Interview des russischen Außenministers S.V. Lawrow an das chinesische Zentralfernsehen, Wladiwostok, 6. September 2012
Frage: Die APEC ist ein Forum, auf dem hauptsächlich Wirtschaftsfragen besprochen werden. Wie schätzen Sie hier die Anwesenheit der Amtsvorstände der außenpolitischen Behörden der Teilnehmer des Forums ein?
S.V. Lawrow: Sie haben zweifellos recht. Die APEC ist keine zwischenstaatliche Vereinigung, sondern ein Wirtschaftsforum. So steht es in allen Dokumenten geschrieben. Aber heute ist das internationale Leben eben nun mal so, dass die außenpolitischen Behörden dazu verpflichtet sind sich mit der Wirtschaft zu befassen, da sie, wie auch andere Bereiche der menschlichen Lebenstätigkeit, zu einem Teil der außenpolitischen Anstrengungen wird. Darüber hinaus sind in vielen Ländern, die in der APEC vertreten sind, die Außenminister auch gleichzeitig die Handelsminister. Es gibt viele Beispiele dafür. In den Fällen, wenn ein selbstständiges Außenministerium besteht, wie, z.B., in China, in Russland und in anderen Ländern, obliegen ihm auch die Funktionen in der Koordinierung der Tätigkeit aller anderen branchenspezifischen Behörden.
In dieser Hinsicht gibt es ein recht logisches Schema, und die Teilnahme der außenpolitischen Behörden an der Arbeit der APEC wurde von der Notwendigkeit diktiert bei der Lösung von Wirtschaftsfragen mitzuwirken. Außerdem steht auf der Tagesordnung der APEC das Thema „Personensicherheit", worunter die Entwicklung von Vereinbarungen verstanden wird, die auf eine effiziente Bekämpfung von Terror, des organisierten Verbrechens, Drogenverkehr und auf die Reaktion auf außerordentliche Situationen ausgerichtet sind. Auf diesen Gebieten spielen die außenpolitischen Behörden eine bestimmte Rolle.
Frage: Einige Experten meinen, dass die Durchführung des APEC-Forums in Wladiwostok Russland eine Chance dazu geben wird den Vektor der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von West auf Ost umzurichten. Bestehen Ihrer Meinung nach die gleichen Trends im außenpolitischen Bereich Russlands?
S.V. Lawrow: Ich würde die wirtschaftliche Situation nicht als „Umorientierung vom Westen auf den Osten" bezeichnen. Wir möchten maximal den östlichen Vektor einbeziehen, der in der russischen außenwirtschaftlichen und außenpolitischen Tätigkeit immer effizienter bestanden hat, ohne irgendwelche „Rückgänge" in westlicher Richtung, da die Europäische Union unser größter Wirtschaftspartner ist und wird absolut nicht daran interessiert sind, dass unsere Handels- und Investitionsbeziehungen darunter leiden. Es versucht ja auch niemand die östliche Richtung unserer außenwirtschaftlichen Tätigkeit auf Kosten der westlichen oder der südlichen zu entwickeln. Es gibt bereits Veränderungen in dieser Angelegenheit. Noch vor 10 Jahren hat der asiatisch-pazifische Raum im russischen Außenhandelsumsatz etwas mehr als 16% eingenommen, jetzt sind es bereits 24%. In Vielem ist das dank dem aktiven Wachstum unsere Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China geschehen. Aber auch hier gibt es zweifellos noch genügend Arbeit. Die Beziehungen mit China haben eine sehr feste Grundlage und weitgehende Pläne, die von den Staatschefs der beiden Länder genehmigt wurden. Wir wollen parallel die Zusammenarbeit im Bereich Wirtschaft und Investitionen auch mit anderen Ländern der Region steigern, wobei sie überdies auch ein gegenseitiges Interesse demonstrieren.
Die Außenpolitik folgt in der Regel nach der Wirtschaft. Gegenwärtig erfolgt im asiatisch-pazifischen Raum ein Versetzung des Zentrums der geschäftlichen Aktivitäten, es erscheinen Länder, die zu Wirtschaftslokomotiven werden, über ein großes Wirtschaftspotential und Finanzkraft verfügen, was zu einem Anstieg des politischen Einflusses dieser Länder führt. Das Wichtigste ist, dass die politischen Prozesse in dieser Region in offenen, transparenten Richtungen in Formen erfolgen, die bei den Teilnehmern dieser äußerst wichtigen und anziehenden Region keine Besorgnis erregen.
