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Interview des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, für die serbische Zeitung „Politika“, 3. Februar 2014

184-03-02-2014

Frage: Die Beziehungen zwischen Russland und Serbien sind sehr gut, könnten aber, wie ein bekannter Politiker sagte, auch besser sein. Was kann man Ihrer Meinung nach verbessern?

Lawrow: Die Beziehungen zwischen unseren Staaten sind nicht nur einfach sehr gut. Sie haben das Niveau einer strategischen Partnerschaft, umfassen alle Bereiche der Zusammenarbeit – Politik, Handel, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Bildung – und dienen den Interessen unserer Völker. Die Grundprinzipien unserer Zusammenarbeit sind dokumentiert in der Deklaration über strategische Partnerschaft, die von den Präsidenten Wladimir Putin und Tomislav Nikolić am 24. Mai 2013 in Sotschi unterzeichnet wurde.

Russland und Serbien einen tiefe gegenseitige Gefühle der Freundschaft, des gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens, jahrhundertelange Traditionen der Nähe unserer Völker, das Andenken an die Waffenbruderschaft, in erster Linie im Kampf gegen den Faschismus während des Zweiten Weltkriegs. Das ist ein festes Fundament, auf dem sich unsere Zusammenarbeit auf bilateraler Ebene entwickelt und sich die Kooperation bei einem weiten Kreis an aktuellen Fragen der internationalen Agenda festigt.

Gleichzeitig ist offensichtlich, dass das erreichte hohe Niveau unserer Beziehungen nicht im vollen Maß den Erfordernissen und Möglichkeiten der beiden Länder entspricht. Ein bedeutendes Potential gibt es bei den russisch-serbischen Beziehungen im Handels- und Wirtschaftsbereich. Ein für alle sichtbares Beispiel für eine erfolgreiche Investitionskooperation - die Kapitalbeteiligung eines russischen Investors an der Firma NIS - führte dazu, dass dieser Konzern nicht mehr verlustbringend arbeitet und sich zu einem sehr großen Steuerzahler im Land entwickelte. Wir hoffen, dass den russischen Investoren auch in Zukunft günstige Bedingungen gewährt werden. Wir sind überzeugt, dass der Zufluss russischen Kapitals und große Kreditabkommen zur wirtschaftlichen Entwicklung Serbiens beitragen werden, was auch eine Verbesserung des Lebensstandards der serbischen Bevölkerung bedeutet.

Wir gehen konsequent davon aus, dass die russisch-serbischen Beziehungen keine Geisel von äußeren Faktoren sein können. Für uns ist wichtig, dass die Annäherung Belgrads an die Europäische Union, der Beginn von offiziellen Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU unserer Partnerschaft keinen Schaden zufügen, darunter auch der Verwirklichung von großen Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten wie etwa im Energiebereich. Wir sind überzeugt, dass sich auch unsere serbischen Freunde von einem solchen Verständnis leiten lassen.

Frage: Als in Serbien mit dem Bau von „South Stream" begonnen wurde, begann Europa mit seinem „Dritten Energiepaket" zu drohen. Es gibt die Befürchtung, dass Europa mit einer Politik von „Zuckerbrot und Peitsche" versucht, den Serben zu „erklären", dass ihnen der Weg nach Europa mit einem solchen, den „europäischen Normen nicht entsprechenden" Energievertrag mit Russland verschlossen ist. Kann Serbien, das bereits seit langem sehr starkem Druck und Erpressung ausgesetzt ist, „South Stream" verteidigen und wie kann Russland in dieser Sache helfen?

Lawrow: Indem „South Stream" zu einer Diversifizierung der Transportwege des für Europa bestimmten Gases beiträgt, ist diese Gasleitung ein gewichtiger Beitrag Russlands zur Wahrung einer umfassenden Energiesicherheit auf dem Kontinent. Bei Serbien geht es auch um große Investitionen im Ausmaß von zwei Milliarden Euro und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen.

In diesem Kontext rufen die Erklärungen Brüssels Erstaunen und Besorgnis hervor, dass die Regierungsabkommen zwischen Russland und den Teilnehmerstaaten des Projekts „South Stream", einschließlich Serbiens, überprüft werden müssen, um sie in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des „Dritten Energiepakets" der EU zu bringen. Es ist offensichtlich, dass die Gesetzgebung der EU nicht retrospektiv angewendet werden und die Durchführung von früher geschlossenen bilateralen Abkommen nicht behindern darf. Die erwähnten Abkommen sind ein fester Bestandteil des Internationalen Rechts und können keiner einseitigen Abänderung unterliegen. Wir gehen davon aus, dass eine solche Position auch unsere serbischen Partner teilen.

Wir führen einen aktiven Dialog mit der Europäischen Kommission über die Gewährung von notwendigen Ausnahmen im Dritten Energiepaket für „South Stream". Wir schlagen der EU einen bilateralen Sondervertrag vor, der die Prinzipien für das Funktionieren der grenzüberschreitenden Energieinfrastruktur festlegt. Zu diesem Zweck übergaben wir der EU einen ausgearbeiteten Entwurf für ein entsprechendes Dokument.

In den Beziehungen zwischen Russland und der EU haben sich etliche Fragen angehäuft, darunter auch solche im Zusammenhang mit der Politik der „Östlichen Partnerschaft". Wir möchten die Aufmerksamkeit richten auf das Fehlen von adäquaten Reaktionen von Seiten der EU auf die Ereignisse in der Ukraine, vor allem auf die Besetzungen der lokalen Verwaltungsgebäude durch oppositionelle Gruppen in mehreren ukrainischen Regionen. Auf dem Russland-EU-Gipfel am 28. Jänner gab es ein inhaltsreiches, offenes Gespräch zu einem breiten Themenspektrum. Wichtig ist, dass dieses Gespräch den strategischen Charakter der Partnerschaft zwischen Russland und der Europäischen Union bekräftigte.

