Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz nach den Verhandlungen mit dem Außenminister der Republik El Salvador, Hugo Roger Martinez Bonilla, am 9. Juni 2015 in Moskau
Wir hatten sehr inhaltsvolle, nützliche, konkrete Verhandlungen. Wir besprachen fast die gesamte Palette der Fragen, die vom gegenseitigen Interesse sind. Wir haben vereinbart, wie in Zukunft in vielen Richtungen gearbeitet werden soll.
Wir haben die Bedeutung der Erweiterung der handelswirtschaftlichen Verbindungen hervorgehoben, insbesondere durch die Heranziehung der Geschäftskreise beider Länder. Im vergangenen Jahr reiste eine russische Geschäftsmission nach El Salvador. Es wurde vereinbart, eine Mission der Geschäftskreise El Salvadors in der Russischen Föderation vorzubereiten. Es gibt bereits bestimmte Aussichten, es wurden konkrete Projekte angedeutet, darunter im Bereich Verarbeitung der Landwirtschaftsprodukte, Erkundung der Bioressourcen und der Zusammenarbeit in der Fischwirtschaft und anderen Branchen. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Unternehmen beider Länder zur Umsetzung der aussichtsreichen Pläne unterstützen können.
Wir rechnen damit, dass die bevorstehende Teilnahme der salvadorianischen Delegation am Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum ebenfalls konkrete Ergebnisse bringt. Wir haben die salvadorianischen Freunde zu anderen Wirtschaftsforen eingeladen, die in der Russischen Föderation veranstaltet werden.
Wir haben vereinbart, unsere vertragsrechtliche Basis zu festigen. Es wurde die Aufgabe zur Vorbereitung eines Abkommens zum gegenseitigen Investitionsschutz erörtert, was aus der Sicht der Förderung von Geschäftskontakten ebenfalls wichtig ist. Wir haben vereinbart, die Ausarbeitung der Entwürfe der Regierungsabkommen über die gegenseitige Anerkennung der Ausbildungsdokumente und Wissenschaftstitel, Kooperation im Kampf gegen Kriminalität, illegalen Drogenhandel zu beschleunigen. In der nächsten Zeit tritt das Abkommen über die Bedingungen des Verzichts auf Visaformalitäten bei gegenseitigen Reisen der Staatsbürger der Russischen Föderation und der Republik El Salvador in Kraft, das wir zusammen mit Herrn Hugo Roger Martinez Bonilla am 26. März in Guatemala unterzeichneten. Das wird die Geschäftskontakte und die Entwicklung des Tourismus fördern.
Wir haben bereits gute Entwicklungen bei der Kooperation bei der Bekämpfung des Terrors und der Drogen. Es gibt gegenseitige Programme, darunter die Ausbildung des Personals, Erhöhung der Qualifikation von Polizisten und anderen Mitarbeitern der entsprechenden Strukturen sowie Kurse der Drogenkontrollbehörde und des Innenministeriums Russlands als auch Kurse in der Region Zentralamerikas (Antidrogen-, Feuerwehr-, Rettungs- u.a.). Neben bilateralen Kontakten im Kampf gegen die Kriminalität kooperieren wir ebenfalls in der Richtung lateinamerikanische Organisationen, die sich mit dem Antiterror- und Antidrogenkampf befassen – Interamerikanische Kommission zur Bekämpfung des Drogenmissbrauchs (CICAD), Interamerikanische Kommission gegen Terrorismus (CICTE). Wir haben vereinbart, unsere Kontakte in diesen Formaten auszubauen.
Was das Zusammenwirken zwischen den Außenministerien betrifft, haben wir das Kooperationsabkommen der diplomatischen Akademien der Außenämter Russlands und El Salvadors (Herr Minister leitet die diplomatische Akademie in seinem Land). Es gibt bereits Erfahrungen bei der Ausbildung des diplomatischen Personals der Länder Lateinamerikas und der Karibik. In den Kursen in der diplomatischen Akademie des Außenministeriums Russlands wurde beschlossen, diese Praxis auszuweiten und sie regelmäßig durchzuführen. El Salvador hat ein konkretes Interesse daran. Wir werden entgegenkommen.
