Соединенные Штаты Америки (США)
Rede und Antworten des Außenministers der Russischen Föderation, Sergej Lawrow, beim Treffen mit Studenten und Lehrkräften der Universität MGIMO anlässlich des Beginns des Studienjahres am 1. September 2020 in Moskau
Sehr geehrter Herr Torkunow,
Sehr geehrter Herr Jakowenko,
wir treffen uns hier traditionell am 1. September. Wir geben einen gemeinsamen Start für ein neues Studienjahr. Natürlich übergeben wir besondere Gratulationen den Studenten des ersten Studienjahres, die in einem sehr ernsthaften Konkurrenzkampf aufgenommen wurden, worüber der Rektor Anatoly Torkunow jetzt ausführlich erzählte. Jedes Jahr bestätigt die MGIMO ihren Ruf. Der Wettbewerb ist hier am größten in der Russischen Föderation, die Qualität jener, die in die Reihe der Studenten kommen, löst immer riesengroßen Respekt und Begeisterung aus.
In diesem Jahr verlief die Aufnahmekampagne trotz Coronavirus sehr gut. Wir beobachteten, wie sowohl im Online-Format, als auch in anderen Formaten alle notwendigen Verfahren gesichert wurden. Anatoly Torkunow berichtete jetzt über die Ergebnisse. Sie sind beeindruckend.
Vor wenigen Tagen feierte Anatoly Torkunow sein weiteres Jubiläum. Was besonders erfreulich ist, wurde an diesem Tag besonders viel über die Traditionen der MGIMO, unsere Geschichte, die Menschen, die hier arbeiten und studieren, gesprochen. Deswegen soll ich nicht erneut viel über meine Universität sprechen. Ich möchte Anatoly Torkunow nochmals zu seinem wunderschönen Datum gratulieren. Wie bekannt, unterzeichnete der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, einen Erlass über die Auszeichnung des Rektors der MGIMO, Anatoly Torkunow, mit dem Verdienstorden für das Vaterland der 2. Klasse. Ich denke, dass sich darin symbolisch nicht nur die Anerkennung seiner persönlichen Verdienste, sondern auch der Verdienste der Tätigkeit der Universität zeigt.
Anatoly Torkunow sagte, dass der wichtigste Kammerton für die Universität der Arbeitgeber in Gestalt des Außenministeriums Russlands ist. Was reine Statistik betrifft, kommt ein unbedeutender Teil jedes Jahr ins Außenministerium. Vielleicht sind es Dutzende, manchmal fast hundert Menschen. Deutlich mehr Menschen gehen in andere Strukturen arbeiten – in Regierungsdienste, privates Geschäft, Journalistik. Die Ausbildung ist großartig und bietet die Möglichkeit einer wunderschönen Wahl des Berufs. Ich sage nochmals, dass die Qualität dieser Ausbildung garantiert, dass man falls gewünscht in jeder gewählten Beschäftigung sehr große Erfolge erreichen kann.
Wie sie wissen, haben wir die Diplomatie in der Zeit gewählt, als die Wahl einfacher war. Es gab wohl weniger Versuchungen im Vergleich zu der Zahl der Fakultäten, die es jetzt an der MGIMO gibt. Wir hatten vier Fakultäten. Wir wählten Diplomatie, weshalb ich hier jedes Jahr über Diplomatie rede. Angesichts der Tatsache, dass sie in eine Universität für internationale Beziehungen gingen, will ich nicht viel über die Situation in der Welt erzählen. Da sie hier sind, verfolgen sie diese Situation, interessieren sich dafür.
Ich würde kurz erzählen, dass sich die Situation in der Welt bereits seit mehreren Jahren durch einen Übergang zu einem neuen demokratischeren und gerechteren, multilateralen System, das deutlich mehr die Änderungen der letzten Jahrzehnte in der Welt berücksichtigen soll, kennzeichnet. Die Änderungen bestehen vor allem darin, dass alle Probleme grenzübergreifend werden, die gleich alle Länder treffen. Die Probleme sind so, dass sie von keinem einzigen Land im Alleingang überwunden werden können. Coronavirus ist eine weitere Bestätigung dafür, geschweige denn internationaler Terrorismus, Drogenverkehr, andere Formen der organisierten Kriminalität, Klimaprobleme u.v.m.
Ein weiteres Problem, mit dem wir alle heute konfrontieren, ist der fehlende Wunsch vieler Länder, vor allem einzelner westlicher Staaten mit den USA an der Spitze, objektive Realität der Bildung eines neuen Systems der Beziehungen zu akzeptieren, als neue Machtzentren entstanden. China und Indien – es reicht aus, diese zwei Länder als Lokomotive des Wirtschaftswachstums zu nennen. Was die Asien-Pazifik-Region im Ganzen betrifft, wächst sie am schnellsten. Mit der wirtschaftlichen Macht kommt auch die Finanzstärke, damit auch der politische Einfluss. Die Versuche, diese Realität zu ignorieren, die Bildung solcher Beziehungen zu verhindern, die in vollem Maße diese neuen Errungenschaften vieler Länder der Welt respektvoll berücksichtigen, sind meines Erachtens kurzsichtig und gefährlich. Was haben wir? Unsere westlichen Kollegen haben seit fast 500 Jahren den Ton in globalen Angelegenheiten angegeben, kontrollierten die Wirtschaft via koloniale Errungenschaften, sicherten ein prosperierendes und luxuriöses Funktionieren ihrer Eliten via Ausfuhr der Bodenschätze aus den Kolonien. In diesen 500 Jahren ereignete sich natürlich vieles. Selbst nach dem Zusammenbruch des Kolonialsystems beeinflussten die „Lehrer-Schüler“- bzw. „Besitzer-Helfer“-Beziehungen bedeutend die Mentalität der westlichen Politiker. Sie weigern sich bis heute, die Notwendigkeit der Kommunikation auf Augenhöhe, die multipolare und polyzentrische Realität anzuerkennen. Es wird versucht, ihre dominierende Lage jetzt nicht mehr mithilfe natürlich geschaffener Mechanismen der wirtschaftlichen Dominanz aufrechtzuerhalten, sondern via Anwendung gar nicht legitimer Methoden. Das sind Sanktionen, direkte Intervention u.a., was wir jetzt fast jeden Tag gegenüber vielen Staaten beobachten.
Dort, wo es nicht geschafft wird, ein jeweiliges Land seinem Willen zu unterordnen, wird der „Chaos-Raum“ geschafft, den sie als gelenktes Chaos sehen wollen. Das Leben zeigt, dass es unmöglich ist, das Chaos zu lenken. Das begann bereits 1999 im ehemaligen Jugoslawien, danach waren es der Iran, Libyen, Syrien und andere Länder des Nahen Ostens. Alle wissen ein berüchtigtes Beispiel dafür, was in der Ukraine gemacht wurde. Jetzt erleben unsere weißrussischen Nachbarn nicht einfache Zeiten. Wir haben unsere Position sehr eindeutig dargelegt. Russlands Präsident Wladimir Putin sprach offen darüber. Wir werden uns nach dem Völkerrecht, den Verpflichtungen, die es zwischen der Russischen Föderation und der Republik Belarus gibt, richten. Natürlich wollen wir, dass den Weißrussen selbst die Möglichkeit geboten wird, ihre Probleme ohne jegliche Einmischung von außen zu lösen.