Frage: Seit wir das letzte Mal über die autonome Provinz Kosovo und Metochien sprachen, hat sich die Lage sehr verändert. Wie sehen Sie die heutige Situation?

Lawrow: Natürlich kommt es auch in Kosovo und Metochien zu bestimmten Veränderungen, wie auf dem Balkan insgesamt. Dabei bleibt die russische Position unverändert - eine lebensfähige, gegenseitig annehmbare Lösung muss auf Basis der UNO-Sicherheitsratsresolution 1244 erzielt werden. Wir sind bereit, Belgrad auch weiterhin in der Kosovo-Frage zu unterstützen, wobei wir davon ausgehen, dass die serbische Seite für sich alleine die Prioritäten bei der Arbeit in diesem Bereich festlegt.

Wir unterstützten prinzipiell die Aufnahme eines Dialogs zwischen Belgrad und Priština für die Schaffung von Voraussetzungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung der Provinz. Besondere Bedeutung messen wir natürlich der Notwendigkeit bei, die Lage der serbischen Gemeinde zu verbessern.

Leider sehen wir, dass die Schwierigkeiten, mit denen täglich die Bürger Serbiens in der Provinz, vor allem aber in den Enklaven, konfrontiert sind, nicht verschwunden sind. Weiterhin unter Bedrohung stehen Objekte des serbischen geistigen und kulturellen Erbes. Vor kurzem wurde mit Unterstützung Russlands die unter der Ägide der UNESCO durchgeführte Arbeit zur Wiederherstellung von orthodoxen Gotteshäusern in der Provinz beendet und wir hoffen, dass diese nicht umsonst war. Höchst genau müssen die Fälle von Handel mit menschlichen Organen untersucht werden. Unruhe ruft auch der andauernde illegale Waffen- und Drogenhandel hervor. Weiterhin bestehen auch andere Bedrohungen wie etwa die Terrorgefahr.

Wir sehen einen Fortschritt bei den Verhandlungen. Wir werden mit allen Lösungen einverstanden sein, die auch für Serbien annehmbar sind. Gleichzeitig dürfen erzielte Fortschritte für die internationale Staatengemeinschaft kein Grund zur Selbstberuhigung sein, die der Lage in Kosovo und Metochien weiterhin höchste Aufmerksamkeit zukommen lassen muss.

Frage: In diesem Jahr begehen wir den hundertsten Jahrestag des Beginns des Großen Kriegs. Es gibt sehr ernst zu nehmende Versuche, die Geschichte zu falsifizieren. Man beginnt, die Schuld Serbiens und Russlands an diesem Krieg zu beweisen. Was kann man der gewaltigen Propagandamaschine derjenigen entgegensetzten, die an seiner Entfesselung schuldig waren?

Lawrow: Der hundertste Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ist tatsächlich ein wichtiger historischer Wendepunkt, der Anlass dazu gibt, über die Gründe für die Erschütterungen, die der europäische Kontinent im zwanzigsten Jahrhundert durchlebte, nachzudenken und um daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wir sind überzeugt, dass dieses so wie auch andere historische Daten genützt werden müssen nicht als Anlass für die Entfaltung von neuen Propagandakriegen und auch nicht für politische Spiele, die auf der Verfälschung von Tatsachen beruhen, sondern dafür, um solche Tragödien nicht wieder zuzulassen, damit der „Kalte Krieg" tatsächlich die letzte Epoche der Konfrontation in Europa war.

Die Ereignisse, die sich auf dem Kontinent am Vorabend des Ersten Weltkriegs abspielten, bieten ein beeindruckendes Zeugnis dafür, wohin nationaler Egoismus und das Bestreben führen, seine eigene Sicherheit und seine eigenen Interessen auf Kosten anderer zu wahren. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass die Versuche, Russland zu isolieren und an den Rand der europäischen Politik abzudrängen, unweigerlich Prozesse in Gang setzten, deren Entwicklung letzten Endes mit einer Katastrophe endete. Umgekehrt jedoch wurde die aktive Teilnahme unseres Landes an den europäischen Angelegenheiten in der Regel durch lange Perioden der Ruhe und stabilen Entwicklung begleitet. Ich denke, dass alle diese Überlegungen berücksichtigt werden müssen bei der Ausarbeitung von Wegen zur Überwindung der Krisenerscheinungen in Europa.

In Russland wurde ein spezielles Organisationskomitee für die Vorbereitung von Veranstaltungen gegründet, die dem hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs gewidmet sind. Für unsere Staaten hat das sich nahende Jubiläum eine besondere Bedeutung. Wir planen, es gemeinsam mit zahlreichen Aktionen zu begehen. Wir setzen die notwendigen Schritte für die zeitgerechte Wiederherstellung der unikalen „Russischen Nekropole" auf dem Neuen Friedhof in Belgrad, auf dem viele russische Soldaten dieses Krieges begraben sind.

Die Gelegenheit nutzend möchte ich der Zeitung „Politika" zu einem bedeutenden Jubiläum gratulieren – dem 110. Jahrestag ihres erstens Erscheinens – und ihrem schöpferischen Kollektiv neue Erfolge sowie ihren Lesern das Allerbeste wünschen.