Wir haben zusammen mit China auf Gipfelebene im September 2010 während des Besuchs des russischen Präsidenten von Peking die Initiative über die Einrichtung im asiatisch-pazifischen Raum einer Sicherheitsarchitektur vorgetragen, die auf blockfreien Ansätzen und auf den Grundsätzen einer gleichen und untrennbaren Sicherheit für alle basiert. Das ist eine wichtige und langlebige Initiative, die wir in den unterschiedlichsten Formaten fördern müssen, darunter auch die Beziehungen von Russland mit den ASEAN-Ländern, die Zusammenarbeit von Russland und China im Rahmen der Ostasiatischen Gipfel u. a.
In der außenpolitischen Tätigkeit interessiert uns in gleichem Maße wie die Sicherheitsgewährleistung im asiatisch-pazifischen Raum, sowie auch die Sicherheitsstärkung in Europa, wo es nicht wenig Probleme gibt, wenn man die Beseitigung der alten Denkweise, die Versuche in der Beibehaltung der Trennlinien berücksichtigt. Dieselben Trends kommen auch in Asien zum Vorschein, insbesondere in de amerikanischen Plänen der Einrichtung eines globalen Raketenabwehrsystems, die wie Europa, sowie auch des asiatisch-pazifischen Raum umfassen. Wie auch China, wollen wir, dass diese Pläne transparent sind und in Formen ausgeführt werden, die keine Gefährdung der Sicherheit für wen auch immer darstellen.
Frage: Das laufende Jahr kann als „Wahljahr" bezeichnet werden. In Frankreich, in Russland und in einigen anderen Ländern haben Präsidentenwahlen stattgefunden, und es bleibt wenig Zeit bis zu den Wahlen in den USA. Sind Ihrer Meinung nach irgendwelche Veränderungen in der internationalen Kräftegliederung ersichtlich? Wie kann sich eine politische Umstellung in Großstaaten auf die Stabilität in der Welt auswirken?
S.V. Lawrow: Man darf nicht vergessen, dass auch China ein großen Ereignis bevorsteht – die ordentliche Tagung der Kommunistenpartei, von der wir auch interessante Beschlüsse in außenpolitischen Fragen erwarten. Die Kräfteverteilung wird nicht so sehr durch Persönlichkeiten, wie von der tatsächlichen Stellung des Landes in der Weltwirtschaft und dementsprechend in der Weltpolitik bestimmt.
Zweifellos tragen die Staatschefs bei ihrem Amtsantritt der außenpolitischen Tätigkeit und anderen Bereiche der Staatsverwaltung spezifische Charakterzüge bei. Aber ich denke nicht, dass eine Machtumverteilung in Frankreich oder die bevorstehenden Wahlen in den USA zu abrupten Änderungen in der Linie der Realisierung der Nationalinteressen führen werden. Die nationalen Interessen jedes Staats bleiben immer ausreichend konstant. Jeder normale Staat will in Sicherheit leben und Bedingungen für die Kommunikation mit der Außenwelt haben, die die wirtschaftliche Entwicklung, die Lösung von Sozialproblemen, die Steigerung des Wohlstands seiner Bürger maximal fördern. Auf diesen Grundsätzen basiert auch die russische Außenpolitik. Wir sind zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit mit allen bereit, die auch dazu bereit sind, und wird sind an der Entwicklung von gleichberechtigten, gegenseitig vorteilhaften Beziehungen mit allen Ländern auf allen Kontinenten auf der Grundlage von Pragmatismus und der Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen interessiert.
