Die UNO
STENOGRAMM DES INTERVIEWS DES AUSSENMINISTERS RUSSLANDS IGOR IWANOW DEM BERICHTERSTATTER DER ZEITUNG „TIMES“ M.BIGNON, MOSKAU, AM 28.NOVEMBER 2003
Frage: Das, was Sie in Georgien erreicht haben, ist weltweit anerkannt. Wie stellen Sie sich die Entwicklung von Beziehungen zwischen Russland und Georgien vor?
Igor Iwanow: Leider reifte die Krise in Georgien lange heran. Sie ist nicht tage- bzw. wochenalt. Sie wurde durch systematische Fehlentscheidungen der damaligen Fuehrung in der Innen- und Aussenpolitik verursacht, was Unwillen in der Gesellschaft zur Folge hatte. Die Wirtschaft wurde ruiniert, demokratische Prinzipien wurden missachtet. Infolge des zunehmenden Unwillens kam das Land an den Rand der Krise heran, in die es auch stuerzte. Den Auftrag, den ich vom Praesident Wladimir Putin hatte, bestand in Folgendem: Zu verhindern, dass dieser Unwillen in Gewaltausbrueche hinueberwaechst, und zu versuchen, die Krise verfassungs- bzw. rechtsmaessig beizulegen. Auf dieser Stufe ist es uns gelungen, den Dialog zwischen Eduard Schewardnadse und der Opposition wiederaufnehmen zu lassen. Es wurde eine Vereinbarung erreicht. Leider konnten damit tiefgreifende Probleme, mit denen Georgien konfrontierte, nicht geloest werden. Aus unserer Sicht muessen politische Fuehrer Georgiens im Rahmen der Verfassung offene transparente Wahlen der Machtorgane durchfuehren, die Verantwortung fuer die Loesung wichtiger Probleme uebernehmen koennten, auf welche Georgien heute stoesst.
Was Russland betrifft, so mischte es sich in die inneren Angelegenheiten Georgiens nie ein. Russland erkannte die territoriale Integritaet und Souveraenitaet Georgiens an und wird sie immer anerkennen. Unser Land ist an der Entwicklung von engen guten nachbarschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen zu Georgien interessiert. Die Voelker unserer Laender sind durch historische und kulturelle Beziehungen miteinenader verbunden, und wir wollen, dass es so auch ferner bleibt. Wir werden unsererseits legitime Behoerden Georgiens bei der Krisenueberwindung unterstuetzen.
Frage: Es kam auch frueher zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Russland und Georgien. Wie wird die neue Fuehrung Georgiens Ihrer Meinung nach auf die Besorgnisse Russlands reagieren?
Igor Iwanow: Wir hatten mit der frueheren Fuerhrung Georgiens Meinungsverschiedenheiten zu einigen Problemen, vor allem in bezug auf den Kampf gegen Terrorismus. Leider haben die georgische Fuehrung und die internationale Gemeinschaft erst mehrere Jahre spaeter anerkannt, dass Terroristen vom Territorium Georgiens nach Russland eindrangen. Wir haben frueher darueber geredet. Man hoerte aber nicht auf uns, man hielt es fuer einen Versuch, Druck auf Georgien auszuueben. Erst spaeter, nachdem es offenbar wurde, sahen alle ein, dass wir recht hatten. Es gab auch sonstige Meinungsverschiedenheiten, z.B. in Bezug auf das Problem Abchasiens usw. Trotz diesen Meinungsverschiedenheiten standen wir jedoch der legitimen Fuehrung bei, wir erkannten Eduard Schewardnadse an und traten fest fuer die Einhaltung der Verfassung und der Gesetzlichkeit auf.
Es ist aber zu sagen, dass einige Staaten diese Krise gefoerdert haben, und diese Tatsache kommt immer deutlicher zum Ausdruck. Sogar der ehemalige Praesident Schewardnadse sagte, auf ihn persoenlich und auf einige poitische Kraefte sei Druck ausgeuebt worden. Und zwar von den Staaten, die oeffentlich beteuerten, sie seien Schewardnadses beste Freunde. Dabei taucht aber die Frage auf, was fuer Freundschaft ist es denn?
