das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland
Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf Fragen auf dem Forum „Russland – das Land der Möglichkeiten“ am 15. März 2018 in Moskau
Liebe Freunde,
vielen Dank für die Einladung. Es ist mir sehr angenehm, in solchen Formaten zu kommunizieren. Erst vor kurzem nahmen viele von Ihnen wohl an einer anderen Veranstaltung, nämlich am Finale des Allrussischen Beamten-Wettbewerbs „Russlands Leader“ in Sotschi, teil, zu dessen Teilnehmern auch ich gehörte.
Ich halte es für prinzipiell wichtig, Bedingungen für das Voranbringen von begabten und kreativen jungen Menschen zu schaffen, die die künftige Entwicklung unseres Landes bestimmen werden, was einer der entscheidenden Schritte ist, die unser Land machen muss. Dass Präsident Wladimir Putin viel Wert darauf legt, ist meines Erachtens allgemein bekannt und genießt eine große Unterstützung.
Es freut mich, dass Sie sich für die Außenpolitik interessieren. Dass unsere Handlungen in der internationalen Arena zwecks Umsetzung der von Präsident Putin gebilligten außenpolitischen Konzeption umfassend unterstützt wird, ist ein Unterpfand unserer Überzeugung davon, was wir tun. Nochmals vielen Dank für Ihre Unterstützung und Ihr Interesse für unsere Außenpolitik.
Die Nachhaltigkeit unseres Vorgehens in der Welt ist heutzutage sehr wichtig, denn die Lage in der Welt wird nicht gerade leichter. Die Gründe für diese tiefe Krise der internationalen Beziehungen hat Präsident Putin am 1. März in seiner Jahresansprache vor der Föderalversammlung geschildert. Ich will jetzt nicht ausführlich darüber reden.
Im Grunde geht es darum, dass die USA und ihre westlichen Verbündeten sich nicht gefallen lassen, dass die 500-jährige Zeit der Dominanz des Westens in den internationalen Angelegenheiten zu Ende geht. Der Übergang zu einem neuen, multipolaren, faireren und demokratischeren System wird wohl lange dauern. Natürlich ist der Übergang zu diesem neuen System schmerzhaft für die Länder, die seit Jahrhunderten über die Welt verwalteten. Das ist weder Kritik noch Verurteilung, sondern einfach die Feststellung. Sie sind daran gewohnt, dass ausgerechnet sie „die Musik bestellen“. Das war besonders offensichtlich, als man gleich nach dem Zerfall der Sowjetunion vom „Ende der Geschichte“ sprach, indem man meinte, dass es in der modernen Welt nur den westlichen liberalen Lebensstil und die westliche liberale Weltpolitik geben würde. Das hat nicht geklappt. Der Westen reagiert sehr nervös auf die Rückkehr Russlands auf seine legitimen Positionen, die wir von unserer jahrtausendlangen Geschichte, von den Errungenschaften unserer Vorfahren erben, die uns absolut legitim gehören. Russlands Rückkehr als gleichberechtigter Partner, der niemandem etwas aufzwingt, dabei aber kein Diktat bzw. keine Ultimaten akzeptiert, wird von unseren westlichen Partnern sehr schmerzhaft wahrgenommen. Das tun sie aber falsch, denn wir suchen keineswegs nach Konfrontationen – wir wollen mit allen ehrlich und respektvoll zusammenarbeiten, nach Interessenbalancen und allseitig akzeptablen Vorgehensweisen suchen.
Diese Politik gilt auch für den Sicherheitsbereich. Präsident Putin sprach ausführlich darüber, wie wir die Interessenbalance im militärischen Bereich angesichts des einseitigen Austritts der USA aus dem INF-Vertrag sichern müssten. Wir müssen asymmetrisch reagieren – aber mit dem Ziel, die Interessenbalance zu sichern.
Die Notwendigkeit der Suche nach allseitig akzeptablen Vereinbarungen gilt natürlich auch für den Handels- bzw. Wirtschaftsbereich, wo man etwas nicht zulassen sollte, was wir leider sehr oft sehen: einseitige Maßnahmen zum illegitimen Druck als unfaires Konkurrenzmittel.
Natürlich sollte die Interessenbalance auch bei humanitären Kontakten zwischen verschiedenen Völkern die Oberhand gewinnen, im Bereich der Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen, Zivilisationen, Religionen. Nur so könnten wir die Einheit der heutigen Welt aufrechterhalten.
Leider befinden wir uns noch ganz weit weg von dieser Harmonie, aber wir müssen alles tun, um eine Konfrontation zu verhindern. Russland bringt eine positive Tagesordnung voran, deren Ziel ist, die Menschen zu vereinigen und nicht voneinander zu isolieren, alle Konflikte friedlich zu regeln – egal ob in Syrien, im Irak, in Libyen, im Jemen, auf der Halbinsel Korea, in der Ukraine, in Afrika und allen anderen Regionen der Welt – und zwar auf Basis des Völkerrechts und der UN-Charta, durch den Dialog zwischen allen Seiten und die Förderung von friedlichen Schritten seitens jedes Teilnehmers dieses oder jenen Konflikts.
Natürlich gehört zu unseren Prioritäten auch die Förderung von neuen Formen der Partnerschaft zwischen verschiedenen Staaten, die nicht blockbezogen, sondern offen für alle sein werden, die bereit sind, gleichberechtigt und allseitig nützlich zusammenzuwirken. Auf Basis solcher Prinzipien wurden die EAWU, die SOZ und die BRICS gebildet. Auf diesen Prinzipien entwickeln wir auch unsere Beziehungen mit den ASEAN-Ländern. Wir sind bereit, auch die Partnerschaft mit der Europäischen Union wiederaufzunehmen, wenn unsere europäischen Nachbarn aufhören, den in den USA vorherrschenden antirussischen Tendenzen zu folgen. Ich meine damit die Sanktionen und Provokationen. Darüber hinaus lassen wir uns die empörenden Handlungen nicht gefallen, die wir gerade seitens der britischen Regierung beobachten, die nicht bloß unanständig sind.
