Королевство Норвегия
Rede des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, beim „Jubiläums-Lunch“ im Namen der Ministerpräsidentin Norwegens, Erna Solberg, am 25. Oktober 2019 in Kirkenes
Ihre Majestät,
sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
Frau Ministerin,
Herr Bürgermeister,
unsere lieben Veteranen,
Freunde,
ich kann keine passenden Worte finden, um mein Verhältnis zu dem zu äußern, wie unsere norwegischen Kollegen die heutigen Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung Finnmarks von Faschisten organisiert haben.
Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, mich an dieses große Publikum zu wenden, an unsere Veteranen, an russische und norwegische Politiker. Ehrlich gesagt, kann ich kaum noch etwas dazu hinzufügen, was Seine Majestät Harald V. auf dem Platz und die Ministerpräsidentin Erna Solberg eben gesagt haben. Ich kann nur jedes Wort von ihnen befürworten.
Frau Ministerpräsidentin sagte, die Geschichte sei keine exakte Wissenschaft und werde von Menschen geschrieben. Das ist völlig richtig. Ich befürworte voll und ganz den Aufruf an die Veteranen, möglichst viele dokumentarische Erinnerungen daran zu hinterlassen, was vor 75 Jahren und in den Kriegsjahren generell passierte.
Im Lied, das eben eine Russin in Begleitung des Streichquartetts und der Flöte sang – es heißt „Lass uns eine rauchen“, gibt es Worte darüber, dass der Krieg bald zu Ende gehen würde und dass man so lange leben sollte, bis es auf der Welt keine Faschisten mehr gebe. Die damaligen Faschisten wurden am Ende besiegt und vernichtet, woran sich unter anderem unsere und norwegische große Veteranen beteiligten, die hier vertreten sind. Aber Neonazis und Extremisten erheben wieder den Kopf. Wir wissen, dass es so etwas auch in Norwegen gibt. Bei Ihnen gab es Anders Breivik, auch bei uns gab es ähnliche Zwischenfälle. Deshalb ist es so wichtig, das zu tun, was unsere norwegischen Freunde von Jahr zu Jahr tun: das historische Gedenken aufzubewahren und junge Menschen und Kinder im Geiste der Treue den Idealen zu erziehen, für die ihre Vorfahren ihre Leben lassen mussten. Heute haben wir auf dem Platz ganz kleine Kinder mit norwegischen und russischen Flaggen gesehen, die Volkslieder sangen, den herzbewegenden Worten Seiner Majestät und der Rede des Herren Bürgermeisters zuhörten – und begriffen, dass es unbedingt nötig ist, an das Vaterland und seine Geschichte zu denken. Meines Erachtens ist das die größte Errungenschaft, auf die man sehr viel Wert legen sollte.
Das Unterpfand unserer Freundschaft ist nicht die Person des Außenministers, sondern das, was heute der König Norwegens, Harald V., abermals bestätigt hat, was die Ministerpräsidentin Erna Solberg gesagt hat, was auch meine Verhandlungen mit meiner Amtskollegin Ine Marie Eriksen Søreide bestätigten.
Wir stehen auf unterschiedlichen Positionen zu ziemlich vielen Fragen. Wir haben heute auf der Pressekonferenz offen darüber gesprochen – da gibt es kein Geheimnis. Aber die Kontroversen sind großenteils nicht durch unsere bilateralen Beziehungen bedingt, sondern durch die aktuelle geopolitische Situation in der Welt. Wir haben mit vielen Ländern (genauso wie mit Norwegen) Kontroversen hinsichtlich einer ganzen Reihe von Fragen, aber erstens machen wir nie eine Tragödie daraus, und zweitens nimmt die Besprechung unserer Kontroversen mit Norwegen nie extreme Formen an. Wir sagen einander offen und ehrlich, wie die Positionen unserer Länder zu diesen oder jenen Fragen sind.
Ich kann ganz ehrlich feststellen, dass mein heutiger Besuch neben dem faszinierenden und sehr rührenden feierlichen Teil unter Beteiligung der höchsten Staatsführung von Norwegen zur weiteren Vertiefung unseres professionellen diplomatischen Dialogs beitragen wird, der ganz bestimmt den Interessen sowohl der Norweger als auch der Russen entspricht. Wenn die europäischen Länder und unsere westlichen Partner zu Verhandlungen über die Entwicklung einer Sicherheitsarchitektur bereit sind (und das wird unbedingt passieren), die sich nicht auf geopolitischen Absichten dieses oder jenes Landes stützt, sondern auf kollektive und allgemein akzeptable Kooperations- Koexistenzprinzipien stützen, wird Norwegen in den ersten Reihen dieser Bewegung stehen – da haben wir keine Zweifel. Die norwegische Diplomatie hat große Traditionen auf dem Gebiet Vermittlung zwischen Konfliktseiten. In Palästina, Haiti, im Sudan, in Kolumbien, in den Philippinen und in vielen anderen Ländern konnten Konflikte dank der diplomatischen Einmischung Norwegens abgespannt werden. Ich sehe keinen Grund, warum Norwegen nicht mit der Initiative zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und der Nato auftreten sollte – auf Basis der Gleichberechtigung, des Prinzips der gleichen Sicherheit für alle Menschen, die auf unserem gemeinsamen Kontinent leben.