Frage: Als nach Georgien amerikanische Experten geschickt wurden, erregte es Besorgnis Russlands. Sie sagten, Georgien sollte Russland benachrichtigen. War es eine Fehlentscheidung Georgiens, dass es sich an den Westen gewandt hat, ohne sich zuerst von Russland beraten zu lassen?
Igor Iwanow: Georgien ist ein souveraener unabhaengiger Staat, und hat das Recht, seine politische Richtung eigenstaendig zu waehlen. Georgien braucht niemand darueber zu informieren oder jemandes Genehmigung einzuholen. Wir respektieren die aussenpolitische Wahl Georgiens. Es geht nicht um die Wahl Georgiens. Nur darf die Sicherheit Russlands vom Teritorium Georgiens nicht gefaehrdet werden. Das ist die einzige und die wichtigste Bedingung, die wir stellen.
Frage: Kann es vorkommen, dass einige GUS-Staaten das Beispiel Georgiens folgen werden, indem sie Massendemonstrationen nutzen?
Igor Iwanow: Offiziell ist Schewardnadse von selbst zurueckgetreten. Die Verfassung sieht es vor. Dabei duerfen wir nicht ausser Acht lassen, unter welchen Bedingungen er zurueckgetreten ist. Praesident Georgiens wurde zu diesem Schritt gezwungen, dabei wurde der Druck auf ihn von innen und von aussen ausgeuebt. Formell wurden die Verfassungsnormen eingehalten, aber die Form, wie es geschehen ist, wird wohl niemanden zufriedenstellen.
Nun zu den anderen GUS-Staaten. Leider werden die in Georgien genutzten Verfahren – der Druck und Versuche, sich in die inneren Angelegenheiten einzumischen - auch in anderen Laendern genutzt. Es gibt auch Beweise dafuer. In der gemeinsamen Erklaerung der GUS-Aussenminister, die vor einigen Tagen in Kiew angenommen wurde, heisst es, wir treten fuer die Achtung von demokratischen Prinzipien, Menschenrechten auf und werden diese Prinzipien strikt einhalten. Wir lehnen aber eindeutig Versuche ab, auf unsere Staaten Druck auszuueben und sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen.
Frage: Zum Irak. Sie behandeln die Geschehnisse da, als einseitige Schritte. Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit den USA beim Wiederaufbau des Irak vor? Was kann Russland zur Regelung der irakischen Krise beitragen?
Igor Iwanow: In Anbetracht der gegenwaertigen Entwicklung im Irak geht es nicht nur um Hilfe fuer Irak, sondern um die Eigenhilfe der internationalen Gemeinschaft. Heute sind wir alle in eine komplizierte Lage geraten, nicht nur der Irak. Natuerlich leidet daran insbesondere das irakische Volk. Dabei ist auch die Lage dessen Nachbarstaaten sowie der Koalitionsskraefte, die taegliche Verluste erleiden, sehr schwer. Schwer ist die Lage der internationalen Gemeinschaft. Sie erkennt, dass sich der Irak, falls sich die Situation so weiter entwickelt, zu einem neuen Terrorismuszentrum werden kann. Wir muessen also nachdenken, wie wir dem Irak, der internationalen Gemeinschaft helfen koennen, die Krise zu ueberwinden. Wie die meisten Laender ist Russland zur Zusammenarbeit bereit, aber auf Grund von bestimmten Prinzipien, die wir im UN-Sicherheitsrat genau dargelegt haben.