Wir sehen die Verlockungen vieler westlichen Staaten – sowohl Nachbarn als auch Länder, die weit weg jenseits des Ozeans liegen – ich meine die USA und Kanada – gewisse Herangehensweisen zur Überwindung der jetzigen Situation in der Republik Belarus aufzudrängen. Auf diese Verlockungen reagiert der Präsident von Belarus Alexander Lukaschenko. Wir denken, dass es kein Bedarf jeglicher aufdringlicher Vermittleranstrengungen besteht. Der Präsident von Belarus schlug eine Verfassungsreform vor. Nach unserer gemeinsamen Einschätzung ist es eine Form, in der man einen Dialog mit der Zivilgesellschaft organisieren kann und die die Besprechung aller Fragen ermöglichen soll, die einen gewissen Teil der weißrussischen Staatsbürger beunruhigen. Ich kann dann, wenn wir zum interaktiven Gespräch übergehen, dieses Thema zusätzlich kommentieren, wenn sie Fragen haben. Jetzt möchte ich meine Rede damit abschließen, dass wir für eine demokratischere und gerechtere Weltordnung, striktes Einhalten der UN-Charta auftreten, gegen jede Versuche des Ersatzes des Völkerrechts durch gewisse Regeln sind, auf der die Weltordnung ruhen soll. Das ist jetzt eine neue Idee unserer westlichen Länder. Sie erfanden den Begriff „auf Regeln ruhende Ordnung“. Die Regeln ändern sich je nachdem, was unsere westlichen Kollegen in einem jeweiligen Fall brauchen. Es werden Koalitionen der Gleichgesinnten geschafft, in der Regel aus westlichen Ländern, zudem wählen sie „manuell“ Partner aus anderen Regionen, die gegenüber unseren westlichen Kollegen gehorsam sind. Da einigt man sich im eigenen Kreis Mal auf irgendeine „Partnerschaft gegen straflose Chemiewaffeneinsätze“, mal auf eine „Partnerschaft für Förderung der Cybersicherheit“, Mal auf „Bestrafung derjenigen, die sich in den Cyberraum zu schlechten Zwecken einmischen“, Mal auf eine „Partnerschaft zwecks Verteidigung der Menschenrechte“. Da alles wird nicht gerade in einem universellen Format getan, sondern in einem engen Kreis derjenigen, die den westlichen Initiatoren dieser Ideen nicht widersprechen werden. Dann wird die Regel, die zu diesem oder jenem Thema formuliert wurde, als universal bezeichnet, und man verlangt von allen, sie einzuhalten. Und wer diese im engen Kreis vereinbarten Postulate nicht einhält, wird mit Sanktionen belegt. Leider folgt die EU den USA und geht immer weiter den Weg des Sanktionsdrucks. Innerhalb der EU wurde die Entscheidung zur Bildung von Sanktionsmechanismen für kriminelle Einmischung in den Cyberraum (so denkt man dort), für Verletzung der Menschenrechte und noch irgendwelche Fragen vorangebracht. Diese Sanktionen sind illegitim aus der Sicht des Völkerrechts, wie jegliche einseitige Sanktionen illegitim sind. Es lässt sich diese Tendenz beobachten. „Wir – der Westen, die EU, die Nato – wissen, wie man in dieser Welt zu leben hat.“ Und alle anderen haben sich zu fügen.
Sehen Sie sich an, welche Erklärungen der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, verschiedene EU-Vertreter, westliche Führungspolitiker, die an der OSZE-Spitze stehen, zur Situation in Weißrussland machen. Sie treten ja mit Belehrungen auf und reden in so einem Ton, der keine Widersprüche duldet, und wollen, dass alle ihre Worte als Handlungsanweisung betrachten. Das lässt sich im Grunde darauf zurückführen, dass sie keine einfachsten diplomatischen Erfahrungen haben, und eigentlich widerspricht das nicht nur der diplomatischen Ethik, sondern auch der allgemeinen menschlichen Moral. Wir sehen das und heben es auch hervor.
So erklärten unsere französischen und deutschen Kollegen im vorigen Jahr beispielsweise, dass sie eine Partnerschaft zur Verteidigung des Multilateralismus (sprich der Vielseitigkeit) bilden. Vielseitigkeit ist ja eine gute Sache, und wir plädieren immer dafür, dass Probleme nicht einseitig, sondern gemeinsame bzw. multilateral gelöst werden. Aber warum bringen die Länder, die die Multilateralität verteidigen wollen, diese Initiative außerhalb der UNO zum Ausdruck, die eigentlich die am vielseitigste und am meisten universale Organisation ist? Das ist unklar. Sie haben das ja nicht einmal versucht. Übrigens setzt sich Russland in der UNO gemeinsam mit einer großen Gruppe von unseren Nachbarn und von asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern für Partnerschaft zwecks Verteidigung der Prinzipien der UN-Charta ein. Das ist wohl gerade die Bewegung, die nötig ist, um das eigene Festhalten am Vielseitigkeitsprinzipien zu zeigen.
Dennoch kritisieren wir nicht nur das Vorgehen unserer westlichen Partner und einiger anderen Länder im Kontext der Probleme, die wir im Sinne des Völkerrechts, der Suche nach einem Gleichgewicht der Interessen und nicht durch einseitigen Druck lösen würden, sondern bringen eine positive Tagesordnung voran. Sie besteht, wie ich schon sagte, in der Notwendigkeit, zu den Ursprüngen zurückzukehren: die Prinzipien der UN-Charta zu respektieren, daran zu denken, dass die UNO vor 75 Jahren auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstand, und zwar dank dem Sieg der Länder, deren sozialpolitischen und ideologischen Systeme unterschiedlich waren. Die Alliierten vereinigten sich damals im Interesse des Sieges gegen ihren gemeinsamen Feind. Sie konnten damals ihre Kontroversen überwinden, die sie vor dem Zweiten Weltkrieg jahrelang getrennt hatten. Darüber wurde schon oft genug gesprochen. Ich denke, dass die heutige Situation in der Welt zwar nicht so blutig ist, wie während des Zweiten Weltkriegs, aber es gibt inzwischen viel mehr Risiken als damals, und sie sind nicht weniger ernsthaft. Ich erwähnte den Terrorismus, die Drogenkriminalität, die jedes Jahr enorm viele Menschenleben verlangt. Lassen Sie uns auch das Risiko der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nicht vergessen. Die USA haben gerade praktisch das ganze Eindämmungssystem im Bereich der Rüstungskontrolle zerstört und verankern in ihren Doktrinen solche Prinzipien, die im Grunde die Schwelle für einen Atomwaffeneinsatz senken. Und hinzu kommt das Interesse verschiedener kriminellen, terroristischen und auch anderen Gruppierungen an nuklearen Technologien, wie auch an Technologien zur Produktion von anderen Massenvernichtungswaffen (Chemie- oder Biowaffen). Es wäre aus meiner Sicht kriminell, wenn wir auseinanderlaufen und uns in unseren „nationalen Wohnungen“ verstecken, „Türen zuknallen“ und so etwas erklären würden wie: „Mit diesem Land werden wir überhaupt nicht sprechen, solange es unser Ultimatum nicht erfüllt.“ Aber das beobachten wir alles gerade.
Sehen Sie nur, welche Probleme die USA nicht nur mit Russland, sondern auch mit China haben.
Wir sind dafür, dass wir nach Kompromissen und nach einem Gleichgewicht der Interessen suchen. Gerade auf Konsenssuche sind solche Organisationen wie GUS, OVKS, EAWU, BRICS und SOZ ausgerichtet, an denen sich Russland beteiligt. Zur Anerkennung der neuen Realität wurde die Bildung der G20, in der die BRICS-Länder, die G7 und mehrere andere führende Staaten von Entwicklungsregionen vertreten sind. In der G20 geht eine sehr wichtige Arbeit weiter. Das ist aktuell eigentlich die einzige Plattform außerhalb der UNO, an der absolut alle Industrieländer beteiligt sind, die dabei das gemeinsame Ziel verfolgen: Vereinbarungen zu treffen. Diese Logik fehlt vielen anderen Formaten, in denen unsere westlichen Partner arbeiten.
Wir bringen die Tagesordnung voran, deren Aufgabe ist, zur Überwindung von akuten internationalen Problemen auf dem Kooperationsweg beizutragen. Diese Kooperation kann nur gleichberechtigt sein, sich auf Berücksichtigung der Besorgnisse verschiedener Seiten stützen und, wie ich schon sagte, sich auf Ausbalancierung der Interessen ausrichten. Wir haben unsere Ansichten zum Ausdruck gebracht, wie die Harmonie in den internationalen Angelegenheiten voranzutreiben wäre. Was Wirtschaftsprobleme angeht, so sind wir überzeugt (und das widerspiegelt die Initiative Präsident Putins), dass wir den Weg zur Bildung einer Großen Eurasischen Partnerschaft gehen sollten, die für wirtschaftliche und humanitäre Kooperation aller eurasischen Länder (auch der Mitglieder der EAWU, der SOZ, der EU und des ASEAN) offen wäre. Wir leben auf einem riesigen gemeinsamen Kontinent, der riesige Schätze hat, und es wäre natürlich sehr unvernünftig, diesen Vorteil, den uns quasi der Gott geschenkt hat, zu vernachlässigen. Das ist ein langfristiges Ziel. Das ist ein Prozess, der historisch – davon bin ich überzeugt – von allen Ländern unseres Kontinents wahrgenommen wird.