Wir antworten ganz ruhig auf die gegen uns gerichteten Aktivitäten damit, dass wir bereit sind, mit allen über jegliche Probleme zu sprechen. Natürlich behalten wir uns das Recht auf, unsererseits Fragen zu stellen, die wir in Bezug auf unsere Partner haben. Aber das tun wir respektvoll, ohne die unnötige Hysterie zu provozieren und jegliche konfrontationsbezogene Vorgehensweisen voranzubringen. Dabei stützen wir uns ausschließlich auf die Normen, die die Menschheit seit Jahrzehnten und Jahrhunderten vereinbarte – nämlich auf das Völkerrecht, dessen Quintessenz die UN-Charta ist.
Ich bin bereit, Ihre Fragen und Kommentare zu hören.
Frage: Ich bin aus Lugansk gekommen, wo aktuell Gefechte geführt werden.
Wie geduldig sind eigentlich der russische Präsident Wladimir Putin und Russland im Allgemeinen, indem sie dem Druck seitens der USA und anderer Länder widerstehen?
Sergej Lawrow: Ich möchte Ihnen versichern, dass wir mit Ihnen solidarisch sind, nachdem Sie in eine illegitime Blockade geraten sind, nachdem Ihre ganze Bevölkerung im Grunde zu Terroristen abgestempelt wurde, nur weil Donezk und Lugansk sich den rechtswidrigen Machtsturz nicht gefallen ließen, und nachdem nach ihrer Bitte, sie in Ruhe zu lassen, weil sie verstehen wollten, was da los war, ein illegitimer „Anti-Terror-Einsatz“ gestartet wurde, so dass gegen sie die Streit- und Sicherheitskräfte der Ukraine gerichtet wurden, obwohl Sie niemanden überfallen hatten. Sie wurden von den Kräften überfallen, die die Macht illegal erobert hatten. Deshalb werden wir nicht zulassen, dass die Versuche, Sie durch diese Blockade zu erwürgen und zu zwingen, Kiews Ultimatum zu akzeptieren und die Minsker Vereinbarungen aufzugeben, Erfolg haben. Die Minsker Vereinbarungen wurden vom UN-Sicherheitsrat gebilligt. Das ist ein internationales Gesetz, das zu erfüllen ist.
Was unsere Geduld angesichts des Vorgehens unserer westlichen Kollegen angeht, die dadurch alle möglichen Völkerrechtsnormen verletzen, insbesondere die Minsker Vereinbarungen, ohne in der Lage zu sein, Kiew positiv zu beeinflussen, so ist das eher eine philosophische Frage. Im Prinzip haben Präsident Putin und das russische Volk überhaupt jede Menge Geduld. Ich denke, die Geschichte kennt viele Beispiele dafür, dass man versuchte, unsere Geduld zu missbrauchen. Und auch darüber sprach Präsident Putin in seiner Jahresansprache an die Föderalversammlung. Wir hatten nach dem Jahr 1991 an allen Türen geklopft, doch niemand wollte uns zuhören. Ich denke, diese Zeiten sind vorbei.
Frage: Denken Sie nicht, dass unter den Bedingungen, die in der Welt in den letzten etwa zehn Jahren herrschen, die Demokratie und ihre Instrumente teilweise ihren Wert verloren haben und die aktuelle Welt nicht mehr beeinflussen können?
Sergej Lawrow: Das ist eine sehr gute Frage. Im Grunde bedeutet die Demokratie natürlich die Macht des Volkes und das Basisprinzip, und wie es in jeder einzelnen Gesellschaft angewandt wird, hängt wohl von den Traditionen dieser Gesellschaft, von ihrer Geschichte, Kultur und Religion usw. ab. Das Prinzip der Volksmacht ist natürlich das Basisprinzip, das für die Demokratie typisch ist.
In den letzten 15 bzw. 20 Jahren wurde offensichtlich, dass demokratische Prozeduren nicht immer zu Ergebnissen führen, die der aktuellen Führung der westlichen Länder passen. So fanden vor etwa 15 oder 20 Jahren in Österreich Wahlen statt, als die rechtsradikale Partei mit Jörg Haider an der Spitze absolut demokratisch gewann, der dann Ministerpräsident werden sollte. Abe angesichts seiner rechtskonservativen Ansichten tat die liberale, demokratische EU-Führung alles dafür, dass er den Sieg, den er demokratisch errungen hatte, aufgeben musste. Oder noch ein passendes Beispiel: 2007 sollten in Palästina Wahlen stattfinden, wobei die Parteien Fatah mit dem jetzigen Präsidenten Mahmud Abbas an der Spitze und die und die Hamas, die im Gaza-Streifen sitzt und die von allen als radikal und extremistisch (oder sogar terroristisch) wahrgenommen wurde, gegeneinander kämpften. Damals zweifelten wir daran, dass man in so einer angespannten Situation, als diese zwei palästinensischen Strukturen in ihrer eigenen Region so verbissen gegeneinander kämpften, die Wahlen voranbringen sollte. Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, den Palästinensern zu raten, die Wahl zu verschieben. Aber die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice bestand höchstpersönlich darauf, dass die Wahl stattfindet. Und sie fand auch statt, und dabei gewann die Hamas. Dann sagten die Amerikaner, sie würden den Hamas-Sieg nicht anerkennen, obwohl alle internationalen Beobachter bestätigten, dass die Zahl der Wahlzettel in den Wahlurnen der Zahl der Wähler entsprach. Und damit wurden alle notwendigen Verfahren eingehalten.
