich meine auch die anderen Mitgliedsländer der Eurasischen Wirtschaftsunion – bei unseren Beziehungen mit Europa an der Überwindung eines alten systematischen Problems arbeiten müssen: der Logik „entweder mit uns oder gegen uns“. Die Bürokraten in Brüssel haben immer noch diese Mentalität. Das ist bedauernswert, denn die Führungspolitiker der wichtigsten EU-Länder (Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande usw.) traten schon öfter dafür ein, auf die langjährige Initiative des Präsidenten Wladimir Putin zu antworten und einen Dialog über die Bildung eines einheitlichen wirtschaftlichen und humanitären Raums vom Atlantik bis zum Pazifik zu beginnen. Ich bin überzeugt: Wenn dieser Dialog beginnt, dann werden alle nötigen Lösungen gefunden, die die Länder unserer Region vor diese falsche Wahl nicht mehr stellen werden. Einen solchen Raum zu gestalten, gehört zu den Interessen Russlands und der EU. In der heutigen Welt mit großer Konkurrenz können die Interessen aller unseren Länder nur dann effizient verteidigt werden – vor allem an der Wirtschaftsfront -, wenn Europa und Eurasien ihre Kräfte bündeln. Präsident Putin hatte bekanntlich bereits im Januar 2014 als ersten Schritt einen konkreten Dialog über die Bildung einer Freihandelszone zwischen der EU und der damaligen Zollunion initiiert, die sich inzwischen in die Eurasische Wirtschaftsunion umgewandelt hat. Dieses Angebot bleibt nach wie vor in Kraft.
Als sich die Staats- und Regierungsoberhäupter des so genannten „Normandie-Quartetts“ am 12. Februar in Minsk versammelten, haben sie in der Deklaration, die sie zwecks Unterstützung des von den Mitgliedern der zuständigen Kontaktgruppe getroffenen Abkommens unterzeichneten und die den Komplex von Maßnahmen zur Regelung der Ukraine-Krise enthielt, bestätigt, dass die Führungspolitiker Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der Ukraine für Integrationsprozesse auf dem europäischen Kontinent und im eurasischen Raum plädieren, darunter für Kontakte zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Wirtschaftsunion. Leider reagiert Brüssel auf unsere Vorschläge zum Beginn der praktischen Umsetzung der festgesetzten Ziele vorerst nicht besonders aktiv. Deshalb entstehen solche Fragen wie die, die der Kollege von der Nachrichtenagentur Bloomberg gestellt hat. Er hat seine Frage in der „Entweder-Oder“-Form formuliert: „Zu Ihnen kommt der griechische Premier, der gegen die Sanktionen auftritt – kann das die Vorgehensweise der Europäischen Union verändern?“
Ich habe heute im Fernsehsender Euronews gesehen, wie die Visite des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras angekündigt wurde. Der „Euronews“-Korrespondent sprach über den Besuch wie folgt: „Alle erwarten, dass der Besuch Antworten auf Fragen wie ‚Wie könnten Tsipras und Putin füreinander nützlich sein?‘ oder ‚Ob Putin die EU spalten kann?‘ bringen wird“. Schon darin, wie solche Sujets gestaltet sind, steckt ein Problem. Dabei geht es nicht um einen einzelnen Berichterstatter oder einen einzelnen Fernsehsender, sondern um die Mentalität, die in Europa kultiviert wird. Wenn jemand von den Europäern bei seinen Handlungen von seinen nationalen Interessen ausgeht, wird das als Verletzung des Solidaritätsprinzips wahrgenommen. Als wäre das Solidaritätsprinzip nur dafür erfunden worden, um die sich in der Unterzahl in der EU befindlichen Russland-Hasser zu unterstützen.
Wir wollen, dass jedes EU-Land bei der Bestimmung seiner wirtschaftlichen und politischen Prioritäten sowie bei der Suche nach Partnern in der regionalen und internationalen Arena sich nach seinen generellen nationalen Interessen richtet und nicht nach aus dem Finger gesogenen Prinzipien, die eigentlich keine solchen sind, sondern nur ein Vorwand, um alle in diesem antirussischen „Gespann“ bleiben zu lassen.
Was die Sanktionen unmittelbar angeht, so kann ich sagen, dass immer mehr EU-Länder diese Restriktionen für kontraproduktiv halten. Das bedeutet nur eines: Sie gehen allmählich von ihren nationalen Interessen aus und nicht von den Postulaten, die man ihnen von außerhalb aufzwingen will. Ich hoffe, dass absolut alle EU-Länder so handeln werden. Für manche von ihnen mag eine Verschärfung der Sanktionen zu den nationalen Interessen gehören – das weiß ich nicht genau. Aber jede Seite muss verstehen: Wenn jemand denkt, dass Zwangsmaßnahmen zu seinen Interessen gehören, und jemand anders vom Gegenteil überzeugt ist, dann sollte jeder bei seiner Meinung bleiben und nicht die anderen zwingen, einem gewissen Schema zu folgen, das für sie ausgedacht wurde.