Der politische Regelungsprozess soll unter der UN-Schirmherrschaft vor sich gehen. Dadurch werden niemandes Interessen beeintraechtigt, im Gegenteil, es verhilft zur Vereinung der Kreafte der internationalen Gemeinschaft. Es soll eine breite internationale Konferenz unter Teilnahme von fuehrenden politischen und religioesen Kraeften des Irak sowie dessen Nachbarstaaten und der fuehrenden Staaten der Welt, der Staendigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates durchgefuehrt werden. Auf dieser Konferenz soll der Aktionsplan angenommen werden, vor allem die Souveraenitaetuebergabe an Vertreter des irakischen Volkes. Danach muss dieser Plan vom UN-Sicherheitsrat genehmigt werden. Bei solchem Vorgehen wird das irakische Volk erkennen, die Besatzung sei zu Ende und eine neue Stufe der politischen Rregelung fange an. Das irakische Volk wird einsehen, dass die politische Regelung wirklich moeglich ist. Zugleich soll Mandat der multinationalen Sicherheitskraefte bestimmt werden, der an den Zeitplan der politischen Regelung geknuepft werden muss.
Russland hat diese Vorschlaege im UN-Sicherheitsrat und auf der bilateralen Ebene mehrmals dargelegt. Teilweise werden sie auch umgesetzt. Washington hat z.B. beschlossen, die Machtuebergabe an die Vertreter des irakischen Volkes zu beschleunigen. Dabei halten wir es fuer unzureichend. Es geht um Halbschritte, die nicht noetige Wirkung haben koennen. Wenn Washington einsieht, dass der Regelungsprozess der UNO unter der Teilnahme der breiten Oeffentlichkeit uebergeben werden muss, und Russland sei bereit, an diesem Prozess teilzunehmen, so werden alle dadurch zum Vorteil kommen: Das irakische Volk, die USA, denn niemand will ja, dass die Krise im Irak sich weiter entwickelt, dass die Menschen – darunter US-Buerger und die Buerger anderer Laneder - ums Leben kommen
Frage: Entwickelt sich Ihrer Meinung nach die Zusammenarbeit bei der Bekaempfung des internationalen Terrorismus erfolgreich? Meinen Sie nicht, dass westliche Staaten Russland nicht genuegend unterstuetzen?
Igor Iwanow: Ich glaube, dass nach dem 11.September 2001 in der Welt ernste Umdenkung der Probleme des antiterroristischen Kampfes vollzogen hat. Es wurde erkannt, dass Terrorismus zur wichtigsten Gefahr geworden ist, gegen die man gemeinsam kaempfen muss. Inzwischen hat sich unsere Zusammenarbeit entwickelt und das gegenseitige Vertrauen im Kampf gegen den gemeinsamen Feind ist staerker geworden. Dabei ist noch vieles zu machen. Denn leider sind wir alte Stereotype und Doppelstandarde nicht losgeworden. Da muessen wir uns alle anstrengen, um den antiterroristischen Kampf in den grundlegenden Baustein der Partnerschaft im XXI.Jahrhundert zu verwandeln. Dazu muessen wir wie gesagt Stereotype des „Kalten Krieges" und Doppelstandarde loswerden. Leider gibt es Beispiele von Doppelstandarden auch in Grossbritannien: Ich meine das Verfahren in Sachen Sakajew, und insbesondere die Entscheidung des Ministeriums des Innern Grossbritanniens ueber die Gewaehrung des politischen Asyls. Wir halten es fuer Missachtung von zahlreichen Opfer der Terroristen auf dem Territorium der Tschetschenischen Republik und in anderen Staedten der Russischen Foederation. Es ist zu bedauern, dass das Ministerium des Innarn Grossbritanniens die oeffentliche Meinung in Russland ueberhoerte und diese Entscheidung getroffen hat.
Frage: Kann durch diese Entscheidung kuenftige Zusammenarbeit zwischen Russland und Grossbritannien beeintraechtigen werden?
Igor Iwanow: Hoffentlich wird diese Entscheidung nicht zum Praezedenzfall, hoffentlich wird es die letzte Entscheidung solcher Art sein, wenn einem Terrorist politisches Asyl gewaehrt wird. Wenn es sich so auch weiter entwickelt, so wird es sicherlich unseren gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus schwieriger machen, denn jeder Terrorist wird versuchen sich zum politischen Opfer zu erklaeren und gerechter Strafe fuer seine Verbrechen zu entgehen.