Für die nächste Perspektive halten wir es für prinzipiell wichtig, dass die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ihre Verantwortung im Sinne der UN-Charta einsehen und ein Gipfeltreffen organisieren, auf dem sie in Übereinstimmung mit den Vollmachten dieses „Quintetts“ nach Wegen zur kardinalen „Gesundung“ der Situation um die globale Sicherheit suchen würden. Alle Länder des „Quintetts“ reagierten auf diese Initiative Präsident Putins positiv. Ich hoffe, dass ein solcher Gipfel stattfinden wird, sobald die Situation um das Coronavirus das ermöglicht. Und er soll natürlich unter unmittelbarer Beteiligung der Länder stattfinden.
Jetzt lassen Sie uns zum interaktiven Format übergehen.
Frage: Sie haben heute sehr viele Themen angeschnitten. Sie haben unter anderem darüber gesprochen, wie wichtig ist, Probleme gemeinsam angesichts der Tatsache zu lösen, dass sie grenzübergreifend werden. Manchmal betreffen sie nicht einfach Angelegenheiten jenseits des Ozeans, sondern unsere GUS-Partner. Es wurde mehrmals betont, darunter von Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, dass gerade die GUS die vorrangige Richtung für unsere Außenpolitik wurde. Wie kann Russland bei der Lösung der Bergkarabach-Krise zwischen der Republik Armenien und der Republik Aserbaidschan helfen?
Sergej Lawrow: Russland nimmt an internationalen Anstrengungen zur Schaffung der Bedingungen zur Regelung verschiedener Krisen und Konflikte teil, das betrifft unter anderem die Bergkarabach-Regelung, zu deren Erörterung einst die Minsker Gruppe der OSZE gebildet wurde. Die Kovorsitzenden in dieser Gruppe sind jetzt Russland, die USA und Frankreich. Dazu gehören noch einige Länder, darunter Belarus, Deutschland, Italien, Schweden, Finnland, die Türkei. Auf Beschluss dieser Gruppe verfügen die Kovorsitzenden – Russland, Frankreich und die USA – über Vollmachten der täglichen Arbeit, um die notwendige Atmosphäre zu schaffen, wo die Seiten selbst allgemein annehmbare Vereinbarungen finden können.
Ich würde das besonders betonen, wir befassen uns nicht mit Schreiben von Szenarien zur Problemlösung. Wir schaffen Bedingungen, damit sie sich selbst untereinander einigen können. In den letzten 18 Jahren wurden erste solche Dokumente zwischen den Seiten durchgearbeitet. Es wurde vieles gemacht. Dort wurden Prinzipien formuliert, die die Punkte der UN-Charta und Schlussakte von Helsinki der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa widerspiegeln, sowie konkrete Parameter, die abgestimmt werden sollen, damit diese Regelung zustande kommt. Ich werde jetzt nicht auf Details eingehen.
In der letzten Zeit gab es einige Vorfälle, darunter in Bergkarabach, im Juli dieses Jahres auch an der Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien. Diese Vorfälle erhöhten natürlich ernsthaft die Spannung und spielten keine positive Rolle zur Bildung einer richtigen Atmosphäre mit Anstrengungen der Kovorsitzenden.
Während dieser Krise telefonierte ich mit meinen armenischen und aserbaidschanischen Kollegen. Der neue Außenminister Aserbaidschans war in der vergangenen Woche bei uns zu Besuch. Mit dem Außenminister Armeniens sprach ich erneut per Telefon. Wir haben ein Gefühl, dass beide Seiten daran interessiert sind, dass sich die Situation jetzt beruhigt und Treffen wiederaufgenommen werden, die die Vertreter der Kovorsitzenden (Russland, Frankreich, USA) in der Region organisieren, wenn sie Baku und Jerewan besuchen, danach ihre Einschätzungen austauschen und Treffen der Außenminister Armeniens und Aserbaidschans unter ihrer Teilnahme vorbereiten. Auf bestimmten Etappen, wenn eine Hoffnung auf konkrete positive Fortschritte besteht, finden Gipfel der Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens statt.
Russland ist eine der aktivsten Teilnehmerinnen dieses Prozesses, weil neben der Troika der Kovorsitzenden wir noch eigene Vermittlungsbemühungen zur Schaffung der günstigen Bedingungen für Dialog der Seiten im nationalen Format fördern. Wir luden einige Male die Außenminister Armeniens und Aserbaidschans zu uns ein. Es gab auch Treffen auf der Ebene der Präsidenten von drei Ländern – Russlands, Armeniens und Aserbaidschans.
Dieser Typ der Arbeit ist unser Beitrag zu den allgemeinen Anstrengungen der Kovorsitzenden. Wir haben noch nie unsere bilateralen Schritte der Tätigkeit der Troika – Russland, USA und Frankreich – entgegengesetzt. Immer, wenn wir solche dreiseitige Treffen – Russland, Aserbaidschan, Armenien – durchführen, laden wir Kovorsitzende ein, damit die nach dem Ende dieser Treffen alle notwendigen Informationen bekommen.
Unser Kurs stützt sich auf den Komplex der Dokumente, der fast innerhalb 18 Jahre entwickelt wurde. Es gibt so genannte Madrider Prinzipien, es gibt erneuerte Versionen der Dokumente, die von den Seiten als Grundlage für die weitere Arbeit gebilligt wurden. Diese Dokumente werden im OSZE-Sekretariat gelagert.
Wir beobachten jetzt, wie unter Bedingungen des Stillstandes die Stimmen zu hören sind, dass man auf alle diese Dokumente verzichten und aufs Neue beginnen oder überhaupt Plan B einleiten soll. Wir denken, dass es ein großer Fehler sein wird. Wir sind davon überzeugt, dass das in diesen Jahren Erreichte die Grundlage unserer weiteren Anstrengungen sein soll.
Ich werde nicht detailliert beschreiben, was da vorläufig abgestimmt ist – das ist ein vertraulicher Teil der Arbeit. Doch ich kann ihnen zusichern, dass es dort Lösungen gibt, die es ermöglichen werden, die Gerechtigkeit sowohl für armenische, als auch aserbaidschanische Vertreter zu sichern.
Frage: Der US-Kongress billigte vor kurzem mehrere zusätzliche Sanktionen gegen Gerichte und Unternehmen, die am Bau von Nord Stream 2 teilnehmen. Wie schätzen Sie die Rechtmäßigkeit dieser Sanktionen ein? Bedeuten sie den Verlust des Interesses der USA an der Entwicklung der transatlantischen Partnerschaft oder sind sie ein Akt der Freundschaft gegenüber den EU-Ländern?
Sergej Lawrow: In meiner Einführungsrede schnitt ich bereits Probleme der einseitigen Sanktionen an. Jede einseitigen Sanktionen sind illegitim. Legitim sind nur Sanktionen, die vom UN-Sicherheitsrat eingeführt werden. Alles andere sind die Versuche, das Völkerrecht, die Prinzipien der UN-Charta zu untergraben, die in der Notwendigkeit bestehen, die Arbeit zur Lösung jedes Problems gemeinsam aufzubauen.
Im Fall Nord Stream 2 sind offen Methode des unlauteren Wettbewerbs zu erkennen. Amerikaner sagen offen, dass Nord Stream 2 gestoppt werden soll, weil er die Energiesicherheit Europas verletzt und Europa für ihren Erhalt Flüssiggas bei den USA kaufen soll. Dabei ist der Preis von US-Flüssiggas deutlich höher, als der Preis von Gas, das über die neue Pipeline auf den europäischen Kontinent fließen wird.
Solche Erklärungen sind arrogant, sie zeigen absoluten fehlenden Respekt der USA gegenüber ihren Verbündeten. In Deutschland und mehreren anderen EU-Ländern reagierte man schon darauf. Die Bundeskanzlerin Deutschlands Angela Merkel bestätigte vor einigen Tagen nach einer weiteren Sitzung des Europäischen Rats, dass die Nord Stream 2-Pipeline ein kommerzielles Projekt sei und nicht eine Scheidemünze bei politischen Spielen sein darf. Wir teilen solche Position. Was die Beziehungen in der Euroatlantischen Gemeinschaft und die Einschätzung der Absichten der USA gegenüber dieser Gemeinschaft betrifft – das ist die Sache jener, die beidseits des Atlantiks liegen. Ich würde die euroatlantischen Angelegenheiten nicht kommentieren, sonst wird mir vorgeworfen, dass ich mich in diese Situation einmische. Ich will das nicht.
