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Stenogramm der Rede Außenministers Russlands und seiner Antworten auf Fragen der Medien während der gemeinsamen Pressekonferenz zu Ergebnissen der Verhandlungen mit dem Vizekanzler und Außenminister der BRD G. Westerwelle, Moskau, 20. November 2009

1759-20-11-2009

Sehr geehrte Kollegen,

Zusammen mit dem Außenminister Deutschlands G. Westerwelle haben wir sehr nützliche Verhandlungen durchgeführt. Das ist unser erster offizieller vollwertiger Kontakt. Wir erinnern uns daran, dass die heute vom Herrn G. Westerwelle geleitete Freie demokratische Partei an den Ursprüngen der deutschen „östlichen Politik" stand, an den Ursprüngen der Bildung von Grundlagen für die wahrhaftig gutnachbarlichen Beziehungen zwischen unseren Staaten nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Wir schätzen den Beitrag, den die Vorgänger von Herrn G. Westerwelle auf diesem Posten – vor allem W. Scheel, H.-D. Genscher und K. Kinkel – zur Bildung des Fundaments für die strategische Partnerschaft zwischen Russland und Deutschlang leisteten, hoch ein. Die unter ihrer Beteiligung angelegten Prinzipien von gegenseitigem Vertrauen und Respekt bilden bis heute eine feste Basis unserer partnerschaftlichen Beziehungen, unserer strategischen Partnerschaft.

Unser Dialog hat einen intensiven Charakter und umfasst eine beeindruckende Liste von Themen der bilateralen Beziehungen und die wichtigsten internationalen Probleme. Eine besondere Bedeutung behält auf der jetzigen Etappe die Aufgabe der Weiterentwicklung unserer Partnerschaft in allen Richtungen, in erster Linie in der Wirtschaft unter Berücksichtigung der Auswirkungen, die unsere Staaten infolge der globalen Krise spüren. Heute bestätigten wir die Bereitschaft und Entschlossenheit der Regierungen beider Staaten, diese Richtung einzuschlagen. In den russisch-deutschen Beziehungen haben wir ein solches Motto wie „Partnerschaft für Modernisierung". Wir begrüßen die Nachfolgerschaft des Ansatzes der neuen Regierung Deutschlands zu dieser strategischen Aufgabe und rechnen damit, dass dieses Motto auch weiterhin in konkreten Projekten ins Leben umgesetzt wird. Wir setzen die Arbeit am Projekt „North Stream" fort und heute konstatierten wir einen erfolgreichen Verlauf der Ereignisse um dieses wichtige Projekt mit einer gemeineuropäischen Bedeutung.

Wir besprachen heute die Aufgaben zur Entwicklung einer Partnerschaft zwischen Russland und der EU. Diese Aufgaben wurden buchstäblich gestern auf dem Russland-EU-Gipfeltreffen, das in Stockholm stattfand, besprochen. Das Treffen wurde erfolgreich abgeschlossen und skizzierte weitere Aufgaben zur schnellstmöglichen Abschließung eines neuen Basisabkommens für strategische Partnerschaft. Wir sehen in diesem Abkommen ein Mittel zur Vertiefung unserer partnerschaftlichen Beziehungen, vor allem in solchen Bereichen, wie die energetische Sicherheit, humanitäre Zusammenarbeit, einschließlich des schnellstmöglichen Übergangs zu einem visafreien Verfahren, sowie die Bildung eines Mechanismus der gemeinsamen Reagierung auf verschiedene Krisen, die auftreten können.

Wir lenkten Aufmerksamkeit auf die Initiative des Präsidenten der Russischen Föderation zur Abschließung eines neuen Vertrags über europäische Sicherheit. In diesem Kontext besprachen wir unsere Zusammenarbeit zur außenpolitischen und militärischen Sicherheit auf dem europäischen Kontinent, unter anderem auch im Rahmen des Russland-NATO-Rates. Wir sind daran interessiert, in Europa auf der Grundlage von rechtlichen Verpflichtungen ein gleiches Sicherheitsniveau für alle Staaten des euro-atlantischen Raums zu gewährleisten und Mechanismen zur Umsetzung dieses Prinzips zu schaffen.

Wir widmeten große Aufmerksamkeit der Abrüstungsproblematik, den Mechanismen zur Kontrolle von Bewaffnungen, sowie den Perspektiven der Entblockung der Situation um den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa. Wir begrüßen es, dass im Koalitionsabkommen, auf dessen Grundlage die neue Regierung Deutschlands handelt, die Bereitschaft enthalten ist, einen adaptierten KSE-Vertrag zu ratifizieren. Wir sind offen für die Besprechung von den damit verbundenen Fragen. Russland hat die entsprechenden Vorschläge noch in Mai dieses Jahres vorgelegt und ist daran interessiert, nach Lösungen in mehrseitigen Formaten unter Beteiligung aller Staaten, die zum KSE-Regime gehören, zu suchen.