Genau auf solchen Grundsätzen entwickeln sich unsere Beziehungen mit den meisten Staaten, vor allem wenn wir über die Beziehungen mit der Volksrepublik China sprechen. Aber neben dem Gewicht der einen oder anderen Staaten in der modernen Welt spielt ihr Verhältnis zum Völkerrecht ebenfalls eine wichtige Rolle. Wenn man seine Angelegenheiten auf der Basis der UNO-Satzung, mit Abstützung auf die dort festgehaltenen wichtigsten Grundsätze erledigt, so gewährt das dem entsprechenden Staat mehr Vorteile, um seine Linie durchzusetzen, die Partner zu überzeugen. Gerade auf einer solchen Grundlage entwickelt sich die Zusammenarbeit, sagen wir, im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), der BRICS-Gruppe, deren Rolle und Gewicht in der Weltwirtschaft und der Weltpolitik nur anwachsen wird.
Frage: Wie sehen Sie die Entwicklung der Situation in Syrien? Kann eine Wiederholung des libyschen Szenarios passieren? Wird Libyen zum Endpunkt in der Reihe der „arabischen Revolutionen"?
S.V. Lawrow: Wir wünschen keine Wiederholung des libyschen Szenarios wo auch immer und sind darauf eingestellt die Nichtzulassung der Versuche zu gewährleisten die Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrats verzerrt auszulegen. Russlands Position im Sicherheitsrat, wie auch die von Chine, geht davon aus, dass wir uns im UNO-Sicherheitsrat über solche Methoden der Einwirkung auf die eine oder andere Krise einigen müssen, die tatsächlich eine Beruhigung der Situation und eine Umleitung des Konflikts in die politische Verhandlungsfläche bezwecken würden, und nicht zur Unterstützung von nur einer Partei eines beliebigen inneren Konflikts angewandt werden sollen.
Ich denke, dass wir einen sehr wichtigen Schritt gemacht haben – und mir schien, dass zu einem Ergebnis führen würde, - als am 30. Juni in Genf das Treffen der „Syrien-Aktionsgruppe" stattfand, an dem unsere beiden Länder, die drei anderen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, die Arabische Liga, die Türkei und der UNO-Generalsekretär teilgenommen haben. Bei diesem Treffen wurde ein Dokument (das sogenannte „Genfer Kommunique") abgestimmt und im Konsens genehmigt, in dem ausführlich und konkret die Schritte dargelegt wurden, die für die Umsetzung des bekannten Plans von K. Annan zur Regelung der syrischen Krise vorzunehmen sind. Das war ein ausgewogenes Dokument, das von der Notwendigkeit der Einwirkung durch alle externen Akteure in diesem Drama auf ausnahmslos alle syrischen Parteien ausging, um sie zu zwingen die Gewaltanwendung einzustellen, die humanitären Probleme zu lösen, die Häftlinge und Geiseln, sowie andere Personen freizulassen, die unter anderem auch von der Opposition entführt wurden, um sie zu zwingen sich an den Verhandlungstisch zu setzen, die Bildung eines „temporären Verwaltungsorgans" auf der Grundlage der Vereinbarungen zwischen der Regierung und allen Oppositionsgruppen zu verhandeln.
Ein fairer und gerechter Ansatz – ein Ansatz, der tatsächlich Chancen dazu gewährte, um der Gewalt so schnell wie möglich ein Ende zu bereiten und damit vielen Syrern das Leben zu bewahren. Als wir vorgeschlagen haben dieses Dokument im UNO-Sicherheitsrat zu genehmigen, erwiesen sich unsere westlichen Partner als nicht dazu bereit. Sie sagten, dass dies unausreichend sein – man müsse fordern, dass zuerst die Regierung die Kampfhandlungen einstellen, die bewaffneten Truppen und die schwere Technik aus den Städten abziehen lassen soll, und erst danach kann man die Opposition darum bitten dem Waffenstillstand ebenfalls beizutreten. Das ist ein absolut unrealistischer Ansatz, und zwar nicht weil wir das Regime unterstützen – wir unterstützen niemanden, außer den Interessen des syrischen Volkes. Wir wollen nicht, dass die syrischen Bürger in diesem Bruderkrieg weiter ums Leben kommen. Dieser Ansatz ist unrealistisch, weil die Regierung vom Wesen her zur einseitigen Kapitulation aufgerufen wird. Diejenigen, die diese Idee vortragen, sind entweder naiv (aber das wohl eher nicht der Fall), oder sie wollen einen Eingriff von außen provozieren.
