Vortrag und Antworten des russischen Außenministers S. W. Lawrow auf die Fragen der Medien im Zuge der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Außenminister der Türkei A. Davutoğlu bezüglich der Zweiten Sitzung der russisch-türkischen Gruppe für strategische Planung, Moskau, 25. Januar 2012
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wir haben die zweite Sitzung unserer Gemeinsamen Gruppe für strategische Planung abgehalten. Dieser Mechanismus, an deren Spitze der russische Präsident D. A. Medwedew und der Ministerpräsidenten der Türkei, R. T. Erdogan, stehen, wurde in Übereinstimmung mit dem Kooperationsrat auf höchster Ebene geschaffen. Der russisch-türkische Dialog, der im Rahmen der Gruppe unter dem Vorsitz der Außenminister stattfand, wurde der Entwicklung von gemeinsamen Herangehensweisen auf Grundlage einer Annäherung der Positionen gewidmet. Dies soll eine Bestimmung der zukünftigen Richtungen unserer Zusammenarbeit ermöglichen.
Seit der letzten Sitzung, die 2011 in Istanbul stattfand, wurden unter der Ägide der Gemeinsamen Gruppe für strategische Planung über 20 Treffen und Beratungen organisiert. Heute wurden die Arbeitsergebnisse behandelt und eine Gemeinsame Erklärung verabschiedet, die alle Aspekte einer bilateralen Zusammenarbeit beinhaltet. Wir sehen diesen Bericht als Beitrag der außenpolitischen Ämter bei der Vorbereitung der dritten Sitzung des Kooperationsrats auf höchster Ebene, die für das zweite Halbjahr 2012 geplant ist. Zweifellos sollten hier die russisch-türkische Regierungskommission für Handels- und Wirtschaftskooperation und das Öffentlichkeitsforum ihren Beitrag leisten, deren Sitzungen ebenfalls in diesem Jahr bis zum Treffen der Vorsitzenden stattfinden sollen.
Im Zuge der heutigen Beratungen bestätigten wir eine gute, intensive Entwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der Türkei. Es wird erwartet, dass der Handelsumsatz, gemäß den Ergebnissen des letzten Jahres, ein Rekordniveau von mehr als 31 Mrd. Dollar erreichen wird. Es wird intensiv an der Fertigstellung der Pipeline South Stream und des ersten Kernkraftwerks der Türkei auf dem Standort Akkuyu gearbeitet. Wir denken, dass die Verwirklichung der genannten Projekte einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zum Ziel darstellt, dass vom Präsidenten Russlands, D. A. Medwedew, und dem Premier-Minister der Türkei, R. T. Erdogan festgelegt wurde – nämlich den Handelsumsatz zwischen unseren beiden Ländern in den nächsten Jahren auf 100 Mrd. Dollar zu erhöhen.
Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verzeichneten wir eine gute Entwicklung in unserer Zusammenarbeit im Rüstungsbereich, sowie im Bereich der Geisteswissenschaften und des Tourismus. Anhand der Zahlen des letzten Jahres konnte ein weiterer Rekord festgestellt werden – 3,6 Millionen Russen besuchten die Türkei.
Besonderes Augenmerk wurde auf aktuelle Probleme auf der regionalen und internationalen Tagesordnung gelegt. Unsere Länder haben sehr ähnliche oder sogar gleiche Herangehensweisen bei der weiteren Entwicklung der Zusammenarbeit in der Schwarzmeerregion und bei der Suche nach Wegen zur Stabilisierung der Lage im Balkan und in Transkaukasien. Außerdem arbeiten wir gemeinsam intensiv an einer Lösung der mittelasiatischen Problematik.
In einer konstruktiven und vertrauensvollen Atmosphäre diskutierten wir Probleme im Zusammenhang mit den Ereignissen im Nahen Osten und in Nordafrika. Wir betrachten diese Situation unter Bezugnahme aller Aspekte, die in dieser äußerst wichtigen Region auftreten. Unsere Diskussion bestätigte die offensichtliche Wichtigkeit des Mechanismus der Gemeinsamen Gruppe für strategische Planung. Wir sind daran interessiert, die Zusammenarbeit mit unseren türkischen Freunden in diesem Rahmen stark zu vertiefen.
Frage (an beide Minister): Es ist bekannt, dass die Positionen Russlands und der Türkei bei vielen internationalen Fragen ähnlich oder gleich sind. Wo liegen die Gemeinsamkeiten und die Gegensätze in der Iran- und in der Syrienpolitik?
S. W. Lawrow (antwortet zuerst): Was Syrien anbelangt, so sind unsere prinzipiellen Herangehensweisen größtenteils gleich. Wir setzten uns natürlich für ein Ende der Gewalt ein, woher sie auch immer stammen mag. Dafür hat sich übrigens auch die Arabische Liga ausgesprochen. Wir setzten uns für eine friedliche Regelung der Situation in Syrien ein und dafür, dass die Akteure von Außerhalb eine solche Entwicklung der Ereignisse fördern. Wir sind außerdem gegen jegliche militärische Intervention von außen.
Heute haben wir sehr ausführlich besprochen, wie diese Grundprinzipien in die Tat umgesetzt werden können. Eine einfache Lösung dieses Problems gibt es noch nicht. Wir haben eine Fortsetzung des Dialogs festgelegt. Wir werden mit anderen Ländern in Kontakt bleiben, die bei einer friedlichen Regelung der Situation in Syrien mithelfen und mit allen syrischen Parteien zusammenarbeiten wollen. Vergleichsweise haben wir Vorteile gegenüber jenen, von denen die Regelung der Krise abhängt und werden versuchen diese koordiniert zu nutzen.