Frage: Ich möchte Sie zur Situation befragen, die jetzt in der Republik Belarus entstanden ist. Wie meinen Sie, welche Wege zur Lösung dieses Konfliktes gibt es heute? Welche Position soll Russland einnehmen? Welche Handlungen sollen in einem so wichtigen für Russland Staat wie die benachbarte Republik Belarus unternommen werden?
Sergej Lawrow: Wir sprachen bereits darüber, als ich mit meiner Einführungsrede auftrat. Dazu äußerte sich mehrmals der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, darunter in seinem jüngsten Interview für den TV-Sender Rossija-1. Wir haben eine sehr einfache und eindeutige Position. Wir sind davon überzeugt, dass das weißrussische Volk alle Möglichkeiten hat, dieses Problem selbstständig zu lösen. Es gibt Fragen, die besprochen werden sollen, das ist offensichtlich.
Wir halten die Versuche, als eine Art Richter in der modernen Welt aufzutreten, eigene Urteile zu machen und sie via Einführung der Sanktionen und anderer Drohungen umzusetzen, für unzulässig, wie das unsere westlichen Kollegen zu machen versuchen. Leider zeigen sich diese Versuche in der EU, darunter bei den Nachbarn von Belarus, die alle EU-Mitglieder auf ihre harte Anti-Lukaschenko-Plattform ziehen wollen. Wir wissen, dass dies bei den Ländern, die als „altes Europa“ gelten, die zwar die Notwendigkeit von ausgewogenen Handlungen verstehen, eine grobe offene Einmischung in die inneren Angelegenheiten jedes Staates jedoch Unbehagen auslöst. Sie fordern zum Beispiel, wie auch die Amerikaner, Polen, Litauer, andere Balten, dass die Führung der Republik Belarus in die Vermittlung der OSZE einwilligt.
Ich sprach mit dem amtierenden OSZE-Vorsitzenden, dem Ministerpräsidenten Albaniens, Edi Rama, mit der Außenministerin Schwedens (Schweden wird der nächste OSZE-Vorsitzende sein), und sie wollten zu zweit einen solchen Prozess in die Wege leiten. Sie riefen uns an und wollten uns der weißrussischen Führung ausrichten lassen, dass eine solche Vermittlung erforderlich wäre. Wir fragten, warum die OSZE ihre Beobachter zur Präsidentschaftswahl in Weißrussland nicht geschickt hatte, als sie die Einladung erhielt. Sie sagten, die Einladung wäre zu spät eingegangen. In Wahrheit aber erhielt sie die Einladung einen Monat vor der Abstimmung. In der OSZE gibt es keine Anforderung, dass ihre Beobachter zu Wahlen mehr als einen Monat im Voraus eingeladen werden sollten. Dort gibt es keine solchen Parameter. Die einzige Verpflichtung ist, internationale Beobachter einzuladen. Und wie die Einladung erfolgt, regeln nationale Gesetze, und zudem kommt es auf die Betrachtung der Situation durch das jeweilige Land, und Weißrussland hat das auch so gemacht. All diese Spekulationen, die Beobachte sollten zwei Monate im Voraus eingeladen werden, sind in Hilfsbüchern enthalten, die die OSZE selbst, genauer gesagt, ihr Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDMR) entwickelte. Wenn wir uns die Zusammensetzung dieses Büros ansehen, dann sehen wir, dass seine Mitarbeiter zu 99 Prozent Bürger von EU- und Nato-Staaten sind. Wir bemühen uns seit 2007 gemeinsam mit unseren GUS-Partnern um die Initiative zur Verwandlung der OSZE in eine normale Organisation, wo es klare Kriterien für alle Arten ihrer Aktivitäten geben würde, unter anderem die Kriterien für Organisation der Wahlbeobachtung. Die westlichen Länder weigern sich aber, solche Fragen zu besprechen. Wir schlugen auch vor, die Satzung der Organisation zu besprechen bzw. zu verabschieden, denn die OSZE gilt immerhin als Organisation, hat aber immer noch keine Satzung.
Das ganze Pathos unserer westlichen Partner, die die OSZE in ihrer aktuellen Form verteidigen, besteht darin, dass ihre doppelsinnige Flexibilität etwas ist, was aufrechterhalten werden müsste, denn das wäre der „goldene Standard“, wie sie behaupten. Ich sehe da aber nur eine Erklärung: Solche Organisation ohne klare Regeln lässt sich leicht ausnutzen bzw. manipulieren. Zumal die OSZE als Chefvermittler auftreten will (oder wird sie vom Westen quasi gezwungen, diese Rolle zu spielen), während sie selbst von einer tiefen Krise geplagt wird: Dort gibt es keinen Generalsekretär, keine Leiter der Institutionen für Menschenrechte, für die nationalen Minderheiten und für Medien. Alle diese Leiter sind zurückgetreten, denn ein Versuch zur Verlängerung ihrer Vollmachten (aller vier auf einmal) war von mehreren Ländern abgelehnt worden. Das einzige wichtige Prinzip in der OSZE ist das Konsensprinzip. Alle vier Beauftragten, die in den vorigen drei Jahren ernannt wurden, waren Vertreter der westlichen Länder. Wir bemühten uns öfter darum, wenigstens auf einen von diesen vier Posten einen GUS-Vertreter zu ernennen, aber das gelang uns nicht.
In der OSZE gibt es amtierende Beamte im Generalsekretariat, in den Institutionen für Menschenrechte, für Massenmedien und für die nationalen Minderheiten. Es ist so, dass der nächste Beamte in der dortigen Hierarchie diese Aufgaben erfüllt. Und was denken Sie: Aus welchen Ländern sind diese vier Beamten? Auch aus den westlichen Ländern. Und das gilt ja für das ganze Sekretariat. Ich will jetzt niemanden pauschal beschuldigen. Viele OSZE-Länder wollen, dass die Organisation ausbalanciert und neutral bleibt, aber sie werden dabei behindert, und die OSZE wird leider von der aggressiven Mehrheit ausgenutzt, die ihre politischen Interessen voranbringen.
Wenn man bedenkt, wo wir alle uns jetzt befinden (mit all den Problemen in der Führung der Organisation und mit den Problemen um ihre Position gegenüber Weißrussland), werden wir bei der Vorbereitung der nächsten Sitzung des OSZE-Außenministerrats, die Anfang Dezember in Tirana stattfinden wird, verlangen, dass ein sachliches und hochprofessionelles Gespräch über Reformierung dieser stagnierenden Struktur beginnt.
Aber zurück zu Weißrussland: Präsident Putin und auch ich haben erwähnt, dass der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko noch vor der Präsidentschaftswahl von der Notwendigkeit einer Verfassungsreform gesprochen hatte. Vor kurzem sprach er sich dafür aus, dass diese Reform „entpersonifiziert“ sein und ein stabiles politisches System in Weißrussland vorsehen sollte, egal wer den Führungsposten bekleidet. Er sagte, er sei schon jetzt bereit, an dieser Reform zu arbeiten. Ich hielt es für richtig, an dieser Arbeit Vertreter der Zivilgesellschaft teilnehmen zu lassen. Wenn sie diese Krise überwinden und stärker werden wollen, ohne weitere Kontroversen zu provozieren, dann sollten sie selbst das Interesse dafür zeigen. Aber wir sehen gerade Versuche, die Situation zu destabilisieren – daraus wird ja kein Hehl gemacht. Unsere litauischen Nachbarn verletzen alle möglichen Anstandsnormen, indem sie ihre Forderungen formulieren. Wir haben allen Grund zu glauben, dass sie mit Swetlana Tichanowskaja nicht gerade mit demokratischen Methoden arbeiten, wobei sie keinen Respekt für die Souveränität der Republik Belarus zeigen.
Frage: Wie sind nach Ihrer Auffassung die Perspektiven des iranischen Atomprogramms? Gibt es Stand heute Chancen für die Aufrechterhaltung des Gemeinsamen Aktionsplans in einer Form, die für alle Teilnehmer akzeptabel wäre? Lassen Sie zu, dass die USA und der Iran wieder einen konstruktiven Dialog über ihre gegenseitigen Vorwürfe aufnehmen könnten?