Wir haben internationale und regionale Probleme besprochen. Wir haben eine prinzipielle Übereinstimmung der Positionen bei den wichtigsten Fragen, darunter die Aufgaben zur Stärkung der Multilateralität bei internationalen Angelegenheiten, Schwerpunkt auf die kollektive Suche nach Antworten auf aktuelle Herausforderungen, Achtung des Völkerrechts, zentrale Koordinierungsrolle der UN, Eigenständigkeit der Völker, ihres Rechtes, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Alle diesen Prinzipien werden aktiv in der Tätigkeit der lateinamerikanischen Länder bestätigt, bei ihren Anstrengungen zur Bildung und Entwicklung der regionalen und subregionalen Integrationsvereinigungen in den Bereichen Wirtschaft und Politik. Wir begrüßen diese Tendenz. Wir denken, dass Lateinamerika und die Karibik eine absolut natürliche Region sind, die sich als eines der Zentren der polyzentrischen Weltordnung herausbildet.
Wir bestätigten unser Interesse an der Entwicklung der Zusammenarbeit mit den lateinamerikanischen Vereinigungen, darunter mit dem Zentralamerikanischen Integrationssystem CAIS. Am 26. März fand in Guatemala ein Treffen auf Außenministerebene der CAIS und der Russischen Föderation statt, bei dem Russland eine offizielle Botschaft über den Erhalt des Status eines außerregionalen Beobachters bei dieser Organisation übergeben wurde. In Guatemala haben die Außenminister der CAIS und Russlands eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der die wichtigsten Richtungen unserer Kooperation festgeschrieben wurden – vom politischen Dialog, der Stärkung der Verbindungen im Sicherheitsbereich, der Prävention von Notstandssituationen bis zur Umsetzung gemeinsamer Projekte, Vertiefung der kulturellen, humanitären, wissenschafts- und Ausbildungsaustausche. Ich möchte meine tiefe Dankbarkeit gegenüber den salvadorianischen Kollegen für eine kontinuierliche Unterstützung der Entwicklung von stabilen Beziehungen zwischen Russland und der CAIS sowie mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) ausdrücken.
Ich bin mit den Ergebnissen der heutigen Verhandlungen zufrieden, die die gegenseitigen Absichten bestätigten, dass sich unsere Beziehungen in allen Bereichen aktiv und effektiv zum Wohle unserer Völker entwickeln. Ich bin meinem Kollegen und Freund aufrichtig dafür dankbar, dass er unsere Einladung angenommen hat, die Russische Föderation zu besuchen. Ich rechne damit, dass er ebenfalls mit den Ergebnissen der Verhandlungen zufrieden ist.
Frage: Ist die Aktivierung der russischen Außenpolitik in der zentralamerikanischen Region mit dem Wunsch verbunden, eine symmetrische Antwort auf den Wunsch der Amerikaner zu geben, ihre Präsenz im GUS-Raum zu verstärken?