Wie Sie sehen, wirft man uns jetzt in Montenegro vor, wir hätten versucht, dort einen Staatsstreich voranzubringen, damit sich dieses Land nicht der Nato anschließt. Aber das stimmt doch gar nicht – wir hatten so etwas nie getan. Aber jetzt tut die aktuelle montenegrinische Führung unter dem Druck seitens Brüssels eben das: Sie versucht, demokratischen Prozeduren auszuweichen. Die Behörden dort weigerten sich, ein Referendum über den Nato-Beitritt zu organisieren, obwohl die Einstellung der Bevölkerung zu dieser Idee laut Umfragen gar nicht eindeutig ist.
Solche Beispiele gibt es viele, und wir werden wohl noch viele weitere Beispiele dafür sehen. In der EU ist man auch über die Wahlergebnisse in Italien und Österreich beunruhigt. Ich kann nicht ausschließen, dass sich jemand etwas einfallen lässt, damit sich die Demokratie in die Richtung entwickelt, die man für sie speziell bestimmen wird.
Meine letzte Bemerkung gilt der Demokratie in der internationalen Arena. Wenn unsere westlichen Kollegen Verhandlungen führen und wir über diverse Dokumente sprechen, die später veröffentlicht werden, verlangen sie immer, dass in jedem Land das Gesetz und die Demokratie die Oberhand gewinnen. Aber wenn wir konkrete Aspekte der jeweiligen Dokumente besprechen, wenn es um die internationalen Angelegenheiten geht, schlagen wir vor, dort die Worte „Demokratie und die Oberhand des Gesetzes“ festzuschreiben – doch sie wollen das nicht mehr.
Solche Beispiele gibt es etliche. Ich hoffe, Sie verstehen, über welchen Trend ich eben sprach.
Frage: Vor kurzem wurden S-400-Raketen an die Türkei geliefert. Ich möchte fragen, ob das zum richtigen Zeitpunkt passiert ist – oder noch nicht? Denn aus der Geschichte wissen wir ja, dass die Türkei mal Russlands Freund, mal Russlands Feind war. Riskieren wir nicht, dass wir mit der Türkei irgendwann wieder einen Feind bekommen? Und dann könnte in Incirlik wieder ein US-Fliegerstützpunkt entstehen, oder?
Sergej Lawrow: Erstens ist dieser Stützpunkt in Incirlik gar nicht verschwunden – er bleibt bestehen. Ich hörte nichts über Pläne zu seiner Verlegung in einen anderen Ort. Zweitens ist das eine militärtechnische Frage, und deshalb hoffe ich, dass Sie diese Frage heute an den Verteidigungsminister Russlands, Sergej Schoigu, schon gestellt haben. Was den außenpolitischen Aspekt dieses Themas angeht, so ist das eine sehr interessante Frage. Das stimmt natürlich: Wir führten mehrmals Kriege gegen die Türkei – und das waren wirklich blutige und gnadenlose Kriege. Die Tatsache, dass die aktuelle Führung der Türkei und Russland trotz dieser uneindeutigen Geschichte beschlossen haben, den Weg zur strategischen Partnerschaft zu gehen, zeugt von der Weisheit der Spitzenpolitiker, die solche Entscheidungen treffen. Ewige Feinde gibt es nicht. Es kann schon vorkommen, dass jemand unfähig ist, eine Politik auszuüben, die die eigenen Interessen berücksichtigen würde, ohne die Interessen der Partner zu ignorieren. Die Türkei ist unser Nachbar, und Nachbarn sollten keine Feinde sein – davon bin ich fest überzeugt. Es ist inakzeptabel, dass man Nachbarn gegeneinander einstellt, wie man das in der Ukraine versuchte, so dass dieses wunderschöne Land und sein Volk in eine tiefe Krise gestürzt sind.
Zurück zu Ihrer S-400-Frage: Ich denke nicht, dass wir da etwas zu befürchten haben. Unsere Vereinbarungen in Bezug auf Syrien sind beispiellos. Wir konnten drei Akteure vereinigen – Russland, die Türkei und den Iran, die die Situation in Syrien unterschiedlich betrachten und auch sehr unterschiedliche Interessen in dieser Region haben. Ich denke, es ist eine große Errungenschaft, dass wir einsehen, dass wir nebeneinander leben und die Interessen voneinander einsehen müssen – und auch nach Vereinbarungen suchen, die es gestatten, dass es zwischen unseren Interessen keine Konfrontationen gibt. Woran wir gerade mit der Türkei zusammenarbeiten – Turkish Stream, AKW-Bau – dabei geht es um langfristige Projekte, die für Jahre und Jahrzehnte bestimmt sind. Das wirtschaftliche Fundament ist das beste Unterpfand dafür, dass verschiedene Länder gemeinsam arbeiten und keine Konfrontationen suchen – davon überzeugten wir am Beispiel vieler anderer Regionen.
Frage: Ich habe eine Frage bezüglich Londons und des „Falls Skripal“. Gestern kündigte London an, 23 russische Diplomaten würden aus Großbritannien ausgewiesen, und die russisch-britischen Beziehungen würden vorübergehend eingestellt. Die offizielle Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte, Russlands Antwort würde nicht lange auf sich warten lassen. Wie wäre diese Antwort?