Sergej Lawrow: Die Situation um den Gemeinsamen allumfassenden Aktionsplan ist angespannt. Sie ist entstanden, weil die USA vor ein paar Jahren offiziell (durch die Unterzeichnung eines entsprechenden Erlasses durch Präsident Trump) ihren Ausstieg aus der Vereinbarung verkündeten, die 2015 nach mehr als zehnjährigen Verhandlungen getroffen und im Sinne einer einstimmig befürworteten Resolution des UN-Sicherheitsrats gebilligt worden war und dadurch zu einem Völkerrechtsinstrument geworden war, das die Verpflichtung vorsieht, sich an den Entscheidungen der Unterhändler zu richten, die den Westen, Russland, China und den Iran vertraten. Und diese Verpflichtung galt nicht nur für die Teilnehmer des Gemeinsamen Aktionsplans, sondern auch für alle anderen UN-Länder.
Dieses Dokument galt einst als ein beispielloser Durchbruch, insbesondere im Bereich der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und auch im militärpolitischen Bereich – als ein äußerst wichtiger Schritt zur Einrichtung eines Sicherheitssystems in der Golfregion. Alle Experten, die mit der Situation vertraut waren, lobten diese Errungenschaft. Als aber die USA unter Präsident Trump diesen Deal als „schlimmsten in der Geschichte“ bezeichneten und offiziell daraus austraten, schwebte er auf einmal in Gefahr. Viele hatten Zweifel an seiner Aufrechterhaltung. Dafür war immerhin der politische Wille der anderen Teilnehmer nötig, vor allem Russlands, Chinas, des Irans und der europäischen „Troika“: Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens. Alle diese Länder bestätigten ihr Interesse an der Aufrechterhaltung des Deals, aber das Problem bestand darin, dass die USA, die ihre Verpflichtungen aufgegeben hatten, ihre einseitigen Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft setzten. Unter anderem nutzten sie ihre Position im globalen Währungssystem aus und untersagten jegliche Versuche zu Transaktionen in Dollar, wenn jemand mit dem Iran handeln oder seine Mittel im Iran investieren wollte. Es war eine große Arbeit nötig.
Ein paar Monate nach dieser Entscheidung der USA trafen wir uns mit den Europäern, Iranern und Chinesen in Wien. Sie versprachen, sich einen Mechanismus einfallen zu lassen, der vom Dollar unabhängig wäre und Zahlungen für alle anderen Länder ermöglichen würde, die mit dem Iran handeln und Wirtschaftskontakte pflegen wollen. Dieser Mechanismus heißt INSTEX. Er wurde nicht so schnell entwickelt, wie man versprochen hatte – erst Ende des vorigen Jahres. Vorerst erfolgte mit seiner Hilfe nur eine einzige Transaktion. Natürlich genügt das nicht für einen normalen Handel mit dem Iran.
Es ist also so passiert, dass die USA diesen Aktionsplan aufgegeben haben. Sie haben nicht einfach gesagt, sie würden ihre einseitigen Sanktionen wieder in Kraft setzen, sondern haben allen anderen versprochen, mit dem Iran zu handeln. Es gibt sogar Beispiele dafür, dass manche Verbündeten der USA sich erniedrigten und sie baten, für sie eine Ausnahme zu machen, damit sie trotz der exterritorialen und rechtswidrigen amerikanischen Restriktionen doch irgendwie mit dem Iran handeln, sein Öl kaufen könnten usw. Für mich ist so etwas unvorstellbar. Vor einigen Jahren konnte man sich so etwas gar nicht vorstellen.
Als sich die USA schon außerhalb dieses Programms waren und keine Rechte mehr hatten (da sie ihre Verpflichtungen aufgegeben hatten), versuchten sie vor einigen Tagen, im UN-Sicherheitsrat eine Entscheidung durchzusetzen, die ein Waffenembargo gegen den Iran vorsehen würde (alle Waffenlieferungen in den Iran oder auch aus dem Iran wären dann verboten), obwohl die entsprechenden Bestimmungen der gültigen Resolution erst Mitte Oktober auslaufen. Sie wollten uns alle überreden, dass wenn wir jetzt den Waffenhandel nicht beschränken würden, dann würde Teheran den Nahen Osten, die Golfregion usw. noch mehr destabilisieren. Das war völlig illegitim. Diese Resolution bekam nur zwei von insgesamt 15 Stimmen. Alle anderen stimmten entweder dagegen oder enthielten sich der Stimme.
Jetzt wollen die USA auf ein ziemlich kompliziertes juristisches Instrument zurückgreifen, das im Gemeinsamen Aktionsplan vorgesehen war und vom UN-Sicherheitsrat befürwortet wurde. Auf diese Weise können die kollektiven Sanktionen wieder in Kraft gesetzt werden, die von der UNO verhängt, aber Anfang 2016 abgeschafft wurden – nach der Verabschiedung des Gemeinsamen Aktionsplans. Das ist auch ein Versuch, bei dem inakzeptable Mittel eingesetzt werden. Obwohl es diesen Mechanismus gibt, der einst eingeführt wurde, damit die UN-Sanktion eventuell wieder verhängt werden könnte (aber erstens wurde dieser Mechanismus nur für den Fall vorbereitet, dass der Iran seine Verpflichtungen nicht erfüllen würde (und die Iraner erfüllen sie), und zweitens haben die USA alle ihre Rechte verloren, indem sie ihre Verpflichtungen aufgaben). Sie wissen ja, dass die Amerikaner nicht nur in der Situation um den Iran, sondern auch in der um Venezuela Schiffe abfangen und versuchen, eine Seeblockade einzurichten. Wir wissen natürlich, dass das Symbol der Republikanischen Partei der Elefant ist, aber die Welt ist immerhin kein Porzellanladen.
Frage: Lassen Sie mich bei Ihnen für Ihren Auftritt bedanken und die für mich wichtigen Fragen direkt stellen. Im Februar trat Großbritannien aus der Europäischen Union aus. Welche Beziehungen werden sich zwischen Russland und Großbritannien entwickeln, wenn man bedenkt, dass Russland am 1. August seine Grenzen für drei Staaten geöffnet hat, unter anderem für Großbritannien?
Sergej Lawrow: Sie sollten angesichts der Tatsache, dass wir unsere Grenzen für Großbritannien und einige andere Länder geöffnet haben, keinen politischen Hintergrund suchen. Diese Entscheidungen werden nur anhand der Einschätzungen getroffen, die unsere sanitären bzw. epidemiologischen Behörden veröffentlichen. Und dafür ist unser Operativstab bei der Regierung zuständig.
Die Beziehungen England und Russland sind jahrhundertelang. Sie waren nie einfach – trotz der Verwandtschaften zwischen den beiden Monarchien. Aktuell befinden wir uns nicht gerade in Top-Form, die sogar noch schlimmer ist als in den Jahren, als sich unsere Beziehungen nicht besonders gut entwickelten. Und jetzt sind sie wegen des Vorgehens unserer britischen Kollegen sehr negativ.
Alles begann mit dem Tod von Alexander Litwinenko im Jahr 2007. Dann gab es den „Fall Skripal“, dann hängten die Engländer auch andere antirussische Ausschreitungen an die große Glocke (beispielsweise die Boeing-Katastrophe im Donezbecken). Dabei wurden rein britische Akzente gesetzt: Sie behaupteten, wir hätten uns in das Brexit-Referendum eingemischt, mussten aber später einräumen, dass es keine Einmischung gegeben hatte; dann sagten sie, wir hätten uns „definitiv in das Referendum über Schottlands Unabhängigkeit eingemischt“, und jetzt wollen wir angeblich wieder „in die inneren Angelegenheiten des Vereinigten Königreichs eingreifen“. Es ist sehr traurig, das alles zu hören.
Wir versuchten nie, unsere Beziehungen künstlich zu komplizieren – da gibt es ohnehin viele Probleme. Ich habe nur einige von ihnen aufgezählt, die von der britischen Seite ohne jegliche Beweise geschaffen worden sind.
Jetzt verlangt man von uns, dass unsere Ärzte in Omsk ihre Schlussfolgerungen veröffentlichen, dass wir die Situation um Alexej Nawalny ermitteln, der sich im Koma befindet. Wissen Sie noch, dass er nur etwas länger als einen Tag in Omsk verbrachte? Und schon damals fragten unsere westlichen Kollegen immer wieder, warum dazu keine Informationen veröffentlicht wurden. Und jetzt befindet er sich schon seit mehr als einer Woche in Deutschland. Die deutschen Ärzte veröffentlichen auch keine Informationen. Das hat wohl zu bedeuten, dass dafür mehr Zeit nötig ist, nicht wahr? Aber niemand verlangt etwas von den deutschen Ärzten, niemand verurteilt sie dafür, dass sie angeblich „die Wahrheit verbergen wollen“.