Auch beim Iran vertreten wir fast einheitliche Positionen. Russland und die Türkei setzten sich dafür ein, dass das iranische Atomproblem ausschließlich auf politischem und diplomatischem Wege gelöst wird. Sowohl Moskau als auch die Türkei setzten sich dafür ein, dass die Verhandlungen bezüglich des iranischen Atomprogramms zwischen der „Fünf-plus-eins"-Gruppe und Teheran wiederaufgenommen werden. Außerdem arbeiten beide Länder intensiv daran, die hierfür notwendigen Bedingungen zu schaffen. Russland als Mitglied der Sechsergruppe fördert aktiv die Modernisierung der Vorgehensweisen, die von dieser Gruppe vor drei Jahren ausgearbeitet und dem Iran vorgelegt. Die Türkei setzt sich bei der Lösung organisatorischer Fragen aktiv ein und hat unter anderem angeboten, einen Ort auf ihrem Gebiet für eine neue Verhandlungsrunde zu stellen. Wir unterstützen dies aktiv.
Frage (an A. Davutoğlu): Die Türkei unterstützt die syrischen Freiheitstruppen aktiv; sowohl wirtschaftlich als auch diplomatisch. Warum finden Sie dies gerechtfertigt zu einer Zeit, in der die Türkei selbst sich äußerst unzufrieden darüber äußert, dass andere Länder kurdische Bewegungen unterstützen?
S. W. Lawrow (zusätzlich zur Antwort von A. Davutoğlu): Was den Ort für die Durchführung eines Dialogs zwischen den verschiedenen syrischen Truppen angeht, so werden wir jede Wahl begrüßen, die für alle akzeptabel ist. Falls die Opposition nicht nach Damaskus fahren möchte, so könnte die Ortswahl auf Kairo fallen, wo sich das Hauptquartier der Arabischen Liga befindet, oder auf einen Ort in Russland oder der Türkei. Wichtig ist, dass die Weltöffentlichkeit gemeinsam alle Parteien dazu bewegt, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Man muss sich von den militärischen Gruppen distanzieren, die im Einklang mit der Initiative der Arabischen Liga verpflichtet sind, der Gewalt ein Ende zu setzten. Dieser Prozess sollte beiderseitig sein. Es ist wichtig, dass alle Mitglieder der Weltgemeinschaft im Einklang miteinander handeln, um die Parteien davon zu überzeugen, sich von der Gewalt loszusagen und Verhandlungen aufzunehmen.
Eine Sache würde ich gerne präzisieren. Mein Freund A. Davutoğlu erwähnte, dass die türkische Botschaft in Libyen nicht geschlossen wurde. Die diplomatische Vertretung Russlands in Tripolis war ebenfalls nie geschlossen.
Frage: Wird Russland dem UN-Sicherheitsrat erneut eine Syrien-Resolution vorlegen? Wenn ja, mit welchen Änderungen und wenn ohne Änderungen, dann weshalb?
Wie kommentieren Sie den Appell der Arabischen Liga an den syrischen Präsidenten B. Assad, seinen Posten aufzugeben? Wird ein Rücktritt B. Assads eine friedliche Klärung der Situation in Syrien fördern?
S. W. Lawrow: Russland wird dem Sicherheitsrat keine weitere Resolution, wie Sie sich ausdrückten, „vorlegen", da diese dort nie verschwunden ist und noch immer auf dem Verhandlungstisch liegt. Bezüglich unseres Projekts werden noch Beratungen geführt.
Wir sind offen für konstruktive Vorschläge, die zum Ende von Gewalt jeglicher Art beitragen. Und mit diesem Ziel werden wir auf all jene Einfluss nehmen, die heute in Syrien zu den Waffen greifen. Die Zweite Aufgabe ist, alle dazu zu verpflichten darauf hinzuarbeiten, dass bald ein inklusiver Dialog zwischen allen Syrischen Truppen stattfindet. Der dritte und sehr wichtige Punkt ist, dass wir das Angebot, die rückwirkend und einseitig vom UN-Sicherheitsrat festgelegten Sanktionen anzunehmen, nicht wahrnehmen können. Diese Sanktionen wurden ohne Rücksprache mit Russland, China und den anderen BRICS-Staaten vorgenommen. Dies ist eine unfaire und kontraproduktive Vorgehensweise.
Zunächst muss man sich beraten, eine gemeinsame Stellung herausarbeiten und erst dann bestimmte Entscheidungen fällen. Einseitig festgelegte Sanktionen sind nicht konstruktiv. Davon zeugen auch andere Situationen auf der Welt. Der vierte, unverzichtbare Punkt der Resolution des Sicherheitsrats ist die genaue Festlegung der Tatsache, dass sie keinen Interpretationsspielraum lässt, den man nutzen könnte, um militärische Interventionen jeglicher Art bei der Syrien-Krise zu rechtfertigen. Wir denken, eine solche Vorgehensweise ist ausgeglichen und gerecht, im Gegensatz zu Versuchen, einseitige Resolutionen zu verabschieden, die lediglich eine Seite verurteilt und somit dazu führt, dass die andere Seite Konfrontationen sucht und unnachgiebig ist. Wir hatten diese Situation schon in Libyen und werden nicht zulassen, dass sich das „libysche Szenario" wiederholt.
Was Ihre zweite Frage anbelangt, so setzten wir uns prinzipiell dafür ein, dass der inklusive Dialog zwischen allen syrischen Truppen ohne Vorbedingungen beginnt. Wir gehen davon aus, dass alle Teilnehmer dieses Dialogs sich mit der Aufgabe beschäftigen werden, Einigkeit zu erreichen und die Verantwortung für das Schicksal des Landes und des Volkes zu übernehmen.