Sergej Lawrow: Sie verstehen ja, dass wir als höfliche Menschen zunächst unsere Antwort unseren britischen Kollegen mitteilen werden – im Unterschied zu ihnen, die es vorziehen, das Mikrofon zu schnappen und zu erklären, dass alles Russlands Schuld wäre, dass wir Sergej Skripal und seine Tochter vergiftet hätten und überhaupt Chemiewaffen produzieren und dadurch unsere Verpflichtungen verletzen würden. Wenn wir gewisse Zweifel haben, werfen wir keine solchen Fragen öffentlich auf, bevor wir mit konkreten Personen nicht darüber direkt sprechen. Das ist aus unserer Sicht höflich – so verhalten sich Gentlemen. Aber es bleiben immer weniger solche Gentlemen, wie Sie verstehen.
Was diese Geschichte angeht, so fanden erst gestern zwei Sitzungen statt: eine in Den Haag, in der OPCW, und die andere im UN-Sicherheitsrat. Die beiden Sitzungen wurden auf Initiative Großbritanniens einberufen. Und in beiden Fällen verlangten die Briten, Russland dafür zu verurteilen, weil es angeblich einen britischen Staatsbürger mit einem Kampfgiftstoff angegriffen und dadurch die Chemiewaffenkonvention verletzt hätte. Wir fragten nach Beweisen – genauso wie wenige Tage zuvor. Und man antwortete uns, Beweise wären gar nicht nötig. Dann baten wir, dass sich Großbritannien an uns mit einem offiziellen Antrag wendet, wie das die Chemiewaffenkonvention verlangt. Man sagte uns, man wüsste schon alles, und der Antrag wäre in der Ansprache Theresa Mays im britischen Parlament enthalten. Verstehen sie, über welch seriöse Dinge diese erwachsenen Menschen sprechen? Wir schlugen vor, auf das Chemiewaffenübereinkommen zurückzugreifen, das die Entsendung eines entsprechenden Antrags und die Einbeziehung des OPCW-Sekretariats, eine gründliche Analyse des Stoffs vorsieht, um den es sich handelt. Dann soll der entsprechende Antrag an das Land gestellt werden, das verdächtigt wird, und dann hat dieses Land zehn Tage dafür, die Antwort zu geben – und das halten wir natürlich ein. Sollte die Antwort dem Land (gegebenenfalls Großbritannien), das den Antrag stellt, nicht gefallen, darf es eine außerordentliche Sitzung des Exekutivrats der Chemiewaffenkonvention einberufen und eine entsprechende Expertengruppe bilden. Da gibt es viele Schritte, die im Übereinkommen vorgesehen sind, das von Großbritannien unterzeichnet und ratifiziert wurden. Der britische Vertreter in Den Haag sagte aber, sie würden keine Anträge stellen, und wir sollten alles selbst zugeben.
In New York schilderte unser Ständiger Vertreter bei der UNO, Wassili Nebensja, unsere Position klar und deutlich und beantwortete die absolut unverschämten und unbewiesenen Beschuldigungen, indem er vorschlug, in Übereinstimmung mit der Chemiewaffenkonvention ein Dokument zu verabschieden, in dem die Notwendigkeit der Ermittlung verankert werden sollte. Doch der britische UN-Botschafter blockierte diese Entscheidung. Jetzt können Sie selbst feststellen, was in dieser Geschichte die Briten verfolgen – wie auch die Amerikaner, die sie bedingungslos unterstützten. Die Europäer waren eher zurückhaltend, aber auch sie werden gezwungen, im Sinne der „Nato-Solidarität“ zu handeln. Ich denke, diese Geschichte vor allem von der Sackgasse zeugt, in die die britische Regierung geraten ist, besonders in der Situation, wenn sie nicht imstande ist, ihr Versprechen an die eigene Bevölkerung im Kontext des EU-Austritts zu halten. Aber die Antwort darauf wird bald folgen – das versichere ich Ihnen.
Frage: Präsident Putin erklärte das Jahr 2018 zum Jahr des Freiwilligen. In unserem Land gibt es sehr viele hervorragende Projekte auf diesem Gebiet – viele sozial wichtige Projekte. Wie könnten diese Projekte auf die internationale Ebene geführt werden? Denn ich kann nicht sagen, dass in anderen Ländern (Israel, Schweden, Schweiz) solche Projekte besser als unsere wären. Wie sollte das erfolgen?
Sergej Lawrow: Erfolgten diese Reisen in andere Länder im Rahmen der Freiwilligenbewegung?
Frage: Nein, im Rahmen der beruflichen Aktivitäten bzw. im Rahmen des Spezialistenaustauschs. Aber selbst während der Internationalen Jugend- und Studentenspiele in Sotschi, wo wir mit vielen Freunden aus anderen Ländern sprachen, zeigten sie das Interesse, diese Projekte auch in ihren Ländern umzusetzen. Aber wir wissen nicht, wie das praktisch erfolgt.
Sergej Lawrow: Wenn es von Anfang an um internationale Projekte geht, oder wenn sie der nationalen Entwicklung gewidmet sind, und Ihre ausländischen Kollegen Interesse daran haben, dann wäre ich bereit, Ihnen zu helfen. Aber man müsste zunächst verstehen, worum genau es geht. Sie können uns Ihre Projekte zuschicken, und ich werde verfügen, dass diese Situation geklärt wird. Zumal wir jetzt den Rat junger Diplomaten haben, der übrigens in Sotschi das erste internationale Treffen junger Diplomaten organisierte. Ich denke, das wäre ein sehr guter Auftrag an diese Organisation, damit ihre Teilnehmer hinschauen, wie sie Ihnen bei der Anknüpfung von nachhaltigen Kontakten im Ausland helfen könnten. Schicken Sie uns bitte Ihre Projekte zu.
Frage: Könnte Ihres Erachtens eine Frau eine Präsidentschaftswahl in Russland gewinnen? Im Ausland ist alles klar – aber in Russland?