Und uns wirft man vor, dass wir die Situation nicht ermitteln. Das stimmt nicht. Seit dem Tag, an dem das alles passierte, leitete unser Innenministerium ein Vorprüfungsverfahren ein. Und ein Strafverfahren kann eingeleitet werden, erst wenn festgestellt worden ist, was eigentlich passiert ist. Und das ist, wie ich schon sagte, vorerst unklar. Die deutschen Ärzte können uns vorerst keine entsprechenden Informationen zur Verfügung stellen. Unsere Generalstaatsanwaltschaft wandte sich an ihre deutschen Kollegen mit der Bitte, das bilaterale Abkommen über gegenseitige Rechtshilfe in Kraft zu setzen.
Warum ich das erwähne? Weil ich die „Holzsplitter“ nicht aufzählen wollte, die unsere britischen Kollegen absichtlich in den „Körper“ unserer Beziehungen steckten: im „Fall Litwinenko“, im „Fall Skripal“. In beiden Fällen wurden keine endgültigen Fakten veröffentlicht. Wenn man von uns verlangt, dass wir die Situation um einen Mann ausführlich und objektiv ermitteln, der sich seit langem im Ausland aufhält, dann wäre das keine umfassende Ermittlung, wenn man von seinen eigenen Kriterien ausgeht. Weder zum „Fall Litwinenko“ noch zum „Fall Skripal“ führte man keine konkreten Fakten an. Im Kontext des „Falls Skripal“ haben die Engländer alle EU-Mitglieder einfach gezwungen, russische Diplomaten auszuweisen (die meisten stimmten zu, manche konnten diesem Druck jedoch widerstehen). Dabei wissen wir ganz genau, dass viele Europäer die Engländer fragten, ob sie Fakten anführen könnten, die Russlands Schuld beweisen würden. Die Engländer sagten aber, sie würden solche Fakten anführen, aber erst später, und vorerst sollten die Europäer die Russen ausweisen. Das ist kein Scherz von mir – das ist Fakt. Und jetzt, fast anderthalb Jahre später, wenn ich meine europäischen Kollegen frage, ob die Engländer ihnen irgendwelche Fakten präsentiert haben, schlagen sie Augen nieder und geben zu, dass dies noch nicht passiert ist. Und sie werden auch keine Fakten anführen – da bin ich fast sicher.
Unsere Beziehungen mit Großbritannien sind schwierig, obwohl ich keine Gründe für ihre Belastung (vor allem für künstliche Belastung) sehe. Unsere Verbindungen auf solchen Gebieten wie Kultur, humanitäres Wesen, Bildungswesen, Wissenschaft entwickeln sich intensiv. Es gibt entsprechende Strukturen, in denen Vertreter unserer Zivilgesellschaften kooperieren. Es entwickeln sich unsere geschäftlichen Kontakte intensiv. Die englischen Geschäftskreise sind an unserem Markt interessiert. Sie arbeiten hier, investieren hier ihre Mittel, unter anderem in Sportstätten usw. Übrigens hat unser Handelsumsatz im ersten Halbjahr 2020 um mehr als 50 Prozent im Jahresvergleich zugelegt – auf mehr als zehn Milliarden Dollar. Das ist kein Rekord, aber die Tendenz ist nachhaltig. Wenn die britische Führung gegenüber Russland eine solche Politik ausüben wird, an der die britischen Geschäftskreise und die britische Zivilgesellschaft interessiert sind, dann könnten wir meines Erachtens noch viel produktiver arbeiten – und das würde den beiden Ländern nützen.
Frage: Die Syrien-Krise dauert seit 2011. Es wurden zahlreiche Versuche der Regelung der Situation im Lande unternommen. Es gab Verhandlungen der Anführer der Länder. Wie schätzen Sie die Ergebnisse des gemeinsamen Patrouillierens der russischen und türkischen Militärs in Syrien ein?
Sergej Lawrow: Die Ergebnisse sind nicht schlecht. Sie sind bislang nicht hundertprozentig, doch es gibt den Fortschritt. Das Patrouillieren erfolgt in der Provinz Idlib, gegenüber der es ein ganzes Paket der russisch-türkischen Vereinbarungen gibt – das wichtigste Memorandum wurde 2019 in Sotschi abgeschlossen, dann wurde es mit ein paar Protokollen ergänzt.
Das Wesen der Vereinbarungen zwischen den Präsidenten Russlands und der Türkei, Wladimir Putin, und Recep Tayyip Erdogan, besteht darin, dass in Idlib eine Sicherheitszone gebildet wird, wo alle Terrorgruppierungen von der patriotischen Opposition getrennt werden sollen, auch wenn bewaffneter, die jedoch nicht mit terroristischen Taten verbunden ist und zur Teilnahme an der Regelung der Schicksale des Landes bereit ist. Das war die Verpflichtung der Türkei, es bleibt, die Opposition, die mit den Türken kooperiert, von Terroristen zu trennen. Das wird sehr mühsam gemacht. Terroristen versuchen allerdings, Widerstand zu leisten – beschießen die Position der syrischen Armee aus der Sicherheitszone und versuchten mehrmals bewaffnete Provokationen zu machen, darunter unter Einsatz der Angriffsdrohnen gegen den russischen Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim.
In diesen Tagen findet in Moskau eine weitere Serie der Konsultationen zwischen den russischen und türkischen Experten, darunter zu Syrien, sowie zur Kooperation im Bereich Syrien-Regelung statt. Wir besprechen diese Fragen. Das Patrouillieren ist ebenfalls mit der Notwendigkeit verbunden, Terroristen den Handlungsspielraum in der Idlib-Zone wegzunehmen. Dort gibt es die M4-Autobahn, die gemäß einem weiteren Protokoll, das von Russland und der Türkei unterzeichnet wurde, befreit wird, und ihr vollständiges, normales Funktionieren für Zivilgüter, der syrischen Armee und für russischen Militärpolizisten gewährleisten soll. Das Patrouillieren dieser Autobahn erfolgt nicht sehr schnell, weil Extremisten Widerstand leisteten, doch jedes Mal fügte dieses Patrouillieren einige Kilometer hinzu. Vor kurzem fand es entlang der ganzen Autobahn statt. In Idlib steht noch viel Arbeit bevor, doch wir beobachten den Fortschritt. Am Wichtigsten ist, dass es dort jetzt keine blutigen Vorfälle gibt. Es kommt zu einzelnen Episoden, die syrische und türkische Militärs meistern.
Frage: Die Covid-19-Pandemie wurde zum Impuls für Veränderungen in allen Bereichen des Lebens der Gesellschaft. Welche Veränderungen erwarten das System der internationalen Beziehungen?
Sergej Lawrow: Das System der internationalen Beziehungen ist ein Teil des Lebens der Gesellschaft. Deswegen in demselben Maße, wo ferngesteuerte und Online-Technologien in das Leben der Menschheit im Ganzen kommen, so werden sie auch ihre Rolle im Bereich der internationalen Beziehungen erweitern.
Hier soll man eine sehr ernsthafte Beschränkung erwähnen. Gar nicht alles, was am wichtigsten in internationalen Angelegenheiten ist, kann online besprochen werden, auch wenn technisch die Schutzmittel gegen Abhören und illegitimes Eindringen in entsprechende Netze gesichert werden.
Am wichtigsten ist auch nicht, dass dies technisch nicht sicher sein wird, sondern dass die ernsthaftesten Vereinbarungen zu den ernsthaftesten Problemen nicht online abgestimmt werden können. Das erfordert einen persönlichen Kontakt, das Gefühl des Gesprächspartners, Verständnis der Möglichkeit, ihn von eigenem Recht zu überzeugen, und natürlich in seinen Worten das zu finden, was dich überzeugen wird. Das ist der Prozess, der meines Erachtens nie vollständig ins Online-Format verlegt werden kann. Nichts kann persönliche Kommunikation ersetzen. Dabei gibt es mehrere Veranstaltungen, die besonders einen Protokoll-Charakter haben, beispielsweise die Sitzung der Minister einer Organisation, in deren Rahmen bereits Expertendokumente vorbereitet wurden, sollen die Minister auftreten und entsprechende Resolutionen billigen. In diesem Fall sehe ich keine großen Probleme damit, dass man zum Online-Mechanismus greift. Wir führten eine Videokonferenz der Außenminister der SOZ durch, bereiten eine Konferenz für BRICS vor, in dieser Woche findet eine Videokonferenz der G20-Außenminister statt, wo jetzt Saudi-Arabien den Vorsitz hat und sie organisiert. Ich wiederhole, dass es sich mehr um Protokoll-Anlässe handelt. Für reale Verhandlungen, beispielsweise zum iranischen Atomprogramm hätten wir uns nie ohne zahlreiche persönliche Treffen, darunter geschlossene, private, vertrauliche Treffen zwischen Vertretern der USA und Irans einigen können.