Sergej Lawrow: Wir unterstützen nicht die Konzeption der „Hinterhöfe“ und haben keine Rhetorik in dieser Richtung. Wir haben nie unsere Tür für jemanden geschlossen und niemandem verboten, mit jemandem Freundschaftsbeziehungen zu pflegen. Ich erinnere mich an den Beginn der 2000er-Jahre, als Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer der ersten im russischen Außenministerium abgehaltenen Sitzungen der russischen Botschafter und Vertreter im Ausland auftrat und in Bezug auf die Kooperation im GUS-Raum als eine der größten Prioritäten deutlich sagte, dass Russland kein Monopol bei den Beziehungen mit diesen Ländern hat. Hier, wie in jeder anderen Region, wählen die Partner sich gegenseitig aus, ausgehend von den nationalen Interessen, den Prinzipien der gegenseitigen Vorteile. Das ist eine multilaterale Ausrichtung, die die Grundlage auch in der russischen Außenpolitik bildet. Das wichtigste ist, dass die in diese Region kommenden Länder transparent, auf Grundlage der allgemein anerkannten Völkerrechtsnormen und Praxis der zwischenstaatlichen Kommunikation vorgehen und nicht gegen legitime Interessen der anderen in den entsprechenden Regionen handeln, darunter selbstverständlich die Interessen der Russischen Föderation. Wir entwickeln die Beziehungen mit Lateinamerika und den Karibik-Staaten gemäß diesen Prinzipien. Russland hat keine geschlossenen Projekte, die geheim gehalten werden. Wir richten uns nach dem Völkerrecht, bauen unsere Verbindungen immer auf Grundlage der Regierungs- und zwischenstaatlichen Vereinbarungen aus, die das Gleichgewicht der Interessen darstellen, auf den Prinzipien des gegenseitigen Respekts und Vorteile beruhen.
Es wäre nicht ganz richtig, zu behaupten, dass wir unsere Arbeit in Lateinamerika erst vor kurzem begonnen hätten, denn in vielen Fällen sind jetzt, wenn unser Land nach einer gewissen Schwächephase in den 1990er-Jahren wieder stärker geworden ist, Möglichkeiten für unsere Rückkehr zu unseren guten alten Freunden entstanden. Wir werden von vielen lateinamerikanischen Ländern eingeladen bzw. aufgerufen, unsere industrielle, energetische und militärtechnische Kooperation, die noch in Sowjetzeiten begonnen hatte, wiederaufzunehmen. Ich kann leider keine genauen Zahlen nennen, aber der Strom in Argentinien wird großenteils von Wasserkraftwerken produziert, die noch unter Mitwirkung der Sowjetunion gebaut wurden. Es wäre unvernünftig, dieses ganze Kapital zu vernachlässigen, zumal untere Geschäftskreise jetzt Möglichkeiten haben, beiderseitig nützliche gemeinsame Projekte praktisch in jeder Region der Welt umzusetzen.
Was den Aspekt der Gleichmäßigkeit angeht, den Sie angesprochen haben, so handelt es sich dabei um keine vertraulichen Daten, die überprüft werden können. Sie werden sich wundern, wenn Sie die Zahl von amerikanischen Botschaften in der GUS und die Zahl unserer Botschaften in Lateinamerika und der Karibik vergleichen. Noch mehr als das: Die Zahl der amerikanischen Diplomaten in den an Russland grenzenden Ländern ist doppelt oder dreimal soviel wie die der russischen Diplomaten in diesen Ländern.
Wir wollen keine Rivalität und bauen unsere Beziehungen mit anderen Ländern offen auf. Dabei rechnen wir damit, dass andere unsere Partner, die in den GUS-Raum von außerhalb kommen, sich nach denselben Prinzipien richten und ihre Beziehungen mit den jeweiligen Ländern festigen, ohne die Interessen von anderen Ländern zu verletzen.
Frage: Medien berichteten neulich unter Berufung auf den Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, General Martin Dempsey, die USA könnten in Europa und Asien ihre Marschflugkörper und Flügelraketen aufstellen, um Schläge gegen Russland versetzen zu können. Es wurde auch berichtet, dass Großbritannien US-amerikanische Mittel- und Kurzstreckenraketen mit Atomsprengköpfen auf seinem Territorium unterbringen könnte. Das alles wird unternommen, weil Russland angeblich den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) verletzt hätte. Finden Sie nicht, dass die USA und ihre Verbündeten dadurch dieses Dokument sinnlos machen wollen? Könnte Russland aus dem INF-Vertrag austreten, falls die erwähnten Rüstungen tatsächlich aufgestellt werden?