Sergej Lawrow: Warum machen Sie einen Unterschied zwischen uns und der ganzen progressiven Menschheit? Ich denke, so etwas ist überall möglich. Wichtig ist aber nicht dass es eine Frau sein müsste, sondern es sind die Eigenschaften der konkreten Person wichtig.
Frage: Ich denke, dass es für eine Frau schwerer ist, sich durchzusetzen.
Sergej Lawrow: Vielleicht gibt es irgendwelche objektive, subjektive, historische, zivilisatorische, religiöse Faktoren. Ich gehe davon aus, dass wir uns auf dem Wege bewegen, der uns im Ergebnis zu einem objektiven Vergleich der geschäftlichen, persönlichen Eigenschaften aller, die die staatlichen Posten beanspruchen werden, bringen wird.
Frage: War es zweckmäßig, Beiträge an das Internationale Olympische Komitee vor der Schließung der Olympischen Spiele zu machen? Heißt es die Zustimmung unsererseits, dass wir von den Olympischen Spielen gerecht disqualifiziert wurden?
Sergej Lawrow: Ich möchte die Frage nicht kommentieren, für die ich nicht antworte. Der Beschluss wird vom Olympischen Komitee Russlands getroffen, der eine Organisation ist, die unabhängige von der Regierung ist. Ich kenne nicht die Details, doch wenn es um Beiträge geht, dann sollen sie natürlich gezahlt werden, wenn es nicht um außerordentliche Umstände geht. In diesem Fall beschlossen die Sportler, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Hier geht es um Beschluss des Olympischen Komitees Russlands.
Frage: Ich drücke meine Dankbarkeit vom ganzen syrischen Volk aus, dessen Vertreter ich auf diesem Forum bin, für alles, was sie taten. Die Situation in Syrien verbesserte sich dank Russland. Dank Russland leben wir jetzt und unterstützen die Bildung. Wie sehen Sie jetzt die Situation im Norden Syriens? Wie kann Russland dabei helfen? Wie soll Russland die Beziehungen mit US-Kollegen entwickeln, die gegen unsere Verbindungen sind?
Sergej Lawrow: Wir machten mehrmals Verkündigungen mit den Einschätzungen davon, was dort vor sich geht. Wir machten unsere US-Kollegen mehrmals darauf aufmerksam, dass trotz mehrerer Versprechen, die Souveränität Syriens zu respektieren, in der Tat andere Schritte gemacht werden. Wir werden das anstreben, dass diese Geschichte nicht abseits gelegt wird und der UN-Sicherheitsrat die Erfüllung seiner Resolution erreicht, die den Respekt der territorialen Integrität Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität der Syrischen Arabischen Republik erfordert.
Wir haben gestern in Moskau den Außenminister der Türkei, Mevlüt Cavusoglu, empfangen, haben mit ihm über den Norden Syriens gesprochen. Er bestätigte öffentlich, bei der Konferenz zusammen mit mir, dass die Türkei die Souveränität Syriens respektiert und seine Präsenz nach dem Ende ihrer Operation nicht beibehalten wird. Was die Operation selbst betrifft, war sie offen durch die Handlungen der USA im östlichen Teil Syriens, östlich des Euphrats provoziert, als die USA dort nicht einfach auf kurdische Einheiten setzten, sondern selbst nach der Vertreibung der Terroristen verkündeten, dass die USA und die Kurden die ganze Grenze Syriens zum Iran unter Kontrolle nehmen und die Kurden diese Sicherheitszone gewährleisten werden. Das war absolut unprofessionell. Falls jene, die solche Erklärung machten, damit rechneten, dass die Türkei einfach ruhig sitzen und die Situation betrachten wird, haben sie überhaupt keine Vorstellung davon, wie das Kräfteverhältnis im Nahen Osten und unter anderem in Syrien ist.
In Bezug auf Syrien möchte man zum Schluss sagen, dass wir weiter gegen Terroristen kämpfen und sie in Ost-Ghuta bis zum Ende zerschlagen werden, wo die syrische Armee jetzt bei unserer Unterstützung entsprechende Operationen durchführt. Wir werden natürlich humanitäre Ausnahmen machen, wie gestern von unserem Verteidigungsministerium erklärt wurde. Jene, die ausgehen und die humanitäre Hilfe bekommen wollen, können diese Korridore nutzen. Das wichtigste in Ost-Ghuta und in anderen Orten ist, dass die US-Koalition, die dort aus der Luft vorgeht und zahlreiche Spezialeinheiten auch in anderen Orten hat, nicht mehr Terroristen wie Dschebhat an-Nusra unterstützen soll. Alle restlichen Gruppierungen, die der Westen als nichtextremistisch bezeichnet, gehen unter Schutzherrschaft von Dschebhat an-Nusra vor und haben ein gemeinsames Kommando. Die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats erfordert die Trennung von Banditen, dann wird niemand mehr von Nebenwirkungen davon betroffen, dass ein prinzipieller Antiterrorkampf läuft, den der UN-Sicherheitsrat niemals verboten hat.
Neben der Fortsetzung des Antiterrorkampfes, Lösung der humanitären Probleme – hier können die syrische Regierung und die vernünftige Opposition deutlich mehr machen, besonders in Deeskalationszonen, die im Rahmen des Astana-Prozesses geschaffen wurden – man kann nicht mehr mit dem politischen Prozess zögern. Drei Garant-Länder des Astana-Prozesses – Russland, der Iran, die Türkei führten unter Teilnahme einer riesengroßen Zahl der Gruppen der syrischen Gesellschaft (in Sotschi waren fast alle Gruppen vertreten) den Kongress des syrischen nationalen Dialogs durch. Es wurde eine Erklärung gebilligt, die von der UNO vollständig unterstützt wurde, die schnellst möglich in die Dimension der praktischen Umsetzung verlegt werden soll, vor allem via Bildung des Verfassungsausschusses unter Schirmherrschaft der UNO, der in Genf mit der Arbeit beginnen soll – eine neue Verfassung Syriens vorbereiten. Wir treffen uns morgen mit den Außenministerns Irans und der Türkei in Astana. Mal sehen, wie die Erklärung von Sotschi erfüllt wird, wir werden unsere Empfehlungen an alle Seiten formulieren – die Regierung und die Oppositionellen.
