the Republic of Moldova
Interview des Staatssekretärs und Vizeaußenministers Russlands, Grigori Karassin, für die Zeitung "Kommersant", das am 2. Oktober 2017 veröffentlicht wurde
Frage: Chinisau verlangt nicht zum ersten Mal den Abzug der russischen Truppengruppierung aus Transnistrien. Die russischen Behörden führten früher schon etliche Gründe dafür, dass dies nicht getan werden könnte bzw. dürfte. Ist Moskau nach wie vor dagegen?
Antwort: Natürlich. In Russland und vielen anderen verantwortungsbewussten UN-Ländern verhält man sich zu dieser Initiative sehr skeptisch und sieht darin die Gefahr der Entstehung eines neuen Spannungsherdes in Südosteuropa. Als würden die schon bestehenden Konfrontationsherde nicht genügen.
Die reale Lösung des Transnistrien-Problems bestünde nicht in der Äußerung von „revolutionären“ Initiativen in der UNO, hinter der sich offenbar fremde Interessen stecken, sondern in der konsequenten Arbeit der „Ständigen Beratung über politische Fragen“ im Rahmen des Verhandlungsprozesses im „5+2“-Format, der der Transnistrien-Regelung gewidmet ist. Dieser international anerkannte Mechanismus ist dafür da, eine Formel für die nachhaltige Regelung zu finden. Ich verstehe nicht ganz, warum die zuständigen OSZE-Vertreter diese Arbeit verzögern.
Frage: Der Friedenseinsatz in Transnistrien ist ein weiteres Problem in den Beziehungen zwischen Chisinau und Moskau. In Moldawien findet man, dass er in eine polizeiliche Mission umgewandelt werden sollte. In Moskau warnt man, dies könnte einen Konflikt provozieren. Glauben Sie wirklich, dass in Transnistrien ein „heißer“ Konflikt beginnen könnte?
Antwort: Ich muss betonen, dass wir uns ausgerechnet um die politische Regelung des Transnistrien-Problems bemühen. Russland tritt als Vermittler und Garant auf Basis der Rücksichtnahme auf die Souveränität und territoriale Integrität Moldawiens auf. Jegliche Versuche einer der Konfliktseiten, die Verantwortung für die Einhaltung des Abkommens über Prinzipien der friedlichen Konfliktregelung in der moldawischen Region Transnistrien von 1992 angesichts des ins Stocken geratenen Dialogs zwischen Chisinau und Tiraspol loszuwerden, lassen die Gefahr einer neuen „heißen“ Konfliktphase wieder entstehen.
Man kann nicht zulassen, dass die Frage von der Transnistrien-Regelung zu einem weiteren Objekt von geopolitischen Spielen wird, die zu kaum vorhersagbaren Folgen führen können. Auf dem segenreichen Boden dieser Region wurde schon viel Blut vergossen, und man sollte alles tun, damit sich so etwas nicht mehr wiederholt. Das ganze Gerede von einer Veränderung des aktuellen Formats der Friedensoperation und vom Abzug der russischen Militärs vom linken Dnister-Ufer sind realitätsfremd und ignorieren absolut die Meinung der Einwohner Transnistriens, die in diesen Kräften die Garantie für ihr friedliches Leben sehen.
Frage: Was lässt einen solchen Schluss ziehen? Ich kann mich kaum daran erinnern, dass es große Umfragen zu diesem Thema gegeben hätte.
Antwort: Davon zeugt das Verhalten der Transnistrien-Einwohner zu den Friedensstiftern, das beispielsweise vor kurzem, während der Festlichkeiten zum 25. Jahrestag des Friedenseinsatzes am Dnister am 29. Juli, zum Ausdruck gebracht wurde. Während man in Chisinau zu diesem Jubiläum möglichst auf Distanz ging, nahmen in Transnistrien Tausende einfache Menschen an den Festlichkeiten teil.
Frage: Also sind die Stimmungen Ihres Erachtens auch ohne Umfragen offensichtlich?
Antwort: Natürlich sind sie offensichtlich, besonders für die Menschen, die diese Region besuchten. Ich besuchte Transnistrien öfter und kann sagen, dass sich die Menschen dort absolut einig darüber sind.
Frage: In Chisinau sind aber in letzter Zeit immer öfter die Stimmen für den Abzug der russischen Soldaten vom linken Dnister-Ufer zu hören. Davon sprechen immerhin nicht nur der Premier bzw. seine Partei, sondern auch Vertreter einiger anderer politischen Kräfte.