Sergej Lawrow: Ich ziehe es vor, professionell und ausgeglichen vorzugehen – ohne dabei zu improvisieren. Wir haben diese Aussagen gehört und beschäftigen uns damit. Es ist sehr wichtig, zu verstehen, wer was genau gesagt hat, denn manchmal werden einzelne Aussagen aus dem Kontext gerissen. Es geht hier um zu wichtige Fragen, um darauf aus dem Stegreif zu reagieren.
Grundsätzlich halten wir diese militaristische Rhetorik für absolut kontraproduktiv, zumal unsere Partner behaupten, sie wollen keinen neuen Kalten Krieg. Wenn das wirklich so ist, dann sollten sie wohl auf ihre Aussagen besser aufpassen. Praktisch entstehen ständig irgendwelche Besorgnisse in Bezug auf den militärischen Aufbau, die aber immer durch einen direkten und offenen Dialog vom Tisch geräumt werden können. Solche Möglichkeiten hatten wir mit allen unseren westlichen Partnern, und zwar sowohl im bilateralen Format als auch im Kontext des Russland-Nato-Rats. Aber alle Kontakte auf der Militärebene wurden nicht auf unsere Initiative, sondern auf Initiative unserer Partner auf Eis gelegt. Es geht unter anderem um die Mechanismen, die wir mit den Amerikanern und Briten im „2+2“-Format hatten, als unsere Außen- und Verteidigungsminister zusammentrafen. Zudem gab es auch Mechanismen für unmittelbare Kontakte auf der Militärebene.
Falls es Fragen in Bezug auf den einen oder anderen Aspekt der militärischen Aktivitäten gibt, sollte man diese Fragen direkt stellen und entsprechende Erläuterungen bekommen. In letzter Zeit hatten der US-Außenminister John Kerry, darunter während seiner jüngsten Russland-Reise, und der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei unseren Treffen am Rande von internationalen Veranstaltungen Interesse an einer Wiederaufnahme unserer militärischen Kontakte geäußert. Falls sie das wollen, sollten sie das offiziell vorschlagen, und wir würden ihre Vorschläge konstruktiv wahrnehmen. Ich wiederhole: Die Kontakte wurden nicht von uns auf Eis gelegt. Ich glaube allerdings gar nicht, dass sie auf Eis gelegt wurden, um in Medien über die „bösen Absichten“ der Russischen Föderation zu spekulieren.
Was den INF-Vertrag angeht, so fragen uns unsere amerikanischen Kollegen schon seit langem, wie fair wir ihn erfüllen. Wir antworten, dass es den Mechanismus der russisch-amerikanischen Beratungen über die Gültigkeit des Vertrags und über mögliche Einwände gibt. Wir haben die Amerikaner gebeten, konkret zu formulieren, worüber sie besorgt sind und welche Einwände sie gegenüber Russland haben. Es haben zwei Beratungsrunden stattgefunden (im Herbst des vorigen und im Frühjahr dieses Jahres). Leider haben unsere amerikanischen Kollegen weder in der Vorbereitungsphase noch während der Beratungen selbst ihre Vermutungen konkretisiert. Sie sagen uns fast buchstäblich: „Ihr habt eine Rakete getestet und wisst selbst, worum es geht“. Das ist aber unseriös. Wir sind bereit, uns mit konkreten Beweisen zu befassen, die den Amerikanern den Grund geben, zu vermuten, dass wir etwas verletzt hätten. Wir haben unsererseits ziemlich konkrete Fragen an die amerikanische Seite formuliert, denn wir glauben, dass manche von ihren Handlungen, darunter im Kontext der Entfaltung des globalen Raketenabwehrsystems, den INF-Vertrag unmittelbar verletzen.
Ich bestätige offiziell: Wir sind nach wie vor zu einem ehrlichen, aber konkreten Dialog bereit, um jegliche Besorgnisse vom Tisch zu räumen. Die russische Seite hat gar nicht vor, diesen Vertrag zum Scheitern zu bringen.