Frage: Was denken Sie über das Problem der Bildung in Lettland, wo die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung diskriminiert werden?
Sergej Lawrow: Anscheinend betrifft das nicht nur Lettland, sondern auch die Ukraine. Es gibt weniger radikale, allerdings negative für die russischsprachige Minderheit Ideen auch in anderen Nachbarländern. Wenn ein Land, wo ein Drittel der Bevölkerung die Sprache spricht, die keine Sprache der Titelnation ist, versucht, diesen Teil gewaltsam zum Verzicht auf seine Geschichte, Kultur, sprachliches Erbe zu zwingen, ist es die gröbste Verletzung der Konventionen der UNO und des Europarats, darunter Chartas und Konventionen, die Regionalsprachen und die Sprachen der nationalen Minderheiten verteidigen.
Wir stellen diese Fragen in der OSZE, im Europarat, im UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung. Dort sind aus verständlichen Gründen nicht alle bereit, die Normen zu verteidigen, die seit langem im Völkerrecht festgeschrieben sind, weil Lettland ein EU-Mitglied ist und dort, wie sie das nennen, Solidarität gilt, wir nennen das aber Vetternwirtschaft. Der Sinn besteht darin, dass man einen Beschluss mit einem Konsens treffen soll, und jedes Land kann ihn in eine ganz andere Richtung richten.
Doch es gibt auch Gerichtsinstanzen, darunter Europäischer Gerichthof für Menschenrechte. Bei aller Uneindeutigkeit einiger Beschlüsse, können sie nicht die Apelle der Staatsbürger und Gesellschaftsorganisationen ignorieren. Ich empfehle dringend, sich damit zu befassen. Dann wird mir natürlich vorgeworfen, dass ich zu irgendwelchen Antiregierungsauftritten in Lettland aufrufe, doch das ist der Menschenrechtsschutz, der nie als etwas betrachtet wurde, was unter dem Vorwand der Souveränität eines jeweiligen Staates geschützt werden soll. Mann soll Wahrheit anstreben, vor Gericht gehen. Das wird ein langer Prozess sein, doch es gibt keinen anderen Weg.
Wir betrachten ebenso das Bildungsgesetz, das von der Obersten Rada in der Ukraine verabschiedet, man weigert sich jetzt, es zu ändern, obwohl der Europarat im Namen der Venedig-Kommission forderte, es zu ändern. Wir werden sie unterstützen.
Frage: Kasachstan führte vor kurzem Visumsfreiheit für die Staatsbürger der USA ein. Wie kann das die Beziehungen zwischen Russland und Kasachstan beeinflussen?
Sergej Lawrow: Wissen Sie, ich habe das ehrlich nicht gewusst. Ich werde morgen in Astana sein und werde unbedingt mit dem Kollegen, meinem Freund, Außenminister Kasachstans, Kairat Abdrachmanow, sprechen. Solche Sachen würden im Prinzip unvermeidlich zur Abstimmung in der Eurasischen Wirtschaftsunion führen, wo die Visumsfreiheit gilt. Wir verhandeln jetzt mit unseren weißrussischen Freunden, um eine einheitliche Visumspolitik abzustimmen. Falls Kasachstan einseitig den Amerikanern Visumsfreiheit bereitstellte (ich wusste das wirklich nicht), soll man sehen, welche Folgen das für unseren einheitlichen Visumraum haben wird. Nicht alle Staatsbürger der USA, die nach Kasachstan reisen können, können in die Russische Föderation einreisen. Wie sie verstehen, haben wir, wie auch Amerikaner und andere Staaten, Listen. Sie sollen abgestimmt werden. Ich werde das morgen klären. Vielen Dank für den Hinweis.
Frage: Wie schätzen Sie die Bedeutung des Gebiets Astrachan in der Strategie des Aufbaus der Beziehungen in Eurasien ein, ich meine die Kaspi-Anrainer-Beziehungen? Können Sie eine kurze Einschätzung für die Kaspi-Beziehungen angesichts des Statuses des Kaspischen Meeres geben, der bis heute nicht endgültig beschlossen ist?
Sergej Lawrow: Erstens mag ich Astrachan sehr. Leider war ich schon lange nicht mehr im Wolga-Delta. Astrachan war auch der Austragungsort des IV Kaspi-Gipfels vor zweieinhalb Jahren, bei dem die wichtigsten Richtungen der weiteren Arbeit am Status von Kaspi abgestimmt wurden. Ich kann mit großer Sicherheit erklären, dass die Konvention in diesem Jahr beim V Gipfel in Kasachstan unterzeichnet wird.