Im Ganzen denke ich, dass unsere Beziehungen ein großes Maß an gegenseitigem Verständnis enthalten. Zu vielen Fragen stimmen unsere Positionen überein. Wir haben uns zusammen mit Herrn G. Westerwelle buchstäblich gestern an der Zeremonie des Amtsantritts von H. Karsai in seine zweite Periode als Präsident beteiligt. Die Nähe unserer Positionen zeigt sich auch im Bezug auf das iranische Nuklearprogramm, die Nahost-Regelung, sowie bei vielen anderen aktuellen Fragen der internationalen Tagesordnung.

Ich bin überzeugt, dass wir mit meinem neuen Kollegen die außenpolitischen Aspekte der russisch-deutschen strategischen Partnerschaft würdig weiterentwickeln werden. Ich habe die Einladung zu einem offiziellen Besuch nach Deutschland erhalten und nehme sie gerne an. Und in der Zwischenzeit werden wir unsere Arbeit an der Umsetzung von Aufgaben, die in Rahmen von Treffen auf hoher Ebene aufgestellt wurden, fortsetzen.

Ich bedanke mich bei G. Westerwelle für die Kooperation und gebe das Wort an ihn weiter.

Frage: Ich habe eine Frage an den deutschen Minister. Haben sie über Menschenrechte und eine bürgerliche Gesellschaft gesprochen? Haben sie während Ihres Gesprächs mit dem Minister S.W. Lawrow das Gerichtsverfahren gegen Chodorkowskij angesprochen?

S.W. Lawrow: Wir haben tatsächlich darüber nicht gesprochen, obwohl wir solchen Gesprächen nie ausweichen. Die Fragen, die von Journalisten oder unseren Partnern an uns gestellt werden, bekommen immer eine Antwort, und in diesem Fall – wie auch in jedem anderen Fall, der die nationale Gesetzgebung betrifft – können wir uns nur von dieser nationalen Gesetzgebung leiten lassen. Die Gerichtsentscheidungen, die in Russland getroffen werden, haben eine eigenwertige Bedeutung, genauso wie die Gerichtsentscheidungen, die in Deutschland getroffen werden. Wir haben heute eine solche gerichtliche Entscheidung, die kürzlich in Deutschland getroffen wurde, besprochen. Ich bedanke mich bei meinem Kollegen für seine aufrichtigen Antworten auf meine Fragen, aber ein unabhängiges Gerichtssystem soll nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Russischen Föderation respektiert werden.

Frage: Eine Frage an beide Minister. Kürzlich fand die Erwählung einer neuen EU-Leitung, unter anderem, des Präsidenten und des Oberhaupts des EU-Außenministeriums, statt. Wie bewerten sie diese Ernennungen und womit ist, ihrer Ansicht nach, die Wahl ausgerechnet dieser Kandidaten auf diese Posten verbunden? Welche Perspektiven zur Entwicklung des Dialogs zwischen Russland und der EU sehen sie in diesem Zusammenhang? Vielen Dank.

S.W. Lawrow: Ich kann nur das wiederholen, was wir mehrmals gesagt haben: Russland ist an einer Stärkung und Effizienzsteigerung der EU interessiert. Das ist bestimmt wichtig für die EU-Mitglieder selbst und das ist auch wichtig für die EU-Partner auf der Weltarena. Wir sind daran interessiert, dass die EU zu internationalen Angelegenheiten operativer handeln könnte und mit einer einheitlichen Stimme sprechen würde. Wir begrüßten die Unterschreibung und das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags und jetzt wird er praktisch umgesetzt. Wir möchten mit neuen Personen in der EU-Führungsspitze zusammenarbeiten. Ich bin überzeugt, dass Herman van Rompuy den Kurs auf eine Entwicklung der strategischen Partnerschaft mit der Russischen Föderation beibehalten wird. Was Baronesse Ashton, den unmittelbaren Partner der Außenminister aller Staaten, die nicht zur EU gehören, angeht, so haben wir sie binnen des Jahres ihrer Arbeit als eines Europäischen Kommissars für Handel als einen großen Profi kennen gelernt, als eine Person, die der Aufgabe der Entwicklung Europas ergeben ist. Bei Kontakten mit ihren russischen Kollegen demonstrierte sie ihre Fähigkeit, unseren Standpunkt zu hören und zu berücksichtigen. Ich rechne damit, dass es auch auf ihrem neuen Posten der Fall sein wird.