Antwort: Wer die Idee zum Abzug der russischen Kräfte vorantreibt, hat ein sehr kurzes historisches Gedächtnis. Ich darf ja erinnern, dass ausgerechnet die russischen Militärs das Blutvergießen im Jahr 1992 stoppten. Damals kamen auf beiden Seiten laut verschiedenen Einschätzungen etwa 1000 Menschen ums Leben, etwa 4500 weitere wurden verletzt. Allein von der transnistrischen Seite wurden nahezu 600 Menschen getötet und fast 900 verletzt. 50 wurden bzw. werden vermisst. Riesenschäden wurden der Infrastruktur und sozialen Objekten der Stadt Bendery zugefügt. Wegen der Gefechte konnten die Todesopfer von den Straßen nicht geräumt werden, was bei der Hitze im Juli zu Seuchen führen könnte. Es wurden 46 Betriebe der Industrie, des Verkehrswesens und der Baubranche beschädigt. Dank den russischen Militärs und Friedensstiftern konnte die weitere Eskalation der Situation verhindert werden.
Frage: Das war aber vor 25 Jahren. Ist es vielleicht an der Zeit, wegzuziehen?
Antwort: Die Einwohner Transnistriens erinnern sich immer noch sehr gut an die damaligen Ereignisse. Sie kennen immer noch die damalige Angst und den damaligen Schmerz. So etwas vergisst man nie. Und die Präsenz der russischen Militärs am Dnister lässt die Einwohner der Region hoffen, dass ihre Zukunft ruhig und friedlich sein wird. Seit einem Vierteljahrhundert bleibt das russische Kontingent der Garant der Stabilität am Dnister. Besonders wichtig ist das vor dem Hintergrund der andauernden Provokationen seitens der Anhänger der Blockade oder verschiedener anderer gewaltsamen Methoden zur Regelung des Transnistrien-Konflikts.
Frage: Aber in Chisinau behauptet man, die moldawische Führung hätte nie der Stationierung der russischen Truppen zugestimmt.
Antwort: Ein sehr wichtiger Umstand wird dabei verschwiegen: Eine solche Frage ist grundsätzlich inkorrekt, denn die sowjetische 14. allgemeine Armee, deren rechtmäßige Nachfolgerin die aktuelle Operative Gruppe russischer Truppen in der moldawischen Region Transnistrien ist, war zu Sowjetzeiten auf einem großen Territorium ständig stationiert. Die beiden Teile der russischen Truppen am Dnister, nämlich das Friedenskontingent und die Operative Gruppe russischer Truppen in Kolbasna, wo sie die Munitionslager bewacht, bleiben dort wegen des nicht geregelten Konflikts. Und die moldawische Seite trägt für diese Situation übrigens einen großen Teil der Verantwortung.
Frage: Also aus der Sicht Moskaus gibt es rechtliche Grundlagen für den Aufenthalt der russischen Truppen am linken Dnister-Ufer?
Antwort: Natürlich. Das ist das am 21. Juli 1992 von den Präsidenten Russlands und Moldawiens in Anwesenheit des Oberhaupts Transnistriens unterzeichnete Abkommen über Prinzipien der friedlichen Regelung des bewaffneten Konfliktes. Gemäß diesem Abkommen wurden eine Vereinigte Kontrollkommission und die ihr untergeordneten Friedenskräfte geschaffen, die die russischen, moldawischen und Transnistrien-Truppen umfassen. Dieses Dokument sieht die Präsenz von sechs russischen Bataillonen (ein ist in Reserve) sowie des Hubschrauber-Geschwaders und einer Versorgungsgruppe vor. Dabei ist diese Quote durch die russische Seite gar nicht völlig gefüllt.
Frage: Die moldawische Regierung präzisiert, dass sie gerade den Abzug der operativen Gruppe der russischen Truppen und nicht der Friedenstuppen fordert und wirft Moskau den Verzicht auf internationale Verpflichtungen vor.