Im Dezember versammelten wir in Moskau die Außenminister der Kaspi-Anrainer – Russlands, Kasachstans, Turkmenistans, Irans, Aserbaidschans. Wir stimmten auf unserer Ebene alle Punkte dieser Konvention ab. Jetzt ist der Text vollständig abgestimmt. Es werden die Texte in den Sprachen jedes Teilnehmerstaates, der englische Text geprüft, damit er gemeinsam unter Berücksichtigung davon wird, dass fünf Länder, darunter der Iran, an dieser Konvention teilnehmen. Ich bin mir sicher, dass sie unterzeichnet wird. Wir überlegen seit mehreren Jahren darüber, dass die Fragen der Wirtschaftskooperation im Kaspischen Meer in eine gemeinsame Tagesordnung vereinigt und eine Organisation der kaspischen Wirtschaftskooperation gebildet wird. Doch als erster Schritt soll ein Mechanismus der Jahrestreffen für handelswirtschaftliche Zusammenarbeit gebildet werden. Wir fördern aktiv Astrachan als Hauptstadt solcher Veranstaltung.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Die Beziehungen Russlands und der USA sind jetzt nicht sehr gut, wie auch die Beziehungen der USA und Mexikos. Wie meinen Sie, ist es eine Möglichkeit für Mexiko, starke Beziehungen zu Russland aufzubauen? Kann Mexiko dabei helfen, eine „harte Ordnung“ im Westen zu überwinden?
Sergej Lawrow: Sie haben absolut Recht. Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind nicht so wie die Beziehungen zwischen den USA und Mexiko zumindest aus dem Grund, dass es zwischen ihnen eine physische Mauer gebaut wird, und zwischen uns und den USA bislang nur die imaginäre. Wir haben keine gemeinsame Grenze außer der Beringstraße, doch dort braucht man keine Mauer. Wenn ernst gemeint, sind wir an der Entwicklung sehr guten, engen Beziehungen zu Mexiko interessiert. Darüber haben unsere Präsidenten gesprochen, sie trafen sich mehrmals am Rande verschiedener Foren, darüber sprachen meine Kollegen. Als ihr Außenminister, Luis Videgaray Caso, vor kurzem in Russland war, hatten wir sehr gute Verhandlungen. Ich lese jetzt einen weiteren Teil der Spekulationen, die es im Herbst gab, dann gingen sie zurück, jetzt wieder zugenommen – dass ihre kommenden Wahlen von der Russischen Föderation manipuliert werden. Niemand erklärte sogar, wozu wir das brauchen. Wollen wir in Mexiko ein Aufmarschgebiet zum Angriff auf die USA schaffen? Dort wird es doch eine Mauer geben, es wird nicht klappen. Ich rechne sehr damit, dass ein kluges, gutes, energievolles und begabtes mexikanisches Volk alles sehr gut versteht und sich nicht in Konfrontationspläne hineinziehen lässt, die euch von westlichen Ländern, darunter ihrem Nachbar aufgedrängt werden.
Was die Rolle Mexikos in Lateinamerika betrifft, ist sie kaum zu überschätzen. Wir wissen sehr hoch zu schätzen, dass Mexiko einer der Initiatoren der Schaffung der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) war, die erstmals alle lateinamerikanische Länder Nord- und Südamerikas vereinigte. Das ist meines Erachtens der größte Erfolg bei der Bildung der Identität Lateinamerikas bei der Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zu den USA und Kanada. Das sind doch etwas unterschiedliche Zivilisationen, Kultur, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl der CELAC-Mitglieder in der modernen Welt. Zwischen ihnen gibt es auch viele Widersprüche – venezolanisches Problem u.a. Doch das Streben, einer der Stützpunkte der multilateralen Welt zu sein, die sich unvermeidlich bildet, ist absolut legitim und gerechtfertigt. Wir unterstützen allumfassend diese Rolle Lateinamerikas in der Welt.
Frage: Wir befinden uns jetzt auf dem Bildungsforum „Russland – Land der Möglichkeiten“. Durch die Sessionen zieht ein Gedanke wie ein Faden, dass die Bildung nicht nur Schule und Universität, sondern auch das ganze unsere weitere Leben ist. Damit wir konkurrenzfähig sind, sollen wir ständig neue Bücher lesen, Trainings und Vorlesungen besuchen. Wie beschäftigen Sie sich mit Ihrer Bildung, Selbstausbildung? Welches Buch haben sie zuletzt gelesen?
Sergej Lawrow: Ich sage gleich beginnend mit dem letzten Teil der Frage, welches Buch ich zuletzt nicht bis zum Ende gelesen habe. Das ist das Buch von Wiktor Pelewin „Fast iPhone, jedoch kein iPhone“. Sie haben wohl über dieses Buch gehört.
Zur Selbstausbildung. In meinem Fall ist es ein ständiger Prozess. Jeden Tag lese ich Hunderte, Tausende Seiten Informationen, die von unseren Botschaftern ausgehen. Das ist nicht nur eine allgemeine Beschreibung der jeweiligen Probleme, die man auch im Internet und Medien lesen kann, sondern das stützt sich auf persönliche Kontakte. Ich kommuniziere regelmäßig (zwei bzw. dreimal pro Woche) mit meinen Kollegen, Ministern, wo ich auch Informationen bekomme (denn Informationen sind ein Teil der ständigen Selbstausbildung), ihre Denkweise verstehe, wie eine jeweilige Situation analytisch eingeschätzt wird. Sehr oft höre ich Hinweise. Bei solchen Treffen wie dieses bzw. bei Pressekonferenzen, wenn eine gestellte Frage nur ein bestimmtes Thema betreffen kann, jedoch zu System-Gedanken bringt bzw. ein anderes Problem betrifft.
Zudem gibt es bei uns im Ministerium ein eigenes Bildungssystem. Wenn Menschen nach der Universität kommen, gibt es ein Vorstellungsgespräch, ein Test, um in das Außenministerium aufgenommen zu werden. Danach absolvieren sie Weiterbildungskurse an der Diplomatischen Akademie als junge Diplomaten. In einiger Zeit, nach dem Karriereaufstieg beanspruchen sie höhere Posten, es gibt Kurse für Ausbildung der Führungsmitarbeiter, darunter einzelnes Programm für jene, die als Botschafter, stellvertretende Botschafter, Generalkonsule u.a. ins Ausland reisen. Auf diesen Kursen werden auch viele in Moskau tätigen Diplomaten ausgebildet.