Frage: In den letzten Wochen wurden in den Medien Aussagen Ihrer westlichen Kollegen wie US-Außenminister John Kerry, Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier usw. veröffentlicht, aus denen man schlussfolgern könnte, dass sie Verhandlungen mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nicht mehr ausschließen. Könnte das von einem Sinneswandel im Westen in Bezug auf dieses Problem bedeuten? Könnte das die Einberufung des so genannten Genf-3-Treffens beschleunigen, wozu die sich in Moskau versammelten Oppositionsvertreter aufriefen? Werden Sie sich mit ihnen heute treffen?
Sergej Lawrow: Natürlich bedeutet das, dass sich der Ton etwas geändert hat, denn jetzt werden solche Dinge gesagt, die erst vor kurzem nicht gesagt wurden. Immerhin besser später als gar nicht. In Syrien wird schon seit mehr als vier Jahren Blut vergossen: Viele Menschen – übrigens Christen – leiden dabei. Darüber haben wir heute auch gesprochen: zwecks Förderung der Initiative, die Russland, Armenien, Vatikan und der Libanon im UN-Rat für Menschenrechte Anfang März geäußert hatten. Es ist bedauernswert, dass unsere westlichen Partner in der Anfangsphase der Krise den falschen Weg zur „Abrechnung“ mit einer konkreten Person gegangen sind, die sie zum „Diktator“ abgestempelt hatten. Auf diesem Weg schlossen sich ihnen diverse „Verbündete“ an, unter denen aber Extremisten und Terroristen waren, mit denen sie damals aber im Grunde zusammenwirkten. Dabei weigerten sich unsere westlichen Partner, die Terroristen, die Assads Regime stürzen wollten, im UN-Sicherheitsrat zu verurteilen, und ignorierten dabei unsere zahlreichen Initiativen und das vom UN-Sicherheitsrat längst befürwortete Prinzip, dass der Terrorismus durch nichts gerechtfertigt werden kann. Man sagte uns, diese Terroristen wären schlechte Menschen, aber sie verhielten sich „schlecht“, weil sie mit dem Regime des Diktators unzufrieden wären. Im Grunde rechtfertigte Washington den Terrorismus, was inakzeptabel und empörend ist. Die Amerikaner rechneten damit, dass alles bald zu Ende gehen und das Regime zusammenbrechen würde, und versuchten, alle zu überzeugen, das Regime wäre „ganz faul“ und würde überhaupt keine Unterstützung in der syrischen Gesellschaft genießen. Das stimmte aber nicht. Dieses Regime wird immer noch von vielen Syrern – schätzungsweise von 50 bis 60 Prozent – unterstützt. Das ist eine ernstzunehmende Zahl. Die Syrer halten das aktuelle Regime für ein Unterpfand dafür, dass sich ihr Land nicht in ein „zweites Libyen“ verwandelt und nicht in Stücke zerfällt, die dann die Kräfte einsammeln würden, die das Land zum Zerfall gebracht haben. Es ist ja unklar, womit das endet.
Wir begrüßen die Tatsache, dass die Vernunft allmählich die Oberhand gewinnt, dass immer neue Oppositionskräfte der Notwendigkeit zustimmen, nach einer politischen Plattform für die Überwindung der Krisen zu suchen. Wie Sie bemerkt haben, findet in Moskau an diesen Tagen das zweite Treffen der syrischen Oppositionskräfte statt, an dem sich etwas später auch eine Delegation der Regierung der Arabischen Republik Syrien beteiligen wird. Nach dem ersten Treffen im Januar hat der Moderator dieser Diskussion, Leiter des Instituts für Orientalistik bei der Russischen Akademie der Wissenschaften, Akademiemitglied Vitali Naumkin, die Prinzipien formuliert, die die Seiten nicht abgelehnt, sondern großenteils akzeptiert haben. Wir rechnen damit, dass sich die Seiten auf Basis dieser Prinzipien noch besser verständigen können. Unser Ziel besteht nicht darin, die Bemühungen um den Beginn von offiziellen Verhandlungen zu ersetzen, sondern darin, Bedingungen dafür zu schaffen, dass solche Verhandlungen möglichst produktiv und maximal repräsentativ sind. Das Genfer Kommuniqué vom 30. Juni 2012, das von allen als Basis für die Regelung angesehen wird, verlangt, dass sich am Dialog das gesamte Spektrum der syrischen Gesellschaft beteiligt. Die vorigen Versuche, einen solchen Dialog zu beginnen, scheiterten, weil unsere westlichen Partner und manche Länder der Region versuchten, nur eine Oppositionsgruppierung, die im Ausland aus Emigranten gebildet worden war, als einzigen Vertreter des gesamten syrischen Volkes darzustellen.
Jetzt wurde die faktische Schädlichkeit einer solchen Vorgehensweise eingeräumt. Gleichzeitig mit unseren ägyptischen Kollegen bemühen wir uns darum, die syrische Opposition auf der Plattform des Dialogs und in Übereinstimmung mit dem Genfer Kommuniqué zu konsolidieren. Die Ergebnisse dieses Dialogs sollen auf Basis der gegenseitigen Verständigung aller Oppositionskräfte und der Regierungsvertreter erreicht werden. Lassen Sie uns sehen, womit diese Runde der Moskauer Beratungen endet.