Frage: Das sind zwei führende Persönlichkeiten, die die Führungsspitze der EU ergänzen, denn es gibt natürlich auch andere führende Persönlichkeiten, solche wie, zum Beispiel, der Vorsitzende des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission. Eine Frage an den russischen Außenminister. Sie haben gestern in Kabul unseren neuen Außenminister getroffen. Die Sowjetunion und Russland haben bei der Zusammenarbeit mit Afghanistan eine große Erfahrung. Welche Zusammenarbeit könnten Sie im Zusammenhang mit der Situation in Afghanistan zwischen Russland und den westlichen Partnern verwirklichen? Welche Fehler sollten die westlichen Partner in Afghanistan besser vermeiden?

S.W. Lawrow: Wissen Sie, ich werde nicht über Fehler sprechen. Aus Fehlern muss man vor allem selbstständig lernen. Heute geht es darum, dass man nicht versuchen sollte, die Probleme irgendwie zu vertuschen. Und in diesem Sinne rief die Inaugurationsrede des Präsidenten H. Karsai bei uns und unseren westlichen Partnern große Zustimmung hervor. Heute haben wir uns mit G. Westerwelle geeinigt, dass wir alle, die ganze internationale Gesellschaft, die Aufgaben, die von dem Präsidenten Afghanistans aufgestellt wurden, unterstützen müssen. Wir besprachen auch die bekannten Initiativen zur Notwendigkeit der Einberufung einer internationalen Konferenz zu diesem Zwecke. Natürlich muss sie gut vorbereitet werden und sie soll zu einem Meilenstein werden bei der Steigerung der Unterstützung von Bemühungen Afghanistans, von Bemühungen des afghanischen Volkes, die darauf gerichtet sind, die Verantwortung für die Lage im Staat völlig in die eigenen Hände zu nehmen. Wir gehen davon aus, aber um die gegenseitige Erfahrung zu berücksichtigen, müssen wir eine höchstmögliche Offenheit aller zur afghanischen Problematik wirkenden Formate gewährleisten. Ich habe schon mehrmals erwähnt, dass Russland vor langer Zeit seinen NATO-Partnern vorschlug, eine breitere Zusammenarbeit zu entwickeln. Zum Beispiel, gibt es in der NATO einen solchen Diskussionsformat, der die Mitglieder der nordatlantischen Allianz, Afghanistan und die Staaten Zentralasiens umfasst. Wir wären daran interessiert, und ich denke, dass es auch der NATO selbst Nutzen bringen würde, Russland an solche Diskussionen anzuschließen. Das ist einer der praktischen Schritte, die zu einer wirksameren Ausarbeitung der gemeinsamen Strategie führen könnten. Eine andere Idee, die vorgeschlagen wurde, ist die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen der NATO, die das Grundgestell für die internationalen Kräfte innerhalb Afghanistans gewährleistet, einerseits und der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit andererseits, die unter anderem regelmäßige Antidrogenoperationen entlang der äußeren Grenzen Afghanistans durchführt. Außerdem erwarten wir auch eine konstruktive Reaktion seitens unserer NATO-Partner. Unter anderem beabsichtigen wir, dieses Thema auf der Anfang Dezember bevorstehenden Ministersitzung des Russland-NATO-Rates zu besprechen. Was aber die praktischen Formen der Zusammenarbeit betrifft, so stellt Russland ihr Territorium, wie sie wissen, einer ganzen Reihe von NATO-Staaten für den Transit von militärischen Gütern zur Verfügung. Der erste Staat war Deutschland, mit dem ein entsprechendes Abkommen abgeschlossen wurde. Eine ähnliche Vereinbarung gilt mit Frankreich und Italien. Kürzlich hat sich auch Spanien an diese Staaten angeschlossen. Auch mit den Vereinigten Staaten wurde eine präzedenzlose Vereinbarung über den Transit von militärischen Gütern auf dem Luftweg durch den Luftraum der Russischen Föderation abgeschlossen.

Wir leisten unseren Beitrag zur Festigung der Rechtsordnungskräfte Afghanistans, zum Wiederaufbau einer ganzen Reihe von wichtigen Infrastrukturobjekten und anderen Objekten auf dem Territorium dieses Staates, bereiten sowohl staatliche als auch militärische Kader für den afghanischen Staat vor. Was die heutige Veranstaltung angeht, wenn sich die Außenminister Russlands und Deutschlands treffen, so wurde im August dieses Jahres eine äußerst wichtige gemeinsame Initiative verwirklicht: auf der Grundlage von gemeinsamer Finanzierung gewährleisteten unsere beiden Staaten die Lieferung von zwei Hubschraubern für die afghanischen Polizisten, die für die medizinische Evakuierung ausgestattet wurden. In Kabul wurde es sehr gut aufgenommen. Dort fand eine feierliche Sonderzeremonie unter Beteiligung der Vertreter Deutschlands und Russlands statt. Ich denke, dass wir auch weitere Schritte in dieser Richtung besprechen können.

20. November 2009


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