Wir werden beliebigen Versuchen ausdrücklich widersprechen im UNO-Sicherheitsrat irgendwelche Beschlüsse zu genehmigen, die danach als Rechtfertigung für einen externen Eingriff benutzt werden sollen. Meine Antwort ist sehr simpel: wir haben mit allen Hauptpartnern (im Westen, in der arabischen Welt, und auch mit der Türkei) Vereinbarungen erreicht, die im Genfer Dokument festgehalten wurden. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass eine gutwillige und aktive Ausführung dieser Vereinbarungen zu einem Ergebnis führen wird. Es ist notwendig, dass auch alle anderen externen Akteure in dieser Frage dieselbe Position einnehmen.
Frage: Einige Wissenschaftler nehmen an, dass die chinesisch-russischen Beziehungen in der Linie der Kontakte zwischen den Menschen weit von den Beziehungen auf offizieller Ebene zurückbleiben. Halten Sie das für eine gerechte Schlussfolgerung? Was muss gemacht werden, damit die Beziehungen der gleichberechtigten vertraulichen Partnerschaft und der strategischen Zusammenwirkung zwischen unseren Ländern sich weiterhin fortentwickeln?
S.V. Lawrow: Unsere Beziehungen – Beziehungen in der strategischen Partnerschaft und der mehrseitigen Zusammenwirkung – entwickeln sich in allen Richtungen aufwärts. Allein die Tatsache, dass die handelswirtschaftlichen Beziehungen ein Volumen von über 80 Mrd. US-Dollar im Jahr erreicht haben und in Kürze wahrscheinlich die 100 Mrd.-Grenze überschreiten werden, was bedeutet, dass in die wirtschaftliche und investitionsbedingte Zusammenwirkung hunderttausende russische und chinesische Bürger einbezogen sind. Sie befassen sich gemeinsam mit der Realisierung von Handels- und Investitionsprojekten – das ist bereits eine offensichtliche und objektive Grundlage für die Festigung und die Vertiefung der menschlichen Beziehungen.
Zweitens, ignorieren wir auch nicht den humanitären Bereich unserer Zusammenarbeit. Im Rahmen des Mechanismus für die zwischenstaatliche Zusammenwirkung, der regelmäßigen Treffen der Regierungschefs von Russland und China funktionieren mehrere Arbeitsgruppen, darunter auch eine Gruppe für humanitäre Fragen. Momentan steht auf der Tagesordnung die Aufgabe in der Entwicklung eines Programms für die humanitäre Zusammenarbeit für die kommenden zehn Jahre, das, erstens, die bereits vorhandenen Erfahrungen berücksichtigen, und, zweitens, neue interessante Formen der Zusammenwirkung auf der Ebene der Zivilgesellschaften andeuten soll.
Die gesammelten Erfahrungen sind sehr wertvoll. In den letzten fünf Jahren haben in unseren Ländern „gekreuzte" Russland- und China-Jahre, sowie Jahre der chinesischen und der russischen Sprache stattgefunden. Jetzt wird ein gesättigtes Programm aus Veranstaltungen des Jahres des russischen Tourismus in China realisiert. Und im kommenden Jahr planen wir ungewöhnliche Veranstaltungen, die dem chinesischen Tourismus in Russland gewidmet sein werden. Diese neuen Formen, die wir aktiv nutzen, eröffnen zusätzliche breite Möglichkeiten für die Kommunikation zwischen unseren Bürgern. Ich werde ein paar weitere Beispiele nennen. Wir haben unserer Zeit zur Erholung in die Russische Föderation chinesische Kinder aus den Provinzen eingeladen, die Naturkatastrophen erlitten haben. Sehen Sie, Sie wissen davon. Erst neulich wurden dreihundert russische Stundenten von ihren chinesischen Freunden eingeladen und haben mehrere äußerst interessante Wochen in der Volksrepublik China verbracht. Im Gegenzug lädt die Moskauer Staatsuniversität eine entsprechende Studentengruppe aus China ein. In Kürze werden auf Einladung von chinesischen Freunden fünfzig russische Familien eine Rundreise nach China antreten.
Ich meine, dass wir in dieser Richtung eine sichtbare Aktivität und gute Perspektiven haben. Man wünscht sich natürlich immer mehr, aber der Fortschritt ist ersichtlich.