Wir sind jetzt bereit, einen direkten Dialog zwischen den USA und dem Iran aufrechtzuerhalten, sind bereit, Bedingungen für solchen Dialog zu schaffen, wenn beide Seiten daran interessiert sein werden. Es ist immer besser, direkt Ansprüche darzulegen und die Antwort zu hören.
Frage: Wie bekannt, entwickelt sich alles in der internationalen Arena, darunter bei Gerichtsprozessen, nicht immer gut. So lehnte das schwedische Gericht vor kurzem die Einberufung von Gazprom gegen das Urteil des Internationalen Schiedsgerichtshofs Stockholms ab, das Gazprom dazu verpflichtete, Naftogaz Ukrainy rund 2,5 Mrd. Dollar zu zahlen. Wie denken Sie, ist diese Niederlage das Ergebnis der Fehler der russischen Anwälte? Über welche Kompetenzen und Eigenschaften soll der künftige Jurist für internationale Angelegenheiten verfügen?
Sergej Lawrow: Ich denke, dass ich kein Recht habe, die Eigenschaften zu beschreiben, die der Jurist für internationale Angelegenheiten haben soll. Sie sollen dann am Institut beigebracht werden, glauben sie ihren Professoren und Lehrern. Hier gibt es sehr viele Experten, die nicht einfach wissen, wie das in Theorie, sondern in der Praxis aussieht. Was Beschlüsse des Schiedsgerichtshofs betrifft, werden viele von ihnen sowohl in Stockholm als auch in einigen anderen nationalen Gerichten der EU-Länder gefällt, besonders zu Nord Stream 2. Bezüglich des ersten Strangs wurde beschlossen, dass sich auf ihn die Ausnahme aus dem Dritten Energiepaket ausdehnt, beim zweiten Strang nicht. Dort gibt es Einberufungen seitens des Unternehmens Nord Stream 2. Gazprom legt ebenfalls öffentlich seine Position dar. Ich hoffe, dass es sich um einen Streit im Bereich Unternehmensbeziehungen handelt. Man will nicht, dass in jedem Schiedsgericht, ob in Stockholm oder irgendwo noch, Elemente des politischen Spiels vorhanden sind. Das Recht duldet keine Politisierung.
Frage: Bezeichnen Sie das aktuelle Kräfteverhältnis in der internationalen Arena als ähnlich mit jener, die es früher gab? Wenn ja, mit welcher Epoche könnten Sie die heutige geopolitische Situation vergleichen?
Sergej Lawrow: Man möchte nicht bis zu urtümlichen Zeiten gehen. Manchmal scheint es, dass es keine Normen gibt, oder es gibt Mächte, die es als Ziel setzen, alle diesen Normen zu ignorieren. Man kann wohl nicht ein absolutes Parallel zwischen der jetzigen Periode und jeder anderen Epoche in der Vergangenheit ziehen. Es gab Verbündetenbeziehungen im Zweiten Weltkrieg, „Konzert der Großmächte“ im 19. Jh. – vieles, was das Verständnis der Vorteile der Vereinigung der Anstrengungen durch damalige Anführer bedeutete. In den meisten Fällen wurden Anstrengungen gegen jemanden vereinigt – Koalitionen, gemeinsamer Feind, das ist natürlich große Errungenschaft der Menschheit. Jetzt haben wir auch viele gemeinsame Feinde, gegen die man uns vereinigen soll. Wenn man einfach den Algorithmus „Menschheit und gemeinsamer Feind“ nimmt, war der Zweite Weltkrieg ungefähr solche Situation.
Jetzt ist bei uns noch nicht genug Begreifen der Schärfe aller Drohungen vorhanden. Daraus ergeben sich die Entspannung und Verlockungen bei einigen unseren Partnern. Vielleicht zeigen sich einige genetische Folgen der Kolonialepoche. Selbst in der Situation, wenn man sich besser vereinigen soll, sehen wir das Streben, jemanden zu marginalisieren, einen einseitigen Vorteil zu bekommen, Leviten in der Situation zu lesen, wenn man gemeinsam arbeiten soll. Ich erwähnte die Doppelstandards, wenn etwas von uns gefordert wird, und zu den Themen Skripal und Litwinenko alles geheim gehalten wurde. Niemand berichtet etwas. Das senkt nicht das Pathos, mit dem man zu uns zu verschiedenen Angelegenheiten wendet, die im Westen mit dem Nutzen für Regierungseliten entfacht werden können.
Ich denke, dass das Begreifen der Alternativlosigkeit der Vereinigung der Anstrengungen jedoch gewinnen wird. Die große eurasische Partnerschaft, die Notwendigkeit, die Beziehungen zwischen den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats zu klären, die eine besondere Verantwortung für die Aufrechterhaltung der internationalen Stabilität in allen Aspekten tragen. Darauf zielt unsere Initiative, die von Präsident Russlands Wladimir Putin aufgebracht wurde.
Was wir jetzt erleben, ist der Aufbau der multipolaren Welt – eine historische Epoche. Sie wird mehrere Jahrzehnten in Anspruch nehmen. Sie sehen Widerstand gegen den Aufstieg Chinas (wie die Chinesen selbst sagen), Tauziehen im Kampf um Indien, Erfindung der neuen Konzepte, Indopazifik-Region – obwohl es den Begriff „Asien-Pazifik-Region“ gibt, wo es inklusive, gemeinsame Formen der Arbeit gibt. Doch es wird das Konzept „Indopazifik-Region“ vorangebracht, wo am wichtigsten ist, China (wie auch Russland) zur Seite zu schieben, einen Klub der Gleichgesinnten zu bilden, die China und Russland abschrecken werden. Es werden nicht positive, sondern negative Kriterien zur Bildung jeglicher Koalitionen implementiert. Ich bin mir sicher, dass alles vorbei sein wird, weil das bewusst nicht erfolgreich sein kann, sondern zu akuteren Konflikten als jetzt führen kann. In der Welt gibt es ausreichend Krisen, mit denen man sich befassen soll (Naher Osten, Persischer Golf, Afghanistan u.a.). Ich würde an die Hypothese erinnern – jemand will wohl solche chaotische Situation in der Hoffnung aufrechterhalten, dass jemand in diesem gelenkten Chaos lenken kann. Bislang sehen wir keine Aussichten solcher Politik. Wir wollen ehrlich, auf Grundlage der Gleichberechtigung sprechen und sich einigen.
Frage: Ich wurde in Sterlitamak, Republik Baschkortostan geboren. Ich weiß, dass Sie in unseren Gebieten waren, beim Rafting durch den Fluss Belaja. Ich habe eine Alltagsfrage – zur Abwechslung. In den Medien beobachten wir oft Ihre Bewegungen in der Welt, und damit also eine riesige Belastung. Wie oft verbringen Sie Zeit mit Angehörigen? Erinnern Sie sich daran, wann sie sich letztes Mal am Familientisch versammelten?
Sergej Lawrow: Als Sie sagten, dass sie von meiner Tour durch den Fluss Belaja wissen und eine Alltagsfrage stellen wollen, bekam ich sogar Angst.
Nicht oft gelingt es, mit Freunden und Angehörigen zusammen zu kommunizieren, doch umso wertvoller ist jedes Mal, wenn das geschafft wird.
Frage: Hätten Sie die Möglichkeit gehabt, heute eine andere Richtung der Tätigkeit zu wählen, wer möchten Sie sein?
Sergej Lawrow: Das hat keinen Sinn mehr. Als ich Schule absolvierte, wollte ich an MEPhI gehen. Doch als sich herausstellte, dass die Prüfungen an MGIMO ein Monat früher beginnen, wollte ich versuchen, ich verliere doch nichts. Seit dieser Zeit bereue ich absolut nicht meine Wahl. Und empfehle ihnen dasselbe.