Antwort: Ein Teil der russischen Militärs gehört formell nicht zu Friedenstruppen, erfüllt zwar eine nicht weniger wichtige Aufgabe zur Überwachung der Lager in der Ortschaft Kolbasna, wo nach dem Zerfall der Sowjetunion eine große Zahl von Munition geblieben ist. Dank unseren Militärs von Ausplünderung gut geschützt sind. Wir sind dafür verantwortlich, damit sie nicht in gefährliche Hände geraten Sie können nur unter Bedingung der Förderung der Sicherheitsgarantien seitens der interessierten Behörden abgezogen werden. Nicht nur transnistrischen, sondern auch moldawischen und am wichtigsten ukrainischen – denn in diesem Fall wird es um den Einsatz der de facto wegen der fehlenden Vereinbarungen zwischen Chisinau und Tiraspol blockierten Eisenbahn gehen.
Man soll auch daran erinnern, dass die russische Seite sich auch weiter an ein Konsens-Dokument der OSZE – Erklärung des Außenministerrats der OSZE in Porto halten wird, wo die Verpflichtung der Russischen Föderation begrüßt wurde, den Abzug der russischen Kräfte in kürzester Frist beim Vorhanden der notwendigen Bedingungen abzuschließen. 2003, als entsprechende politische Bedingungen uns ermöglichten, wurden von uns nach Russland 42 Züge mit Munition und Militärgüter ausgeführt. Also fast die Hälfte ihrer Gesamtzahl.
Frage: Wie viel sind jetzt noch in Kolbasna?
Antwort: Rund 20.000 Tonnen Munition.
Frage: Warum wurde der Prozess ihrer Ausfuhr nicht abgeschlossen, als das noch möglich war, also vor Beginn des ukrainischen Konfliktes?
Antwort: Der Prozess der Ausfuhr von Munition ist sehr schwierig. Leider wurde er nicht wegen uns abgebrochen. Nach 2003 gab es keine notwendigen politischen Bedingungen für seinen Abschluss. Wie ich bereits sagte, sollen der Abfuhr der Munition die Einwohner von Transnistrien selbst zustimmen, es soll Chisinau billigen, zudem ist die Genehmigung der Ukraine erforderlich. Das ist nicht so einfach, wie das von der Seite scheint.
Frage: Chisinau behauptet, dass der Aufenthalt der operativen Gruppe der russischen Truppen in Transnistrien illegal ist.
Antwort: Man kann dieser Logik kaum zustimmen. Laut dem Abkommen über die Prinzipien der friedlichen Regelung des bewaffneten Konfliktes in der Transnistrien-Region Moldawiens vom 21. Juni 1992 wurde der Status der russischen Truppen als solcher festgelegt, der während der Verhandlungen zwischen Russland und Moldawien bestimmt werden soll. Gerade in solcher Form soll er betrachtet werden. Falls man die völkerrechtliche Basis der russisch-moldawischen Beziehungen in den letzten 25 Jahren objektiv einschätzt, kann man eine große Zahl der Entwürfe von Abkommen, Protokollen des Regierungsniveaus zählen, die der Regelung dieses Problems gewidmet sind. Der Vektor hat sich nie geändert – sobald politische Bedingungen geschaffen wurden, initiierte die russische Seite Schritte zum Abbau dieser Kräfte, Wiederaufnahme der Ausfuhr der Militärgüter.
Frage: Auf Initiative des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, wurde aktiv die Idee der Stationierung der UN-Friedenstruppen in der Ostukraine besprochen. Scheint ihnen nicht, dass das Auftauchen der UN-Blauhelme in Transnistrien viele Probleme um die Friedensoperation in dieser Region aufheben kann?
Antwort: Die einzigartige Friedensoperation am Dnister beweist seit einem Vierteljahrhundert ihre Effizienz. Dort schießt niemand gegen niemanden. Die Veränderung ihres Formats zum UN-Format würde zu nichts außer gefährlicher Zuspitzung führen. Was die Lösung des Transnistrien-Problems betrifft, hängt alles vom Wunsch und der Fähigkeit der Seiten ab, eine Vereinbarung zu erreichen, worüber wir seit vielen Jahren sprechen.
Frage: Die Beziehungen Moskaus und Chisinaus sehen in allen Richtungen schlecht aus. Auch Moldawiens Präsident Igor Dodon sorgt nicht für Trost, der nicht imstande ist, sie zu beeinflussen. Gibt es irgendwelche Möglichkeit, sie zu entspannen bzw. neuzustarten?
Antwort: Die Verbesserung der bilateralen Beziehungen hängt immer von Stimmungen beider Seiten ab. Moskau ist zur positiven Entwicklung bereit. Wir arbeiten kontinuierlich daran.