Frage: Wie verhalten Sie sich zu sogenannten antirussischen Aktionen in Bezug auf Tschetschenien, unter anderem zu solchen Menschen wie Gussinskij, Beresowskij u.a., die aus dem Land ausgesiedelt sind. Wird von ihnen das Problem Tschetscheniens im Spiel gegen Russland genutzt?
Igor Iwanow: Leider wird Russland in Westeuropa ab und zu wegen der Entwicklung in Tschetschenien kritisiert. An „Aktionen" aus diesem Anlass nehmen 10-15 Menschen teil, die immer wieder aus einem Land ins andere ziehen. Dabei wird die wirkliche Entwicklung in der Tschetschenischen Republik nicht beruecksichtigt. Filme, die bei diesen „Aktionen" vorgefuehrt werden, sind alt. Ja, die Ereignisse, die in diesen Filmen gezeigt werden, kamen wirklich vor. Inzwischen hat sich aber die Situation in Tschetschenien stark geaendert. Sie nutzen aber diese alten Filmbilder, um die heutige Entwicklung schwarzzumalen. Niemand redet ueber das Referendum in Tschetschenien, ueber die Verfassung, ueber die Praesidentschaftswahlen. Niemand sagt, dass dort die Kampfhandlungen praktisch nicht mehr gefuehrt werden, dass die Wirtschaft wiederaufgebaut wird, dass die Kinder zur Schule gehen, die Hochschulen funktionieren usw. Alles Positive, was in der letzten Zeit gemacht wurde, wird verschwiegen. Ich glaube, dass die oeffentliche Meinung in Europa sich zu diesen „Shows" kritischer verhalten soll, die unsere Beziehungen verschlimmern sollen. Dahinter stehen Menschen, die an der gegenwaertigen Annaeherung Westeuropas und Russland nicht interessiert sind. Wir duerfen nicht zulassen, dass solche Aktionen historische Wahl unserer Laender stoeren, gemeinsam Grosseuropa aufzubauen, die sicher, demokratisch und wohlstaendig ist.
Frage: Gibt es Moeglichkeiten der Loesung des israelisch-palaestinensischen Konflikts? Was kann Russland zu dieser Regelung beitragen?
Igor Iwanow: Die vier internationalen Vermittler haben eine positive Rolle gespielt und spielen sie bis jetzt. Ich glaube, dass ihre Aufgabe noch nicht vollendet ist. Die von der „Vier" vorbereitete „Roadmap" wurde vom UN-Sicherheitsrat einstimmig angenommen. Das zeugt davon, dass dieses Dokument von der UNO und der internationalen Gemeinschaft unterstuetzt wurde. Zugleich steigt in Israel und Palaestina die Zahl deren, die nach einem Kompromiss suchen wollen. Es gibt auch die sogenannte „Genfer" Initiative. Offensichtlich werden auch in Israel die Positionen der Kraefte staerker, die einsehen, dass eine friedliche politische, nicht aber Militaerloesung benoetigt wird. Dasselbe gilt fuer Palaestina. Meiner Meinung nach gilt es jetzt, die Rolle der G4 zu aktivieren. Die Rolle der USA, Russlands und Europas duerfen nicht getrennt werden. Wir sind stark, indem wir zusammen und koordiniert vorgehen. Russland wird sich auch ferner um die Aufrechterhaltung der Rolle der G4 bei der Nahostregelung bemuehen. Die Situation ist sehr kompliziert, aber in den letzten Wochen kommen positive Ergebnisse zum Vorschein, die z.B. aus der „Roadmap" resultieren. In der oeffentlichen Meinung Israels und Palaestinas werden die Positionen der Anhaenger der politischen Regelung immer staerker.
30. November 2003