Frage: Die Beziehungen zwischen Russland und Lateinamerika können als gegenseitige Kooperation, die durch Zeit geprüft ist, bezeichnet werden. Wie bekannt, erlebt Lateinamerika jetzt nicht die besten Zeiten, dazu gehört eine schwere Covid-19-Situation, Wirtschaftsprobleme Venezuelas und Argentiniens. Wie betrachten Sie die weitere Kooperation Russlands mit den Ländern Lateinamerikas? Werden gemeinsame Projekte geplant?
Sergej Lawrow: Wir betrachten das als Kooperation mit einer sehr wichtigen Region der Welt. Wir verhalten uns mit Respekt zu allen Ländern Lateinamerikas und ändern nicht unsere Bereitschaft, mit jedem davon, unabhängig davon, welche Regierung an die Macht in einem jeweiligen Land kam, zusammenzuwirken. Das sind wieder Versuche, souveräne Staaten vor einer falschen Wahl „entweder bist du für die USA, oder gegen“ zu stellen. Daraus ergibt sich solche aggressive Politik gegenüber Venezuela, Kuba, Nicaragua. Daraus ergeben sich die Ereignisse in Bolivien. Vor kurzem rief Estland, ein nicht ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats eine inoffizielle Sondersitzung zur Besprechung der Proteste in Minsk und Handlungen der Rechtsschutzorgane. Ich erinnerte mich an Bolivien. Als Evo Morales vor dem Fakt der zahlreichen Proteste gestellt wurde, er von Demonstranten unterstützt wurde, ging dort die Polizei nicht so wie in anderen Fällen vor – es gab Dutzende Tote. Niemand im UN-Sicherheitsrat machte etwas. Einfach weil an die Macht jene kamen, die bequem für Washington sind. Wir haben ein anderes Herangehen. So gab es in Brasilien die Regierung von Dilma Rousseff, heute ist es Jair Bolsonaro, die entgegengesetzte politische Ansichten haben. Wir entwickeln mit Brasilien strategische Partnerschaft und richten uns nach pragmatischen Herangehensweisen und der Notwendigkeit, nach gemeinsamen Interessen zu suchen, wir haben sie viele. Dasselbe betrifft jedes andere Land.
Neben bilateralen Beziehungen mit allen Ländern Lateinamerikas und der Karibik entwickeln wir enge Kontakte mit regionalen bzw. subregionalen Vereinigungen, vor allem mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), mit der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) usw. In der CARICOM und im Zentralamerikanischen Integrationssystem bekommen wir den Beobachterstatus. Dabei gibt es sehr viele Bereiche, in denen wir agieren: Hochtechnologien, Militärtechnik, Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Ausbildung von polizeilichen Kräften für die Länder Lateinamerikas in regionalen Zentren, die es in Peru und Nicaragua gibt). In letzter Zeit kommt auch das Zusammenwirken an der Corona-Bekämpfung hinzu. Wir stellten vielen Ländern der Region unsere Testsysteme bereit. Jetzt verhandeln wir gleich mit mehreren Ländern über Lieferungen von russischen Impfstoffen und über gemeinsame Produktion von Medikamenten russischer Herkunft und von russischen Impfstoffen in diesen Ländern. Wir reden über eine multipolare Welt, die sich gerade etabliert, und Lateinamerika ist eine der Stützen solcher Welt, die heutzutage, objektiv gesehen, entsteht. Diese Stütze wird die künftige polyzentrische Weltordnung viel stabiler machen.
Frage: In den USA herrscht gerade großes Aufsehen um den Präsidentschaftswahlkampf. Wie könnten sich die Beziehungen Russlands und der USA verändern, wenn sich die „ukrainische Variante“ wiederholen würde (auch wenn das eher unwahrscheinlich ist), so dass Kanye West den Präsidentenposten bekleiden würde? Wie ist Ihre Prognose?
Sergej Lawrow: Wissen Sie, seit den ersten Tagen unseres Studiums an der MGIMO organisierten wir gemeinsam mit Herrn Torkunow Studentenkonzerte, in denen wir uns über alle Menschen lustig machten: über Präsidenten und sogar über Generalsekretäre. Deshalb können Sie gerne fantasieren, über wen immer Sie wollen – auch in den USA. Ich hoffe, man wird Ihnen nicht Einmischung in die US-Wahlen vorwerfen.
Frage: Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe verkündete vor kurzem seinen Rücktritt. Wie können Sie die acht langen Jahre des internationalen Zusammenwirkens Russlands und Japans charakterisieren, seitdem Shinzo Abe Ministerpräsident wurde? Wie sehen Sie die Entwicklungsperspektiven der russisch-japanischen Beziehungen?
Sergej Lawrow: Die Beziehungen zwischen dem Ministerpräsidenten Japans, Shinzo Abe, und der russischen Führung, vor allem dem Präsidenten Wladimir Putin, waren kameradschaftlich, wirklich freundlich, gegenseitig respektvoll – und es war offensichtlich, dass sie sich auf die gegenseitige persönliche Sympathie stützten. Das alles betonte Präsident Putin in seiner jüngsten Botschaft an Shinzo Abe sowie in ihrem Telefongespräch, das kurz nach der Rücktrittserklärung Shinzo Abes stattfand. Präsident Putin bestätigte, dass er immer und in jeder Eigenschaft bereit wäre, seine Freundschaftskontakte mit Shinzo Abe auch weiter zu pflegen – und das war ganz aufrichtig.
Was die Perspektiven der russisch-japanischen Beziehungen angeht, so sind wir dafür, dass sie gedeihen, dass sie möglichst eng werden – und wir schlagen vor, mit der Entwicklung des Zusammenwirkens auf absolut allen Gebieten zu beginnen: Wirtschaft, High-Tech, Wissenschaft und Technik, Kultur, humanitäres Wesen, Bildungswesen, Kontakte zwischen Menschen, Umweltschutz. Es könnten gemeinsame Projekte umgesetzt werden, insbesondere auf den Kurilen-Inseln. Und natürlich sollten die zwei Länder im Sicherheitsbereich eng und transparent zusammenwirken.
Das sieht nicht nur Behandlung von konkreten Situationen vor, die in unserer gemeinsamen Region entstehen (besonders im Kontext der japanisch-amerikanischen Militärallianz), sondern auch eine enge Koordinierung unseres Vorgehens in internationalen Organisationen. Das ist gerade, was Shinzo Abe und Wladimir Putin vereinbarten, als sie die Aufgabe zur maximal intensiven Entwicklung der Beziehungen auf allen Gebieten stellten, damit die beiden Länder selbst schwierigste Aufgaben lösen könnten.
Diese Formel wurde abgesprochen. Leider befinden wir uns noch ziemlich weit von dem Ziel, das wir in unseren Beziehungen mit Japan erreichen möchten. Die Japaner schlossen sich den Sanktionen an, die unsere Wirtschaftskooperation behindern. Tokio guckt auf andere westliche Länder, vor allem auf die USA, wenn es um gemeinsame Produktion auf dem Gebiet Nanotechnologien und auch in anderen High-Tech-Bereichen geht.
Japan stimmt leider fast immer gegen Russland, wenn in der UNO diverse problematische Resolutionen abgestimmt werden. Natürlich möchten wir unseren sachlichen Dialog über Sicherheitsprobleme in der Region, wo wir an die japanischen Inseln grenzen, fördern und auch verstehen, wie Japan seine Verpflichtungen gegenüber den USA im militärischen Bereich betrachtet, wenn man bedenkt, dass die USA Russland unlängst offiziell zu ihren Gegnern gezählt haben. In Tokio sagt man, es würde nie gemeinsam mit den Amerikanern etwas gegen Russland unternehmen, aber Japan ist ein enger Verbündeter der USA, die uns für ihren Gegner halten. Da gibt es jedenfalls etwas zu besprechen.
Indem ich das alles gesagt habe, bestätige ich abermals, dass unabhängig davon, wie die aktuelle Situation um die Wahl des Vorsitzenden der Regierungspartei und dementsprechend mit der Wahl des Ministerpräsidenten endet, sind wir zu maximal enger Kooperation mit unseren japanischen Nachbarn bereit – in allen diesen Richtungen. Wir machen auch Fortschritte im Kontext der Wirtschaftsaktivitäten auf den Südkurilen, auch wenn diese nicht so groß sind, wie wir das möchten. Das sind Projekte, die den dort lebenden Menschen nützen, wie auch den an diesen Projekten beteiligten Unternehmen. Also sind wir bereit, selbst langsam in diese Richtung zu gehen, wobei die wichtigste Aufgabe immer akut bleibt: unsere Beziehungen auf ein qualitativ neues und positives Niveau zu bringen.