Ich sage darüber sehr schematisch. Falls der Mensch selbst keine Bildung anstrebt, werden ihm keine Kurse helfen. Falls er das will, dann braucht er auch keine Kurse. In der heutigen Welt kann man sehr viele Möglichkeiten finden.
Frage: Ich vertrete die regionale Abteilung der Rettungsdienste von Sewastopol. Ist anlässlich des Jahres der Freiwilligen die Organisation der ausländischen Aufenthalte bei Retter und Freiwilligen in Bereichen Medizin, Rettung in den Regionen und Ländern geplant, wo das auf einem höheren Niveau stattfindet?
Sergej Lawrow: Seit der Zeit, als der Verteidigungsminister der Russischen Föderation, Sergej Schoigu, das Zivilschutzministerium von Null auf aufbaute, ist es eine der Vorbilds-Agenturen, die sich mit der Rettung befassen. Viele, darunter auch ich, halten sie für die beste in der Welt. Deswegen verstehe ich nicht ganz, um was es geht. Sie sollen ihre Erfahrung teilen. Es gibt Internationale Organisation für Zivilverteidigung. Zivilschutz gibt es auch in der Bezeichnung Ihres Ministeriums, es wird vom russischen Staatsbürger Wladimiw Kuwschinow geleitet, der früher im Zivilschutzministerium arbeitete. Ich denke, dass das russische Zivilschutzministerium als Teilnehmer dieser internationalen Organisation verschiedene Formate der Freiwilligen- und anderen Veranstaltungen initiieren könnte.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Wie würde die diplomatische Krise zwischen Moskau und London die kommenden Präsidentschaftswahlen in Russland beeinflussen?
Wie schätzen Sie die Rolle Algeriens in der Region ein? Ist es ein strategischer Partner Russlands?
Sergej Lawrow: Bezüglich der Motive unserer britischen Kollegen, kann ich gar nicht beurteilen. Ich denke, dass die Motive jedenfalls nicht sauber sind. Wären sie sauber gewesen, wäre uns darüber gesagt worden, Antworten auf die Fragen gegeben, die wir stellen, Verfahren eingeleitet, die von der Chemiewaffenkonvention vorgesehen sind.
Algerien ist unser strategischer Partner. Ich empfing hier vor kurzem den Außenminister Algeriens, Abdelkader Messahel. Wir bestätigten unser gegenseitiges Interesse an der Vertiefung der Partnerschaft in allen Bereichen. Ich denke, dass wir in der nächsten Zeit zusätzliche Schritte im Handel, Wirtschaftszusammenwirken und in der Investitionskooperation unternehmen werden. Wir kooperieren eng bei außenpolitischen Angelegenheiten, darunter bei einem solch schweren Problem, das von unseren westlichen Partnern geschaffen wurde, wie Libyen, als es de facto zerstört und Probleme für alle Nachbarn, darunter Algerien, bereitet wurden, jedoch nicht nur im Norden Algeriens. In der Sahara-Sahel-Region gehen ebenfalls Banditen vor, die von jenen bewaffnet wurden, die Gaddafi stürzen wollten. Dort gibt es sehr viele illegale Waffen und andere Probleme, die diese Region trafen und Algerien direkt betreffen.
Wir kommunizieren regelmäßig in verschiedenen Formaten. Algerien wurde vor kurzem von Sekretär des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, Nikolai Patruschew, besucht. Ich sprach mit meinem Kollegen vor kurzem in Moskau. Wir haben strategische Partnerschaft und Ausrichtung darauf, um einander bei der Entwicklung der Wirtschaft und des sozialen Bereichs zu helfen und die Möglichkeiten für eine freie Kommunikation zwischen unseren Menschen in humanitären und kulturellen Formaten zu gewährleisten und die Regelung der Konflikte auf einer gerechten Grundlage anzustreben.
Frage (übersetzt aus dem Englischen): Südafrika als BRICS-Mitglied möchte wissen, wie die New Development Bank BRICS im Bereich Technologien, Wirtschaft funktionieren wird angesichts der Einmischung der Imperialisten? Wir haben gesehen, wie einige Länder Regierungen außer Wahlperioden ablösen. Wie sind die Pläne im Rahmen der BRICS zur Stabilisierung der Situation?
Sergej Lawrow: Was die New Development Bank betrifft, die von den BRICS-Ländern ins Leben gerufen wurde, beginnt sie erst ihre Operationen. Die New Development Bank wird demnächst vollständig funktionieren. Die Projekte, die auf der ersten Etappe besprochen werden, betreffen nur das Territorium von fünf BRICS-Ländern. Mögliche Projekte außerhalb BRICS – das ist die nächste Etappe. Es ist klar, dass dem Afrikanischen Kontinent besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, weil eine Abteilung der New Development Bank BRICS in Südafrika liegen wird.
Was imperialistische Freunde angeht (wie Sie sie genannt haben), die versuchen, die Entwicklung der Wirtschaftskooperation in BRICS zu erschweren, ist es nicht die einzige Richtung, in der sie arbeiten. Sie sind im Prinzip daran interessiert, jede Vereinigungen zu brechen, wo sie nicht die erste Geige spielen. Ich bin mir sicher, dass solche Länder, wie China, Indien, Brasilien, Südafrika, Russland eigene Würde haben und es niemandem zulassen werden, die Richtung ihrer Außenpolitik zu diktieren und uns zu verbieten, mit sehr engen Freunden zu kommunizieren, mit denen uns unter anderem die Kampfbruderschaft verbindet, wie es zwischen meinem Land und Südafrika während des Unabhängigkeitskampfes war.